Kapitel 1
Gelassen schlenderte ich über den Schulhof. Ich ließ meinen Blick schweifen. Nur noch etwa zwei Jahre, und ich würde das alles hier nicht mehr betreten müssen. Inzwischen kotzte mich hier wirklich alles an. Ich konnte die Lehrer nicht mehr sehen, die Bänke, auf denen wir immer saßen, und schon gar nicht die Leute. Die Leute hier waren mit Abstand das größte Problem.
Und die zwei, die ich am wenigsten sehen wollte, standen nur allzu präsent direkt am Haupteingang. Brooke und Ash.
Meine allerliebste Schwester und der größte Vollpfosten der menschlichen Geschichte. Es wunderte mich irgendwie nicht, dass die beiden sich gefunden hatten. Meine Schwester war lieb, wir verstanden uns im Grunde ganz gut, nur fehlte ihr definitiv eine ganze Menge zwischen den Ohren. Vielleicht war sie deswegen auf Ash hereingefallen. Ja, er sah gut aus. Intensive hellblaue Augen, schwarze Plugs, zahlreiche farbige Tattoos, die sich über seine trainierten Arme bis zu den Handgelenken schlängelten. Und natürlich seine Cap, die er fast immer umgedreht aufgesetzt hatte. Seine schlichte Kleidung – meistens ein weißes Shirt und dunkelgraue enge Jeans – untermauerten irgendwie seine unverschämt hübschen Gesichtszüge.
Sie versteckten aber auch seinen missratenen Charakter.
Ich kannte Ash schon ewig. Als wir Kinder waren, konnte man vielleicht sogar behauptet haben, dass wir Freunde waren. Na gut, zumindest Spielkameraden. Als wir älter wurden, veränderte sich unser Verhältnis. So sehr, dass Ash irgendwann dachte, ich hätte die gleichen Gefühle für ihn wie er für mich.
Das war jedoch nicht der Fall.
Und es tat mir nicht einmal leid, ihm einen Korb zu geben. Ich war einfach nicht interessiert. Ich war erst fünfzehn und dachte einfach noch nicht in diese Richtung.
Und dann zog er weg. Fast drei Jahre hörte ich nichts von ihm, und auch das war mir nach einiger Zeit im Grunde egal. Erst war ich am Boden zerstört gewesen, aber wie das so in dem Alter ist, hatte ich ihn nach und nach irgendwie vergessen.
Bis er eines Morgens vor wenigen Monaten mitten im Schuljahr in der Schule vor mir stand. Seine Brille und der unmoderne Haarschnitt waren weg. Stattdessen sah er aus wie ein Gott, und alle Mädchen sabberten von der ersten Sekunde an wegen ihm.
Ich wollte ihn gerade überrascht begrüßen, da hatte er sich einfach abgewandt und mich seitdem ignoriert. Größtenteils.
Denn die letzten Wochen hatte er ungewohnt und nervig viel Zeit mit meiner Schwester verbracht. Ihr Geflirte kotzte mich einfach nur an. Dass Ash nicht wirklich an ihr interessiert war, sah jeder zehn Meter gegen das Licht, nur sie natürlich nicht. Er spielte mit ihr, genoss ihre Aufmerksamkeit und sah sie einfach als Zeitvertreib, da war ich mir absolut sicher.
Dass er sich dafür jedoch gerade meine Schwester ausgesucht hatte, verstand ich beim besten Willen nicht. Vielleicht weil er wusste, dass es mich störte. Vielleicht weil er mir dadurch doppelt so sehr auf die Pelle rückte. Vielleicht weil er versuchte, mich irgendwie eifersüchtig zu machen.
Tja, sein Pech. Meine Gefühle waren die gleichen wie vor drei Jahren.
Obwohl, eigentlich nicht. Denn jetzt sah ich ihn nicht einmal als einen Freund, dem ich das Beste wünschte. Jetzt verabscheute ich ihn nur noch.
Auf der anderen Seite zweifelte ich manchmal daran, dass er je einen Gedanken an mich verschwendete. Ich bildete mir das Ganze womöglich auch nur ein.
