3 - control

Moin^^

(Verzeiht, ich bin zwei Tage zu spät, aber was solls, hat sich schließlich gelohnt - mir hat die erste Szene dieses Kapitels beim nochmal drüberlesen gar nicht mehr gefallen, also hab ich sie nochmal komplett neu geschrieben xD)

Ich wollte eigentlich Danke sagen, für Rückmeldungen zum letzten Kapitel, aber da kam noch nichts - ich hoffe nur, das liegt nicht wirklich an Wattpad, da mir diese (sarkasmus incoming) tolle App beim Hochladen keine Benachrichtigung angezeigt hat, dass es wirklich hochgeladen wurde - ich habs auch überprüft, es wurde hochgeladen, Wattpad ist nur mal wieder zu blöd, das richtig anzuzeigen.
Naja, vielleicht funktionierts ja heute wieder richtig - und wenn du das hier liest, hat sich ja doch noch ein Leser wieder in mein Buch verirrt, deswegen sag ich trotzdem Danke xD

Danke, dass du deine Zeit opferst und dir meine Geschichte reinziehst <3

Gut, dann will ich dich nicht länger aufhalten, liebe*r Leser*in, und wünsche dir viel Spaß mit dem dritten (irgendwie auch wieder viel zu lang gewordenen) Kapitel ;)

Lasst doch gerne eine kleine Rückmeldung da :))
(Und wenn es nur ein Vote oder Smiley ist - es wäre wirklich schön, wenigstens sowas kleines zurückzukriegen, da es wirklich viel Zeit kostet, so ein Buch zu schreiben)

Liebe Grüße, Danni^^

Der Vollmond tauchte sein Zimmer in ein schummriges weißes Licht, als Adrien um drei Uhr das Bett verließ. Er hatte keine zwei Stunden geschlafen - wenn er es überhaupt als schlafen betiteln konnte. Unruhig hatte er keine bequeme Position gefunden, jedes noch so kleine Geräusch hatte ihn hochfahren lassen, selbst wenn es nur sein eigener Puls gewesen war, und seine Gedanken waren unablässig laut, dass es ihn müde machte, dem Chaos zuzuhören.

Nino war am gestrigen Tag noch bis spät geblieben - erst hatte er gar nicht nach Hause gehen wollen, um Adrien nicht alleine zu lassen, doch er hatte drauf bestanden - also hatte Nino sich von Placide nach Hause fahren lassen, irgendwann gegen Mitternacht, da Adrien ihn um diese Uhrzeit niemals hätte alleine auf die Pariser Straßen geschickt hätte.
Auch die besorgten Blicke seiner Tante hatte er den ganzen Tag ignoriert, hatte sich regelrecht nach Ninos Gehen in seinem Zimmer verbarrikadiert, unter dem Vorwand, er wolle heute früh schlafen gehen - unter ihrer Anwesenheit fühlte er sich irgendwie wie ein Wrack, das kurz davor war unter dem Gewicht seiner morschen Balken zusammenzubrechen.

Nun hatte er stundenlang wach gelegen, war irgendwann doch eingedöst, nur - nur ging es wirklich nicht, während der Sturm in seinem Kopf wie eine Horde wilder Elefanten auf ihm herumtrampelte.

Zitternd zog er sich die dünne Flauschdecke enger um die Schultern, die er sich ursprünglich über seine Bettdecke geworfen hatte, da es heute Nacht ungewöhnlich kalt in seinem Zimmer war, stemmte sich von der Matratze hoch und schlurfte mit seinen Flauschsocken quer durchs Zimmer. Die grünen Katzenaugen, die ihn von oberhalb der Galerie aus verfolgten, ignorierte er gekonnt. Das Plagg noch wach war, überraschte ihn kaum, doch mit ihm reden, wollte er gerade nicht.

Er brauchte unbedingt Ruhe. Oder Ablenkung. Irgendwas, was die Zeit schneller vorran bringen würde. Oder zurückdrehen.

Der Kwami verließ seinen Wachposten auch nicht, als würde er wissen, das Adrien gerade lieber allein sein wollte, selbst, als er das Zimmer verließ und in den Flur hinaus trat.

Die Kälte der weißen Fliesen sickerte bei jedem Schritt ein wenig mehr durch die Socken hindurch, der Deckenstoff, der um seine Schultern geschlungen war, schleifte leise die wenigen Staubfusseln mit sich, die sich auf dem Boden gelegt hatten.
Durch die halb zugezogenen Vorhänge vor den hohen Fenstern, drang viel weniger Mondlicht in die Eingangshalle, doch die Treppe fanden seine Füße auch blind wieder. Beinahe automatisch wanderte Adrien langsam durch den riesigen Raum, ohne ein wirkliches Ziel vor Augen zu haben.

Seine Beine fühlten sich dabei seltsam steif an, so ungewohnt war es mittlerweile für ihn, sein gesamtes Gewicht ohne wirkliche Hilfe ausschließlich auf den eigenen Beinen zu tragen.
Dabei waren die Ärzte zuversichtlich, dass er innerhalb der nächsten Monate wieder lernen könnte, normal und selbstständig zu gehen, auch wenn das Gefühl in den Beinen wohl niemals vollständig zurückkehren würde.

Adrien Schritte wurden von dem großen Teppich verschluckt, als er endlich das Erdgeschoss erreichte und wie angewurzelt stehen blieb. Er wusste nicht, wo er überhaupt hin wollte. Von draußen drang leises Motorengeräusch herein, dann war es wieder still.
Kurz spielte er mit dem Gedanken, sich einfach ein Glas Wasser aus der Küche zu holen, als sich seine Füße schon wieder in Bewegung setzten - bloß in die falsche Richtung.

Die Tür zu Gabriels Arbeitszimmer knarrte laut, so lange wurde sie bereits nicht mehr benutzt. Er konnte sein Blut rauschen hören, als er langsam den dunklen Raum betrat, dessen Luft ihm kühl und trocken entgegenkam. Mit einem weiteren Knarren schloss sich die Tür wieder hinter ihm.
Nachdem die polizeiliche Spurensicherung abgeschlossen gewesen war, hatte niemand mehr dieses Zimmer betreten - Adrien hatte lieber so getan, als würde es gar nicht mehr existieren. So hatte seit Monaten niemand mehr staubgewischt und sein Vater würde durchdrehen, wenn er wüsste, wie Adrien sein Reich verkommen ließ - Staub bedeckte die Möbel, die lange Sitzbank neben dem eingebautem Laufsteg, die Schaufensterpuppen, die noch immer zerschlagen und zerbrochen auf den Fliesen verteilt lagen, einer davon fehlte der Kopf, der einige Meter weiter, halb unter dem abgerissenen Vorhang auf dem Boden lag. Nur eines der gerahmten Bilder hing noch an seinem Platz, die anderen mit gesplitterter Scheibe auf dem Boden.

