9.

Der Tag, an dem Markus abreisen würde, kam schneller als erwartet und ich wurde mit jeder Sekunde, mit der wir dem Flughafen näher kamen immer nervöser. Ich musste ihm sagen, dass ich fremdgegangen war. Natürlich hatte er bemerkt, dass ich nicht so viel Körperkontakt gesucht hatte und generell distanziert gewesen war. Meine Mutter, die uns zum Flughafen gefahren hatte, wartete im Auto, während ich mit ihm zur Gepäckabgabe ging. Normalerweise hätte ich sofort nach seiner Hand gegriffen und als ich es nicht tat, hielt er an und sah mich nachdenklich an. „Lara, ist alles gut?", fragte er besorgt. „Markus, wir müssen reden.", antwortete ich darauf nervös. „Hab ich was falsch gemacht?", wollte er nun noch besorgter wissen. Ich sah ihm in die Augen, ein Fehler, denn es erschwerte das Ganze unheimlich. „Nein, aber ich.", fing ich an. Verwirrt stand er direkt vor mir und studierte meine Gestik, aber sagte nichts, weil er wusste ich würde sowieso weiter reden. „Es tut mir Leid, aber ich kann dich nicht heiraten.", sagte ich bedrückt, aber auch erleichtert, dass ich es nun endlich ausgesprochen hatte. „Lara, ich versteh ja, dass du Angst hast, aber-", fing er an zu sagen, doch ich konnte ihn nicht ausreden lassen. „Ich hab mit Nico geschlafen!", unterbrach ich ihn. Sofort wurde er stumm und ich konnte in seinen Augen sehen, wie ein Stück in ihm einen qualvollen Tod starb. „Du... Was?", stammelte er. Ihm fehlten offensichtlich die Worte, außerdem schien er keine Luft mehr zu bekommen und seinen Beine gaben nach, sodass er sich langsam auf einer der Bänke neben uns setzte. „Markus, es tut mir leid... Ich liebe dich, aber ich kann mir einfach keine Zukunft mehr vorstellen. Seit dem ersten richtigen Lockdown schon.", sagte ich und musste den Kloß in meinem Hals runterschlucken, damit ich nicht anfing zu weinen. In seinem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, wie sich seine Stimmung von Schock zu Wut verwandelte. „Wann?", wollte er angespannt wissen. Er hatte die Zähne dabei so sehr zusammengebissen, dass es sich anhörte wie ein Knurren und es machte mir Angst. „Vor circa einer Woche.", antwortete und wich etwas von ihm zurück. Wütend fing er langsam an zu nicken und stand auf. Ich wusste nicht so recht, was ich tun sollte, also griff ich in meine Handtasche, um ihm die Kette, die er mir zu Weihnachten geschenkt hatte, und den Ring zurückzugeben. Beides hatte ich mitgenommen, weil ich keinen Zweck dafür hatte und beides war zu teuer gewesen, als dass ich es einfach behalten hätte. „Hier, es tut mir leid.", flüsterte ich, drückte ihm beides in die Hand und drehte dann um, um zu gehen. Ich wollte seine Reaktion nicht sehen, denn ich konnte es nicht ertragen. Um unangenehme Fragen meiner Mutter zu vermeiden, musste ich mich auf dem ganzen Heimweg zusammenreißen, nicht in Tränen auszubrechen.

