V E I N T I U N O

„Was will uns die Natur damit sagen?"

Skeptisch beäugte ich den zerdrückten Supercomputer, der eigentlich schon längst zerstört sein sollte. Zumindest, wenn man beachtete, dass gerade ein 1,4 Tonnen schweres Auto über ihn drüber gefahren war.

Problem: Das plattgefahrene Teil leuchtete immer noch.

„O.k., es reicht!" Entschlossen machte Boston am Absatz kehrt und marschierte schnurstracks zu einer der Lagerhallen am Privatflughafen. „Ich hole jetzt den Feuerwehrwagen!"

Carlo, Olivia, Levin, Crystal und ich sahen Boston hinterher.

„Er ist sauer", stellte Levin fest und ein leichtes Lächeln spielte über meine Lippen. Und wie sauer er war!

„Ich bin auch sauer!", dröhnte es vom Boden und sofort zuckten wir zusammen. 

Unsere Blicke zuckten zu dem, am Boden liegenden, Supercomputer. Olivia erschreckte sich dabei so sehr, dass sie einen halben Luftsprung machte.

„Wie kann das Ding überhaupt noch reden?", fluchte sie und stellte sich schutzsuchend an Carlos Seite, der sie sofort liebevoll in den Arm nahm.

„Ihr könnt mich doch nicht einfach platt fahren, ihre nichtsnutzigen Pfeifen!" 

Die Stimme des Supercomputer war laut und anklagend.

Ein Schauer lief mir über den Rücken und sofort erinnerte ich mich an die Situation in der Bank zurück.


„Schneller!", rief Boston und sprintete hastig um die nächste Ecke.

Wo der Bankangestellte hin war, war uns ein Rätsel. 

Er hatte zwar gesagt, er würde vor der Tür warten, doch aus irgendwelchen unempfindlichen Gründen, war er nirgends vorzufinden.

Wie gut, dass wir den Supercomputer noch hatten ...

„Da würde ich nicht lang gehen", ertönte auch schon die besserwisserische Stimme in meinen Händen. 

„Da marschiert nämlich in einem Konfidenzintervall von 98 Prozent Typ 4b in 196 Sekunden durch."

Quieeh.

Laut quietschten unsere Schuhsohlen auf dem grauen Laminatboden, als wir schlitternd zum Stehen kamen.

„Wohin dann?", fragte Boston hektisch und sah sich nervös um. 

Die Möglichkeiten der Flucht waren nicht gerade üppig. Es gab ein paar Flure, ein/zwei Türen und das war's.

„Links und dann dreihundert Meter geradeaus", befahl der Supercomputer und wir folgten seinen Anweisungen.

„Wenn wir hier raus sind", murmelte Boston grimmig. „... Dann packen wir unsere Koffer und fliegen an einen Ort, an dem uns niemals irgendjemand finden kann, okay?"

Versonnen lächelte ich Boston an. „Nur wir zwei?"

„Nur wir zwei", bestätigte er und lächelte zurück.

Es war der perfekte Moment, der aus einem Liebesfilm entsprungen sein könnte ... wäre da nicht ein lautes Räuspern in meinen Händen gewesen.

„Ich mag die optimistische Stimmung ja nicht stören", meldete sich der Supercomputer zu Wort. 

„Aber es gibt keinen Ort, wo man niemals gefunden werden kann. Vor allem nicht, wenn man mich hat - Ich finde jede Ameise auf dieser Welt!"

Genervt verdrehte ich die Augen.

„Jaja, immer schön bescheiden bleiben."


Erschöpft griff ich mir an den Kopf.

Der Supercomputer beschwerte sich immer noch und schien in seiner Schimpftirade kein Ende mehr zu finden.

Seit wann ließ man sich überhaupt von einem Elektronikgerät beschimpfen?

„Kann man das Ding irgendwo auf lautlos stellen?", fragte Carlo über die Stimme des Supercomputers hinweg und suchte genervt auf dem zusammengedrückten Metall nach einem Knopf.

„Oh, da kommt Boston!"

Erleichtert deutete Crystal auf einen Feuerwehrwagen, der im schnellen Tempo auf uns zukam.

„Sitzt Boston am Steuer?"

Angestrengt kniff ich die Augen zusammen, in dem Versuch, den Lenker des Fahrzeugs ausfindig zu machen.

„Sicher nicht", meinte Levin, doch Carlo wandte ein: „Hat er nicht noch so einen Jochen-Schweizer-Gutschein?"

Überrascht runzelte ich die Stirn. 

„Ja, für's Bungee-Jumpen, aber nicht für's Feuerwehrauto-Fahren!"

Leicht zuckte Carlo die Achseln. „Vielleicht hat er ihn eingetauscht ... ich hätte ihn eingetauscht."


„Stopp!" 

Die Stimme des Supercomputers kreischte durch die Lautsprecher und er rief empört: „Ihr seid an der Abbiegung vorbeigerannt!"

Das Licht in dem Würfel blitzte verärgert. 

„Ihr hättet vor 10 Metern nach Osten abbiegen müssen!"

„Was?"

Ruckartig blieb ich stehen.

Wir waren nirgendwo vorbeigerannt! Das war ein Flur ohne Abzweigungen, eine Einbahn sozusagen. 

