6.
Nico
Eine Woche vor Weihnachten war ich mit meinen Eltern einkaufen. Seit ein paar Tagen herrschte vollkommene Funkstille zwischen Lara und mir und es brachte mich beinahe um. Ich hasste mich dafür, dass ich ihr nicht den wahren Grund gesagte, warum ich sie geküsst hatte. Es hätte sowieso nichts geändert und geglaubt hätte sie mir das wahrscheinlich auch nicht. Meine Schwester hatte mir ebenfalls die Hölle heiß gemacht, was mir eigentlich einfiel, Lara in so eine Situation zu bringen und genau darüber dachte ich nach, während ich meiner Mutter durch den Supermarkt folgte. Als wir an der Fleischtheke ankamen, spürte ich, wie mein Handy mehrmals hintereinander vibrierte. Verwirrt holte ich es aus meiner Tasche heraus und sah auf den Bildschirm.
Lara 💔
Nico?
Was machst du heute?
Hab nichts geplant, warum?
Mir ist langweilig ohne Ende... Willst du nachher vorbeikommen?
Kann ich machen, wann?
Jetzt dann?
Bin noch mit Mama einkaufen, aber sollte nicht mehr lange dauern.
Okay, dann bis nachher! Ich freu mich!
Ich freute mich natürlich darüber, dass sie mir geschrieben hatte, aber ich wunderte mich auch. Knapp eine Woche hatte ich absolut nichts von ihr gehört und plötzlich schrieb sie mir. Je länger meine Mutter brauchte, desto ungeduldiger wurde ich. Meiner Meinung nach brauchte sie viel zu lange, schließlich hatte sie bereits alles, was sie sich aufgeschrieben hatte. "Können wir jetzt bitte wieder nach Hause fahren?", drängelte ich, als sie immer noch keine Anstalten machte, Richtung Kasse zu gehen. "Was hetzt du denn so?", stellte sie genervt die Gegenfrage. "Ich hab ne Songidee, die ich sonst wieder vergesse.", log ich, weil ich ihr nicht sagen wollte, dass ich mich mit Lara treffen würde, sonst hätte sie mir wieder in den Ohren gelegen, was für ein Traumpaar wir doch gewesen waren. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie direkt an dem Tag, an dem wir bei Familie Schubert gewesen waren, angesprochen, dass sie sich Lara als Schwiegertochter wünschen würde und sie war überhaupt nicht glücklich darüber gewesen, dass sie jemand anderen heiraten würde. "Na gut, aber beschwer dich nachher nicht, wenn ich irgendwas vergessen habe.", sagte sie darauf und steuerte endlich auf die Kasse zu. Erleichtert ging ich neben ihr her und wartete ungeduldig darauf, dass wir unsere Sachen auf das Band legen konnten. Als wir dann endlich gezahlt hatten, schob ich den Wagen zügig zum Auto.
Da ich ja gelogen hatte, musste ich noch eine ganze Weile so tun, als würde ich in unserem Studio an Musik arbeiten. Topic hatte mir einige Wochen zuvor ein Instrumental zugeschickt, für das ich sowieso noch einen Text brauchte, also versuchte ich tatsächlich etwas darauf zu schreiben, mir fehlte allerdings die Inspiration und so gab ich es nach einer halben Stunde auf, das sollte genug sein, um nicht aufzufallen. Bevor ich das Haus verließ, schrieb ich Lara, dass ich jeden Moment da sein würde, zog mir schnell meine Schuhe und Jacke an und ging dann durch die Tür, ohne mich auch nur von meinen Eltern zu verabschieden. Mir war durchaus bewusst, dass sie sicher aus dem Fenster sehen würden, aber das war mir in diesem Moment egal, solange sie nicht bemerkten, dass ich mich mit Lara traf. Zwei Minuten später stand ich auch schon vor ihrer Tür und klingelte. Sofort bildete sich ein Lächeln auf meinen Lippen, als sie sich öffnete und Lara dahinter stand. Ich war heilfroh, dass man den Eingang zum Hause Schubert nicht von unserem Küchenfenster aus sehen konnte, denn was sie tat, hätte vor allem meine Mutter völlig durchdrehen lassen. Ich konnte nicht einmal eine Begrüßung aussprechen, da hatte sie bereits ihre Arme um meinen Hals gelegt und ihre Lippen auf meine gepresst. Überrumpelt erwiderte ich den Kuss zögerlich, weil ich wusste weiß Gott nicht, was ich davon halten sollte. Es war so verdammt falsch, aber ich konnte mich einfach nicht dazu durchringen, sie aufzuhalten. Außerdem ging alles so