D I E C I N U E V E
„Viel Spaß im Gefängnis!"
Fröhlich winkte Carlo den sich windenden Milan zum Abschied hinterher, als die Polizei ihn endlich abführte!
„Na Gott sei Dank", hauchte meine Mutter, erleichtert Milan endlich in Gewahrsam genommen zu sehen.
„Er muss mir dann unbedingt einen Brief schreiben, ob man im Gefängnis seinen immensen Verbrauch an Parfum pro Stunde decken kann!"
Grinsend sah uns Carlo an, was uns ebenfalls alle zum Grinsen brachte.
Alle außer Crystal.
Sie schien dem Frieden noch nicht ganz zu trauen und beobachtete Milan unruhig von einen der Fenster aus.
Hochkonzentriert verfolgte sie jede kleinste Bewegung von ihm und beobachte, wie er nun doch äußerst widerstandslos in eines der Polizeiautos stieg.
„Wer ist Milan, wenn er kein Polizist ist?", fragte ich - als einzige offensichtlich ahnungslos, da ich die letzten Stunden oder Tage verschlafen hatte.
„Ein Teil einer kriminellen Bande", erklärte Boston, während er liebevoll seine Arme von hinten um mich schlang.
„Welche wissen wir noch nicht genau. Dass muss erst noch ermittelt werden."
„Er hat euch nur benutzt, um an den Supercomputer – Kindermessers größte Waffe – ranzukommen", fügte Carlo hinzu.
Wieder – als wäre es sein neuer Tick – begann er an den Blumen auf dem Nachttisch rumzuzupfen.
Dieses Mal ignorierten es Olivia und ich jedoch gekonnt.
Was sollte es? Sollte er halt die armen Blumen verschandeln.
„Apropos, wo liegt der Supercomputer überhaupt?"
Suchend sah ich mich nach dem würfelförmigen Teil um.
Ich fand es nicht. Der Supercomputer lag weder auf dem Krankenbett, noch auf dem Nachtisch daneben oder sonst irgendwo.
„Er liegt im Tresor in unserer Bank."
Müde lächelnd drehte sich mein Vater zu mir.
„Dort ist er sicher, bis wir wissen, wie wir mit so einem mächtigen Ding umgehen sollen."
Die Stimme und der Blick meines Vaters sagte mir, dass er damit eigentlich mich meinte.
Bis ich wusste, wie ich mit so einem mächtigen Ding umgehen sollte.
Und dafür liebte ich meine Eltern noch mehr, als ich es sowieso schon tat.
Sie zwangen mir nichts auf, sondern gaben mir die Freiheit, meine eigenen Entscheidungen zu treffen.
Tap, tap, tap.
Crystal tigerte immer noch unruhig vor den Fenstern hin und her.
„Sie haben nichts protokolliert", murmelte sie und beobachtete beunruhigt die Szene am Krankenhauseingang.
„Sie waren weg, sobald sie ihn in Handschellen gelegt hatten."
„Ähm Crystal?"
Carlo musterte das schöne Mädchen mit gerunzelter Stirn.
„Geht es dir gut?"
Crystal sah zu Carlo auf.
Dann zuckte sie zusammen.
„Oh shit!", fluchte sie und zog hektisch die Waffe von Milan aus der Nachttischschublade.
„Crystal?!"
Alarmiert richtete sich Boston auf.
„Was tust du da?", fragte er entsetzt und sah fassungslos dabei zu, wie Crystal eines der Fenster aufriss und schoss.
Bum. Bum. Bum.
Mit jedem Schuss zuckte ich zusammen.
Die Schüsse zerschnitten die Luft und zerfetzten mein Trommelfell im wahrsten Sinne des Wortes.
Doch Crystal hörte nicht auf zu schießen.
Bum. Bum. Bum.
„Crystal!", schrie ich panisch und realisiert geschockt, dass sie auf die wegfahrenden Polizeiautos schoss.
Bum. Bum. Bum.
Verzweifelt versuchte ich sie vom Fenster wegzuschieben.
Bum. Bum. Bum.
Weitere Schüsse hallten durch die Luft, alle zielten auf die Reifen der wegfahrenden Polizeiautos.
„Was zur Hölle?!", rief nun auch Levin und half mir hektisch Crystal die Waffe aus der Hand zu reißen.
„Lasst mich!"
Crystal wehrte sich.
Sie versuchte unseren Griffen zu entgehen und weiter auf die immer weiter entfernten Polizeiautos zu schießen.
Zag.
Endlich hatten wir es geschafft, ihr die Waffe aus der Hand zu reißen.
„Bist du jetzt völlig durchgedreht?", brüllte Boston wütend und stellte sich bedrohlich vor ihr auf.
„Du kannst doch nicht einfach auf die Polizei schießen!"
Völlig außer sich, schüttelte Boston entsetzt den Kopf.
Sein Gesicht war purpurrot angelaufen vor Wut.
„Genau", stimmte Crystal ihm – völlig gefasst und in einer Seelenruhe – zu.
