{𝟒.𝑲𝒂𝒑𝒊𝒕𝒆𝒍} 𝑪𝒂𝒓𝒆
Am Abend gewitterte es wieder. Der Bildschirm des kleinen Hotelfernsehers war schwarz, lediglich das Leuchten von Tims Laptop erfüllte die Dunkelheit, und mal wieder zeigte er die Bilder des roten Planeten. Der Umriss des Größeren zeichnete sich unter der Decke ab, und Jan konnte nicht verhindern, dass seine Augen immer wieder zu ihm rüberwanderten und in unbeobachteten Momenten sein Gesicht musterten. Im Gegensatz zu ihm schien der Film Tim zu fesseln, denn er bemerkte nicht, dass er immer wieder angestarrt wurde. Er lag einfach nur da und lachte immer mal wieder, gab einen Kommentar ab den der Kleinere meistens nur knapp beantwortete.
Denn sein Kopf schwirrte noch immer, ihm war schwindelig sobald seine Erinnerungen zum Strand zurückwanderten, was unaufhaltsam war. Den ganzen restlichen Tag schon war es ihm so gegangen, auf dem Rückweg auf dem Tim sich lachend beschwert hatte, dass ihm kalt war, und als sie später in ein Café gegangen waren, um ein Eis zu essen. Mit der Zeit hatten sich wieder schwere Wolken vor den Himmel geschoben, und je später es wurde desto dunkler wurden auch sie.
Und während alldem hatte er es nicht verhindern können, immer wieder daran zurückzudenken, was passiert war. Wie Tim auf ihm gelegen hatte, wie sein bester Freund die Hände in den Sand gestemmt auf ihn herabschaute. Seine raue Stimme hallte noch immer in seinem Kopf nach. Tja, das hast du jetzt davon. So als wären all seine Träume auf einmal wahr geworden.
Schnell biss er sich auf die Unterlippe und der plötzliche Schmerz unterbrach diesen Gedanken, zerschmetterte das Bild, das vor seinem inneren Auge entstanden war. Er konnte, er durfte so nicht an ihn, und erst recht nicht über diesen Moment nachdenken. Das war falsch, war es schon immer gewesen. Und auch wenn es ungewohnt war, dass sie sich so nahe kamen, ohne dass Gisela direkt etwas damit zutun hatte, hieß das noch lange nicht, dass irgendwas davon eine Bedeutung hatte.
Der Gedanke an sie, schien sie aufzuwecken, denn zum ersten Mal, seit sie das Licht ausgemacht und den Film gestartet hatten, meldete sie sich zu Wort.
„Gleich wird gefickt", rief sie unpassender Weise und Jan konnte spüren, wie er rot wurde. Tim drehte den Kopf und sah ihn verwirrt, aber belustigt an.
„War das auf uns oder den Film bezogen?", fragte er, und sah ihn gespielt verführerisch an. Schnell schüttelte der Kleinere den Kopf und schluckte den Kloß in seinem Hals herunter.
„Ich hab keine Ahnung." Tim lachte, das Lachen, das Jan so sehr liebte. Dass es schaffte, dass ihm nichts unangenehm war.
Dann wurde es wieder still, bis auf die Stimmen im Film, die sein Gehirn aber nicht erreichten. Noch immer war er zu benommen von dem, was passiert war, um irgendetwas mitzubekommen. Er war müde und hatte inzwischen Kopfschmerzen davon, dass sein Kopf sich so dermaßen voll anfühlte. Dabei wusste er genau, wie dämlich das war, wie unfair seinem besten Freund gegenüber, der immer alles für ihn tat, und das ganz ohne Absichten. Am liebsten hätte er sich gegen den Kopf geschlagen.
Er drehte den Kopf zur Seite und sein Blick fiel auf die leeren Pizzakartons, die auf dem Nachttisch lagen. Vorhin hatten sie gegessen und gemeinsam ein paar Youtube-Videos geschaut und alles war so gewesen wie immer. Natürlich war es so wie immer gewesen, nur warum konnte er das nicht akzeptieren?
Plötzlich erfüllte Gisela ihm seinen Wunsch und er schlug sich einmal kräftig gegen die Stirn. Ihm entfuhr ein „Aua", weil sein Kopfweh dadurch nochmal schlimmer wurde und wütend auf sich selbst und die Tics rieb er sich die Schläfen.
„Alles okay?", fragte Tim ihn sanft und stoppte den Film. Trotzdem wurde es in Jans Kopf nicht leiser, er nickte ungeduldig.
