V E I N T E
„Nein!" Entrüstet sah Boston Carlo an. „Du kannst deinen Sohn nicht Knirps nennen!"
Carlo lächelte.
„Haben wir zurzeit nicht größere Probleme, als der Fakt, dass Olivia und ich unser Kind so nennen können, wie wir es wollen?"
Boston schwieg, man sah ihm aber deutlich an, dass er eigentlich noch viel zu sagen hatte.
„Also gut."
Seufzend nahm ich mein Handy und meine Handtasche und sah zu meinen Freunden.
„Lasst es uns hinter uns bringen, okay?"
Sie nickten und gemeinsam spazierten wir ins Polizei-Präsidium, wo Kommissar Ramirez bereits auf uns wartete.
(Er war wirklich Polizist, dass hatte ich recherchiert!)
„Ich versuche einfach nicht daran zu denken, dass wir uns eigentlich gerade in unseren Flitterwochen befinden", grummelte Boston, während er griesgrämig neben mir her stapfte.
Mitfühlend sah ich ihn an und hängt mich bei ihm ein.
„Sieh's positiv, wir haben immerhin keine Schule!"
Der Blick, den mir Boston daraufhin zuwarf, sagte mehr als tausend Worte.
„O.k.", gab ich ergeben zu und sah schnell weg. „Ich sag nichts mehr."
Drum.
Carlo riss die Tür des Büros vom Kommissar Ramirez auf und spazierte selbstbewusst hinein.
Und wie er mal so war, konnte er nirgendwo hingehen, ohne einen Witz zu reißen:
„Guten Tag", begrüßte Carlo also den Kommissar schwungvoll und mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
„Ist das hier die Lehrveranstaltung für unterschwellige Beleidigungen?"
Erwartungsvoll sah Carlo den Polizisten an.
Dieser starrte mit offener Kinnlade zurück.
„Nein? Dann muss ich mich wohl in der Tür verwählt haben."
„Carlo!"
Seufzend zog Olivia ihn zur Seite.
„Nimm dir zwei Stühle und sei leise."
Entschuldigend lächelte sie den Kommissar an.
Dann wendetet sich Olivia wieder Carlo zu und rief: „Und nimm mir auch noch einen Stuhl bitte mit!"
Grinsend wandte sie sich wieder uns zu.
„Können wir jetzt anfangen?"
Kopfschüttelnd sah ich sie an.
„Wir müssen noch auf meine Eltern warten. Sie sollten aber jeden Moment hier sein."
Unruhig sah ich auf die Uhr.
Wir waren schon ein bisschen zu spät gewesen, wo blieben sie also?
„Gut, dann kann ich mich ja noch schnell aufregen, dass niemand geklatscht hat, als wir die Polizeistation betreten haben!"
Betroffen sah Carlo in die Runde.
„Wir haben Kindermesser, das Parfum und acht Jahre Schule überlebt, jetzt wäre es wirklich mal Zeit für einen Applaus!"
Rums.
„Entschuldigen Sie bitte, wir sind da!"
Meine Eltern hasteten in das Polizistenbüro und nahmen schnell neben uns Platz.
„Wir gehen mit dir mal ins Theater, dann kriegst du deinen Applaus", flüsterte Olivia Carlo leise zu und nickte meinen Eltern freundlich zur Begrüßung zu.
„Gut."
Der Kommissar räusperte sich.
„Wenn jetzt alle soweit sind, dann kann ich Ihnen ja sagen, womit wir es zu tun haben."
Tief atmete der Kommissar durch und ließ dabei langsam eine Akte auf den Tisch fallen.
„Die kriminelle Organisation für die Milan arbeitet, heißt Das Auge. Sie ist die zweitmächtigste Organisation der Welt und hat ihren Hauptsitz in Südamerika."
Ernst sah uns der Kommissar an.
„Wir werden Ihnen Polizeischutz zur Verfügung stellen, doch wir sollten nicht vergessen, um wen es sich hier handelt. Wenn solche Organisationen etwas wollen, holen sie es sich meistens auch."
Rums.
Laut schob Boston seinen Stuhl zurück und stand auf.
„Boston?" Verwirrt sah ich die Liebe meines Lebens an.
Was tat er denn jetzt?
„Ich brauch mal einen Moment", presste Boston zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und verließ mit gesenkten Blick das Büro.
„Boston!" Überfordert stand ich auf.
„Ich bin gleich wieder da!", sagte ich zu den anderen und marschierte schnellen Schrittes meinem Freund hinterher.
Die grauen Flure entlang, an mehreren Großraumbüros vorbei und direkt in das große Eingangsfoyer, folgte ich ihm.
„Boston!"
Endlich holte ich den immer schneller werdenden Boston ein.
„Was ist denn los?"
Besorgt griff ich nach seiner Hand und sah behutsam zu ihm auf.
Tränen rannen über sein Gesicht.
„Ich mag nicht mehr", gab Boston ausgelaugt zu und drehte sich leicht von mir weg.
