S I E T E

Lachend kamen wir bei Boston Zuhause an. 

„Was wohl Levin dazu sagt, wenn er erfährt, dass du ihn gerade enterbt hast?"

Wie ein echter Gentleman ging Boston um sein Auto herum und hielt mir lächelnd die Tür auf. 

Als er jedoch ein Paket mit meinem Namen vor seiner Haustür stehen sah, verging ihm das Lächeln sofort.

„Schon wieder ein Paket?"

Seufzend sah er mich an. 

„Hattest du dich nicht mit deinen Eltern geeinigt, dass dieses ganze Bestellen weniger werden muss?"

Augenverdrehend marschierte ich an ihm vorbei und nahm das Päckchen gleich mit in das Wohnzimmer.

„Deswegen habe ich es ja zu deiner Adresse schicken lassen und nicht zu meiner."

Liebevoll warf ich ihm einen Luftkuss zu.

„Meine Eltern flippen aus, wenn sie nur noch einmal etwas an mich Geliefertes riechen."

„Ah ..."

Plump ließ sich Boston neben mich auf die Couch fallen.

„Und ich flippe nicht aus?" 

Schelmisch kitzelte er mich durch.

„Waah, nein, ich ..." In seinem Griff zappelnd, schmiss ich ihm ein Kissen an den Kopf.

„Es ist etwas für die Küche", keuchte ich. 

Endlich hörte Boston auf mich zu kitzeln.

„Für die Küche?", fragte er mit hochgezogener Augenbraue.

„Genau", bestätigte ich. 

„Etwas praktisches für die Küche, das mir beim Kochen hilft."

„Jetzt bin ich aber neugierig ..."

„Boston, nein!!!" 

Ich versuchte ihn davon abzuhalten, doch es war schon zu spät. 

Mit einer einzigen Handbewegung hatte mein Freund den Karton aufgerissen.

„Ernsthaft?"

Fassungslos sah er mich an und schleuderte mir den Inhalt des Kartons entgegen. 

„High Heels?!"

Beschützerisch umklammerte ich die neuen Schuhe.

„Damit ich an das Gewürzregal ganz oben rankomme ...", erklärte ich kleinlaut.

Kopfschüttelnd schmiss Boston den leeren Karton hinter die Couch.

„Paris, du kochst nicht! Du musst nicht an das Gewürzregal ganz oben rankommen!"

Dingeldiding. Dingeldiding. Dingeldiding.

Stürmisch klingelte jemand an der Haustür.

„Jaa!", brüllte Boston quer durchs ganze Haus. 

„Ich komme ja schon!"

Gemütlich schlurfte er zur Haustür. „Olivia?"

Überrascht sahen wir unsere Freundin an, die keuchend vor der Tür stand. 

Sie sah aus, als wäre sie gerannt.

„Carlo ist betrunken ...", japste sie.

Dag. 

Ich, die beste Freundin überhaupt und total überfordert, starrte sie nur mit offenem Mund an.

Boston, der beste Freund weit und breit, und überhaupt nicht in guter Stimmung – er war wahrscheinlich immer noch sauer wegen der Schuhe – sah sie nur ruhig an.

„Olivia ..."

Erschöpft faltete er seine Hände. 

„Es gibt Telefone, es gibt WhatsApp, Skype, Snapchat, Instagram oder von mir aus auch Briefe! Musstest du wirklich am späten Nachmittag  an der Haustür klingeln, um uns zu verkünden, dass Carlo betrunken ist?!"

Erschrocken schob ich meinen Freund von der Tür weg.

O.k., er ist immer noch sauer wegen den Schuhen.

„Boston!" Mit weit aufgerissenen Augen sah ich ihn vorwurfsvoll an.

„Carlo ist dauernd betrunken!" 

Mit einer wegwerfenden Handbewegung wollte er sich wieder auf den Weg ins Wohnzimmer machen, doch Olivia hielt ihn blitzschnell zurück.

„Er ist nicht nur betrunken. Er ist wirklich betrunken." 

Eindringlich sah sie Boston in die Augen.

 „Er hat die Dusche angeschrien, sie solle aufhören zu weinen."

Stille.

„Oh", war alles, was aus dem Mund meines sonst so intelligenten Freundes kam. 

„Das kam unerwartet."

Argh ..." Genervt das meine kompetenten Freunde nicht mehr zu sagen hatten, schnappte ich mir die Autoschlüssel.

„Habt ihr nicht mehr zu sagen?"

„Oh, oh." Boston stellte sich mir in den Weg. „Ihr beide geht nirgendwo hin. Ich kläre das mit Carlo."

