Q U I N C E

Der Mann sollte nicht der Letzte gewesen sein, den ich auf dem Weg in den fünfzehnten Stock treffen sollte.

Nach einem knutschenden Gangsterpaar und einer von oben bis unten gelb-gekleideten Lady, rauschte ein Achtzigjähriger mit Holzstock an mir vorbei.

Unwirsch stieß er mich mit seinem Gehstock zur Seite.

„Platz da", schnauzte der Mann. „Der Sensenmann ist hinter mir her."

Mit einer Geschwindigkeit, die ich dem Alten nie im Leben zugetraut hätte, eilte er die Treppen hinunter.

Jap. Ich hatte nie gesagt, dass es hier bei den Gangstern nicht auch witzige Leute gab.

Knirr.

Mit einem leisen Quietschen ging die schwere Holztür zum fünfzehnten Stock auf.

Huh.

Mir stockte der Atem.

Große Stahltüren versperrten die Flure und blaue Laserstrahlen zogen sich von Wand zu Wand durch die Räumlichkeiten.

„Uff ..."

Ein bisschen ratlos blieb ich vor den Aufzugstüren stehen.

Damit hatte ich nicht gerechnet und Milan auch kein Wort drüber verloren.

„Kann ich dir helfen?"

Erschrocken zuckte ich zusammen.

Ein dunkelhaariges Mädchen stand hinter mir.

Sie sah nicht älter als 12 aus und hatte ein rundes, mit Sommersprossen überzogenes, Gesicht.

Doch egal wie nett sie auch aussah, ich beging nicht den Fehler sie zu unterschätzen.

Egal ob zehn oder zwanzig Jahre alt: Jede Person, die sich hier befand, – außgenommen mir –, war ein treues Mitglied von Kindermesser.

„Uhm ... ja."

Strahlend lächelnd drehte ich mich zu der Zwölfjährigen um.

„Ich suche den Automaten. Ein Techniker hat gesagt, dass es den hier gäbe."

„Den Automaten?"

Mit großen Augen sah mich das Mädchen an.

„Den Automaten oder den Automaten?"

„Uhm ..."

Was für einen Automaten denn?

Den Automaten?", stotterte ich schließlich vollkommen überfordert.

Hatte ich wirklich gerade, ohne es zu wollen, ein Code-Wort verwendet?

Argh ... soviel Pech wie ich hatte auch niemand!

Und ich dachte, ich wäre mit Milan schon gestraft genug.

„Fix."

Motiviert richtete sich das Mädchen vor mir auf.

Dann schleppte sie mich durch einen Flur, der leider genau in die entgegengesetzte Richtung führte, wo ich eigentlich hinwollte.

„Tada!"

Nachdem wir einfach so durch die blauen Laserstrahlen durchspaziert waren, präsentierte die Kleine mir einen Automaten, der sich versteckt hinter einem Vorhang befand.

Der Techniker vom letzten Jahr hat also gar nicht so unrecht gehabt.

„Der Techniker gehört eingesperrt!"

Fassungslos schüttelte die Kleine den Kopf.

„Dieser Automat ist einer der wohlbehütetsten Geheimnisse dieser Organisation. Wenn jeder von ihm wüsste, hätte er gar keinen Inhalt mehr!"

Zutiefst betroffen legte sie ihre Hand aufs Herz.

Dann sah sie mich erwartungsvoll an.

Als ich nichts tat, hob sie fragend die Augenbraue. „Was?"

„Magst du nichts kaufen?"

Erschrocken hüpfte mein Herz in die Höhe.

„Nein, ich bin nur zum Anschauen gekommen", sagte ich schnell ironisch und fummelte hastig einen Schein aus meiner Hosentasche.

Dann warf ich ihn rein.

Dabei wunderte ich mich, dass es keine Auslage gab, sondern nur eine Tastatur mit Nummern.

Verdächtig ...

Man musste zum Kauf also wissen, was sich überhaupt im Automaten befand und welche Nummer die Richtige war.

„Was nimmst du?" Aufgeregt hüpfte das Mädchen neben mir auf und ab.

„Lass dich überraschen", murmelte ich genervt und drückte einfach mal die Nummer 23.

Trr. Trr.

Im Inneren des Automaten ratterte es.

Plop.

Eine kleine Dose flog durch die Luft, direkt auf mich zu.

„Mega! Ein balla-balla-steckn!"

Ich fing das Ding – es waren Joints – und das kleine Mädchen klatschte begeistert in die Hände.

Verärgert knirschte ich mit den Zähnen

Deswegen war ich eigentlich nicht hergekommen.

„Was für eine Nummer war das nochmal?"

Interessiert musterte die Kleine das Produkt in meiner Hand.

„Irgendwas zwischen 24 und 40", log ich und machte eilig am Absatz kehrt.

„Probier's einfach aus!"

Leicht zwinkerte ich ihr zu und rauschte ab, in der Hoffnung, dass das Mädchen die nächsten zehn Minuten mit dem Automaten beschäftigt sein würde.

Jetzt aber dalli dalli!

Bei der Lifttür angekommen, nahm ich dieses mal den richtigen Flur.

Die Stahltüren waren erstaunlicherweise nicht abgesperrt und das blaue Licht tat auch nichts, außer mir ein paar Kopfschmerzen zu bereiten.

