Kapitel 3
"Ay, Sadie, nicht so langweilig!", schimpfte Ana mit mir, während sie an dem Vorhang vorbei zu mir in die Umkleidekabine lugte. Wir waren Shoppen, und wenn sie unzufrieden war, stach ihr mexikanischer Akzent besonders hervor.
"Ach Ana, ich bin halt nicht so ein Kanarienvogel wie du!" Ich blickte an mir herunter und war mit meinem Biker-Look in Schwarz und Dunkelgrau eigentlich ganz zufrieden, aber Ana konnte es nie bunt genug werden. "Außerdem muss das zu meinem schwarzen, neuen, superheißen, eleganten Motorrad passen!" Ich strahlte bis über beide Ohren und Ana schüttelte nur den Kopf.
Ich hatte heute Vormittag tatsächlich ein Motorrad gekauft. Und am Montag würde ich das erste Mal mit der Maschine zur Schule fahren. Dafür musste mein Outfit natürlich auch perfekt abgestimmt sein. Nur verstanden Ana und ich blöderweise zwei ganz verschiedene Sachen unter "perfekt".
"Un momento!", murmelte sie und verschwand. Ich wusste, dass sie gleich mit einem gelben, orangen oder pinken Top auftauchen würde, und zog mir deshalb schon mal meine Bluse aus. Ich betrachtete meinen Körper im Spiegel und begutachtete voller Stolz das Tattoo, das ich mir vor einigen Monaten hatte stechen lassen. Es war ein Blumenmuster, oder eher eine Blumenranke, die sich an der Seite von der Brust bis zu meinem Hüftknochen schlängelte.
Ich betrachtete noch immer meinen Körper, als ich im Spiegel sah, wie Ana den Vorhang ein Stück zur Seite zog und mir ein Oberteil unter die Nase hielt.
Mit leuchtenden Augen sah ich sie an.
Es war einfach perfekt.
***
Montagmorgen. Einer der wenigen Morgen, auf die ich mich so dermaßen freute, dass ich sofort aus dem Bett sprang, als mein Wecker klingelte. Mein Outfit für heute hatte ich mir schon am Abend zurechtgelegt und war deswegen schnell fertig. Ich hatte sogar noch genug Zeit, um normal zu frühstücken und nicht nur meinen üblichen Kaffee zu trinken.
"Da ist ja jemand schon gut gelaunt." Dad grinste mich wissend an und zwinkerte. Vor lauter Freude konnte ich ebenfalls einfach nur zurückgrinsen, während ich mir ein riesiges Brot mit Nutella in den Mund schob.
Nach dem Frühstück schnappte ich mir meine Lederjacke und meinen Helm, schwang mich auf meine Maschine und brauste davon. Ich liebte dieses Gefühl, wenn der Wind an den Haaren, die unter dem Helm hervorlugten, zerrte und die Landschaft rasant an einem vorbeizog. Gut, so schnell zog sie leider noch nicht vorbei, wenn man hauptsächlich innerorts fuhr, aber das Gefühl war trotzdem unbeschreiblich.
Ich stellte meine Maschine auf einem freien Platz ab, stieg unter den neugierigen, verblüfften und verwunderten Blicken einiger Mitschüler ab und klemmte mir den Helm unter den Arm, um ihn in meinem Spind zu verstauen. Ana kam mir schon quer über den Schulhof entgegen.
"Sadie, meine Rockerbraut", begrüßte sie mich, nachdem sie mich von oben bis unten gemustert hatte. Mit gespielt hochgerecktem Kinn drehte ich mich einmal im Kreis, damit sie mich von allen Seiten betrachten konnte.
Ich sah wirklich gar nicht mal so schlecht aus in den Klamotten. Ich trug schwarze Biker-Stiefel und eine schwarze Hose. Natürlich trug ich auch das Top, das Ana mir ausgesucht hatte. Es war eine weiße, weiche Ledercorsage, die ähnlich wie mein Tattoo auf der Seite ein schwarzes Muster hatte. Darüber noch meine schwarze Lederjacke, offene, wellige Haare und eine Sonnenbrille, die ich mir aufgesetzt hatte, nachdem ich den Helm abgenommen hatte.
Als ich mich Richtung Schulgebäude wandte, sah ich Ash, der lässig an der Gebäudewand lehnte und mich beobachtete. Sein Blick brannte unbehaglich auf mir. Unglaublich, dass ich einmal freiwillig mit dem Kerl meine Zeit verbracht hatte! Reflexartig straffte ich die Schultern und wandte mich demonstrativ ab.