Mit einer schnellen Handbewegung nahm er mir die Autoschlüssel aus der Hand.

Protestierend sah ich ihn an.

„Von Mann zu Mann", fügte Boston hinzu und hob vielsagend die Augenbraue.

„Aber ..."

„Wieso probierst du nicht deine neuen Schuhe aus?" 

Süffisant zwinkerte er mir zu.

„Oh das werde ich", keifte ich, während er das Haus verließ. 

„Der einzige Grund, warum ich High-Heels und keine Sandalen bestellt habe, ist, damit ich sie nach dir werfen kann!"

Gespielt erschrocken drehte sich Boston zu mir um.

„Sandalen kann man nicht nach mir werfen?"

„Ich, ähm ..." Überfordert ballte ich meine Hände zu Fäusten.

„Ich liebe dich!" 

Boston stieg in seinen Sportwagen, während ich mit Schwung die Tür zuknallte.

Dusch.

Wütend sah ich Olivia an.

„Mit dem stimmt doch was nicht!"


-


„Mit dir stimmt doch was nicht!"

Vorwurfsvoll sah mich Olivia an, während sie meine neuen High-Heels entsetzt in die Höhe hielt.

„Schon wieder Schuhe?"

„Ach ..." Deprimiert fuhr ich mir mit meinen Fingern durch die Haare.

„Du bist ja noch schlimmer als Boston!"

Schmollend sah ich sie an. „Und ich dachte, du verstehst mich ..."

Langsam senkte meine Freundin ihren Arm. „Paris ..."

Liebevoll sah sie mich an, doch zuvor schmiss sie die Schuhe quer durch den Raum.

„Vorsicht!" 

Erschrocken eilte ich zu meinen Schuhen und wiegte sie fürsorglich in meinen Armen.

„Wieso wirft die heute jeder durch die Gegend?!", fragte ich klagend.

„Du wolltest sie nach Boston werfen!"

Darauf konnte ich nichts erwidern, denn da war tatsächlich etwas wahres dran.

„Außerdem ...", erinnerte mich Olivia. 

„Ist es immer das Gleiche mit dir! Du fragst, ob du die Schuhe kaufen sollst. Deine Eltern sagen nein. Boston sagt nein. Dein Gewissen und dein Konto sagen nein. Und dann kaufst du sie trotzdem!"

Lachend warf sie ihre Arme in die Höhe. 

„Ich liebe dich Paris. Wirklich. Aber deine Shopping-Sucht muss aufhören. Das macht dich nicht glücklich!"

„Ding Dong!" Auf einmal stand Boston hinter uns. „Wir sind wieder da!"

Mit wir, meinte er auch Carlo, der – etwas angetrunken – an seiner Schulter lehnte.

„Carlo ..." Angespannt richtete Olivia ihre Aufmerksamkeit dem Angesprochenen. 

„Bist du jetzt bereit zu ... ähm ... reden?"

„Also erstmal ....", nuschelte Carlo mit erhobenen Zeigefinger, während er durch die Küche stolperte.

„Finde ich es ziemlich scheiße, dasch du mir nischts gesagt hast."

Er war kurz davor, kopfüber auf die Herdplatte zu fallen. 

Schnell packte ihn Boston am Arm und zog ihn ein Stückchen zurück.

„Aber ... ich habe einen Plan!", verkündete er stolz, als er sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte.

„Wir verklagen diesen Apotheker, dass er dir die falsche Pille-Danach gegeben hat und finanzieren uns so ein 24h-Kindermädchen für die nächsten achtzehn Jahre!"

Stolz klopfte er sich selbst auf die Schulter und wäre dabei ohne Bostons Hilfe wieder voll auf die Schnauze geflogen.

„Carlo!" 

Entsetzt starrte Olivia ihren Freund an. 

Gerade wollte sie einen Schwall an Vorwürfen und Beschimpfungen auf ihn niederlassen, als sie es sich im letzten Moment doch anders überlegte.

„Du bist betrunken", sagte sie versucht ruhig. 

„Wir reden morgen, wenn du wieder nüchtern bist."

„Das ist eine sehr gute Idee", unterstütze ich meine Freundin und stellte mich neben sie.

Warum zur Hölle hat Boston Carlo hierher gebracht? Wollte er nicht von Mann zu Mann mit ihm reden?!

„Dasch ischt eine dumme Idee!", protestierte Carlo und ahmte dabei meinen Tonfall nach.

„Eine sehr schehr schehr dumme Idee!!!"

Genervt ging Olivia auf ihn zu und wuschelte ihm durch die hellen Haare. 