Plötzlich bekam ich von hinten eine kurze, feste Umarmung, und ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Das konnte nur mein bester Kumpel sein.
"Sadie, meine Liebe!", erklang es hinter mir, und schon wurde mir ein Kuss auf die Wange gedrückt.
Matt. Mein allerbester Freund. Auch wir kannten uns, seit wir klein waren, und auch er war einmal ein "Freund" von Ash gewesen. Neben all unseren gemeinsamen Hobbys, Ansichten, Wünschen und Vorlieben teilten wir auch, dass wir mit Ash einfach nichts mehr anfangen konnten. Der Unterschied war jedoch der, dass Ash nur mir gegenüber so ein Arsch war.
Ich sollte ihn eigentlich immer so nennen. Eigentlich war ich mir sicher, dass sogar seine Eltern ihn so nennen wollten, das S im Namen aber aus unerklärlichen (und sehr ärgerlichen) Gründen von der Geburtsurkunde verschwand und mit einem H ausgetauscht wurde. Ass Hamilton. Arsch Hamilton.
Gott, wie ich den Kerl hasste.
"Warum guckst du wieder so grimmig?", fragte mich Matt und folgte meinem Blick. Er stöhnte theatralisch, als er sah, wen ich beobachtete.
"Sadie, die sind es nicht mal wert, angesehen zu werden."
"Ich kapier's einfach nicht!", meinte ich und blickte mit gekräuselten Augenbrauen zu Matt hoch. "Warum Brooke? Das ergibt überhaupt keinen Sinn! Sieh sie dir an! Er redet mit meiner Schwester beziehungsweise sie redet mit ihm, und er sieht jede halbe Minute einer anderen hinterher. Wieso verschwendet er überhaupt seine Zeit mit ihr?" Wirklich, ich verstand es nicht.
Matt fuhr sich mit der Hand durch seine schwarzen Locken und überlegte kurz. Dann sah er mich leicht nervös an. "Frag ihn doch?", schlug er vor. Bevor ich etwas einwenden konnte, fuhr er fort: "Du wirst es von selbst wahrscheinlich nie herausfinden, also kannst du ihn doch gleich fragen. Bis jetzt stellst du eigentlich nur Vermutungen an. Und wer weiß, vielleicht könnt ihr irgendwann euer Kriegsbeil begraben?"
Genervt musste ich zugeben, dass Matt mal wieder recht hatte. Trotzdem hatte ich keine Lust, mit Ash zu reden.
In dem Moment klingelte es zur ersten Stunde und wir begaben uns ins Schulgebäude. Leider hatten Matt und ich nicht denselben Kurs, weshalb wir uns schnell mit einem Wangenküsschen verabschiedeten und jeweils einen anderen Weg einschlugen. Wie es der Zufall nicht anders wollte, ging Ash direkt vor mir mit seinen Kumpel. Ich überlegte, ob ich ihn ansprechen sollte. Jetzt hätte ich eigentlich die Chance.
Ich stöhnte genervt, weil ich in dem Moment wusste, dass ich es tun würde. Natürlich nur meiner Schwester zuliebe.
"Hey, Ash!", rief ich ihm hinterher. Ich war mir ziemlich sicher, dass er mich gehört hatte, aber er reagierte nicht. Ich versuchte es noch einmal, doch wieder ignorierte er mich.
Na gut.
"Hey, Arsch!", rief ich etwas lauter, und sofort drehte sich mein Ex-Sandkastenkumpel um.
"Was hast du gesagt?", fragte er gereizt und seine Augen blitzten. Seine Kumpel gingen einfach weiter.
Das waren die ersten Worte, die wir seit seiner Rückkehr miteinander gesprochen hatten. Irgendwie hatte ich mir das ganz anders vorgestellt.
"Ich habe nur deinen Namen gerufen? Ash? So heißt du doch?", fragte ich ihn und hob eine Augenbraue. "Dass du anscheinend nicht reden kannst, war mir klar. Aber ich wusste nicht, dass du auch taub bist", kam es wie von selbst aus meinem Mund, und innerlich klopfte ich mir auf die Schulter. Dieser eingebildete Schnösel sollte nicht denken, dass seine Art mich irgendwie störte oder mir sogar Angst einflößte.