„Ja, alles gut. Ich hab nur Kopfschmerzen und das war nicht gerade förderlich."
Sein Blick war besorgt, als er sich aufsetzte. „Sollen wir schlafen gehen?"
„Nein, eigentlich nicht", erwiderte er und setzte sich ebenfalls auf. Sofort wurde ihm schwindelig und seine Sicht verschwamm. Angst pulsierte durch seinen Körper. Das war nicht normal, normalerweise hatte er auch nach einem anstrengenden Tag keine so starken Beschwerden.
„Hey, Jan", hörte er Tims Stimme gedämpft und drehte den Kopf zu ihm. Seine Sicht war mit einem mal verschwommen, „Jan?" Er klang panisch, aber Jan wollte nicht dass er Angst hatte. Und im gleichen Moment hatte er selbst Angst, was passieren würde. Dass ihr Urlaub schon nach dem ersten Tag vorbei sein würde, nur weil seine Gesundheit mal wieder nicht mitspielte.
Er hatte keine Ahnung, wann Tim sich bewegt hatte, aber auf einmal saß er vor dem Bett in der Hocke und streckte ihm ein Glas Wasser entgegen. Er spürte, wie ihm ein Kissen in den Nacken geschoben wurde und lehnte sich dankbar an. Verzweifelt klammerte er sich daran, dass er noch bei Bewusstsein war. Also kein Anfall. Alles war gut.
„Hier, trink etwas." Tims Stimme war jetzt wieder deutlicher, und langsam sah er auch wieder klarer. Trotzdem fühlte es sich gleichzeitig an, als würde ihm jemand ein Messer in den Hinterkopf rammen.
Dankbar nahm er das Glas entgegen und nahm ein paar Schlucke. So schnell wie es passiert war, war es auch schon wieder vorbei und das einzige was blieb, waren die unerträglichen Kopfschmerzen.
„Du warst kurz weg", sagte sein bester Freund sanft und legte eine Hand auf seinen Arm, „Aber es ist alles gut. Es war nicht weiter schlimm."
„Verdammt", hauchte er matt und ließ seinen Kopf in das Kissen sinken. Sein Herz schlug schnell vor Angst und sogar Gisela war still. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass er das Bewusstsein verloren hatte. Aber es war nur ein Absence-Anfall. Es ist alles gut.
„Ich verstehe nicht warum...es gab keinen bestimmten Auslöser", hauchte er matt und fühlte sich nicht nur desorientiert sondern mit einem Mal auch furchtbar müde.
„Hat dich heute irgendwas gestresst? Also außer dem Flug?" Jan wandte den Blick ab. Starrte aus dem Fenster wo es donnerte und blitzte. Das Gewitter war in vollem Gange und in der Ferne türmten sich die Wellen auf dem unruhigen Meer. Er konnte Tim unmöglich sagen, worüber er nachgedacht hatte, während sie eigentlich den Film schauen wollten. Es war einfach endlich an der Zeit, dass er sich diese Gedanken aus dem Kopf schlug.
„Nein...eigentlich nicht", gab er dann irgendwann leise zurück, und fühlte sich schlecht, weil er log. Sein Herzschlag hatte sich endlich wieder beruhigt.
„Ich glaube, wir sollten jetzt wirklich ins Bett gehen. Ich könnte auch Schlaf vertragen, schließlich muss ich morgen fahren."
Jan wusste, dass das nicht der Grund war, war ihm aber trotzdem dankbar. Er spürte Tims Anspannung, als dieser ins Bad ging, um sich umzuziehen. Immer noch etwas benommen tat der Kleinere es ihm gleich und warf noch einen kurzen Blick auf sein Handy. Er hatte eine Nachricht von seiner Mutter und von Rewi.
Die erste ließ er ungeöffnet, denn er konnte nicht auch noch seine Mutter anlügen und wusste nicht, wie er ihr die Wahrheit sagen sollte, ohne dass sie sich Sorgen machte. An der zweiten blieben seine Augen jedoch mit einem Kribbeln im Magen hängen.
23:24 Uhr
Na, wie läuft der Pärchenurlaub?
„Hat Rewi dir auch geschrieben?", fragte er als er die Badezimmertür hörte. Tim ließ sich aufs Bett fallen und rückte zu ihm rüber, warf einen Blick auf das Display und grinste.