„Du bist so süß, wenn du betrunken bist, weißt du das?, knurrte sie wütend und unheimlich ironisch.

Sie wollte an ihm vorbei stolzieren, doch Carlo griff nach ihrem Arm. 

„Du bisch auch ... süß, wenn isch betrunken bin."

Angewidert von dem Gestank aus seinem Mund, riss sich Olivia los.

„Bah! Was zur Hölle hast du bitte getrunken? Schweine-Tequila?! Stinktier-Schnaps?!"

„Das ist rein biologisch nicht möglisch, aus Tieren Alkohol zu maschen und dasch weist du auch!"

„Dafür, dass du dir aber ordentlich den Vogel weggeschossen hast, bist du immer noch gewaltig schlau drauf!"

„Ich bin immer schlau drauf!"

„Bist du nicht!"

„Doch!"

„Nein!"

„Doch!"

„Nein!"

Sehr unangenehm Stille.

„Weißt du was! Mit dir rede ich nicht mehr!! Du bist echt das Letzte!"

„Nein!"

„Doch!"

„Nei- Ok, stimmt."

Verwirrte Stille.

„Was?!"

„Das Beste kommt ja schließlich immer zum Schluss!" 

Dümmlich grinste Carlo uns an.

Dusch.

Mein neuer High-Heel flog knapp an Carlo vorbei.

„Mein Schuh ...!" 

Erschrocken starrte ich Olivia an.

„Ok, Bro." Bestimmt zog Boston Carlo mit sich. „Zeit, ins Bett zu gehen!"


-


„Okey." Tief atmete ich ein und aus. „Ich schaff das!"

Langsam öffnete ich meine Augen. Boston stand neben mir und zusammen stellten wir uns einem Paradies aus Klamotten, Schuhen und Schmuck.

Wo Carlo und Olivia waren?

Inzwischen war ein neuer Tag angebrochen. 

Carlo war ausgenüchtert und die beiden redeten bei Kaffee und Frühstück über ihr aktuelles Beziehungsproblem, während sich Boston und ich unserem widmeten – Meinem Konsumproblem.

„Ich werde nichts kaufen ... nichts kaufen ... nichts ... oh!"

Entzückt starrte ich auf die hübsche Armbanduhr in der Vitrine. 

„Die ist aber ..."

PARIS." Ermahnend schob mich Boston weiter.

„Ja, ja."

Nach einem letzten Blick auf die Armbanduhr, schlenderte ich weiter.

„Die war eh nicht so schön ... Schau dir die an!"

Begeistert stürzte ich mich auf eine ähnliche Armbanduhr in dem gegenüberliegenden Regal. 

Diese war auf dem Zifferblatt schöner verziert und funkelte wie ein Diamant in dem fahlen Schaufensterlicht.

„Phhh." Schnaubend suchte Boston nach einer Ablenkung.

„Was ist mit dem Schuh?" 

Begeistert griff er nach einem mittelalterlich aussehenden Patschen aus Stroh und hielt ihn mir unter die Nase.

„Mmh." 

Nicht sonderlich begeistert, schüttelte ich den Kopf und widmete mich wieder der Armbanduhr.

„Paris, du hast schon eine Uhr!"

Behutsam zog er mich an den Schultern weiter.

„Warte stopp! Das stimmt ja gar nicht. Du hast drei Uhren!"

Genervt schüttelte ich seine Hände von meinem Köper ab und drehte mich zu ihm um.

„Sag mal, warum tun wir das hier nochmal?"

„Hey." 

Liebevoll zog er mich an seine warme kuschelige Brust. 

„Ich weiß, dass macht keinen Spaß, aber es wird schon besser! Sonst würden wir jetzt schon mit zehn vollen Einkaufstüten an der Kasse stehen."

Murrend vergrub ich mein Gesicht tiefer in seiner Brust. „Das macht wirklich keinen Spaß!"

„Mmh ... Das habe ich doch gerade gesagt."

„Du bist gerade so hilfreich, wie ein Löffel bei einer Messerstecherei, weißt du das eigentlich?"

 Neckend trat ich einen Schritt zurück. „Und ich glaube, dass wir jetzt gehen."

„Du würdest staunen, was man mit einem Löffel so alles anstellen kann."

„Zeit zu gehen." 

Entschlossen packte ich ihn am Arm und zog ich Richtung Ausgang. 

Keinen Moment länger konnte ich diese wunderschönen Sachen um mich herum ansehen, ohne sie berühren oder kaufen zu dürfen.

Bei der Kasse angekommen, flüsterte Boston: „Jetzt bloß nicht kriminell aussehen ..."