„Ich mag nicht mehr die Zielscheibe von irgendwelchen Organisationen sein und mir Sorgen machen müssen, dass dir gleich wieder etwas passiert!"
Schmerzerfüllt sah er mich an.
„Weißt du eigentlich, was ich durchgemacht habe, als du plötzlich mit Milan einfach verschwunden warst? Als ich nicht wusste, was passierte oder ob du das gleiche wieder durchmachen musstest wie in Schweden?!"
Mit jedem Wort wurde Bostons Stimme lauter, bis sie schließlich brach.
„Ich kann das einfach nicht mehr", sagte er leise und senkte wehmütig die Lider.
„Hallihallo!"
Fröhlich winkte Levins Hand plötzlich zwischen mir und Boston.
Tap.
Erschrocken machte ich einen Satz zurück und starrte meinen Bruder ungläubig an.
„Was machst du denn hier?"
Neben ihm stand Crystal, wie immer wunderschön gekleidet und mit einer Ausstrahlung, die jedes durchschnittliche Mädchen fertig machte.
„Zeugenaussagen und Polizeibehilflichkeit leisten", antworte Levin knapp und marschierte mit Crystal an der Hand an uns vorbei.
„Da vorne links, oder?", fragte er noch schnell, bevor er gemeinsam mit seiner fast-Freundin in den Fluren des Polizeipräsidiums verschwand.
„Was ...?"
Baff starrten Boston und ich den beiden hinterher.
Dann wurde mir wieder der Kummer meines Freundes bewusst und ich drehte mich schnell zu ihm um.
„Hey."
Zärtlich drückte ich Bostons Hände und suchte seinen Blick.
„Es ist ok."
Langsam nahm ich ihn in den Arm.
„Wir werden das durchstehen, das verspreche ich dir."
An seine warme Brust gelehnt, wisperte ich: „Wir werden durch dick und dünn gehen und wir werden diesen Supergangstern so ordentlich den Hintern versohlen!"
Abrupt löste sich Boston von mir.
„Nein Paris, bitte nicht!"
Fast schon flehend sah mich Boston an.
„Keine Gangster mehr, keine Überfälle und vor allem bitte keine Entführungen mehr!"
Sanft zog er mich an sich und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn.
„Alles was ich will, ist einfach nur Zeit mit dir zu verbringen. Ohne gefährliche Sprünge aus Hochhäusern; ohne unsympathische Fremde, die nach Parfum stinken und gerne mit ganz viel Schule und Hausübung, wenn wir dafür einfach ganz normal und sorgenfrei aufstehen können."
Breit lächelte ich und bohrte gleichzeitig gespielt beleidigt den Zeigefinger in seine Brust.
„Du tust so, als hätte ich mir das alles ausgesucht! Als würde es mir Spaß machen, dass zu machen, was wir die letzten Monate gemacht haben."
Boston lächelte.
„Du hast gerade ziemlich oft das Wort ‚machen' verwendet, wenn ich dich darauf aufmerksam machen darf."
Neckend zog mich Boston an meiner Taille näher zu sich hin, sodass wir Stirn an Stirn gelehnt da standen.
„Aber im Ernst", sagte er, nun wieder ein bisschen ruhiger.
„Wir werden diesen Supercomputer jetzt noch los und dann ist Schluss mit den Verfolgungsjagden! Sonst habe ich mehr graue Haare als ein Esel und das wäre in Anbetracht meiner Berufswünsche mit Anfang zwanzig nicht ganz so ideal."
Kichernd löste ich mich von seiner warmen Brust.
„Einverstanden. Aber wenn du mit Anfang zwanzig trotzdem graue Haare bekommst, ist das nicht meine Schuld!"
„Deal."
Lächelnd sahen wir uns an und spazierten Hand in Hand zurück in das Konferenzzimmer des Kommissars.
„Sind wieder da, sorry für die Unterbrechung!"
Entschuldigend setzten wir uns nebeneinander hin.
„Kein Problem!"
Mampfend deutete Carlo auf einen Burger, der vor ihm auf dem Tisch stand.
„Ich habe die Zeit genutzt und mir was zum Essen besorgt."
Ham.
Zufrieden biss Carlo einen großen Bissen davon ab, während der Kommissar Carlo böse Blicke zuwarf.
„Das hier ist kein Restaurant", knurrte er und erdolchte Carlo förmlich mit seinen Blicken.
„Ich weiß", antwortete Carlo und legte den Burger unbeeindruckt zurück auf den Teller.
„Deswegen habe ich mir das Essen ja auch selbst geholt."
Strahlend drehte sich Carlo zu uns um.
„Oh, ich habe eine Idee!"
Motiviert sprang er auf, nahm seinen Stuhl und schob ihn hinter den Stuhl des Kommissars.
„Ich setz mich vor!"
Genüsslich lümmelte sich Carlo in seinen Stuhl.
„Jetzt bin ich euer Vorgesetzter!"
-
Dag.
Der Tresorraum der Bank öffnete sich mit einem laut schallenden Klacken.
Mulmig zu Mute betraten wir ihn - Boston dicht neben mir und der Bankangestellte mit dem Schlüssel in der Hand einige Meter vor uns.