"Was willst du?", fragte er etwas schroff und sah abwartend auf mich herab. Ich musste meinen Kopf ganz schön in den Nacken legen, wenn er so nah vor mir stand.
"Was willst du? Also von meiner Schwester? Was willst du von Brooke? Dass das eine große Verarsche ist, sieht hier doch jeder. Also lass sie doch bitte einfach in Ruhe." Seine Augen funkelten amüsiert, während sein restlicher Gesichtsausdruck kalt blieb.
"Was geht dich das an? Oder ist da jemand eifersüchtig?"
Wie selbstverliebt konnte ein einzelner Kerl eigentlich sein? Und vor allem: Wie konnte aus meinem Freund Ash von damals dieses selbstverliebte Arschloch werden? Das ging einfach nicht in mein Hirn rein. "Das hättest du wohl gern. Leider gehören selbstverliebte, arrogante Arschlöcher nicht in mein Beuteschema", antwortete ich zuckersüß.
"Dann wüsste ich nicht, warum es dich interessiert, was ich tue." Gleichgültig zuckte Ash mit den Schultern und sah schon dem nächsten Mädchen hinterher.
"Du verarschst meine Schwester, deshalb interessiert es mich." Der Typ nervte so dermaßen, ich konnte es gar nicht mit Worten beschreiben.
"Deine Schwester ist alt genug, um selbst zu entscheiden, was sie tut", meinte er nur mit einem herablassenden Blick, drehte sich um und ließ mich einfach mitten auf dem Gang stehen.
Toll, ich dachte, oder zumindest hatte ich gehofft, dass er vielleicht noch irgendwie freundschaftliche Gefühle für mich hatte, aber nein. Da hatte ich falschgelegen. Vollidiot!
"Vamos, Sadie, die Stunde fängt gleich an!", kreischte plötzlich jemand neben mir mit einem ausgeprägten mexikanischen Akzent und zog mich heftig am Arm. Innerhalb weniger Nanosekunden realisierte ich, dass es Ana war, meine beste Freundin. Wir hatten zum Glück die meisten Stunden zusammen. Ohne zu überlegen, rannte ich einfach Hals über Kopf hinter ihr her, und dreiundzwanzig Sekunden später saßen wir im Geschichtsunterricht. Wir bekamen beide nach unserem Sprint kaum Luft und hörten uns deswegen an wie erstickende Nilpferde. Als wir Blickkontakt bekamen, brachen wir in Gelächter aus.
"Dios mio, ich sollte mehr Sport machen", keuchte Ana. Sollte sie je vor einer Gefahr flüchten müssen, dann müsste sie ihre Kondition wirklich ein wenig auf Vordermann bringen. Genau wie ich. Mein Herz raste, ich hatte das Gefühl, es würde jede Sekunde aus meinem Körper springen.
Unser Lehrer fing mit seinem Geschwafel an, und automatisch schaltete ich ab. Ich hatte gerade mit Ash gesprochen! Ich fasste es kaum ... Dieser Idiot, mich so frech anzuquatschen, was bildete er sich eigentlich ein? Nicht nur sein Äußeres hatte sich in den letzten drei Jahren verändert ... Was zum Teufel fiel ihm ein?
Ich verdrängte den Gedanken, dass ich ihn zuerst blöd angemacht hatte. Immerhin hatte ich wenigstens einen guten Grund dafür!
Wahrscheinlich sollte ich mit meiner Schwester reden und ihr klarmachen, was für ein Depp Ash war. Ich bezweifelte zwar, dass sie auf mich hören würde, aber sonst würde sie in einer Woche heulend in meinem Zimmer rumsitzen.
Nach einigen Minuten pochte mein Herz immer noch wie verrückt, und irgendetwas sagte mir, dass das nicht unbedingt an meinem sportlichen Zustand lag.
