{𝟕.𝑲𝒂𝒑𝒊𝒕𝒆𝒍} 𝑬𝒙𝒉𝒂𝒖𝒔𝒕𝒊𝒐𝒏
„Jan, Gott sei dank endlich", die Stimme seiner Mutter war laut und aufgebracht, während sich vor Angst sein Herz zusammenballte, „Ich dachte schon, ich erreiche dich nicht mehr. Wo bist du?"
„Ich - Arschloch, he. - bin bei der Bar in der Tim und ich feiern waren", erwiderte er wie in Trance und merkte nicht mal wirklich, wie seine Füße ihn die Straße runter zurück in Richtung Hotel trugen. Die Nachricht hatte ihn aus der Welt gerissen. Tim ist im Krankenhaus, hallte es die ganze Zeit in seinem Kopf und die Übelkeit in ihm wuchs von Sekunde zu Sekunde.
„Was ist mit ihm passiert?", fragte er dann hilflos, es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Seine Stimme zitterte in seinen eigenen Ohren, kam ihm fremd vor während die Finger seiner rechten Hand das Handy umklammert hielten und die linke unkontrolliert zuckte.
„Die Ärzte vermuten, dass er sich geprügelt hat. Er hat einige blaue Flecken und ist bewusstlos, es ist aber nicht weiter schlimm. Er wurde von einem Passanten in einer Straße gefunden, in der Nähe von eurem Hotel."
Sein Kopf schmerzte., als er sich vorstellte, wie Tim in einer dunklen Seitengasse lag, blutig und mit blauen Flecken. Wie irgendjemand auf ihn eintrat. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit war er wirklich wütend, spürte einen unfassbaren Hass. Aber nicht auf die Leute, die Tim das angetan hatten, oder auf ihn. Er war einfach nur unfassbar enttäuscht von sich selbst.
„Tim der kleine Hurensohn, der kann nichts", rief Gisela auch noch unpassender Weise und Jan spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Auch das war schon lange nicht mehr passiert, aber jetzt war es ihm einfach zu viel. Er konnte nicht glauben, was er angerichtet hatte. Was, wenn Rewi recht hatte? Wenn Tim wirklich eifersüchtig war, und er das hätte verhindern können, wenn er einfach nur ehrlich gewesen wäre?
„Jan, ist alles in Ordnung?", fragte seine Mutter sanft, „Ist was zwischen euch passiert?"
„Nein...eigentlich nicht. Tim ist nur früher aus der Bar gegangen weil es ihm nicht so gut ging - Wichser - ich hätte ihn auch begleitet aber ich war grade mit jemand auf der Tanzfläche. Er hat nicht mal was gesagt."
Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. „Ich muss zu ihm. In welchem Krankenhaus ist er?"
Marion seufzte hörbar und nannte ihm die Adresse. „Ich hoffe, ihr könnt euren Urlaub trotzdem fortsetzen", sagte sie einfühlsam, „Melde dich bei mir, wenn du etwas neues weißt."
„Mach ich, danke."
Mit einem zittrigen Seufzer legte er auf und fuhr sich durch die Haare. Ein Tic ließ ihn die Tür des Hotels ein Bisschen zu stark aufreißen und die wenigen Leute, die noch in der Lobby saßen, sahen ihn verwirrt an. Gisela brüllte ein paar Schimpfwörter und sie wandten schnell ihre Blicke ab. Hoffentlich waren keine Deutschen mit dabei, die es verstanden hatten.
Er verdrängte die Gedanken schnell, stürmte die Treppen nach oben in den zweiten Stock. Tim würde bestimmt über Nacht bleiben müssen und so packte er ein paar frische Klamotten in den Rucksack, in dem eigentlich die Kamera war und außerdem noch Handyladekabel und Kopfhörer. Dann war er auch schon wieder bei der Tür, warf noch einen letzten Blick zurück auf das kleine Zimmer und sein Herz zog sich zusammen, als er das Bett sah, in dem er heute Nacht alleine schlafen musste.
Und es ist deine Schuld.
Eine halbe Stunde später stand er vor dem Krankenhaus im westlichen Teil der Stadt. Vom Hafen wehte der typische Geruch nach Fisch und Salz zu ihm rüber, aber heute Abend konnte er sich nicht darüber freuen. Die ganze Fahrt mit dem Taxi über war ihm schlecht gewesen und er hatte sein Handy fest umklammert gehalten, in der Hoffnung, dass er von Tim oder irgendjemandem eine Nachricht bekommen würde. Doch der Bildschirm war dunkel geblieben.
Er versuchte sich zu sammeln, als er über den Parkplatz ging und durch die Tür des Haupteingangs trat, aber er wurde das surreale Gefühl einfach nicht los. Normalerweise war er es, der im Krankenwagen unerwartet in die Notaufnahme eingeliefert wurde und nicht umgekehrt. Als er bei der Anmeldung hinter einer Frau stehenblieb stellte er sich vor, wie Tim oder seine Mutter hier standen, angsterfüllt. Die Übelkeit verstärkte sich und er drängte auch diesen Gedanken fort.
„Hi, I'm looking for Tim Lehmann", begrüßte er die ziemlich übermüdete Dame am Schalter. Die Stille wurde für einen Moment von dem Tippen auf der Tastatur erfüllt, dann nickte sie.
„What's your name?", fragte sie und Jan merkte, wie ein ungutes Gefühl in ihm aufstieg. Was, wenn sie ihn nicht zu ihm lassen würden?
„Jan Zimmermann. I'm his best friend and we're doing a trip together. His mother told me that he's here."
Erleichtert stellte er fest, dass sie nickte.