„Hier, bitte", sagte der Bankangestellte, trat einen Schritt zur Seite und öffnete den Blick auf einen kleinen, blau-leuchtenden Quader in der Mitte des Tresorraumes.
Der Supercomputer.
Hätten wir gewusst, was mit diesem noch so alles auf uns zukommen würde, hätten wir ihn wahrscheinlich nie angefasst.
„Danke", sagte Boston und langsam näherten wir uns dem nur allzu bekannten Quader.
„Sah der schon immer so groß aus?", wisperte Boston fragend in mein Ohr, während ich den Quader vorsichtig in die Hand nahm.
„Ich schließe mal aus, dass er gewachsen ist", lächelte ich und strich behutsam mit den Fingern über das kalte Metall.
„Na endlich!!!"
Erschrocken zuckte ich zusammen, als das Licht vom Quader zuckte und eine fremde Stimme erklang.
„Was?"
Boston, der Bankangestellte und ich wirbelten herum, auf der Suche nach der Person, der die Stimme gehörte.
„Nicht!", erklang die Stimme wieder. „Hier unten!"
Der Bankangestellte riss eine Waffe aus seinem Jackett und drehte sich suchend mit dieser um, während mein Blick nach unten zuckte.
Augenblicklich ließ ich den Supercomputer fallen, als ich realisierte, woher die Stimme gekommen war - von dem Supercomputer.
„Boston?"
Zitternd presste ich mich an die Brust meines Freundes.
„Warum redet der Supercomputer mit mir?"
Das Licht des Supercomputers flackerte.
„Weil ich mit dir reden möchte!"
Diese gruselige laute Stimme durchdrang wieder den Tresorraum.
„Ich habe dir geholfen, mich zu stehlen und nun bist du an der Reihe, mir zu helfen!"
Geschockt und mit einer Gänsehaut auf dem Rücken, tauschten Boston, der Bankangestellte und ich Blicke aus.
„Ich werde nicht nachfragen, was hier vor sich geht", murmelte der Bankangestellte und drehte sich um.
„Ich warte vor der Tür."
Hastig verließ der Bankangestellte den Raum, während Boston und ich überfordert alleine zurückblieben.
Der Supercomputer lag immer noch zu unseren Füßen.
„Du hast mir geholfen?"
Stotternd starrte ich das unscheinbare Ding am Boden an.
„Ja natürlich! Wie sonst glaubst du, wärst du an den ganzen Gangstern vorbeigekommen, die normalerweise jedes Staubkorn um mich herum bewachen?"
Mit jedem Wort, das der Supercomputer sprach, pulsierte das Licht, das er ausstrahlte.
„Ohne mich wärst du nichtmal in die Nähe des fünfzehnten Stockwerks gekommen!"
Klack.
Der Quader balancierte auf einmal auf seine Kante und drehte sich um neunzig Grad, sodass er sich nun eine Umdrehung näher zu uns befand.
„Oh Gott!"
Erschrocken wichen Boston und ich zurück.
„Er redet und er bewegt sich!"
Bostons Augen waren so weit aufgerissen, dass sie fast aus seinem Kopf zu rollen schienen.
„Zeit zu gehen!"
Entschlossen packte Boston meine Hand und zog mich Richtung Ausgang.
„Niiiiiiiiiiiccccchhhhhtttt!"
Der Schrei des Supercomputers klang verzweifelt und schmerzerfüllt.
So schmerzerfüllt, dass Boston und ich erschrocken stehen blieben.
„Ich brauche eure Hilfe", sagte der Supercomputer nun wieder in normaler Lautstärke und zivilisierteren Ton.
„Verdammt", fluchte Boston und drückte meine Hand.
„Das ist ein Computer, Paris! Ein Computer, der um unsere Hilfe bittet!"
Langsam drehten wir uns zu dem Supercomputer, der auf wundersame Weise einige Meter weiter vorne lag als noch kurz zuvor.
„Das ist gruselig, das gefällt mir nicht!"
„Wie können wir dir denn helfen?"
Genauso verunsichert wie Boston, starrte ich den Würfel aus Metall an.
Wieder flackerte dessen Licht.
„Bringt mir Schokolade, einen Eiswürfel und drei verschiedenen Pfefferminzsorten."
„Was ...?"
Gleichzeitig fielen Bostons und meine Kinnlade nach unten, während aus dem Lautsprecher des Supercomputers ein metallisches Lachen drang.
„War nur Spaß!", sagte dieser.
„Ich hab mich in den Wortschatz eures Lieblingsfreundes gehackt und nur gesagt, was dieser sagen würde."
Verwirrt runzelte ich die Stirn.
„Du meinst Carlo?"
„Ja, genau Carlo!"
Der Supercomputer stellte sich wieder auf seine Kante und kippte nach vorne.
„Und ich will euch nicht Angst machen, aber es dürfte euch interessieren, dass gerade vier Männer von das Auge die Bank betreten haben und unter ihren Jacken Pistolen, Stichmesser und Elektroschocker verstecken."
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