"Ey, chica, sag mal, was hattest du mit Ash zu tun?", fragte Ana mich in dem Moment leise und zog seinen Namen extra lang, als wäre sie nur vom Aussprechen schon angewidert. Als sie ihn erwähnte, durchfuhr mich ein leichter Schauer.
"Nichts eigentlich, ich habe ihm nur gesagt, dass er die Finger von Brooke lassen soll."
Ana sah mich merkwürdig an.
"Und das interessiert dich weshalb?", fragte sie unschuldig. Hallo? Warum fragten mich das alle? Die Antwort war doch wohl offensichtlich!
"Weil sie meine Schwester ist? Und ich habe keinen Bock, Kummerkasten zu spielen, wenn er meint, sie für irgendeine hirnlose Cheerleaderin abservieren zu müssen."
"Sadie, Süße, wie sieht's aus? Wir beide, heute Abend?" Die Stimme drang von der Reihe hinter uns zu mir. Ich drehte mich gelassen zu Chase um, der sich mit einem dreckigen Grinsen zu mir vorgebeugt hatte.
"Endlich fragst du! Ich verzehre mich schon nach dir!" Theatralisch aufseufzend legte ich mir eine Hand aufs Herz. Chase baggerte mich seit bestimmt zwei Jahren pausenlos an, was ihn jedoch nicht davon abhielt, diverse Freundinnen zu haben. Es war einfach irgendwie ein Spiel zwischen uns, und es wäre seltsam, wenn es plötzlich nicht mehr so gewesen wäre.
Noch immer grinsend lehnte er sich wieder zurück und zwinkerte mir noch einmal zu, bevor wir uns auf unseren Lehrer konzentrierten.
***
Nach Geschichte und sieben weiteren Stunden, die mir gehörig auf meinen nicht vorhandenen Sack gingen, machte ich mich auf den Weg zum Parkplatz, um auf Brooke zu warten. Ich legte mich auf ihre Motorhaube, schloss die Augen und genoss die Sonne. Wer wusste schon, wann sie sich von ihrem heiß geliebten Ash trennen konnte ... Ash hier, Ash da, Ash ist so toll, Ash ist so süß ... Ich konnte es nicht mehr hören.
Nach ein paar Minuten hörte ich Schritte, die sich mir näherten, und leises Gekicher. Das konnte nur meine Schwester sein. Und bei meinem Glück hatte sie ihren Holden bestimmt im Schlepptau. Noch bevor ich meine Augen öffnen konnte, ergoss sich ein Schwall Wasser über mein Gesicht. Wie von der Tarantel gestochen fuhr ich hoch und funkelte die beiden wütend an.
"Seid ihr jetzt komplett bescheuert? Was soll der Scheiß?" Ash grinste wieder einmal dämlich, noch mit der leeren Wasserflasche in der Hand, und Brooke kicherte ohne Pause.
"Wir dachten, eine kleine Abkühlung bei den Temperaturen würde dir gefallen."
"Dein unschuldiges Gequatsche kannst du dir sonst wohin stecken, Arsch."
"Ach komm schon, Sadie, jetzt hab dich doch nicht so. Es war doch nur Spaß", versuchte meine Schwester mich zu beruhigen. Ich rutschte von der Motorhaube und setzte mich in den Wagen. Wäre ich noch länger in Ashs Reichweite geblieben, hätte ich ihn bestimmt kastriert.
Brooke verstand, dass ich jetzt einfach nach Hause wollte, verabschiedete sich mit einem mehr als eindeutigen Kuss von Ash und ließ sich danach endlich auf den Fahrersitz fallen. Sie setzte sich ihre Sonnenbrille auf und warf Ash noch eine Kusshand zu, bevor sie mit quietschenden Reifen vom Parkplatz fuhr.
"Ich verstehe nicht, was du an diesem Idioten findest", murmelte ich vor mich hin, aber Brooke hatte mich wohl doch gehört.
"Ash ist einfach wundervoll. Früher wart ihr doch auch befreundet, ich verstehe gar nicht, was da passiert ist, dass ihr euch jetzt so hasst." Sie warf mir einen Seitenblick zu, bevor sie sich wieder auf die Straße konzentrierte.
