4.

Nico

Einige Tage später saß ich bei Alex im Zimmer auf dem Boden und fluchte vor mich hin, weil wir Super Smash Bros spielten und er mich zum dritten Mal geschlagen hatte. „Du hast mich früher schon immer fertig gemacht.", seufzte ich, als ich den Controller zur Seite legte. „Willst du was zu trinken?", fragte er, bevor er das Spiel pausierte und aufstand. Ich nickte als Antwort, dann streckte ich mich und zog mein Handy aus meiner Hosentasche. Alex ging aus dem Zimmer und während ich auf ihn wartete, beantwortete ich Nachrichten. Larissa hatte mir ebenfalls geschrieben, was mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Zwar hatte sie nur geschrieben, wir sollten etwas leiser sein, weil sie gerade arbeitete, aber trotzdem bedeutete mir das etwas. Ich entschied, sie zu besuchen, denn ich war neugierig und ihr Zimmer war direkt nebenan. Sanft klopfte ich an ihre Tür und öffnete sie dann. Ihr Zimmer hatte sich kaum verändert, nur dass es nun schlichter eingerichtet war. Sie saß vor ihrem PC mit einem Headset auf ihrem Kopf. Ihre Haare waren zu einem lockeren Dutt zusammen gebunden, aus dem einige Strähnen heraushingen. Ich war etwas überrascht zu sehen, dass sie einen meiner alten Hoodies trug. „Sorry, Chat, unerwarteter Besuch! Ich bin sofort wieder da!", sagte sie an ihre Kamera gewandt, dann sah sie mich an. „Wollte nicht stören, war nur neugierig.", erklärte ich ihr, als sie mich fragend ansah. „Kein Thema, willst du dem Chat wenigstens kurz hallo sagen?", fragte sie amüsiert. Ich überlegte einen kurzen Moment und empfand das als gute Idee, also nickte ich als Antwort. „Lass die Tür aber offen, Alex wird sicher auch gleich reinplatzen.", sagte sie dann, stand von ihrem Stuhl auf und holte einen weiteren hinter ihrem Bett hervor. Als sie den Klappstuhl hingestellt hatte, setzte sie sich wieder und signalisierte mir mit ihrem Kopf, dass ich mich zu ihr gesellen sollte. Mit einem Lächeln im Gesicht ging ich zu ihr hinüber und setzte mich. Lara reichte mir ein Headset, das sie dann an ihrem Pc anschloss. „So, Chat, da bin ich wieder! Wie ihr sehen könnt nicht alleine.", erklärte sie ihrem Stream, nachdem sie die Kamera und das Mikro wieder angeschalten hatte. Stumm sah ich ihr dabei zu, hatte aber auch gleichzeitig ein Auge auf den Chat. Mir stockte der Atem, als ich sah, dass ihr gerade 20.000 Menschen zusahen. Schüchtern winkte ich in die Kamera, weil ich ehrlich gesagt nicht wusste, was ich sagen sollte. „Hier bist du! Dachte schon, du wärst gegangen.", hörten wir von der Tür. „Willst du vielleicht auch noch mit vor die Kamera?", fragte Larissa, bevor sie lachte. Das ließ sich Alex nicht zweimal sagen. Nickend kam er sofort zu uns, holte sich ebenfalls einen Klappstuhl und setzte sich dann links neben seine Schwester. „So, da jetzt keiner mehr stören kann, können wir ja endlich mit dem Video anfangen.", kam es amüsiert aus Lara Mund. Ich fand es faszinierend, wie gelassen sie war. Sie war völlig in ihrem Element und man konnte richtig sehen, dass das ihre Berufung war.