Vom Kopfende des langgezogenen Raumes lächelte ihm der schemenhafte Umriss vom Gemälde seiner Mutter entgegen.

Das Fenster, durch das Chat Noir damals geflohen war, wurde bis jetzt noch nicht repariert - nur notdürftig mit einer Spanplatte zugenagelt.

Adrien ballte die Fäuste. Vorsichtig trat er einen Schritt weiter in das Zimmer hinein. Ein Druck breitete sich auf seiner Brust aus.
Er ging noch einen Schritt. Die Fliesen waren an einer Stelle rissig. Glasscherben glitzerten im fahlen Licht. Sein Fuß stieß gegen einen abgebrochenen Arm einer Schaufensterpuppe.

... Es tut mir wirklich leid, dass ich dich jetzt so spontan überfalle, Adri- Monsieur Agreste...

Adrien blieb stehen, löste seine verkrampften Hände, nur um die Finger in den Stoff der Decke zu vergraben und sie noch enger zu ziehen, bis er fürchtete, der Stoff könnte einfach reißen. Ein Kribbeln zog sich durch seinen unteren Rücken, entlang seiner Wirbelsäule nach oben und jagte ihm eine Gänsehaut über den Nacken.
Angespannt biss er sich in die Innenseite seiner Wange, setzte sich mitten im Raum mit angewinkelten Knien auf den splitterbedeckten Boden.

... ich denke, Sie sollten es erfahren, bevor die Presse davon Wind kriegt ...

Stumm schloss Adrien die Augen, lauschte auf die Stille, die hier herrschte und lauter klang, als das leise Wiederhallen vorbeifahrender Autos, die in der späten Stunde noch vereinzelt unterwegs waren. Etwas klirrte weit entfernt, wie Glas, das aus seinem Rahmen gesprengt wurde, aber als er die Augen ruckartig wieder öffnete, war alles wie vorher und er erkannte, dass er sich das Geräusch nur einbildete -

... der Gesundheitszustand ihres Vaters hat sich in den letzten Tagen rapide verschlechtert...

Adrien vergrub den Kopf unter den verschränkten Armen. Vielleicht würde er die Stimme des Anwalts einfach aussperren können, die schon seit Stunden in seinen Gedanken herumspukte und ihn nicht in Ruhe ließ - aussperren, wie er diesen Raum aus seinem Leben ausgesperrt hatte.
Es funktionierte nicht.

Er hörte das Glassplittern, ein Echo seiner eigenen Schreie, das Lachen HawkMoth von weit her und die Stimme dieses Mannes, dessen Sätze ein bohrendes Schuldgefühl in seine Brust nagelte.

Nein, hier wurde es nicht besser, nur schlimmer, wieso war er überhaupt hierher -

"Adrien?"

Er sah nicht auf, spürte eine leichte Berührung an der Schläfe, als Plagg näherschwebte und ihn anstupste.
"Lass mich hier bitte einfach erfrieren", murrte Adrien nur, versuchte seinen Kopf nur noch weiter unter seinen Armen zu verdecken.

"Und ich dachte, ich wäre der theatralische von uns beiden", schnurrte Plagg belustigt, doch Adrien schüttelte nur den Kopf. Er spürte, wie sich der Kwami auf seiner Schulter niederließ.
"Was machst du denn eigentlich hier drinnen?"
Adrien zuckte mit den Schultern, schüttelte Plagg dabei gehörig durch, doch der meckerte nicht. Dann seufzte Adrien.
"Ich glaubte, ich hab gehofft, das keiner mich hier findet."

Plagg schnurrte erneut leise auf. "Also erstens - deine Familie schläft so tief, kein Erdbeben könnte sie wecken. Und zweitens - pardon, aber du müffelst, Kitten, jeder könnte der Fahne folgen, die du hinter dir herziehst -"
"Das ist dein Käse!"
"Nö - der stinkt nicht so. Das ist der Geruch deines langsam zwanghaften Drangs, dir für alles und jeden die Schuld aufzubinden."

Vorsichtig hob Adrien den Kopf und schielte den schwarzen Schatten auf seiner Schulter an.
"Ich gebe mir nur die Schuld an Dingen, an denen ich Schuld trage."

"Aha - du meinst also, weil sie deinem Vater den Arm amputieren mussten, um sein Leben zu retten, musst du hier im Elend deines schlechten Gewissens für immer alleine versauern?"
"Das -"

"Du quälst dich selbst, Adrien."

"Du verstehst das nicht."

"Ach, nein? Soweit ich mich erinnere, habe ich den Kataklysmus benutzt, um deinen Vater daran zu hindern, dich zu erwürgen - genau hier, wo du sitzt", meckerte Plagg und hüpfte von seiner Schulter hinüber auf sein angewinkeltes Knie.
Zögernd folgte Adriens Blick seiner ausgestreckten Pfote, starrte auf den Boden, auf dem Scherben und feiner Glasstaub verstreut waren, dazwischen kleine dunkle Flecken getrockneten Blutes, das sich in den Fugen festgesetzt hatte.

"Wieso glaubst du, du würdest die Schuld daran tragen, wenn du in dem Moment überhaupt nicht mehr handlungsfähig gewesen warst - wieso glaubst du, ich würde das nicht verstehen, ich weiß besser als du, was wirkliche Schuld bedeutet!"

Adrien starrte auf die Blutreste, meinte, die Hand seines Vaters wieder zu spüren, wie er ihm die Kehle zudrückte - er konnte Plagg nicht antworten.

Langsam rückte Plagg näher an Adriens Kopf, der noch immer auf seinen Armen ruhte, die die Knie umschlangen, und stupste ihn mit der warme Pfote gegen die Nasenspitze.
"Ich weiß, wie sich Schuld anfühlt, weil ich schon so viele Leben zerstört habe - ich weiß es, und es ist das schlimmste Gefühl auf der Welt. Ich möchte nicht, dass du dich damit quälen musst, Adrien -"

"Weißt du wie man es abstellt?", flüsterte Adrien mit heiserer Stimme. Plagg stäubte das Fell.

"Du sollst es nicht abstellen. Du musst es loslassen."

"Das kann ich nicht. Er - er ist -", sagte Adrien, verkrampfte die Arme. "Er hat seinen Arm verloren, weil keiner eine Heilung finden konnte und nicht mal das - Plagg, bitte sag mir, dass das die Verletzung aufhalten konnte. Bitte."

Plagg sah ihn aus großen Augen an. Seine Ohren lagen flach am Kopf. "Ich weiß es nicht."
"Du weißt es nicht?"
Plagg schüttelte den Kopf. "Ohne - ohne die Intention, die volle Kraft meiner Magie an einem Lebewesen anzuwenden - ist es niemals absehbar, welche Ausmaße der Schaden annimmt. Es ist wie eine Krankheit, die sich dann ausbreitet, aber keiner weiß wie - wie schnell -"
"Hast du die volle Kraft -"

"Nein. Sonst wäre er auf der Stelle zu Staub zerfallen."