Richtig, meine Schwester hatte keine Ahnung davon, was zwischen Ash und mir vor etwa drei Jahren passiert war. Sie wusste nicht, dass er mir aus heiterem Himmel plötzlich erzählt hatte, er habe sich in mich verliebt. Okay, vielleicht war da auch ein bisschen der Alkohol schuld, den wir damals heimlich organisiert und dann mit ein paar anderen in unserem Alter gesoffen hatten.
Unser erster Rausch. Bei dem Gedanken daran geriet ich ins Schwelgen. Mann, was hatte ich mir die Seele aus dem Leib gekotzt. Seitdem war mir das nie wieder passiert.
An diesem Abend war etwas zerbrochen zwischen Ash und mir.
Bevor ich in den düsteren Sog meiner Gedanken gezogen werden konnte, schüttelte ich diese schnell ab.
"Ash und ich waren nie wirklich Freunde", log ich.
Überrascht sah mich Brooke an.
"Ash meinte, ihr hättet früher viel unternommen. Ich kann mich auch erinnern, dass du ihn öfter mal mit nach Hause gebracht hast."
"Ja, kann sein. Aber das ist vorbei. Er hat sich dafür entschieden, von Ash zu dem Arsch zu werden, der er heute ist. Selbst schuld." Ich drehte meinen Kopf zum Fenster und sah hinaus.
Das Thema war für mich erledigt.
"Du könntest dich schon etwas mehr für mich freuen, Sadie", meinte meine Schwester daraufhin ein wenig gekränkt. Ich blickte abrupt in ihre Richtung und sah sie schockiert an.
"Wie bitte? Brooke, bist du blind?" Ich fasste es nicht. Ash hatte sie mit seinem Charme komplett geblendet. Oder meine Schwester war in echt noch bekloppter, als ich gedacht hatte! Nie im Leben würde ich ihre Beziehung absegnen!
"Ich gebe dir mal einen guten Rat: Sei ein wenig kritischer mit ihm!" In dem Moment hielt Brooke vor unserem Haus, und ich stieg so schnell wie möglich aus. Ihre Dummheit irritierte mich ausnahmslos, und deswegen verschwand ich so schnell wie möglich durch unsere Haustür. Ich hatte so viel Schwung drauf, dass ich meinem Dad fast die Tür volle Kanne ins Gesicht geknallt hätte.
"Sorry", murmelte ich nur und rannte die Treppe, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hinauf.
"Hallo, meine immer gut gelaunte zweite Tochter!", rief Dad mir hinterher, und ich rollte mit den Augen. "Hat sie nasse Haare?", hörte ich ihn noch Brooke fragen, die auch das Haus betreten hatte.
Ich schloss meine Zimmertür nicht gerade leise und warf mich auf mein Bett. Wie sollte ich das nur aushalten? Und jetzt redete Ash anscheinend wieder mit mir? Das wollte ich doch gar nicht. Zumindest nicht so! Seine ignorante, arrogante und unfreundliche Art und Weise, und wie er sonst mit den anderen Leuten in der Schule umging, hatte mir schon schnell klargemacht, dass ich mich lieber ganz von ihm fernhielt.
Ich hörte, wie Brooke an meiner Tür vorbei und in ihr eigenes Zimmer ging, und seufzte. Brooke war ein Jahr älter als ich und ging in die gleiche Klasse wie Ash. Ich fühlte mich jedoch mit meinen achtzehn Jahren um Jahrtausende älter und reifer als sie. Schon klar, irgendwie gemein, doch so war es halt.
Brooke war naiv, viel zu gutmütig, und das einzige Buch, das sie je gelesen hatte, war Winnie Puuh – das unsere Eltern ihr vorgelesen hatten, als wir noch klein waren.
Ich war das komplette Gegenteil. Ich liebte es, zu lesen und zu lernen, und Hausaufgaben machen war eigentlich auch keine Last für mich.