Eine Stunde später verabschiedete Larissa sich vom Chat und beendete den Stream. Während sie alles wieder an seinen Platz räumte, saßen Alex und ich stumm auf unseren Stühlen. „Machst du das jeden Abend?", fragte ich irgendwann interessiert. „Jeden zweiten.", gab sie mir als Antwort, als sie den PC herunterfuhr. „Heute hast du gar nichts gespielt.", bemerkte Alex etwas überrascht. „Hatte heute keine Lust auf zocken.", antwortete ihm seine Schwester mit den Schultern zuckend. „Lustig war's trotzdem.", stellte ich fest. Wir hatten eine Challenge gemacht, bei der man nicht lachen durfte. „Das stimmt! Vielleicht sollte ich euch öfter vor die Kamera holen.", stimmte mir Larissa zu. „Habt ihr Hunger?", fragte Alex dann, bevor er sich von seinem Stuhl erhob. Larissa und ich nickten gleichzeitig. „Ich werd mal eben sehen, was wir noch im Kühlschrank haben.", informierte ihr Bruder uns, streckte sich und verließ dann das Zimmer. Nun saßen Lara und ich nebeneinander und schwiegen uns an. „Dein Zimmer sieht immer noch so aus, wie früher.", durchbrach ich die Stille. Sie schenkte mir ein Lächeln und nickte. Mir fiel auf, dass sie ihren Ring nicht trug, was mich etwas verwunderte. „Ist was?", fragte sie, als sie meinen grübelnden Blick bemerkte. „Trägst du den Ring nicht?", stellte ich die Gegenfrage. „Oh, äh, wenn ich streame nicht. Ich hau öfter Mal auf den Tisch. Ist schon der zweite, der erste ist schonmal kaputt gegangen.", erklärte sie mir zurückhaltend. „Der erste? Wie lang seit ihr denn schon verlobt?", hakte ich nach, musste mir aber ein Lachen verkneifen. „Fast ein Jahr. Eigentlich wollten wir im Sommer heiraten, aber mussten das leider verschieben.", gab sie mir als Antwort. Ihre Augen strahlten richtig, offensichtlich dachte sie in diesem Moment an ihren Verlobten. „Braucht ihr noch einen Sänger für die Feier?", scherzte ich daraufhin, was mir einen Schlag gegen die Brust und ein Lachen ihrerseits einbrachte. „Ich mein das Ernst. Falls ihr noch jemanden braucht, mach ich das gerne.", sagte ich danach amüsiert. „Irgendwie hab ich das hier vermisst.", kam es aus Laras Mund. „Ich auch, aber jetzt hab ich ja deine Nummer wieder und wir können uns auch in Berlin wieder treffen.", stimmte ich optimistisch zu. „Warum hast du dich damals eigentlich nicht mehr gemeldet?", wollte sie dann wissen. „Ich dachte, du würdest mich hassen und irgendwann hattest du eine neue Nummer und ich hatte eure Adresse nicht mehr.", antwortete ich ehrlich. Sie nickte, bevor sie wieder sprach:"Vielleicht sollte es auch so sein."

Während Alex in der Küche etwas zu essen machte, unterhielten Lara und ich uns weiter. Wir redeten über unsere Schulzeit und lachten viel, außerdem erzählten wir uns, was in den vergangenen neun Jahren alles passiert war und je länger ich ihr zuhörte, desto schlimme wurde dieses Kribbeln in meinem Bauch, das ich immer dann fühlte, wenn ich sie sah. Sie schien viel erlebt zu haben und sich auch sehr vor meine Touranegdoten zu interessieren. „Ich hab dir immer schon gesagt, dass du Musiker werden würdest.", sagte sie, als ich ihr von meiner Zeit bei Sing meinen Song erzählt hatte. Ich nickte und musste lachen. Mittlerweile saßen wir auf ihrem Bett mit dem Rücken an die Wand gelehnt. So nah, wie ich es in diesem Moment war, war ich ihr neun Jahre lang nicht gekommen und jedes Mal, wenn sich unsere Schultern berührten, durchfuhr mich eine Welle an Glücksgefühlen. Ich fragte mich, ob es ihr genauso ging. „Das erinnert mich an meinen letzten Geburtstag hier.", riss mich ihre Stimme aus meinen Gedanken. Der Abend, an dem ich sie zum ersten Mal geküsst hatte. „Ja, irgendwie schon.", stimmte ich zu und musste dabei unweigerlich an genau diesen Moment denken. Zwar war unser erster Kuss nicht in ihrem Bett passiert, aber die Situation war fast die gleiche. Wir hatten ebenfalls nebeneinander am Strand gesessen und über alles mögliche geredet. „Ich hab dich damals ins Bett gebracht, weil du so betrunken warst.", sagte ich amüsiert. „Ja und dann haben wir uns zu zweit auf diese Matratze gezwängt.", antwortete sie, bevor sie lachen musste. Ich konnte mir bei dem Gedanken daran das Lachen auch nicht mehr verkneifen. Während sie lachte, lehnte sie ihre Stirn an meine Schulter und die Schmetterlinge in meinem Bauch spielten verrückt. Ich sah zu ihr hinunter und genoss es einfach, sie so glücklich zu sehen. Als wir uns beruhigten, gab es einen kurzen Moment, in dem wir uns in die Augen sahen. Das Lächeln auf meinem Gesicht verschwand langsam, genau wie das auf ihrem. Je länger wir uns ansahen, desto kleiner wurde der Abstand zwischen unseren Lippen - was von mir ausging-, bis sie sich schließlich berührten. Automatisch schloss ich meine Augen. Ich dachte erst, Larissa würde mich von sich drücken, aber sie tat genau das Gegenteil, sie erwiderte den Kuss. Alex Stimme, die aus dem Gang ertönte, ließ uns auseinander fahren. Laras geschockter Gesichtsausdruck verpasste mir sofort ein schlechtes Gewissen. Was zum Teufel hatte ich da getan?

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