Adrien zuckte zusammen, zog die Schultern hoch. "Hättest du nicht -"
"- ihn nur kratzen können?", murrte Plagg und verschränkte die Pfoten."Nah sicher doch, das nächste Mal kitzle ich ihn, vielleicht hört er dann auf, sein Kind umbringen zu wollen -"
"Das wollte ich nicht sagen."
Plagg legte den Kopf schief. "Was dann?"
"Ich weiß nicht. Irgendeinen anderen Weg -"
"Ich kann nicht wirklich viel tun, wenn du verwandelt bist - und dir die Zeit davonläuft. Aber Adrien", sagte Plagg und rückte noch näher an seinen Kopf heran, schmiegte sich schließlich gegen seine Wange. "Es tut mir leid, dass es so kommen musste. Ich wollte dich beschützen."

"Ich weiß", flüsterte Adrien nur, starrte wieder auf die Stelle am Boden, wo er fast gestorben war.

... hast du das zumindest einmal bereut?...
... Nein - keine Sekunde lang ...
Er schloss die Augen, doch die Stimmen verstummten davon nicht - die Stimme seines Vaters wurde lauter, das purpurne Glühen seiner Magie tanzte höhnisch vor seinem inneren Auge, sein Lachen schlich sich in seine Ohren. Der Druck in seiner Brust schwoll an.
... mir ist so vieles egal, Chat Noir - wird dich nicht retten - hast mich verraten - du lässt sie sterben ...
Ein Zittern erfasste ihn, so kalt, als hätte sich ein Akuma an ihn geheftet.

Er spürte, wie Plagg sich wieder in die Luft hob, seine Körperwärme verschwand. "Also", miaute der Kater laut, und flog einmal um Adrien herum. "Kommst du jetzt wieder ins Bett, bevor du wirklich hier erfrierst?"
Kurz wollte Adrien einfach aufstehen und Plaggs Auffoderung folgen - doch sein Körper verweigerte seinen Dienst und er blieb sitzten.
"Adrien?"

Der Knoten in seiner Brust platzte.

"Ich war so dumm!", platzte es aus ihm heraus, und er stand so schnell auf, dass ihm schlecht wurde. Überrascht zuckte der Kwami zusammen, doch Adrien achtete gar nicht mehr auf ihn. Seine Finger fanden ihren Weg zwischen seine Haare, an denen er zog, in der Hoffnung, der brennende Schmerz an der Kopfhaut, könnte dieses nagende Gefühl in seinem Magen übertönen.

"So dumm!", fauchte er erneut, ließ seine Haare so ruckartig wieder los, dass die Fingernägel scharf über seine Stirn kratzten und rote Schlieren hinterließen.

"He, lass das!", rief Plagg laut, und versuchte Adriens Hand zu umklammern, als dieser Anstalten machte, sie wieder zu Fäusten zu ballen, so fest, dass sich die Nägel in die vernarbte Handfläche bohren würden -

Adrien, sei doch nicht so dumm - höhnte sein Vater in seinem Kopf und lächelte spöttisch auf ihn herab.

"Kitten-"

"Warum zum Teufel musste ich so dumm sein und ihn ansprechen! Warum hab ich ihn angegriffen?! Das war - das war -"

"Hör auf!"
"Wenn ich nicht so dumm gewesen wäre - er wäre überhaupt nicht verletzt worden -"

"Das Gabriel verletzt wurde, ist allein seine eigene Schuld!", versuchte Plagg dazwischen zu rufen, doch Adrien hörte ihn überhaupt nicht.

Schmerzen brannten in seiner freien Hand auf, zu leise, um Gabriels Lachen in seinem Kopf zu übertönen.

"Ich hätte doch einfach - wenn er schläft -"
"Lass das, Adrien!"
"Nein, Plagg, ich war -"
"Ich sagte, lass das!", fauchte Plagg noch lauter und riss ihn nach vorne, sodass Adrien taumelte und die Hand öffnen musste, die Plagg nicht umklammert hatte, nur um sich an der Wand abzustützen. Ruckartig ließ der Kater ihn los, flog auf seinen Kopf zu und stieß ihm energisch gegen die Stirn.

"Du hörst mir jetzt ganz genau zu", knurrte Plagg, hielt ihn am Nasenrücken fest, als er den Kopf wegdrehen wollte - "Ganz genau. Du wirst nie wieder - Nie wieder! - dir selbst weh tun, weil du glaubst, dass du es verdienst. Es hilft dir nicht. Du. Bist. An rein gar nichts Schuld!"

Mit wild klopfenden Herzen starrte Adrien seinen Kwami an. Erst jetzt registrierte er die Stiche an der Hand, die wie scharfe Dolche immer wieder in seine Handfläche stachen. Seine Stirn brannte.

Stumm nickte er langsam. Er fühlte sich wie ein Lügner, doch Plagg glättete sein Fell bereits und spitzte die Ohren. Mit einem sichtlich erleicherten Grinsen huschte der schwarze Kater zur Seite, um die Decke aufzuheben, die Adrien hatte fallen lassen, nur um sie ihm wieder um die Schultern zu legen.

Und dann wurde Adrien bewusst, welche Panik in Plaggs Stimme gelegen hatte - nein, das schlechte Gewissen verschwand nicht. Es wurde nur noch stärker.


"Sieh dir diese verkackte Scheiße an!", rief Félix ungläubig und lachte spöttisch auf, bevor er die Zeitung auf den Küchentisch warf.

"Félix!", rief Amelie empört auf, während Adrien gleichtzeitig - "Ich les' keine Zeitung" - murrte und weiter seinen Nachtisch aß.

"Gut so! Das sind alles hirnlose Idioten, deren geistige Kapazität nicht ausreicht, um vernünftig sachliche Artikel zu schreiben!"
"Félix, achte doch auf deine Wortwahl -"
"Mum, ich drücke mich immernoch höflich aus!"
"Nun, ich will nicht wissen, welche Wörter du sonst noch so in den Mund nehmen würdest."

"Seit wann interessierst du dich eigentlich so für die Meinungen anderer?", fragte Adrien seufzend, bevor er seine Schüssel in die Spüle stellte.

Félix schnaubte leise, zerknüllte die Zeitung in seinen Händen - und mit zerknüllen meinte er, dass er sie mehrfach ordentlich faltete und sie dann erst in den Mülleimer beförderte. Adrien glaubte, dass das Papier nicht einmal Eselsohren dabei davontragen würde.