Ana hakte sich bei mir unter, und gemeinsam gingen wir nach drinnen. Dort kam uns Chase entgegen, der mich gleich abfing. Im Vorbeigehen schnappte er sich meine Hand und zog mich zu sich. Er hob meinen Arm so, dass ich mich einmal drehen konnte, und stieß einen kleinen Pfiff aus.
"Sadie, Sadie, Sadie ... Warum tust du mir das an?", meinte er seufzend. Ich tat kurz, als müsste ich überlegen.
"Einfach weil es mir Spaß macht."
"Es macht dir Spaß, mit meinen Gefühlen zu spielen?", stieß er gespielt verletzt hervor und fasste sich an die Brust. Ich grinste schief.
"Wer sagt, dass ich spiele?", fragte ich kokett und lehnte mich ein wenig zu ihm rüber. Auch er machte einen kleinen Schritt mir entgegen. Es war nicht einmal ein halber Meter zwischen uns, aber trotzdem entschied sich irgendein Trottel, genau zwischen uns hindurchzugehen.
"Ihr steht im Weg", sagte Ash kalt und stieß mich im Vorbeigehen weg. Chase und ich sahen ihm verblüfft hinterher.
"Was zum Teufel fehlt dem Kerl?", murmelte er und ich schnaubte.
"Wo soll ich nur anfangen?", grummelte ich, als Ana mich auch schon ungeduldig mit sich zog. "Bis später, Chase!", rief ich noch über meine Schulter und folgte Ana zum Mathematikunterricht.
"Sadie, mi amor, was läuft da zwischen dir und Chase?"
"Nichts?", meinte ich unschuldig, fragte mich jedoch im gleichen Moment, ob das so auch richtig war. Chase war lustig, liebevoll, frech und auch sehr gut aussehend. Seine blonden, leicht lockigen Haare, die nie ordentlich und gesittet auf seinem Kopf lagen, sondern wirr abstanden, waren einfach zu flauschig und süß. Wir verstanden uns prächtig, und ich konnte nicht verleugnen, dass da eine gewisse Spannung zwischen uns war. Aber reichte mir das?
"Wann steigt die nächste Party?", fragte ich Ana, und sie hatte mich sofort durchschaut.
"Ich werde mich nicht einmischen, aber tu nichts, was du später bereust."
"Keine Sorge, ich werde schon nichts Dummes anstellen. Kennst mich ja ..." Ich wartete einige Sekunden, schielte dann zu Ana rüber, die mich belustigt ansah, und augenblicklich lachten wir laut los.
"Klaro, nichts Dummes anstellen ...", sagte Ana immer noch prustend, und ich schlug ihr in die Seite.
"Ein wenig Respekt wäre nicht unangebracht! Ich bin schließlich die Ältere von uns beiden ", drohte ich scherzend und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
***
Der Gedanke an Chase ließ mich nicht mehr los. Und das fand ich irritierend. Sehr irritierend.
Immerhin lief das zwischen uns jetzt schon mehrere Jahre so. Was war auf einmal anders? Ich konnte es mir nicht erklären, aber ich wusste, dass ich auf einmal ein Lächeln auf den Lippen hatte, wenn ich ihn sah. Und das gefiel mir irgendwie. Nur wie weit ich gehen würde, darüber müsste ich mir noch klar werden.
In der Mittagspause setzte ich mich mit Ana zu Matt, der bereits mit einem Mädchen am Tisch saß. Ich kannte sie noch nicht, aber wenn ich mir ihren Namen würde merken müssen, dann würde Matt mir rechtzeitig Bescheid geben. Ich machte mir also keinen Kopf deswegen und fing an, das riesige Stück Lasagne auf meinem Teller in mich hineinzuschaufeln.
"Immer am Futtern, das Mädel", hörte ich Chase' Stimme, als er sich neben mich setzte.
"Schon wieder du?", fragte ich amüsiert.
"Ich suche halt einfach deine Nähe." Er zwinkerte mir zu. Noch während ich ein warmes Gefühl in mir aufsteigen spürte, sah ich schräg hinter ihm Ash mit meiner Schwester herumstehen. Allein beim Anblick dieser Visage wurde mir schon schlecht. Und dieser Blick, den Ash mir schickte, während er meiner Schwester die Zunge in den Hals steckte, widerte mich nur an.
Ich wandte meinen Blick wieder Chase zu, der gerade herzhaft in sein Sandwich biss.
"Mwaf?" Er sah mich fragend an.
"Nichts."