schnell, dass mein Kopf für mehrere Sekunden komplett aussetzte. Ehe ich mich versah, bewegten wir uns Richtung Obergeschoss. In ihrem Zimmer angekommen, ließ sie sich auf ihr Bett fallen und zog mich mit sich. Erinnerungen kamen in mir hoch, während wir dort lagen und uns küssten. Es war genauso wie neun Jahre zuvor, als wir das erste Mal miteinander geschlafen hatten und ich fühlte mich wieder wie mit 18, es war berauschend. Trotzdem konnte ich mein Gewissen nicht abschalten, weswegen ich irgendwann inne hielt und mich aufsetzte. "Lara, wir sollten das nicht tun.", gab ich ruhig von mir. "Ich weiß.", antwortete sie kaum hörbar. Sie setzte sich auf, fuhr sich durch die Haare und seufzte einmal laut. "Ich will nicht nochmal der Grund dafür sein, dass es dir schlecht geht.", erklärte ich ihr. "Daran wäre schon selbst Schuld, mach dir da mal keine Sorgen.", entgegnete sie bedrückt. Auf der einen Seite konnte ich das verstehen, auf der anderen gehörten zu so einer Situation immer zwei und ich war nunmal die andere involvierte Person. "Hätte ich dich das letzte Mal nicht geküsst, säßen wir jetzt nicht hier, also bin ich genauso Schuld daran.", gab ich kopfschüttelnd von mir. "Ich überlege schon länger, mich von Markus zu trennen.", kam es trocken aus ihrem Mund, was mich ehrlich gesagt sehr überraschte. "Was? Ich dachte, du liebst ihn?", antwortete ich und sah sie besorgt an. "Das tu ich auch, aber ich hab vor allem in den letzten Monaten gemerkt, dass er einfach nicht der Mann ist, mit dem ich alt werden oder Kinder haben will.", gab sie ehrlich zu. Eine Welle der Freude und Hoffnung ging durch meinen Körper. Es bestand noch die Chance, dass ich ihr irgendwann doch beichten konnte, dass ich nie aufgehört hatte, sie zu lieben. "Warum hast du dich nicht getrennt, bevor du hergekommen bist?", wollte ich neugierig wissen. "Ich dachte, ich bräuchte einfach nur etwas Abstand, letzte Woche ist mir aber bewusst geworden, dass ich das nicht länger kann.", erklärte sie ehrlich. Ich nickte verständnisvoll, denn ich kannte das all zu gut. Viel zu oft war ich selbst in der gleichen Situation gewesen, ihretwegen.
Nicht einmal eine halbe Stunde später war das eben Besprochene schon wieder vergessen und dieses Mal überschritten wir diese Grenze, auch weil ich mein Gewissen bewusst ignorierte. Ich hatte dieses Gefühl, ihre Haut auf meiner zu spüren, so lange vermisst, dass es mich überwältigte. Auch als wir danach kuschelnd auf ihrem Bett lagen, realisierte ich nicht so wirklich, was da gerade passiert war. "Was genau machen wir jetzt?", fragte ich, als die Realisation einsetzte. "Keine Ahnung. Am Besten behalten wir das erst einmal für uns, solange ich noch nicht mit Markus geredet hab.", schlug sie murmelnd vor. "Warte, du willst echt die Hochzeit abblasen?", fragte ich geschockt. Auch wenn es mich freute, wollte ich nicht, dass sie das einfach so wegschmiss. "Erstens wird er mich sicher nicht mehr heiraten wollen, wenn ich ihm von dem hier erzähle", fing sie an zu erklären und setzte sich dabei auf, um mich ansehen zu können, "und zweitens ist das die einzig vernünftige Entscheidung. Ich will nicht eine von denen sein, die sich nach drei Jahren schon wieder scheiden lassen.", fügte sie hinzu, während sie vom Bett aufstand. Ich setzte mich ebenfalls auf und beobachtete sie dabei, wie sie ihr Oberteil und ihre Unterhose vom Boden aufhob. "Und das alles nur, weil ich mich einsam gefühlt hab.", sagte ich mehr zu mir selbst als zu ihr. "Hör auf, dir alleine die Schuld zu geben, Nico. Ich steck da genauso mit drin wie du. Außerdem sagte ich doch bereits, dass ich mir vorher einfach nur nicht sicher war.", entgegnete sie, zog sich ihr Shirt wieder an und setzte sich neben mich aufs Bett. Ich nickte, dann lehnte ich meinen Kopf an ihre Schulter. Mein schlechtes Gewissen plagte mich zwar, aber es konnte in diesem Moment meine Stimmung nicht trüben.
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