Die Kassiererin hob alarmiert den Kopf und ich verpasste dem Scherzkeks neben mir wütend eine Kopfnuss, nachdem ich erstmal heftig zusammengezuckt war.


-


Brrt, brrt, brrt.

Genervt schob ich mein Handy noch tiefer in meine Schultasche. 

Eine fremde Nummer rief nun schon zum fünften Mal in Folge an und ich hatte wirklich keine Ahnung, was sie wollte. 

Drangehen ging ja schlecht, wenn direkt vor meiner Nase gerade ein Referat über Paradiesvögel im Amazonas gehalten wurde.

„Ein roter Paradiesvogel kann zum Beispiel eine Körperlänge von bis zu 33 Zentimeter erreichen und ..."

Gähn.

Wenn man ehrlich war, war ein vibrierendes Handy doch um einiges spannender, als ein Referat über rote Vögel.

Konnte ich es bringen, jetzt aufs Klo zu gehen?

„Jetzt stell endlich dieses Handy aus!", flüsterte Boston neben mir und sah mich gleichzeitig besorgt an.

„Wer ist das überhaupt?"

„Ich habe keine ..."

„Danke für eure Aufmerksamkeit ..."

Was, schon fertig?

„... Habt ihr noch Fragen?"

Mehr oder weniger begeistertes Klatschen ertönte. 

Wenn man ehrlich war, klatschten nur drei Leute und das waren die, die einen Wettbewerb draus machten, wer am lautesten Klatschen konnte.

„Genug, genug." 

Der Lehrer versuchte die drei Leute zum Schweigen zu bringen und sagte übertrieben überschwänglich: „FEEDBACK!!!"

Erfreut rieb er sich die Hände. „Wer will anfangen?"

Er klang, als würde er uns Tickets zu einem tollen Freizeitpark verkaufen.

„Aber bitte zuerst etwas positives!"

Rums.

Die Tür schwang auf und ein Mann stand mit verschränkten Armen im Türrahmen.

„Also ich habe ja nicht ganz alles mitbekommen, aber ich finde es mutig, dass ihr euch mit so einer Scheiße raus getraut habt."

Erschrockenen Stille.

Niemand konnte seinen eigenen Ohren glauben.

Doch vor allem ich konnte meinen eignen Augen nicht trauen! 

Denn in der Tür stand niemand geringeres als das Pafum, Leiter der Sondermission aka Milan.

„Und Sie sind?", fragte der Lehrer, mit einer Mischung aus Verblüffung und Bewunderung.

„Der Vater von Paris", schwindelte Milan und sah mir eindringlich in die Augen.

Augenblicklich spannte sich Boston neben mir an. 

Ihm passte es gar nicht, was gerade vor sich ging. 

Am liebsten wäre er wahrscheinlich aufgestanden und hätte Milan laut die Tür vor der Nase zugeschlagen.

„Ich müsste sie mir für einen Moment ausleihen. Ein Notfall." 

Immer noch sah Milan nur mich an.

Vielsagend sah ich zurück. 

Das Wort Notfall klang alles andere, als nach einem Notfall. 

Als Milan mir im Gang eine weiße Schürze in die Hand drückte, wusste ich auch warum.

„Was soll ich damit?", fragte ich und starrte den Stoff mit offenem Mund an.

„Arbeiten. Du sollst damit arbeiten."

Verständnislos sah ich Milan an.

„Hä???"

„Du hast deinen ersten Arbeitstag verschlafen, meine Liebe!"

Überaus genervt schüttelte er an meinen Schultern.

„Dafür hast du mich aus der Schule geholt? Fürs Arbeiten?!"

Milans Mundwinkel zuckten. 

„Das mit den Paradiesvögel googelst du, genau wie deine werte Kollegen vorne an der Tafel. Dafür musst du deine Zeit nicht in der Schule verschwenden." 

„Ah ..." Als würde das sein Verhalten entschuldigen, sah ich ihn an. „Und warum genau, muss ich in dem Café arbeiten und nicht einer deiner Kollegen, die dafür ausgebildet worden sind?"

Skeptisch mustere ich ihn und dann die Schürze auf meinen Händen.

„Wenn ein Polizist dort arbeitet, kriegt Kindermesser es mit. Wenn du dort arbeitest, verwirrt es sie."

Eilig marschierte er mit mir im Schlepptau aus der Schule raus.

„Man nennt es Ablenkungsmanöver", fügte er hinzu. 

„Ah ...", sagte ich wieder, als würde das alles erklären. 

„Also unter einem Ablenkungsmanöver stelle ich mir was anderes vor."

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