„Ja, er hat mich vorhin gefragt, ob wir genug Kondome dabeihaben. Das ist wohl seine Art, uns viel Spaß zu wünschen."
Jan schüttelte belustigt den Kopf und ein motorischer Tics lies ihn mit den Armen zucken. Schnell schickte er einen Wasserspritzer und Auberginen-Emoji zurück und steckte sein Handy dann ans Ladekabel.
Als er sich aufs Bett fallen ließ, fühlte er sich etwas besser.
„Geht's dir jetzt wieder besser?" Tim schien seine Gedanken zu lesen.
„Ja, alles gut. Wirklich." Es war wie immer. Tim machte sich Sorgen, aber jetzt entspannten sich seine Gesichtszüge, er vertraute ihm genug um das Licht auszumachen und sich hinzulegen.
„Bleib nicht wieder wach, nur weil du dir Sorgen machst", sagte Jan in die Dunkelheit und musste an die vorletzte Nacht denken, wie Tim ihn geweckt hatte. Wärme gemischt mit schlechtem Gewissen erfüllte ihn und er konnte die wenigen Zentimeter Abstand zwischen ihnen deutlich spüren.
Eine ganze Weile war nur der Regen, der aufs Dach prasselte zu hören und der Tourettekranke glaubte schon fast, dass sein bester Freund bereits schlief, als er seine Stimme näher als vermutet hörte.
„Mach ich nicht", erwiderte er leise. Seine Stimme war wieder rau, so wie am Strand, und obwohl es allen Grund dazu gegeben hätte, hatte Jan keine Angst. Egal was passieren würde, Tim war bei ihm und auf ihn konnte er sich immer verlassen.
Das war das, was ihre Freundschaft auszeichnete.
---
𝐃𝐚𝐬 𝐰𝐚𝐫𝐬 𝐚𝐥𝐬𝐨 𝐦𝐢𝐭 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝐯𝐢𝐞𝐫, 𝐡𝐞𝐮𝐭𝐞 𝐞𝐢𝐧 𝐁𝐢𝐬𝐬𝐜𝐡𝐞𝐧 𝐞𝐫𝐧𝐬𝐭𝐞𝐫. 𝐖𝐢𝐞 𝐟𝐢𝐧𝐝𝐞𝐭 𝐢𝐡𝐫 𝐝𝐢𝐞 𝐀𝐫𝐭, 𝐰𝐢𝐞 𝐢𝐜𝐡 𝐝𝐢𝐞 𝐛𝐞𝐢𝐝𝐞𝐧 𝐛𝐢𝐬𝐡𝐞𝐫 𝐝𝐚𝐫𝐬𝐭𝐞𝐥𝐥𝐞? 𝐅𝐢𝐧𝐝𝐞𝐭 𝐢𝐡𝐫, 𝐬𝐢𝐞 𝐬𝐢𝐧𝐝 𝐠𝐮𝐭 𝐠𝐞𝐭𝐫𝐨𝐟𝐟𝐞𝐧?𝐔𝐧𝐝 𝐚𝐧 𝐝𝐢𝐞𝐬𝐞𝐫 𝐒𝐭𝐞𝐥𝐥𝐞 𝐦ö𝐜𝐡𝐭𝐞 𝐢𝐜𝐡 𝐦𝐢𝐜𝐡 𝐧𝐨𝐜𝐡𝐦𝐚𝐥 𝐟ü𝐫 𝐝𝐚𝐬 𝐠𝐚𝐧𝐳𝐞 𝐅𝐞𝐞𝐝𝐛𝐚𝐜𝐤 𝐛𝐞𝐝𝐚𝐧𝐤𝐞𝐧. 𝐈𝐜𝐡 𝐟𝐫𝐞𝐮𝐞 𝐦𝐢𝐜𝐡 𝐰𝐢𝐫𝐤𝐥𝐢𝐜𝐡, 𝐝𝐚𝐬𝐬 𝐢𝐧 𝐬𝐨 𝐤𝐮𝐫𝐳𝐞𝐫 𝐙𝐞𝐢𝐭 𝐬𝐜𝐡𝐨𝐧 𝐬𝐨 𝐯𝐢𝐞𝐥𝐞 𝐝𝐢𝐞𝐬𝐞 𝐆𝐞𝐬𝐜𝐡𝐢𝐜𝐡𝐭𝐞 𝐠𝐞𝐟𝐮𝐧𝐝𝐞𝐧 𝐡𝐚𝐛𝐞𝐧. ^^
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top