"Doch, sag schon!"
"Nichts?"
"Sadie?"
"Chase?"
"Ja?"
"Hä?"
"Was?"
"Was?"
"Dios mio, seid ihr blöd!", kam es plötzlich von Ana, und Chase und ich brachen in schallendes Gelächter aus. Keine Ahnung, was das eben war. Ich betrachtete Chase, während er weiteraß. Als er hinuntergeschluckt hatte, sah er mich wieder fragend an.
"Wieso starrst du mich so an?", fragte er und drehte sich leicht zu mir. Bevor ich antworten konnte, wurde ich von hinten an die Schulter getippt.
"Ähm, Sadie?" Ich drehte mich um und sah Michael, der mich von oben herab ein wenig unbehaglich ansah. "Können wir kurz über deinen Artikel sprechen?"
"Ja klar. Was ist denn los?" Überrascht wartete ich, was er jetzt sagen würde. Er hatte mich noch nie auf einen Artikel angesprochen, außer um mir zu sagen, dass er fantastisch sei. Michael warf einen kurzen Blick auf Ana, Chase, Matt und Matts Wer-auch-immer-sie-War.
"Unter vier Augen, Sadie."
Jetzt machte er mich doch etwas nervös. Mein Artikel war doch gut gewesen, oder? Ich ließ die letzten Bissen meiner Lasagne stehen und warf Ana noch einen verwirrten Blick zu, bevor ich aufstand und Michael folgte. Er steuerte zielstrebig auf ein leeres Klassenzimmer zu, hielt mir die Tür auf, damit ich hineingehen konnte, und schloss sie wieder hinter uns beiden.
Jetzt standen wir hier zu zweit, allein, sahen uns an und er sagte kein Wort.
Irgendwie wurde mir ein wenig unbehaglich zumute.
"Was ist denn mit meinem Artikel, Michael? Fandest du ihn nicht gut?"
"Sadie, du kannst damit aufhören. Es tut mir leid, dass ich nicht früher zu dir gekommen bin, aber ich war einfach total überrumpelt. Und ich meine, ich habe eine Freundin, ich musste mir erst einmal über meine Gefühle klar werden."
Moment. Was faselte er da bitte? Und was hatte das mit meinem Artikel zu tun, wenn er gerade Stress in seiner Beziehung hatte?
"Du hast mich damit komplett aus der Bahn geworfen, echt. Ich war total überfordert und habe die letzten Tage über an nichts anderes mehr gedacht ..."
"Stopp, wovon zur Hölle redest du?" Ich unterbrach ihn einfach forsch, weil ich mir auf das alles hier absolut keinen Reim machen konnte. Kurz sah mich Michael an, als wäre ich eben der Klapse entsprungen, bevor er einen Schritt auf mich zu machte.
"Ich rede davon, was du als Nachricht an mich in deinen Artikel geschrieben hast." Noch immer verstand ich nur Bahnhof. "Dass du dich in mich verliebt hast?" Der letzte Satz klang mehr wie eine Frage und weniger wie eine Feststellung.
Ich hatte bitte was? Mir klappte der Mund auf. War er jetzt komplett durchgeknallt?
"Das habe ich nicht geschrieben!"
Mitleidig lächelte Michael mich an. Beinahe hätte ich ihm dieses dämliche Grinsen aus dem Gesicht geschlagen.
"Sadie, du brauchst es doch jetzt nicht zu leugnen. Es ist okay. Wir werden damit klarkommen. Ich werde bei meiner Freundin bleiben. Es tut mir leid, aber ich habe meine Entscheidung getroffen."
"Das braucht dir nicht leidzutun. Ich wollte dich nie." Ich konnte nicht fassen, was hier gerade abging. Wie ...
"Verdammter Mistkerl!", fluchte ich, als mich die Erkenntnis traf wie ein Baseballschläger.
"Du brauchst mich nicht gleich zu beschimpfen." Michael sah mich gekränkt an, doch ich winkte nur ab.
"Nicht du, ich meine Ash. Ash hat das geschrieben, nicht ich. Ich steh nicht auf dich, glaub's mir endlich!"
Ash. Es musste Ash gewesen sein, wer denn sonst? Dayna ganz bestimmt nicht.
Dieser ... Hosenscheißer.
"Ich muss jetzt gehen, Michael." Ich war schon halb aus der Tür, als er mir noch etwas hinterherrief.
"Sadie, warte! Ist zwischen uns alles okay?" Er glaubte mir immer noch nicht. Na toll.
