V E I N T I D Ó S

„Ahhhh!" 

 Ein panischer Schrei drang aus meiner Kehle, während ich plötzlich von einer unglaublichen Kraft nach unten gezogen wurde.

Rums.

Ich sauste nach unten und landete plump  auf einem Schreibtisch, an dem es sich ein verschrobener alter Mann in Anzug gemütlich gemacht hatte.

„Was zur Hölle!" Erschrocken wich der Mann aus und stolperte nach hinten.

Papier stob durch die Luft und Akten fielen zu Boden.

„Sprache, mein Junge! Sprache! ", meckerte der Supercomputer sofort, der mit mir runtergeflogen war. „Fluchen ist 'was für Unanständige!"

Die Augen des Mannes rissen sich auf und er sah mich genauso schockiert an wie ich ihn. 

„Entschuldigen Sie bitte, Sie kriegen einen neuen!" 

Schuldbewusst deutete ich auf den plattgedrückten Computer auf dem Schreibtisch, auf den ich gefallen war. 

„Paris?" Bostons Kopf streckte sich über uns in den Raum und der Mann im Anzug sah aus, als würde er gleich noch einen zweiten Herzinfarkt bekommen. 

„Geht es dir gut?" Besorgt sah mich Boston an.

„Ja, aber ich komme da nicht mehr rauf." 

Mein Herz donnerte und Schweiß rann mir über die Stirn, als ich zu dem Loch an der hohen Decke sah.

„Ich komme außen rum."

Und bevor irgendjemand noch etwas sagen konnte, löste ich mich aus meiner Schockstarre, griff nach dem Supercomputer und hetzte Richtung Tür.

Rums.

Und weg war ich. Kopflos stolperte ich durch  die – mit Anzugsmenschen gefüllten - Gänge.

Eine typische Bank also. 

Glasfronten, graue Schreibtische und Kaffeemaschinen. 

Gaaaaaannz viele Kaffeemaschinen.

„Was jetzt?", flüsterte ich dem Supercomputer zu und beäugte die Menschen um mich herum misstrauisch.

Wer davon konnte von dem Auge sein? Wer war wirklich ein:e Bankangestellte:r?

„Jetzt ...", sagte der Computer langsam. „... muss ich rechnen."

Sein Licht erlosch.

„Was?"

Schockiert schüttelte ich den Supercomputer, doch nichts passierte.

„Hallo!", schimpfte ich und versuchte, den Würfel wieder zum Leuchten zu bringen.

„Mistkerl!", fluchte ich und bahnte mir einen Weg durch die Menge. „Du kannst mich doch nicht JETZT alleine lassen!"

Bling.

Das Licht des Würfels erstrahlte und das erste Mal freute ich mich, die nervige Computerstimme zu hören: „Man flucht nicht, sapperlot nochmal!"

Tadelnd zischte der Lautsprecher.

„Und du musst links abbiegen."

Gehorsam folgte ich den Anweisungen, während ich jedoch nachdenklich die Stirn runzelte.

„Wann hab ich dir eigentlich das Du angeboten?", fragte ich leise und schlüpfte in einen Fahrstuhl, der bereits mit vielen andere Menschen gefüllt war.

„Niemals", antworte der Supercomputer gelassen. „Ich-"

Der Supercomputer verstummte.

Oh, oh. 

Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Dem Besserwisser hatte es bisher noch nie die Sprache verschlagen.

Bing.

Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich und sofort wusste ich, was los war.

Denn vor mir am anderen Ende der Halle stand ein Mann. Ein gefährlich aussehender Mann.

Groß, muskulös und breit. 

Und mit einer fiesen Grimasse im Gesicht.

„Der wird mir in der Öffentlichkeit doch nichts tun?", fragte ich und schaute mich ängstlich um. 

Viele andere Menschen, sowohl Bankangestellte, als auch Privatpersonen, tummelten sich in der Halle. Die würden doch bemerken, wenn ich angegriffen werden würde!

Der Supercomputer sagte nichts und wenn mich das nicht beunruhigte, dann dass der gefährlich aussehende Mann zielstrebig den direkten Wege auf mich zutrat.

„Shit!"



„Also ich glaube, kaputter wird er nicht mehr."

Zufrieden drehte Levin die allerletzten Reste Metall in seiner Hand ein paar Mal um die Achse.

„Perfekt, dann können wir ja jetzt endlich starten!" 

Erleichtert griff Carlo nach Olivias Hand und zog sie Richtung Privatjet, der schon abfahrtbereit auf der Landebahn wartete. 

Hinter ihm ging die Sonne unter und tauchte den ganzen Flughafen in ein goldenes Licht.

„Carlo!" Boston hob die Augenbraue und rief seinem Freund hinterher.

„Ja?" Ohne sich umzudrehen, blieb Carlo stehen.

„Die Tür von dem Führerstand ist offen. Du kannst den Flieger zwar nicht fliegen, aber du kannst dich gerne mal ins Cockpit setzen, wenn du möchtest."

Ein breites Grinsen breitete sich auf Carlos Gesicht auf.

„Danke Bro!"

Strahlend rannte er los und sprintete die Treppe des Privatjets rauf.

Olivia folgte ihm lachend und glücklich sah ich den beiden hinterher.

Sie waren wirklich ein süßes Paar.

„Alles okay?" 

Liebevoll stellte sich Boston an meine Seite und schlang seine Arme um meine Taille.

Verliebt sah ich zu ihm hinauf. 

„Mit dir an meiner Seite? Es könnte mir nicht besser gehen." 

Ich küsste ihn und konnte spüren, wie er lächelte.