"Wie kommst du darauf, dass es mich interessiert?"
"Du liest es?", antwortete Adrien mit einem sarkastischen Unterton, lehnte sich gegen die Küchenzeile und verschränkte die Arme.
"Ich informiere mich - damit ich angemessen reagieren kann, sollte jemand so dumm sein, um zu glauben, er müsste mir seine unwichtigen Ansichten ins Gesicht sagen. Ich dachte eigentlich, dass du wüsstest, wie du mit solchen Menschen umgehst?"

Adrien verzog das Gesicht. Die Aufmerksamkeit der Presse war früher vielleicht nervig und aufdringlich gewesen, als es darum ging, wann die neue Kollektion herauskommen würde oder ob die Gerüchte stimmen würden, dass er seit neuestem mit Kagami Tsurugi ausgehen würde. Doch so oft hatte sein Vater ihn ja nicht in die Öffentlichkeit gelassen und wenn doch, dann war immer entweder sein Bodyguard da, um sie von ihm fernzuhalten oder Adrien hatte sich versteckt und war als Chat Noir geflohen.
Jetzt lag die Aufmerksamkeit der Presse aus völlig anderen und weniger harmloseren Gründen auf ihn und er konnte weder schnell weglaufen, noch wollte er sich verwandeln. Also war seine einzige Möglichkeit, den Paparazzi zu entgehen, in dem er sich komplett zurückzog.

Er wollte wirklich nicht wissen, was diese Reporter so schrieben.

"Was schreiben sie denn, Darling?", seufzte Amelie schließlich, während sie ihr Besteck ordentlich neben ihrem Teller ablegte. Félix hatte gekocht - es hatte Adrien ziemlich überrascht, dass er das konnte (was er nicht aussprach, aber anhand von Félix' Augenverdrehen hatte dieser ihm das sofort angesehen).

Félix faltete die Hände vor seinem Bauch und lehnte sich zurück.

"Nun nach den letzten Verhandlungstagen ist bei dem werten Autor des Artikels die Frage aufgekommen - ob Gabriel Agreste nicht vielleicht sogar die ganze Zeit gewusst hatte, wer Ladybug und Chat Noir unter ihren Masken war und einfach nur zwanghaft sardistisch veranlagt war, und sie nur deswegen all die Jahre über terrorisieren und foltern wollte. Vorallem weil Marinette sich ja an seinen Sohn so 'rangemacht' hatte und er sie deswegen so sehr gehasst hatte. Den Wunsch durch die beiden Miraculous wollte er wohl vielleicht nur dafür verwenden, einfach alle Menschen und die gesamte Welt zu vernichten, weil er es nicht ertragen würde, dass sie existiert, ohne das er mit seiner Frau ein Leben führen könnte. Völliger Schwachsinn! Der Kerl hat zu viele Filme gesehen, wenn du mich fragst -", schimpfte sein Cousin schließlich und schnaubte erneut abfällig.

Adrien verzog keine Miene. "An mich 'rangemacht'? Woher wissen die überhaupt, dass sie -", murmelte er schließlich, doch Amelie unterbrach ihn sofort.
"Nein, Chérie. Lass dich davon bitte nicht treffen. Wenn du mich fragst, versuchen die Leute einfach nur, den Teufel in ihm zu finden und seine Menschlichkeit auszuradieren."

"Er war ein Teufel", zischte Adrien bloß.

"Du übertreibst. Er ist ein Mensch, der schreckliche und unverzeiliche Dinge getan hat. Einen Teufel gibt es nicht. Niemand kann durch und durch böse sein und wenn es bei ihm nur die Liebe zu Emelie gewesen war, die bei ihm Gut war."

"Eine Liebe, die ihn dazu brachte, alles andere zu vergessen? Das ist keine Liebe, es war Besessenheit - es ging ihm nicht um Sie, es ging ihm um seinen eigenen Schmerz."

"Adrien, ich weiß - dass das weh tut. Aber - versteh' doch, dass wenn man jemanden verliert, der einem einfach alles bedeutet - das jeder zumindest einmal daran denken würde, denjenigen zurückholen zu wollen, vorallem wenn man weiß, dass es möglich wäre."

"Ich weiß!", fauchte Adrien auf, löste seine Arme so ruckartig, dass er gegen das benutzte Geschirr stieß. Ein Glas krachte in die Spühle, rollte noch ein Stück und blieb auf dem Abfluss liegen. Er ignorierte es.

"Adrien -", begann Amelie erneut, doch der Blick, den er ihr zuwarf unterbrach sie sofort.

"Weißt du, wie lange ich versucht habe, ihn als jemand Gutes zu sehen? Wie lange ich mir eingeredet habe, dass sein Verhalten zu entschuldigen war und dass seine Unterdrückung nur seine Angst war, mich auch verlieren zu können? Dass er sich vielleicht doch um mich gesorgt hat und mich noch lieb hatte, auch wenn er nie da war oder mich nie ansah oder mit mir geredet hat? Vielleicht würde er ja irgendwann wieder wie früher werden, vielleicht würde er ja irgendwann anfangen, wieder mein Vater zu sein! Er will ja nur das Beste für mich! Erfolg, Sicherheit, viel Geld und ein riesiges Haus, in dem ich einsam und alleine verrotten kann, ohne das es jemanden interessiert!"

Amelie starrte ihn betreten an.

"Ich habe daran gedacht, dass es möglich wäre, Marinette wieder zurückzuholen - oder meine Mutter. Ich habe daran gedacht. Und ich habe daran gedacht, dass es falsch wäre und keiner von beiden es wollen würde, dass ich genau dafür meine Seele und ein unschuldiges Leben opfern würde. Er - ihm war das egal. Er hätte alles geopfert, nicht für Maman. Nur für ihn, weil er es nicht ertragen konnte, mit sich alleine zu leben, weil er nicht in der Lage war, sie loszulassen und weiterzuleben!", rief Adrien laut und hielt inne.
Seine Handfläche brannte, als er die Faust wieder löste. Schnell verbarg er die erneut aufgerissene Handfläche unter seinem Ärmel.

"Mein Vater", sagte Félix dann in die betretende Stille hinein, seine Stimme so leise, dass Adrien ihn fast überhörte. "Mein Vater war ein Tyrann. Als er starb, hab ich ihm nicht hinterher getrauert. Nicht wirklich. Ich weiß, dass er mich verachtet hat - nichts was ich tat, war je gut genug und alles was falsch lief, war irgendwie immer meine Schuld."

Adrien sah Félix nicht an, musterte stattdessen die nicht zusammenpassenden Socken an seinen Füßen.
Félix ließ sich davon nicht beirren. "Dein Vater ist nicht tot."
"Offensichtlich", erwiderte Adrien, doch Félix redete einfach weiter.
"Er ist jetzt nur nicht mehr hier - er war selbstsüchtig und hat dich im Stich gelassen und muss jetzt die Konsequenzen seiner Taten ertragen. Doch im Gegensatz zu mir, bist du nicht froh darüber."