Die Naivität hatte Brooke eher von meiner Mutter, und Dad hatte schnell gemerkt, dass meine Synapsen im Kopf wesentlich schneller und besser zusammenarbeiteten als Brookes. Ich ging davon aus, dass Dad und ich deswegen so ein nahes Verhältnis zueinander hatten. Oder uns hatte zusammengeschweißt, dass wir anderen Menschen so misstrauisch gegenübertraten. Was nicht unbedingt besser war.
Langsam stand ich auf und sah mich im Spiegel an. Meine immer noch nassen Haare klebten flach auf meinem Kopf. Ich fuhr mir mit den Fingern durch meine hellbraunen, langen, leichten Locken. Im Spiegel blickten mich meine leicht schrägen, mandelförmigen Augen an, und ich überlegte, wie ich mit der ganzen Situation umgehen sollte. Da ich meine Mum noch nicht begrüßt hatte, begab ich mich wieder nach unten und fand sie im Wohnzimmer vor.
"Hey, Mum", sagte ich und umarmte sie.
"Na, wie war die Schule?", fragte sie mich, als ich mich neben ihr auf das Sofa fallen ließ.
"Schon okay ... Habe mal wieder tausend Hausaufgaben", grummelte ich. Obwohl sie mir meistens nicht schwerfielen, mussten sie ja gemacht werden.
"Du bist auch immer so fleißig", lobte meine Mutter mich und strich mir mit der Hand über mein Kinn.
"Und wir wissen beide, von wem sie das hat!", kommentierte mein Vater in dem Moment und wuschelte mir durch die eh schon völlig ruinierte Frisur.
"Wenn du so fleißig bist, kochst du heute doch bestimmt das Abendessen, oder?", konterte meine Mum und grinste ihn frech an.
Dad lehnte sich hinter mir auf den Sofarücken und sah mich an. "Magst du mir beim Kochen helfen?"
Ich überlegte kurz. "Kommt darauf an, ich muss für die Zeitung bis morgen noch einen Entwurf für einen Artikel machen. Und ich habe noch nicht einmal angefangen." Ich stöhnte genervt bei dem Gedanken an die ganze Arbeit, die noch auf mich wartete. Das Schreiben war meine Leidenschaft, aber zurzeit hatte ich irgendwie einfach zu viel um die Ohren.
"Dann mach du lieber jetzt deine Arbeit und Essen gibt's in einer Dreiviertelstunde", bot mein Dad an, bevor er in die Küche verschwand.
Schwerfällig und ohne allzu viel Motivation schleppte ich mich wieder in mein Zimmer und schmiss mich mit meinem Laptop auf mein Bett. Wenn ich erst einmal angefangen hatte zu schreiben, ging es meistens, und ich fand wieder die Freude daran. Heute war noch ein Artikel über die Neugestaltung unserer Aula dran. Ja, ziemlich spannend. Auch solche Artikel mussten zwischendurch einmal sein.
Ich sah mir erst die Bilder an, die ich schnell mit meinem Handy gemacht hatte, damit ich mich nicht nur auf mein Gedächtnis verlassen musste. Die professionellen Bilder würde ich morgen noch von unserem Fotografen bekommen. Unser Leistungskurs Kunst hatte einige Bilder gemacht, die als Reihe gesehen ein großes Ganzes ergaben. Diese hingen nun in unserer Aula, und ich musste gestehen, sie sahen echt nicht schlecht aus.
Ich überlegte mir einen möglichst spannenden Einstieg, damit so viele wie möglich auch wirklich weiterlesen würden. Eine der Künstlerinnen hatte ich sogar extra interviewt, um dem Artikel mehr Leben einzuhauchen. Als die ersten Zeilen geschafft waren, floss der Rest nur so, und meine Finger flogen förmlich über die Tastatur. Etwa eine halbe Stunde später hatte ich den Artikel fertig und las ihn noch einmal Korrektur. Zufrieden mit meinem Werk, speicherte ich das Dokument in der Cloud, damit die Layouter Zugriff darauf hatten.
"Sadie, Schatz? Essen ist fertig", rief in dem Moment Dad von unten. Das nannte ich mal perfektes Timing. Genau in dem Moment knurrte mein Magen lautstark, und ich merkte, wie viel Hunger ich bereits hatte.
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