"Ja, natürlich. Mach dir keinen Kopf, ehrlich!" Und schon war ich weg und stürmte zurück in die Cafeteria. Ash und Brooke hatten sich offenbar noch keinen Millimeter bewegt, seitdem ich gegangen war. Grob zog ich Ash von Brooke weg, und ohne groß darüber nachzudenken, landete meine Faust in seinem Gesicht. Ich versuchte den brutalen Schmerz zu ignorieren, der dabei durch meinen kompletten Arm fuhr. Geschockt sah Brooke mich an, während Ash sich seine Nase hielt. Ha! Er blutete sogar ein wenig.
"Bist du jetzt total übergeschnappt, du dumme Tusse?", brüllte er mich an.
"Das sollte ich wohl besser dich fragen. Oder wer hat denn meinem Artikel noch eine ganz persönliche Note verliehen, hm?" Ich war auf hundertachtzig. So sauer war ich echt noch nie in meinem Leben gewesen, und am liebsten hätte ich gleich noch einmal auf Ash eingedroschen, egal wie sehr ich mich dabei selbst verletzte.
"Sadie, was ist los?" Ich drehte mich kurz um und sah Ana, Chase und Matt hinter mir stehen. Abgesehen davon waren auch alle anderen Blicke auf Ash und mich gerichtet.
"Ash weiß ganz genau, was los ist." Ich sah zu ihm und konnte die Freude über seinen Sieg in seinen glitzernden Augen erkennen. Langsam ging ich auf ihn zu. Ana legte eine Hand auf meinen Arm.
"Sadie, nicht ..."
Aber ich ließ mich nicht beirren. Ich trat so nah an ihn heran, dass sich unsere Oberkörper berührten.
"Du willst Krieg? Du kannst ihn haben."
Dann drehte ich mich um und ging.
***
Ich war eine aggressive Dramaqueen.
Das zumindest behauptete unser Schuldirektor, der mich und Ash natürlich sofort zu sich ins Büro holte, als er von unserer kleinen Schlägerei gehört hatte.
"Und wie soll ich das bitte angestellt haben?", fragte Ash mich in dem Moment arrogant und überheblich. Ich stöhnte genervt, als der Direktor mich auch noch abwartend ansah. Ich hatte gerade von der ... Situation mit Michael erzählt, aber Mr Conelli glaubte mir natürlich nicht.
"Was weiß ich? Du hast schließlich jetzt auch Zugriff auf unsere Cloud-Dateien, da hast du bestimmt am Artikel herumgefeilt!" Ich war immer noch fuchsteufelswild, und meine Augen schossen Blitze, als ich Ash ansah.
"Es ist wirklich erbärmlich, wie du versuchst, die Schuld auf andere zu schieben", murmelte er vielsagend, was mich noch mehr auf die Palme brachte.
"Wie kannst du es wagen, du ...", fing ich an und sprang von meinem Stuhl auf.
"Soso, immer mit der Ruhe, Ms Nichols", versuchte mich der Direktor zu beschwichtigen.
"Nichts mit der Ruhe hier! Ash ist selbst schuld, ich werde mich für nichts entschuldigen!", sagte ich bestimmt, trat nach Ashs Stuhl und verließ stürmisch das Büro. Ich würde bestimmt einen Verweis kriegen und zum Nachsitzen verdonnert werden, aber das war mir im Moment herzlich egal. Jetzt musste ich erst einmal Dayna finden.
Ich sah den leeren Gang entlang und dann auf die Uhr. Na toll, die nächste Stunde hatte schon angefangen, Dayna saß also bei Mr Hoffmann in Chemie, dem tollsten Fach der Welt (eigentlich schon) mit dem tollsten Lehrer der Welt (not). Der würde mich für das Zuspätkommen auch gleich noch mal zum Nachsitzen verdonnern, da war ich mir sicher.
Jetzt stellte sich nur die Frage, wo meine Sachen waren. Ich hoffte inständig, dass Ana meine Tasche mitgenommen hatte. Ich checkte schnell mein iPhone und sah, dass Chase mir geschrieben hatte.
#Hab deine Sachen, Süße. Komm und hol sie dir ;-)#
Auf ihn war Verlass, dachte ich amüsiert und marschierte Richtung Klassenzimmer. Plötzlich hörte ich hinter mir Schritte. Ich drehte mich im Gehen halb um, aber da war keiner. Seltsam.
Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, lief ich zügigen Schrittes weiter in Richtung des Klassenzimmers und wappnete mich für eine Standpauke von Mr Hoffmann.
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