"Doch, natürlich, ich -"
"Dir ist es nicht völlig egal und hassen tust du ihn trotz allem nicht -"
"Du hast doch keine Ahnung!", schnappte Adrien.
"Hab ich. Ich war vielleicht froh, dass er weg war, doch was weh getan hat, war, dass er nie in der Lage gewesen war, mich zu lieben, wie es ein Vater tun sollte. Das war mir nicht egal und ich weiß, dass dein doofes naives offenes Herz auch nicht in der Lage ist, das Ganze einfach so abzuschließen und das verlangt auch niemand von dir!"

Stumm starrte Adrien seinen Cousin an. Dieser war aufgesprungen, hatte die Arme auf der Tischplatte abgestützt. Adrien wusste nicht, was er erwidern könnte.

"Enttäuscht und verletzt zu sein, ist dein gutes Recht", sagte Amelie jetzt leise und lächelte Adrien liebevoll an. "Aber wenn du einen wahren Teufel suchst, dann ist es Hass - also bitte ich dich, fang nicht damit an, diese Emotion zuzulassen."

Der Kloß im Hals hinderte ihn am sprechen. Er drehte sich um, kniff die Augen zu und versuchte die erneute Stille im Raum zu ignorieren.
Frustriert biss er die Zähne zusammen, holte dann so energisch einen leeren Teller aus dem Küchenschrank, dass das restliche Geschirr klirrte. Amelies Schweigen in seinem Rücken wirkte lauter, als es sollte.

"Sag mal. Wie erträgst du es immer, so viel von diesem Teufelszeug zu verputzen?", wechselte Félix abrupt das Thema und durchbracht die unangenehme Stille, während er Adrien skeptisch dabei beobachtete, wie er mehrere Packungen Camembert auf dem Teller stapelte. Als würde er versuchen wollen, die gekippte Stimmung im Raum wieder zu retten.

Kurz hielt Adrien inne, drehte sich dann mit einem aufgesetzten Grinsen zu seinem Cousin um.
"Du überlegst dir vorher möglichst unhöfliche und clevere Antworten, ich stopfe mich mit so viel stinkigem Käse voll, dass die Reporter freiwillig abhauen, anstatt mich zu belästigen", log er mit überzogener Stimmlage, bevor er, den Teller auf einer Hand balancierend, die Küche verließ.

Er hatte bei Plagg immernoch etwas wieder gut zu machen. Und die Gesellschaft seiner Familie ertrug er gerade nicht mehr.


Ein frühsommerlicher Sprühregen hatte eingesetzt, als Adrien einen Tag später das gläserne Gebäude verließ, in dem seine Physiotherapeutin ihre Praxis hatte. Es war bereits spät am Tag, der Feierabendverkehr verklungen und nur noch die Touristen auf den Straßen unterwegs, von denen aber niemand einen zweiten Blick auf den jungen Mann warf, der sich die Kapuze seines roten Hoodies über die blonden Haare gezogen und auf Krücken gestützt, die Hauptstraße in Richtung der Seine hinunterging.

Es war in diesem Monat immernoch recht kühl, vorallem in den Abendstunden, die nun wieder lange hell blieben, weswegen sich Plagg heute in der Bauchtasche seines Pullis eingekuschelt hatte. Vor etwa einer halben Stunde war der Kater eingeschlafen. Adrien weckte ihn nicht, selbst wenn der Kwami sich nun wieder zeigen könnte. Es war so selten, dass er den Kwami überhaupt schlafen sah - er hatte ihn auch bis heute nicht mehr dazu bringen können, die stillen Nachtwachen aufzugeben.
Die schwarze Jeansjacke, die Adrien über dem Pullover trug, schützte ihn nur ein wenig vor den feinen Regentropfen, die von allen Seiten seine Haut benetzten und langsam den Kaputzenstoff aufweichten.

Gedankenverloren starrte er beim Gehen auf seine Schuhe. Unwillkürlich spielten seine Gedanken immer wieder das Gespräch in seinem Kopf ab, dass er mit seiner Therapeutin geführt hatte, während Adrien auf dem Laufband das selbstständige Gehen trainierte.

... "Wie gehst du mit der Situation um?"
"Warum -"
"Für die Genesung deines Körpers ist es ebenso wichtig, auf die Genesung deines Geistes zu achten. Also - achtest du auf genügend Ruhe? Schlaf?"
"Ich versuchs. Es ist nur - so viel los."
"Hast du noch Albträume?"
"Ähm - wenige", log er halbherzig, stockte kurz. "Ein paar." ...

Stockend blieb Adrien mitten auf dem Weg stehen. Seine Fingernägel bohrten sich in die Gummigriffe, sein Nacken schon steif, so lange hielt er den Kopf bereits gesenkt. Spontan änderte er schließlich die Richtung und bog in die nächste Nebenstraße ein.

... "Hast du jemanden, mit dem du über deine Probleme reden kannst?"
"Ja. Einige."
"Und tust du es?"
"Manchmal?", murmelte Adrien zögerlich.
"Adrien. Es kann wirklich hilfreich sein, sich jemandem anzuvertrauen - egal worum es geht."
"Ich weiß. Das - das mache ich auch. Noch." ...

Langsam ging der Sprüregen zu kleinen Tropfen über. Eine frische Brise jagte ihm eine Gänsehaut über den Nacken und das Tageslicht wurde durch die dichter werdenen Wolken gedimmt. Beißendes Regenwasser sickerte durch die Kapuze hindurch und schlich seinen Nacken hinunter.

... "Was ist mit deinen Freunden? Nach deinem Schulabschluss letzten Monat, hast du noch regelmäßigen Kontakt?"
"Nino und Alya - ja. Schon fast mehr als  - als vorher."
"Das ist gut. Es ist für viele schwer, den Kontakt zu halten, wenn man sich nicht mehr gezwungenerweise regelmäßig trifft oder nach schweren Schicksalschlägen. Man neigt manchmal dazu, sich in die vermeidliche Sicherheit des Alleinseins zurückzuziehen."
"Ich bin wirklich nicht - kaum allein." Selbst wenn weder seine Familie, noch Nino da waren - die Kwamis waren da. Er war eigentlich sogar nie allein. ...