„Ah, I remember. She called and told us you would come. He's in room 207. You can't enter before we got his permission since you're not a family member but you can talk to the nurse."
Unsicher, ob er sich freuen sollte oder nicht, nickte er. Dann hinterließ er noch seine Handynummer, falls in der Nacht irgendwas sein sollte. Am liebsten wäre er die ganze Zeit bei ihm geblieben, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass das erlaubt war.
Sein Herz klopfte schnell und er musste sich dazu zwingen, nicht zu rennen, als er die Treppen hochlief. Mit jeder Stufe wuchs die Angst in seinem Magen und als er schließlich außer Atem an der Information im zweiten Stock ankam, war ihm speiübel.
Zum zweiten Mal meldete er sich an und wurde schließlich in einen Wartebereich geschickt. Sobald er oder sie Zeit hatte, würde eine Krankenschwester kommen, und ihm erklären, was passiert war, wie es Tim ging. Er war anscheinend immer noch bewusstlos.
Niemand sonst war in dem großen Wartezimmer und die Zeit zog sich endlos, kroch dahin. Er hatte keinen Empfang und auch keine wirklich Lust, mit irgendjemand zu schreiben oder Social Media durchzuschauen. Das Einzige, was er tun wollte, war abzuwarten. Nach einer Stunde ging das Licht in dem Zimmer aus und er machte sich nicht die Mühe aufzustehen, damit es wieder anging.
Danach fiel es ihm schwer, die Augen offen zu halten. Die Müdigkeit, die schon seit er getrunken hatte auf ihm lastete, breitete sich aus und verdrängte die Übelkeit. Irgendwann gab er auf und lehnte sich zurück, ließ es zu, dass die Dunkelheit ihn umfing. Schlafen konnte er trotzdem nicht, zu groß war die Angst um Tim. Seinen besten Freund. Den Jungen, den er liebte. Und er hatte ihn in diese Situation gebracht.
Das hatte man davon, wenn man log.
Irgendwann, er hätte nicht sagen können, wie viel Zeit vergangen war, hörte er Schritte, die ihn aus seinem Dämmerzustand rissen. Sofort setzte er sich auf und blinzelte sich den Schlaf aus den Augen, sah zu, wie das Licht anging. Geblendet versuchte er das Gesicht der Frau, die vor ihm in der Mitte des Zimmer stand und ihn aufforderte mitzukommen, scharf zu stellen.
„Sorry it took us so long", sagte sie entschuldigend, als sie sein Gesicht sah.
„It's fine", erwiderte er verständnisvoll lächelnd, denn schließlich konnte sie überhaupt nichts für die Situation, „How is he? Do you know what happened?"
Die Frau erklärte ihm auf dem Weg durch den hell erleuchteten Gang, dass Tim im Krankenwagen noch bei Bewusstsein gewesen war, wenn auch stark angetrunken. Er hatte irgendwas von einer Schlägerei erzählt, und von Typen, die ihn als Schwuchtel bezeichnet hatten, aber so wirklich einen Reim hatte sich niemand darauf machen können. Jans Herz zog sich zusammen, als er hörte, was für Verletzungen sein Freund davongetragen hatte. Es war zwar nichts allzu schlimmes, nur ein paar Prellungen, Blutergüsse und Schürfwunden, aber trotzdem drehte sich ihm beim Gedanken daran der Magen um. Ich hätte bei ihm sein sollen. Mit ihm nachhause gehen. Es verhindern sollen.
Als die Frau ihren Bericht beendet hatte und sie vor der Zimmertür standen, fühlte er sich kein Bisschen besser. Mit zitternden Händen reichte er ihr Tims Rucksack. Sie lächelte einfühlsam.
„I think you can give it to him yourself. He just woke up. But be gentle, he's still dizzy."
Es fühlte sich an wie ein Schlag. Gefühle stürzten aus der Taubheit auf ihn ein, die die ganze Zeit im Wartezimmer über ihm gelegen hatte, weil er nicht damit gerechnet hatte, Tim heute noch zu sehen. Die Angst war wieder da, gemischt mit Nervosität und so stechend, dass ihm wieder übel wurde. Sein Kopf drehte sich und er ballte die Hände zu Fäusten, nur um sie danach gleich wieder zu lösen.
Was, wenn Tim ihn gar nicht sehen wollte? Wenn er wütend war, wegen dem was passiert war?
Die Frau sah ihn aufmunternd an, als sie die Tür vor ihm öffnete. Das Licht aus dem Gang fiel in einem dünnen Streifen in das ansonsten dunkle Zimmer. Er hörte ein Rascheln, sah wie sich der Umriss des Größeren in dem Krankenhausbett bewegte als er sich aufsetzte. Sein bester Freund drehte den Kopf und als Licht auf sein Gesicht fiel, sah Jan die Schramme an seiner Wange, und den dunklen Fleck, der sich um sein Auge herum gebildet hatte. Schmerz und Wut erfüllten ihn und einen scheinbar endlosen Moment sahen sie sich einfach nur an.
Dann lächelte Tim und Jan hatte das erste Mal an diesem Abend das Gefühl, Luft zu bekommen.
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So, das wars mit Kapitel 7. Ich hab versucht, den Satzbau ein Bisschen an das "Chaos" in Jans Kopf anzupassen.
Ich hoffe es hat euch gefallen und ich wollte mich an dieser Stelle für das ganze Feedback, das seit dem letzten Kapitel kam bedanken, besonders bei schaefchenbetreuerin und mildandsoft. Danke für eure lieben Kommentare! Fast hundert Aufrufe mehr in nur zwei Tagen, damit hätte ich nie gerechnet. ^^
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