In meinem Zimmer angekommen, sackte ich sofort auf dem Boden zusammen. Ich glaube, ich hatte mich in meinem ganzen Leben noch nie so beschissen gefühlt, wie in diesem Moment. Mein ganzer Körper zitterte und egal, wie sehr ich versuchte, mich wieder zu beruhigen, bekam ich meinen Weinkrampf nicht unter Kontrolle. Ich musste unbedingt mit jemandem darüber reden, also holte ich mit zittrigen Händen mein Handy aus meiner Hosentasche und wählte Clarissas Nummer. Es dauerte ein bisschen, bis sie ranging, aber als sie es tat, brachte ich kein Wort raus. Das Einzige, was ich von mir geben konnte, war ein lauter Schluchzer, woraufhin sie sagte, sie wäre gleich da und auflegte. Ich schaffte es nicht einmal von meinem Boden aufzustehen, sie fand mich also wie ein Häufchen Elend zusammengerollt auf meinem Teppich, als sie in mein Zimmer kam. „Oh mein Gott, Lara, was ist passiert?", fragte sie sofort, kniete sich neben mich und zog mich zu sich, sodass sie mich im Arm hielt. „Ich hab mit Nico geschlafen.", schluchzte ich vor mich hin. „Du hast was?!", gab Clarissa entsetzt von sich. Alles, was ich von mir geben konnte, war ein weiterer lauter Schluchzer und ein Nicken. „Bist du wahnsinnig?! Du wirst heiraten, Lara.", redete sie weiter. „Werd ich nicht.", antwortete ich, bevor ich nach Luft rang. „Bitte was?", fragte Clarissa schockiert. Endlich konnte ich mich etwas beruhigen und setzte mich auf. „Ich hab's Markus gesagt und ihm den Ring wieder gegeben.", erklärte ich ihr leise. „Und wie hat er reagiert?", wollte sie daraufhin wissen. „Er war stinksauer, verständlicherweise.", gab ich ihr als Antwort. Sie nickte und drückte mich noch fester an sich.

Später, als ich endlich aufgehört hatte zu weinen, saßen wir mit Eiscreme auf meinem Bett und sahen uns einen Film auf Netflix an. „Was machst du jetzt wegen Nico?", lenkte Clarissa das Thema jetzt auf ihren Bruder. Wir hatten dem Film kaum Beachtung geschenkt. Sie hatte durch ihr Instagram gescrollt, ich hatte Artikel über die Regelungen für's neue Jahr gelesen. „Ich hab keine Ahnung. Ich weiß ja nicht mal, was das zwischen uns ist.", antwortete ich frustriert. Über die Feiertage hatten Nico und ich uns immer wieder heimlich an unserem Ort getroffen, einfach damit wir uns sehen konnten. Ich fühlte definitiv etwas für ihn, aber es war sicher keine Liebe, jedenfalls redete ich mir das selber immer wieder ein, weil ich mir ziemlich sicher war, dass das, was auch immer wir da hatten, enden würde, sobald ich zurück nach Berlin fliegen würde. Außerdem wollte ich nicht wie acht Jahre zuvor nochmal von ihm abserviert werden. „Wie wäre es, wenn du einfach mal fragst?", schlug Clarissa vor, was mich aus meinen Gedanken riss. „Ich kenne seine Antwort bereits seit acht Jahren, da muss ich nicht fragen.", entgegnete ich schulterzuckend. Sie nickte und sah wieder auf ihr Handy. Ich tat es ihr gleich, widmete mich wieder dem Artikel, bis ich eine Nachricht von Nico erhielt. Er fragte, ob wir uns später wieder bei der Bank treffen würden, worauf ich ihm eine knappe Zusage zurückschickte. So wie ich seine Schwester kannte, würde sie wahrscheinlich sowieso um spätestens 23 Uhr gehen. Schnell sagte ich ihm noch bescheid, dass sie bei mir war, damit er ungefähr wusste, ab wann ich Zeit hatte. „Triffst du dich heute noch mit ihm?", fragte Clarissa, ohne von ihrem Handy aufzusehen. „Ich glaube nicht.", antwortete ich zögernd. Eigentlich wollte ich sie nicht anlügen, aber aus irgendeinem Grund hielt ich es für schlauer, ihr nicht die Wahrheit zu sagen. „Du warst noch nie gut darin, mich anzulügen.", gab sie von sich, bevor sie mich anlächelte. Sie wusste ganz genau, dass ich mich mit ihm treffen würde, aber mir war klar, dass sie nichts dagegen sagen würde. Ich seufzte leise und schüttelte meinen Kopf. „Bist du glücklich damit wie es gerade ist?", fragte sie danach. Ich dachte kurz darüber nach und auch wenn ich mir nur wenige Stunden zuvor noch die Augen aus dem Kopf geheult hatte, fühlte ich mich befreit und zufrieden, also nickte ich. „Dann tu genau das, ich hab Nico lange genug dabei zugesehen, wie er jahrelang seine Moral über sein Glück gestellt hat, das will ich bei dir nicht sehen.", sprach sie mit ruhiger Stimme. Genau deswegen liebte ich sie. Sie verurteilte mich nie, das hatte sie auch früher nicht.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top