Im Schatten einiger Eibenbüsche blieb Adrien stehen. Die Nebenstraße war verlassen - und mit einem prüfenden Blick über den Brusthohen Eisenzaun vergewisserte er sich, dass auch das Gelände dahinter halbwegs leer war. Nur ein älteres Pärchen wanderte unter ihrem Regenschirm auf den schmalen Sandwegen entlang.
Das schmiedeeiserne Tor quietschte leise, als er es öffnete, die hohen, teilweise verwitterten, prunkvollen Grabmonumente verschluckten seine schmale Gestalt zwischen sich, die weißen Lilien, die auf einigen Grabplatten drapiert warern, leuchteten gespenstisch im Dämmerlicht. Pfützen bildeten sich am Wegesrand und der Matsch knirschte unter seinen Schuhsohlen.
Die zwei Kirschbäume im hinteren Teil des Friedhofs waren jetzt mit dunkelgrünen Blättern bestückt, die letzten Blüten längst zu Boden gefallen - doch Adrien bog nach links ab. Zu dem Grab seiner Mutter wollte er nicht gehen.

Der Weg kreuzte sich noch zweimal, die dicht aneinander geschmiegten Gräber lichteten sich langsam, bis Adrien die kleine Wiese erreichte, die von mehreren Eichen gesäumt wurde.

Marinettes Grabstein aus grauem Marmor ging in der Dämmerung fast unter, nur der weiße Schriftzug und eingravierten Blüten leuchteten hell. Eine dünne Schicht aus Sand und Moos wuchs auf der oberen Kante des hoch aufragenden Steins, sowie am Rand der quadratischen Bodenplatte davor. In der blauen Vase war ein Strauß frischer Blumen, mehrere Fotografien gruppierten sich unter ihrem Namen, deren Bilderrahmen von Stil und Farbe kaum zueinander passten.
Ein Gewicht schien gegen seinen Brustkorb zu drücken, er bildete sich ein, den eisernen Geschmack von Blut auf der Zunge zu spüren, der sich zu dem erdigen Geruch des Regens mischte. Seine Haare klebten kalt auf der Kopfhaut, der Stoff seines durchnässten Pullovers an seinen Schultern. Ächzend kniete Adrien sich auf den durchweichten Boden vor dem Grab, ignorierte die Kälte, die sich langsam mit dem Wasser zusammen durch den Stoff seiner Hose fraß.

Seufzend schloss er die Augen. Das hier schien der einzige Fleck auf der Erde zu sein, an dem es immer vollkommen still war. Als würde die Zeit selbst den Atem anhalten und jedes Geräusch mit Watte verpackt verstummen. Selbst das Prasseln der Regentropfen summte in einem angenehmen Rauschen.

Hast du jemanden, mit dem du über deine Probleme reden kannst?

Langsam tastete Adrien nach seinem Handy in seiner Jackentasche. Der Bildschirm schillerte bunt, als die ersten Tropfen darauf trafen und er es entsperrte. Er sah gar nicht hin, als er die Kontaktliste öffnete.

Die Stille hier würde er auf keinen Fall wieder durchbrechen.

Mit steifen Fingern öffnete er den Chatverlauf von Marinettes Nummer.

'Salut Mari.', tippte er langsam ein und hielt inne. Aus dem Inneren seiner Bauchtasche ertönte ein leises Schmatzen von Plagg.

'Ich vermisse dich'

'Du bist die Einzige, mit der ich wirklich reden will. Du hast mir immer zugehört. Weißt du noch, das war unser Ding. Auch wenn wir immer alles so kryptisch formulieren mussten, habe ich dir immer alles irgendwie', tippte er den Text in das Eingabefeld, überlegte kurz.

'irgendwie sagen können', schrieb er hastig weiter, während seine Augen langsam anfingen zu brennen und das Gewicht auf der Brust noch stärker wurde.
'Oder du hast es einfach gewusst du musstest nur da sein und du wusstest sofort wie es mir geht Irgendwie hast du es auch geschafft immer genau richtig zu reagieren
Aber du kannst mich jetzt nicht sehen, also'

Er hielt inne und starrte auf die Grabplatte vor ihm. Die Gesichter auf den Fotos lächelten zurück.

'Ich brauche eine Umarmung, Marinette. Ich weiß nämlich nicht wie ich dieses Chaos hier drinnen in meinem Kopf in Worte fassen könnte'. Adrien schniefte leise, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, bevor er weiter tippte.
'ich würd dich gern umarmen. das alles hier wie soll ich das ohne dich überhaupt durchstehen? Ich weiß nicht mehr '

Er blinzelte die Tränen weg. Schniefend zog er sich die Kapuze noch ein Stück tiefer in die Stirn, in der Hoffnung, der durchnässte Stoff könnte doch noch ein bisschen mehr Regen abhalten. Ein Frösteln überkam ihm, krampfhaft klammerte er sich mit der freien Hand an den Saum seiner Jeansjacke fest.

'du hast deinen himmel irgendwie tragen können Mari, aber über mir stürzt er ein. stück für stück.'

Die Regentropfen wurden größer, prasselten jetzt regelrecht gegen seinen Rücken und er ließ sich davon niederdrücken, so weit vor, damit das Wasser nicht die Bauchtasche erreichen konnte, in der Plagg weiterhin schlief.

'alle machen irgendwie weiter mit ihrem leben
und vor mir ist nicht mehr als ein großes schwarzes loch
es fällt einfach alles zusammen mein vater ist ein monster und meine familie sieht mich an als würde ich jeden augenblick auseinanderbrechen können und alya benimmt sich
keine ahnung sie redet nicht mit uns und wir wissen nicht was los ist
du bist nicht mehr da'

Adrien schloss die Augen, eine Träne löste sich von den Wimpern.

'glaubst du ich hab meinen papa umgebracht?', schrieb er noch, legte das Handy auf dem Schoß ab.
"Er hat seinen Arm verloren. Glaubst du, das kann den - den Kataklysmus aufhalten?", flüsterte er schließlich leise, die Stimme so dünn, dass er sich selbst über den Regen nicht hören konnte.

Sein Daumen zitterte, dann drückte er auf Senden. Ein rotes Ausrufezeichen leuchtete neben der Nachricht auf. Leicht berührte er das Zeichen mit der Fingerkuppe.
Die von ihnen versendete Nachricht konnte nicht zugestellt werden.

Langsam ließ er die Hand auf seine Knie sinken.
Er löschte den letzten Satz wieder.

"Phew!", ertönte es plötzlich aus seiner Bauchtasche heraus. "Adrien - warum zum Teufel bist du klitschnass?!"
Meckernd kämpfte sich Plagg aus den klebrigen Stofflagen des Pullovers nach draußen, sein Fell empört aufgeplustert und die Ohren angelegt.
Doch der Kater hielt schweigend inne, als sein Blick auf den Grabstein fiel.
Adrien ging nicht auf den Kwami ein, wollte schließlich aufstehen, doch die Beine versagten ihm die Kontrolle.

Verkrampft verharrte er, die Fäuste um das Handy geballt, die Zähne schnitten ihm in die Lippen und vor seinen Augen verschwamm das Bild des Grabsteins.