Wo hätten wir denn da vorbeirennen sollen?

Außerdem: War ich Christoph Kolumbus oder woher sollte ich wissen, wo in diesem verdammten Keller Osten und Westen war?!

Gereizt drehte ich mich um.

„Da ist nichts!", beschwerte sich auch Boston.

„Doch, der Lüftungsschacht!"

Dag.

Gleichzeitig vielen Boston und mir die Kinnlade hinunter und wir starrten auf den Lüftungsschacht, an dem wir tatsächlich gerade vorbeigerannt waren.

„Nicht dein Ernst", meinte Boston und verschränkte trotzig die Arme.

„Mein voller Ernst", antwortete der Supercomputer und fügte verärgert hinzu: „Und jetzt schwing deinen Hintern da rein, Bürschchen und verzögere meine Berechnungen durch deine Unzulänglichkeit nicht! Das Auge ist hinter uns her!"

Autsch.

Das hatte definitiv Bostons Stolz getroffen. Er machte sich zwar wortlos daran, das Gitter von dem Lüftungsschacht runterzunehmen, doch innerlich brodelte es in ihm, dass wusste ich. 

Schließlich war er es nicht gewohnt, so herumkommandiert zu werden und eine offene und respektvolle Gesprächsebene war ihm immer wichtig.

„Nach dir", sagte ich und gab ihm einen liebevollen Kuss, in der Hoffnung, ihn damit ein wenig besänftigen zu können.

„In zehn Minuten sind wir hier draußen und dann werden wir den Grünschnabel los."


Dumm.

Es knackte leicht unter den Rädern des Feuerwehrautos und die Hoffnung, dass wir den Supercomputer endlich los waren, stieg.

Erwartungsvoll starrten wir auf den Fleck, wo der Feuerwehrwagen gerade eben noch gestanden hatte.

„Hat's geklappt?"

Hoffnungsvoll stieg Boston aus dem Feuerwehrauto aus (er war nur Beifahrer gewesen zu Carlos Enttäuschung) und starrte auf das Metallteil, das inzwischen nur noch eine 3mm dicke Fläche war.

„Vielleicht fahren wir besser noch mal drüber?"

Unsicher musterte Boston das Teil. 

„Nur um sicher zu gehen ..."

„Oder wir schütten Säure drauf!" 

Enthusiastisch begannen Crystals Augen zu leuchten. „Hier am Flughafen gibt es sicher irgendwo Säure!"

Sie hielt inne, als ihr bewusst wurde, was sie gerade eben gesagt hatte. „

Oder wir fahren einfach nochmal mit dem Feuerwehrwagen drüber."


Dog, krrk, dig.

Mit jedem Schritt den wir taten, krachte es irgendwo. Entweder am Boden, an den Wänden oder an der Decke. 

Nirgendwo anzukommen, während wir uns den Weg durch den Staub bahnten, war nahezu unmöglich.

„Ich gehe nie wieder in eine Bank!", knurrte Boston.„Zumindest nicht durch den Lüftungsschacht."

Hustend krochen wir weiter.

„Wirst du nicht", widersprach der Supercomputer munter, so gut gelaunt wie eh und je. 

Zurecht! Schließlich musste er ja auch nicht durch dunkle Gänge kriechen!

„Die Wahrscheinlichkeit, dass du das Gesagte umsetzen wirst, liegt anhand der vorliegenden Daten bei 0,0374 Prozent."

„Welche vorliegende Daten?"

Allein der Fakt, dass er sich mit einer Maschine unterhielt, nervte Boston.

„Die Daten, die du die letzten neunzehn Jahre frisch und fröhlich im Internet hinterlassen hast."

Tief atmete Boston aus. 

Er war wirklich ganz ganz kurz davor, mit all seiner Kraft aus dem Metallwürfel eine Sardiniendose zu schlagen.

„Paris, kann man das Ding auf stumm stellen?", fragte er ruhig, nachdem er angestrengt ein- und ausgeatmet hatte.

„Nein", antworte der Supercomputer, bevor ich auch nur die Gelegenheit hatte, Luft zu holen. 

Ich bin ja keine Alexa!"

Daraufhin folgte ein langes Schweigen.

Stumm krochen wir weiter und hofften, endlich den Ausgang zu erreichen.

„Da vorne ist Licht!"

Boston jubelte schon fast, als er die ersten Sonnenstrahlen am Ende des Ganges aufblitzen sah und erhöhte sein Tempo.

Auch in mir stieg Erleichterung auf und ich folgt im hastig - voller Vorfreude, den staubigen Schacht endlich verlassen zu können.

Bevor wir die hoffnungsschenkenden Strahlen jedoch erreichen konnten, hörte ich das Metall unter mir auf einmal beunruhigend laut Knarzen.

Whiä.

Wie vom Donner berührt, erstarrte ich und auch Boston hielt erschrocken inne.

„Boston?"

Ängstlich starrte ich durch die Dunkelheit. 

Whiä.

Das Metall quietschte und ich konnte spüren, wie es sich unter mir verbog.

„Der Lüftungsschacht unter dir ist undicht", meldete sich der Supercomputer zu Wort.

Wam.

Es gab einen lauten Knall. Dann fiel ich.


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