{𝟏𝟒.𝑲𝒂𝒑𝒊𝒕𝒆𝒍} 𝑭𝒓𝒖𝒔𝒕𝒓𝒂𝒕𝒊𝒐𝒏

Am nächsten Tag hatte das Wetter sich wieder beruhigt, der Himmel war aufgeklart und die Sonne schien auf Jan herab, als er sich neben Tim auf den Rand des großen Brunnens im St. Patrick's Park setzte. Es ging ihm deutlich besser als gestern und er lehnte sich entspannt an Tims Schulter, sah durch seine Sonnenbrille in den blauen, wolkenlosen Himmel, schloss die Augen. Vögel zwitscherten in der ruhigen Frühlingsluft, es waren nicht so viele Menschen unterwegs, und er ließ den Moment auch nicht von den Erinnerungen an den gestrigen Abend trüben. Zwar war die Stimmung auch als sie nachhause gelaufen waren irgendwie noch seltsam gewesen, und er hatte Tim deutlich angemerkt, dass er sich Sorgen machte, aber heute Morgen hatte er sich vorgenommen, die Angst vor einem Anfall zu ignorieren. Darüber nachzudenken, würde es eh nicht aufhalten und sie waren hier, um einen schönen Urlaub zu haben.

Stattdessen verschränkte er ihre Hände und hörte wieder auf das Gezwitscher der Vögel, versuchte den Moment zu genießen. Bald begann Tim, ihm durch die Haare zu streichen und er genoss die sanften Berührungen seiner Finger.
„Es ist übrigens wie ich es dir gesagt habe", begann der Größere dann und Jan öffnete wieder die Augen, sah, dass er sein Handy in der Hand hielt, „Nahezu niemand hinterfragt die ganze Geschichte mit dem blauen Auge. Die Leute wünschen mir hauptsächlich Gute Besserung und sagen, dass wir ihn hätten anzeigen sollen."
Wichser", eigentlich wollte er etwas sagen, aber ein motorischer Tic ließ ihn so stark zucken, dass er abrutschte und nach hinten kippte. Er war erleichtert, als er Tims Hand im Rücken spürte und der ihn wieder nach oben stemmte.
„Hoppala", lachte er und fuhr sich verlegen durch die Haare, sah sich um. Immerhin wurde er von niemandem angestarrt. Tim prustete ebenfalls vor Lachen und schüttelte den Kopf.

„Heute will Gisela wohl dich baden schicken." Reflexartig drehte der Touretter sich um und sah auf das brackige Wasser im Brunnen.
„Das wäre aber keine angenehme Sache gewesen. Delfine sind schwule Haie."
„Vermutlich nicht", sagte Tim und küsste ihn auf den Kopf, stand auf. „Wollen wir uns jetzt die Kathedrale anschauen?"

Jan nickte und folgte ihm, war dankbar, wieder den festen Boden unter den Füßen zu haben. Sein Tourettesyndrom war heute wiedermal ziemlich aufgedreht aber das war ihm immer noch lieber, als der seltsame Zustand, in dem er sich gestern befunden hatte.

Während sie die Kathedrale, für die sie schon vorhin Tickets gekauft hatten, betraten, kam er nochmal auf das Thema mit der Community zurück. Er war wirklich froh, dass die Zuschauer das Ganze so hingenommen hatten.
„Ich denke du hast recht, dass es nicht so einfach wäre, wenn wir unsere Beziehung öffentlich machen würden", gab er dann zu, als sie das Gebäude betraten. Er war überwältigt davon, wie riesig die Kirche war, mit hohen Säulen und Bögen und endlosen Reihen von Bänken. Tim nickte.
„Heißt das, es ist jetzt alles okay?", fragte er vorsichtig und als sich der Kleinere anstatt einer Antwort zu ihm vorbeugte, und ihn küsste, lächelte er erleichtert.

Eine halbe Stunde später verließen sie das große Gebäude wieder und schlenderten Hand in Hand durch den Park in Richtung Stadt zurück, um irgendwo Mittag zu essen. Tim zog ihn immer wieder damit auf, dass er fast in den Brunnen gefallen wäre, und irgendwann rollte Jan nur noch belustigt mit den Augen. Um vor der schwülen Mittagshitze zu fliehen, ließen sie sich einen Tisch in einem kleinen Griechen geben. Es war kein besonders nobles Restaurant und Tim zog sich kurzerhand seinen Pullover über den Kopf und stopfte ihn in seinen Rucksack, so dass er nur noch sein weißes Levis-Shirt anhatte. Er lächelte Jan zu, als er sich der Speisekarte widmete und der Kleinere spürte ein Kribbeln im Bauch. Das blaue Auge fiel ihm inzwischen gar nicht mehr wirklich auf, auch wenn die Schuldgefühle noch nicht ganz verschwunden waren.