Wie ein Damm brach es aus ihm heraus.
Mit einem lauten Schluchzen verkrampften seine Schultern, zitternd ließ er das Handy fallen und vergrub die Finger in den Haaren, presste die Handballen gegen die Schläfen.

Seine Lungen bekamen zu wenig Luft, er kniff die Augen zu, als könnte er so die Tränen darin verschließen. Vergeblich.

Leise schrie er auf, sank heulend mit dem Oberkörper nach vorne, bis seine Stirn den kalten Grabstein berührte.

Die Nachricht konnte nicht zugestellt werden. Genau wie die unzähligen anderen Texte zuvor. 

Die Stimmung auf dem Vorhof war mehr als angespannt. Placide lenkte im Schritttempo den silbernen Wagen durch die Toreinfahrt, während Sicherheitsleute der Polizei versuchten, die aufdringlichen Schaulustigen von dem Auto fernzuhalten.
Adrien starrte die ganze Zeit auf seine Schuhspitzen und verschränkten Finger. Unruhig drehte er die Zwillingsringe am Mittelfinger hin und her, versuchte die vielen Stimmen von draußen auszublenden.
Jemand drängte sich so weit vor, dass seine flache Hand gegen die Autoscheibe patschte, bevor er wieder zurückgedrängt wurde und nur einen fettigen Handabdruck hinterließ.
Zwei weitere Paparazzi mussten mithilfe der Schutzschilder hinter das Tor zurückgedrängt werden, damit es sich hinter dem Wagen schließen konnte.

Nino kletterte vor ihm aus der hinteren Autotür, zog sich seine rote Cap tiefer in die Stirn - die eigentlich kein bisschen zu dem weißen Hemd, der blauen Krawatte und der Anzughose passte, die sich Nino heute von Adrien geborgt hatte, da sein Bruder ihm seine eigene mit einem Ketchupfleck verziert hatte - bevor er Adrien heraushalf.
Leise bedankte er sich bei seinem Freund, während Amelie und Félix bereits von zwei Security-Mitarbeitern zum Eingangsportal geleitet wurden.
Eigentlich wäre Adrien diesem Trubel gerne fern geblieben, aber Nino würde heute seine Zeugenaussage abgeben, und nach all der Zeit, die Nino schon an seiner Stelle hier verbracht hatte, schuldete Adrien es ihm, ihn heute nicht alleine zu lassen.

Irrte er sich, oder waren heute mehr Polizeikräfte hinter dem hohen Eisenzaun postiert? Adrien warf nur einen kurzen Blick auf die Menschenmenge hinter dem Zaun, die das wohl sofort als Aufforderung sahen, ihm Dinge zuzurufen - Sein Bodyguard schob sich hinter Adrien, der sich bereits beeilte, aus ihrem Sichtfeld zu gelangen, als die Rufe für einen Augenblick lauter wurden.

Einer der Polizisten schrie etwas.
Nino, dessen Sicht nicht von Placides breiten Schultern verdeckt wurde, riss die Augen auf.
Nun doch von der Neugierde gepackt, lugte Adrien an Placide vorbei, der ihn bestimmt von dem Auto wegschob.

Er konnte nicht viel erkennen - mehrere Polizeibeamte verdeckten in geschlossener Reihe bereits die Sicht auf die Menschenmenge, die Schilder erhoben, als erwarteten sie einen Angriff. Dann stieg mittendrin Rauch auf.

"Was zum Teufel tun die Leute denn?", fragte Nino, doch Adrien, der seinen besten Freund am Ärmel packte und versuchte, ins Gebäude zu ziehen, kam nicht dazu, ihm eine Antwort zu geben.

"Salaud! Casse-toi, Agreste!", schrie Jemand aus der Menge heraus, dessen Gesicht zwischen den Menschen unterging. Irgendjemand warf etwas über den Zaun. Mit einem lauten Klirren zerbrach ein Gegenstand auf den Pflastersteinen, hinter den Reihen der Polizei, kleine Flammen züngelten hoch, tiefschwarzer Rauch stieg auf - Adrien verlor jedoch den Vorhof aus den Augen, als sie ins Gebäude traten, links und rechts an weiteren bewaffneten Polizeikräften vorbei, die hastig nach draußen liefen.

"Mon dieu, wie krank -", zischte Nino, das Gesicht ziemlich blass. Adrien sagte nichts, starrte nur auf die Marmorfliesen.

"Adrien! Adrien, chérie, geht es dir gut?", rief Amelie und zog ihn in ihre Arme - ein wenig zu fest - bevor sie seinen Kopf zwischen die Hände nahm und in beide Richtungen drehte. "Du bist blass!"
"Mir gehts gut - hör auf!", nuschelte er und drückte ihre Hände wieder runter. "Wir haben uns nur erschrocken -"
"Nur! Was fällt diesen Leuten überhaupt ein! Unbelievable -"
"Mum? Mum - ihm ist nichts passiert", versuchte Félix seine Mutter zu beruhigen und zog sie wieder von Adrien weg.
"Diese Leute sind doch vollkommen außer Kontrolle -"
"Mum!", zischte Félix erneut, griff ihre Hand fester. "Sieh doch - wir sind hier drin, die sind draußen. Wer so laute Aggressionen auslebt, hat nicht genug Grips, hier wirklich reinzukommen."
Amelie erwiderte nichts mehr, strich Adrien nocheinmal fahrig durch die Haare (und zerstörte dabei seine Frisur), bevor sie sich endgültig von ihrem Sohn weiter zur Sicherheitskontrolle ziehen ließ. Wirklich beruhigt sah sie dabei nicht aus.

"Alter - deine Tante hat recht", murmelte Nino kopfschüttelnd und warf einen nervösen Blick über die Schulter zurück zur nun geschlossenen Portaltür. Placide stand dort und redete leise mit zwei Sicherheitsmitarbeitern.
"Ich meine", ergänzte sein Freund und lehnte sich näher zu ihm. "Ich kann negative Gefühle HawkMoth gegenüber völlig nachvollziehen, aber dich da mit reinzuziehen ist weit davon entfernt, rational zu sein -"

Adrien lächelte bitter, während sie einer Mitarbeiterin ihre Ausweise zeigten. "Willkommen in der Welt der oberflächlichen Öffentlichkeit."
"Adrien -"
"Ganz ehrlich, Nino? Ich müsste damit rechnen. Immerhin haben sie keine Chance all ihre angestaute Wut an meinem Vater direkt auszulassen. Das wird sich wieder legen", murmelte Adrien, legte sein Handy und die Zwillingsringe bei der Sicherheitskontrolle ab. Das Katzenmiraculous steckte in seiner Hosentasche. Metalldetektoren würden das Schmuckstück nicht erfassen können und ablegen würde er es nicht einmal für die zwanzig Sekunden des Securitychecks.