Bing.

Wird schon schiefgehen.

„Paris?"

Wie vom Donner gerührt,  blieb ich stehen.

Dann drehte ich mich langsam um.

Hinter mir stand Crystal.

Ohne einen zweiten Gedanken zu verschwenden, drehte ich mich erneut um und rannte los.

„Paris!"

Crystal hatte offenbar nicht die Intention, meinen kleinen Überraschungsbesuch einfach so zu ignorieren.

Sofort rannte sie mir hinterher.

„Paris, bleib stehen!!!"

Wütend kam Crystal näher.

Fluchend legte ich einen Zahn zu und rannte noch schneller.

Ich sprintete um eine Ecke und knallte eine der Stahltüren hinter mir zu.

Scheiße, scheiße, scheiße!

Fluchend stemmte ich mich gegen die schwere Tür und versuchte Crystal daran zu hindern, diese ebenfalls zu öffnen.

Doch anscheinend gab es einen automatischen Knopf, denn plötzlich ging die Stahltür mit einer Kraft auf, die nur Elektronik besitzen konnte.

„Shit!"

Mein Herz fing an zu rasen, Schweiß perlte über meine Stirn und Angst kroch durch meine Adern.

Wie kam ich hier nur wieder raus?

„Paris!"

Crystal stürmte durch die Stahltür und packte mich am Arm.

Panisch versuchte ich sie abzuschütteln.

Ich strampelte und zappelte, doch ihr Griff war einfach zu stark.

Erbarmungslos drückte Crystal mich gegen die Wand und presste ihre bleiche Hand auf meinen Mund.

Verzweifelt streckte ich meine rechte Hand aus. 

Suchend tappte ich auf einer Ablagefläche neben mir rum, auf der Suche nach etwas, was mich noch retten konnte.

„Was zur Hölle tust du-?"

Dusch.

Ich hatte eine Glasflasche auf der Ablagefläche gefunden und zog sie in letzter Verzweiflung entschlossen über Crystals Kopf.

Dusch.

Scherben flogen durch die Luft.

Dusch.

„Ahh."

Stöhnend ließ Crystal von mir ab und stolperte nach hinten.

„Das war dafür, dass du Levins Herz gebrochen hast."

Keuchend senkte ich meinen Arm.

„Das war eine Pfandflasche!"

Wütend funkelte Crystal mich an. 

Sie lag zwar schmerzerfüllt stöhnend am Boden, doch ihre Augen waren offen – und ihre Klappe leider auch.

„Es gibt hier ein Pfandsystem?"

Ironisch sah ich das schöne Mädchen an.

„Ja ...", stöhnte sie. „Für Wasser- und Bierflaschen."

Beeindruckt von mir selbst – das ich eine hochausgebildete Kämpferin ausgeknockt hatte – musterte ich das Mädchen.

„In Deutschland kann man alle  Flaschen zurückbringen", erwiderte ich spöttisch und rümpfte die Nase.

Mein Respekt zu diesem Mädchen lag im Erdkern-Bereich.

„Echt?" Stöhnend rollte sich Crystal auf den Bauch.

Ein kleiner Stich von schlechten Gewissen meldete sich in mir.

Ich hatte noch nie jemanden verletzt.

„Kann ich dich dann da auch zurückbringen?" Süffisant lächelte Crystal mich an.

Kapuff.

Das schlechte Gewissen löste sich so rasch auf, wie es gekommen war.

Crystal hatte mich gerade offiziell als Flasche  bezeichnet.

Na vielen Dank auch.

„Bitte ..." Röchelnd streckte Crystal eine Hand nach mir aus. 

„Ich brauche deine Hilfe!"

Eine Welle an Verzweiflung schoss über Crystals Gesicht.

Meine  Hilfe?"

Belustigt sah ich die Ex meines Bruders an.

„Wolltest du mich nicht gerade als Flasche in das deutschen Pfandsystem zurückführen?"

„Doch ..." Ein schwaches Lächelnd huschte über Crystals Lippen.

„Aber dann ist mir eingefallen, dass ich für dich sowieso nichts kriege."

Ka-Bum.

Jetzt hatte sie mich nicht nur als Flasche, sondern auch noch als billige  Flasche bezeichnet!

Pfff.

„Und tschüss!" Eingeschnappt drehte ich mich weg.

Es war sowieso Zeit zu gehen! 

Wer wusste, wie lange ich noch hatte, bis noch mehr Leuten auffiel, dass ich hier war?

„Warte!"

Ich wusste nicht, was es war, doch irgendwas in Crystals Stimme brachte mich dazu, stehenzubleiben.

„Bitte – ich ... ich will auch aussteigen!"

Flehend sah mich das Mädchen am Boden an. In ihren Augen bildeten sich Tränen.

Sofort wurde meine Kehle staubtrocken und ich musste schlucken.

„Es gibt keine Möglichkeit auszusteigen, das weißt du."

„Einmal drinnen, immer drinnen", flüsterte Crystal und starrte ins Leere.

Noch mehr Tränen bildeten sich in ihrem wunderschönen Gesicht.

„Doch du hast es doch auch geschafft!"

Flehend sah sie zu mir auf.

Ein eiskalter Schauer durchfuhr mich. Ihr Schluchzen zerbrach mir das Herz.

„Bitte?"

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