„Ich werd mir ein Gyros bestellen, eben klassisch irisch", sagte sein Freund sarkastisch und lächelte Jan zu, der schon den nächsten Tic kommen spürte. „Menschenfleisch", rief Gisela durchs Restaurant und an den wenigen besetzten Tischen, drehten sich die Leute nach ihnen um. Jan spürte, wie er rot wurde, aber Tim lachte einfach nur wie immer und schaffte es dadurch, die Situation zu lockern.
„Ich hoff mal, dass sie mir das nicht servieren. Mir hat schon das mit der Pferdelasagne damals gereicht", gab er zurück und als der Kellner kam ließ er Jan bestellen, damit das Englischsprechen weitere Tics verhinderte. Es war alles wie immer, so vertraut und fast kam es ihm vor, als wäre all das gestern gar nicht passiert.

Sie aßen gemütlich, auch wenn durch die Tics das Ganze nicht unbedingt ruhig ablief. Dauernd schrie Gisela herum oder warf das Besteck über den Tisch, und Jan kratzte sich verlegen am Hinterkopf, als schließlich ein älterer Kellner kam, um ihre Teller abzuräumen. In dem Moment musste Gisela natürlich besonders ausflippen und ohne es zu wollen griff Jan nach seiner Gabel. Zwar versuchte er es zu unterdrücken, aber er konnte nicht verhindern, dass er sie dem Kellner entgegenwarf. „Nimm sie doch gleich so", rief sein Tourette und der Blick des Mannes verdunkelte sich.

„Would it be possible for you to stop throwing stuff around?", fragte er recht unfreundlich und Jan spürte das unangenehme Brennen unter der Haut, das er immer spürte wenn sein Tourette ihn in schwierige Situationen brachte. Tim stand ihm natürlich sofort zur Seite und wollte dem Mann erklären, was es mit der Krankheit auf sich hatte, weil sein Gesicht vor Anspannung noch stärker zu zucken begann, aber der schien gar nicht richtig zuzuhören, „In fact, I think it would be best if you'd just pay and leave before you disturb the other guests any longer."

Die Worte trafen Jan wie ein Schlag. Natürlich wusste er, dass er sich aus so etwas nichts machen sollte und er nickte auch einfach nur, bezahlte, und sie verließen das Restaurant. Aber trotzdem war ihm übel als sie vor dem kleinen Laden auf dem Gehsteig standen und sich kurz entgeistert ansahen.
„Was ein Arschloch", sagte Tim leise und entschuldigte sich nicht mal dafür, dass er fluchte. Jan fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen als sein Freund auf ihn zuging und ihn in seine Arme zog, „Mach dir nichts draus, okay? Anscheinend gibt es auch im Ausland Leute, die nicht über die Krankheit aufgeklärt sind."
„Ist ja auch kein Wunder, wenn er nicht mal zuhört wenn man versucht ihm etwas zu erklären. Wichser", erwiderte er und fühlte sich mit einem Mal hundeelend. Er hasste es, wenn er aufgrund seiner Krankheit nicht gleich behandelt wurde und konnte sich ja noch nicht mal erklären, was genau ihn in dem Restaurant so sehr getriggert hatte, oder warum Gisela heute so extrem abdrehte.

Irgendwie war einfach alles durcheinander. Tim lenkte ihn vom Restaurant weg in einen kleineren Park, in dem glücklicherweise nicht so viel los war. Gisela war immer noch ziemlich aufgedreht und Jan merkte, dass er angestarrt wurde, während er Flüche rief und zuckte. Es störte ihn extrem, aber als sie sich auf eine Bank in der Ecke neben einem kleinen Blumenbeet setzten, versuchte er es trotzdem runterzuschlucken.
„Jan, ist alles okay?", fragte Tim ihn und als Antwort seufzte er einfach nur, schüttelte den Kopf.
„Nein. Du Arschloch. Mich regt es einfach gerade auf. Wie er dich nicht mal hat ausreden lassen."
„Ja, ich weiß, Jan. Mich ja auch. Aber es bringt nichts."
Eigentlich hatte er gewollt, dass es ein schöner Tag wurde, aber jetzt war seine Stimmung wieder gekippt. Er fühlte sich wieder angespannt und gereizt und merkte kaum, wie Tim ihm eine Hand aufs Bein legte.

„Das war einfach nur ein intoleranter Idiot. Das Einzige, was mich richtig ärgert, ist dass wir da Geld gelassen haben. Aber lass dir jetzt nicht den Tag davon vermiesen."
„Ich weiß, du hast recht", sagte er und schloss die Augen, versuchte sich zu entspannen. Er blieb tatsächlich ein paar Minuten so sitzen, versuchte einfach nur ein Wenig abzuschalten, und merkte, dass auch die Tics langsam wieder schwächer wurden.