"Wie kannst du dir da so sicher sein?!", fragte Nino und löste den einzelnen Ohrring, den er sich letzten Monat hatte stechen lassen.

"Weil das immer so ist. Jedes Gerücht, jede Sensation, Aufsehen, Affäre, Blamage oder Skandal, wie auch immer du es betiteln willst - ist irgendwann langweilig und somit vergessen", sagte er einfach und gab einem Mitarbeiter seine Krücken, bevor er durch den Sensorrahmen trat. Nichts tat sich.
Nach einem groben Abklopfen seiner Taschen wurde er weitergewunken (Wie Plagg es schaffte, mit dem Miraculous in den Pfoten,  dem auszuweichen, fragte er sich schon gar nicht mehr - der Kwami hatte sich bereits ausführlich darüber beschwert, dieses Versteckspiel wirklich jedes Mal wiederholen zu müssen, wenn sie das Gebäude betraten).

Nino schnaubte. "So wie sie nicht mehr über Marinette reden, huh? Jetzt ist jeder in Paris das Opfer von HawkMoth, aber Ihres wird nicht mehr erwähnt."

"Genau", flüsterte Adrien nur, nahm seine Sachen wieder entgegen und schaltete bereits sein Smartphone aus. Kurz wartete er, bis Nino ebenfalls durch war, bevor sie den Eingangsbereich verließen. Am Fuß der breiten Treppe in den ersten Stock standen zwei Securitymänner, die in ihrer Haltung angespannter aussahen, als sonst.

"Sag mal - liegt das an den Idioten da draußen, dass sie die Sicherheit erhöht haben?", fragte Nino irgendwann, als sie auch am oberen Ende der Treppe zwei Securitymitarbeiter passierten.

Adrien zuckte nur nervös mit den Schultern, musterte misstrauisch die drei Reporter, die im Gang herumstanden und ihre Ausrüstung überprüften. Als wäre er ein Magnet, wandten alle Drei gleichzeitig ihre Köpfe zu ihm, sobald er sich ihnen näherte, doch er ließ ihnen keine Möglichkeit ihn anzusprechen, so schnell bog er in den Gerichtssaal ein.

Der Raum war ein wenig voller, als das letzte Mal - Sabine und Tom saßen zusammen mit Marinettes Großmutter in der linken vorderen Reihe - schnell wandte Adrien den Blick wieder weg, er wollte nicht herausfinden, welche Stimmung die ältere Dame ihm gegenüber haben würde -
Adrien erkannte einige Gesichter von den Akumaopfern wieder, ebenso wie den DGSI-Agenten Cyrille Louve, der in einer der hinteren Reihen in ein Notizbuch vertieft war.

Ninos Mutter war ebenfalls gekommen, auch Max und Ivan saßen in einer der hintersten Reihen und winkten ihm zu, Alyas Eltern und ihre große Schwester saßen neben Marinettes Familie - Alyas Platz daneben war leer.

"Wollte sie heute nicht kommen?", fragte Adrien leise, doch Nino verzog nur verstimmt das Gesicht.
"Sie hat's versprochen", murmelte sein bester Freund, setzte sich demonstrativ auf die rechte Seite des Raumes, direkt neben Félix, der ihm nur einen schrägen Blick zuwarf.

Schweigend setzte sich Adrien auf seine andere Seite und wartete stumm. Ninos Finger verkrampften sich im Stoff der Anzughose, dann strich er sich fahrig eine gelöste Locke unter den Rand seiner Cap zurück.

"Einmal!", platzte es dann aus ihm heraus, er klammerte sich am Nacken fest und blickte zur holzvertäfelten Decke hoch. "Einmal hat sie zurückgerufen - in einer Woche! Und zuhause war sie ja auch nie?! Keiner weiß, wo sie ist, was sie macht - sie wollte hier sein, ich kann doch nicht meine Aussage machen und Alya ist gar nicht hier!"
Aufgebracht ließ Nino seine Arme wieder fallen. Schnell griff Adrien nach seiner Hand.

"Vielleicht kommt sie gleich noch - und wenn nicht", begann er und zuckte mit den Schultern. Nino hatte Recht, so aufgelöst zu sein - nicht mal wirklich sauer, ein bisschen enttäuscht - doch es war überhaupt nicht ihre Art, einfach so ständig zu verschwinden oder Versprechen nicht einzuhalten. Niemals.

Adrien drückte Ninos Hand noch ein bisschen mehr.
"Wenn nicht, dann fahren wir gleich nach dieser Sitzung zu ihr nach Hause und fahren erst wieder weg, wenn sie da war und mit uns geredet hat. Okay?"

Nino drehte ihm den Kopf zu. "Wirklich? Ich meine - du schläfst schon nicht so gut, wenn wir dann vielleicht die ganze Nacht wach bleiben müssen -"
"Ja, wirklich."
"Vielleicht sollte nur ich das machen und du gehst nach Hause und schläfst -"
"Nino, das kann ich eh nicht."
"Vielleicht reagieren wir ja doch über und sie -"

"Halt die Klappe. Du bist ja nicht auszuhalten!", unterbrach Félix ihn unwirsch mitten im Satz und stieß Nino grob mit dem Ellenbogen in die Schulter.
"Hör du doch gefälligst auf, Gespräche zu belauschen, die dich nicht betreffen!", zischte Nino zurück.
"Dann solltet ihr vielleicht nicht in dieser Lautstärke über eure super geheimen Angelegenheiten reden!"

Wütend verzog Nino die Augenbrauen, setzte zu einer Antwort an, schluckte die Worte jedoch nur runter, als Adrien resigniert den Kopf senkte. Merde, vielleicht sollte er mit Nino doch lieber die Plätze tauschen -

Doch bevor er Anstalten machen konnte, aufzustehen, verstummten im Saal plötzlich sämtliche Gespräche und die Saaltür wurde mit einem dumpfen Knallen geschlossen.

Unruhe kam auf, er hörte wie hinter ihm einige Stühle über den Teppichboden geschoben wurden, das Tuscheln der Besucher schwoll wieder an.

Langsam hob Adrien den Kopf - sein Blick fiel sofort auf die zwei bewaffneten Polizisten, die den holzvertäfelten Raum von einer Seitentür aus betreten hatten, ihre Mienen verkniffen und ihre Haltung angespannt.

Einige der Reporter, die hinten im Saal ihre Plätze eingenommen hatten, waren bereits auf den Beinen, die Kameras gezückt. Zwei waren dabei so eifrig, dass sie ihre Filmkameras bei dem Versuch, zwischen den stehenden Schaulustigen hindurchzufilmen, gegeneinander stießen.

Niemand beachtete ihr fluchen, es wurde endgültig vollkommen still im Saal.

Und dann betrat Gabriel Agreste den Raum.

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