Der gefährlich aussehende Mann näherte sich mir in Sekundenschnelle und ich musste nicht lange nachdenken, um zu entscheiden, dass die beste Lösung die Flucht war.

Quieh.

Meine Sohlen quietschten, als ich mich umdrehte und rannte.

Dum, dum, dum.

Hinter mir hörte ich die schweren Füße des Mannes. Er war wohl auch losgerannt und verdammt - er war verdammt schnell.

„Hilfe! Hilfe! Hilfe!" Schreie tönten aus meiner Kehle und ich schlitterte um einen Geldautomaten herum.

Ein Security-Mann stand am anderen Ende der Halle. 

Ich sah ihn und steuerte auf ihn zu.

Dieser hatte mich auch schon bemerkt und richtete sich aufmerksam auf.

Zu spät allerdings, denn der fremde Mann holte mich ein und schubste mich zu Boden.

Kiiiiiiieee.

Der Supercomputer fiel mit und rutschte über den Boden.

Der Mann griff danach. Dabei rutschte ihm der Ärmel seines rechten Oberarms nach oben und  ein schwarzes Tattoo in Form eines Auges innerhalb eines Kreises wurde sichtbar.

„Das hat wehgetan!", motzte ich und griff ebenfalls nach dem silbernen Würfel.

Zu langsam. Tattoomensch hob den Supercomputer hoch, bevor ich danach greifen konnte und rannte davon.

„Hey!", brüllte ich und deutete auf den Mann. „Haltet ihn auf! Haltet ihn im Sinne der ganzen Menschheit AUF!!!"

Meine Schreie durchdrangen die ganze Bankierhalle und die Menschen blieben erschrocken stehen. 

Doch niemand rührte sich, außer dem Securitymann, der lief was das Zeug hielt. 

Doch Tattoomensch befand sich bereits schon kurz vor dem Ausgang.

Oh no!

Ich fluchte, rappelte mich auf und startete erneut den verzweifelten Versuch, den Mann noch irgendwie aufzuhalten. 

Der Fuß des Mannes stand schon in der Tür.

Ich rannte los, steckte meine ganze Energie in meine Füße und sprintete ihm hinterher.

Pui.

Es machte einen lauten Knall und blaue Blitze schossen über die Haut des Mannes.

Der Atem stockte mir und ich blieb abrupt stehen.

Die Blitze kamen aus dem Supercomputer und versetzen dem Mann so viele Stromschläge, dass er ohnmächtig zu Boden sackte.

Dum.

Laut klatschte der leblose Körper von Tattoomensch auf den kalten Steinboden.

Ach du Scheiße, dachte ich zuerst. Hätte der Supercomputer das nicht schon früher machen können? Ich hätte nicht rennen müssen!

Und dann dachte ich mir: Scheiße. Den Supercomputer darf es nicht mehr geben. Er besitzt zu viel Macht.

Und soviel Macht sollte niemanden gehören. Auch nicht mir.



Gut gelaunt verstaute ich mein Handgepäck im Flieger. Dabei fiel mein Blick auf Carlo und ich fragte überrascht: „Bist du gewachsen?"

„Ja, zwanzig Zentimeter." Mit leuchtenden Augen grinste mich Carlo an. 

„Hey." Spielerisch boxte ich ihm in die Schulter.

„Was?" Unschuldig sah mich Carlo an. „Auf blöde Fragen gibt's auch blöde Antworten."

Boston kam den Flur entlang - in seiner Hand eine Champagnerflasche.

Beeindruckt hob ich die Augenbraue. „Gibt es was zu feiern?"

„Und wie!" Voller Inbrunst ließ Boston die Korken knallen. 

„Wir sind endlich den Supercomputer los! Damit macht es für das Auge oder wen auch immer auch keinen Sinn mehr, uns zu verfolgen, anzugreifen oder festzunehmen."

Glücklich schenke Boston den Champagner in mehrere Gläser ein.

„Wir sind wieder freie Menschen und haben wieder ein reduziertes Risiko Opfer krimineller Gewalt zu werden."

Die goldene Flüssigkeit des Champagners sprudelte das Glas hinauf und lächelnd reichte mir Boston ein Glas.

Dann stießen wir an.

Ding.

„Auf ruhige Zeiten und eine ereignislose Hochzeit."

Crystal kam den Flur entlang geschlendert. Sie blieb stehen und beobachtete zögerlich unsere triumphierende Blicke.

„Boston ...", sagte sie schließlich gedehnt. „Ich bin mir nicht sicher ob es einfach so schon vorbei ist."

Augenblicklich erstarrte Boston.

„Nein", sagte er und setzte sich trotzig mit seinem Champagnerglas in einen der hellen Ledersitze. 

„Es ist vorbei und ich will nichts mehr von Milan, Pablo oder sonst irgendeinem grenzwertigen Mafiosi wissen."

„Aber-"

„,Nichts aber." 

Stur sah Boston zu Crystal. 

Diese stemmte genauso stur die Hände in die Hüfte. „Ein Baum verschwindet nicht, nur weil du einen Ast abgeschnitten hast!" 

„Nein."

„Der Supercomputer mag zerstört sein, doch das Auge gibt es immer noch und die Personen, die den Supercomputer programmiert haben auch!"

Boston lächelte. „Um Hamlet Akt 4, Szene 5 und Vers 28 zu zitieren: Nein."

Unbeirrt wandte er sich dem Fenster zu und starrte nach draußen auf die Landebahn.

Crystal nickte resigniert. „Gut. Aber sag nicht, ich hätte euch nicht gewarnt."

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