Um den Nachmittag noch angenehm zu verbringen, beschlossen sie noch eine Weile weiter durch die Stadt zu bummeln, bevor sie abends feiern gehen wollten. Sie vloggten ein Bisschen und schlenderten vorbei an vollen Cafés, Einkaufszentren und Straßenmusikanten.
„Die Stadt ist wirklich etwas besonderes", sagte Jan dann, als sie in eine etwas weniger volle Straße ziemlich im Zentrum des südlichen Teils bogen, und eine Tanzgruppe mit wilden, bunten Kostümen sahen, „Hier gefällt es mir bisher am Besten."
Anscheinend durften hier keine Autos fahren, denn die Tänzer waren kein Bisschen vorsichtig, als sie auf die Straße liefen und sich gegenseitig auf die Schultern sprangen, um eine Pyramide zu bilden. Der Mann auf der Spitze brüllte etwas über den St. Patrick's Day und winkte.
Gebannt blieben sie stehen und schauten zu, und es hellte Jans Stimmung zumindest ein Bisschen auf. Plötzlich schlang Tim die Arme um ihn und legte wie gestern schon seinen Kopf auf seine Schulter, küsste seinen Hals.

„Das ist echt abgefahren, was manche Leute können", sagte er mit gesenkter Stimme in sein Ohr und Jan nickte, griff nach der Hand des Größeren, die auf seiner Brust lag. Eine Weile versank er in dem Moment, vergaß den Stress, der auf ihm gelastet hatte, und schließlich sogar die Wut über den Kellner.
Wenn der Tim da oben stünde, würde alles zusammenbrechen", schoss Gisela dann und er hörte ihn lachen, dieses wundervolle Lachen, das er so sehr liebte. Er drehte den Kopf zur Seite und die blauen Augen waren ganz nah bei ihm, sahen ihn mit so viel Liebe an, dass ihm der Kopf schwirrte.
Diesmal war Jan es, der ihn küsste, und für diesen kurzen Augenblick war alles perfekt. Dann hörte er auf einmal, wie eine Männerstimme „Faggots", hinter ihnen rief. Als das Wort an seine Ohren drang, spürte er es wie einen Stich im Herzen. Normalerweise wäre ihm das vermutlich alles gar nicht so nahe gegangen, aber nach allem was gestern gewesen passiert war, nach dem Gespräch über ihr Outing, und vor allem nach dem Ärger vorhin im Café konnte er gar nicht anders. Er unterbrach den Kuss und löste sich von Tim, der sich verwirrt umdrehte, Ausschau nach dem Typen hielt, der es gerufen hatte, doch der war unter den Leuten, die inzwischen zusahen, nicht auszumachen. Jan spürte eine unglaubliche Wut, gemischt mit Frust in sich aufsteigen, fuhr sich mit zitternden Händen durch die Haare und übers Gesicht.

„Okay, das wars. Lass uns – dämliches Arschloch – bitte zurück ins Hotel gehen."
Tim sah ihn an, nickte verständnisvoll und griff seine Hand. Wieder stand die Sorge auf seinem Gesicht und der Touretter war wütend, weil nicht nur er angegriffen wurde, was schlimm genug war, sondern jetzt auch noch Tim. Er war wütend, weil Tim ihn wieder so besorgt ansah. Und er war wütend auf sich selbst, dass er sich davon so reizen ließ, dass ihn das so sehr traf, obwohl das einfach nur dumme, fremde Menschen waren.

Aber irgendwie konnte er nichts dagegen tun. Etwas in ihm war kurz davor zu explodieren und bevor das passierte, machten sie sich wohl besser auf den Weg zurück in Richtung Hotel.  

---

So, da wären wir wieder. Erstmal möchte ich alle Leute begrüßen, die neu dazugekommen sind. Die Geschichte hat jetzt schon über 1100 Aufrufe und als kleines Dankeschön an alle kommt das Kapitel heute auch schon etwas früher. ^^

Ich hoffe natürlich wie immer, dass es euch gefallen hat. Langsam aber sicher spitzen sich die Ereignisse und Jans Laune zu. Ich kann euch auf jeden Fall versprechen, dass wir uns auf den Höhepunkt der Geschichte zubewegen. Hätte jemand Lust auf noch eine leidenschaftlichere Szene? (Obs ein Lemon wird, kann ich noch nicht sagen.)

Und jetzt hör ich auf euch zuzutexten. Feedback ist wie immer gern gesehen. ^^



Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top