„Deswegen habe ich auch nicht auf die Polizei geschossen, sondern auf die Kerle, die ausgeben, die Polizei zu sein."
Genauso außer sich, funkelte Crystal zurück.
Ein kurzer Zug der Verletztheit, dass wir ihr zutrauten auf echte und unschuldige Polizisten zu schießen, huschte über ihr Gesicht.
„Nein", hauchte Boston entsetzt und erstarrte, als er realisierte, was Crystal meinte.
„Das kann nicht wahr sein. Nicht schon wieder ..."
Langsam trat er einen Schritt zurück. Sein Mund klappte nach unten.
„Habt ihr die Polizeiautos nicht gesehen?", fragte Crystal müde und sah jeden einzelnen von uns der Reihe nach in die Augen.
„Das waren Hondas, die spanische Polizei fährt aber Citroëns."
Wie aufs Stichwort näherten sich neue Sirenen dem Krankenhaus.
Tatü-Tada. Tatü-Tada.
Tatü-Tada. Tatü-Tada.
Andere Polizeiwagen – dieses Mal wirklich welche der Marke Citroën – fuhren in die Einfahrt und kamen mit quietschenden Reifen auf dem Kiesweg zum Stehen.
„Nein!" Völlig fertig vergrub meine Mutter die Hände im Gesicht.
„Milan – das Parfum ...", stotterte Carlo ebenfalls entsetzt.
„Er befindet sich immer noch auf freiem Fuß?"
Rums.
Die Tür schwang auf und ein Mann in Polizeiuniform – ja, ich ging nicht mehr sofort davon aus, dass es sich um einen Polizisten handelte – schritt in den Raum.
„Kommissar Ramirez", stellte sich der Mann vor und zeigte uns seine Dienstmarke.
Misstrauisch musterte ich diese.
„Schaut irgendwie nicht echt aus."
Mit hochgezogener Augenbraue reichte ich die Dienstmarke an Levin weiter.
„Bitte was?"
Der Kommissar richtete sich empört auf, während weitere Frauen und Männer in Polizei-Uniformen hinter ihm den Raum betraten.
„Die ist aber echt!"
Crystal warf über Levins Schulter ebenfalls einen Blick drauf und nickte bestätigend: „Sie ist echt."
„'Tschuldigung!"
Abwehrend hob ich die Hände.
„Nachdem die Polizei grad da war und uns Milan weggeschnappt hat, bin ich halt ein bisschen misstrauisch geworden!"
„Die Polizei?"
Die Augen des Kommissars kniffen sich zusammen und sein Funkgerät knackte: „Kommissar Ramirez. Verdächtiges Objekt in der Tiefgarage gefunden."
Nachdem man ein Satz dieser Art gehört hatte, machte man sich natürlich ohne großes wenn und aber auf den Weg in die Tiefgarage.
Nicht aber, ohne davor eine typische Carlo-Boston-Aktion zu erleben.
„Carlo, nein!"
Ich sah schon, was er vorhatte, bevor er es überhaupt tat.
„Bitte, tu's einfach nicht!"
Dam.
Die Antwort war Carlos Hand, die mit viel Schwung auf einen der Desinfektionsmittelspender im Krankenhausflur fiel.
Flutsch.
Ein dicker Batzen an Desinfektionsmittel rauschte auf den Boden, ohne das sich eine Hand oder ähnliches dazwischen befand.
Es spritzte und die durchsichtige Flüssigkeit landete mit einem lauten Klatschen auf den Krankenhausfliesen.
„Carlo ..." Quengelnd sah ich ihn an.
Und weil es so schön war, hatte ich noch eine Pfeife in meiner Gegenwart, die es Carlo nachtat und ebenfalls im Vorbeigehen auf den Desinfektionsmittelspender drauf haute.
Dam.
Boston scheute keine Mühe und nahm alles was er hatte, um auf das Ventil zu pfeffern.
Es machte wieder Flutsch und ein weitere Portion Desinfektionsmittel klatschte auf den Boden.
„Alle guten Dinge sind drei, oder?"
Grinsend drückte Olivia ebenfalls auf den Desinfektionsmittelspender ohne die andere Hand darunter zu halten.
„Olivia!"
Tadelnd schüttelte ich den Kopf.
„Du bist schon ganz Carlo-infiziert!"
Unschuldig klimperte Olivia mit den Wimpern.
„Jetzt ist der Boden wenigstens mal sauber."
„Mmh ..." Total begeistert grummelte ich, während uns einer der Polizisten die Tür zur Tiefgarage aufhielt.
„Ach, das ist ja Milans Auto!"
Überrascht sah ich den Honda mit der Polizeibeklebung an.
Weitere Polizisten hatten sich bereits um den Wagen versammelt.
„Der hat aber auch eine Schwäche für Tiefgaragen", murmelte ich, während ich einfach schnurstracks auf das besagte Auto zuschritt.
„Nicht!"
Hysterisch hielt mich einer der Polizisten am Arm zurück.
„Das könnte eine Bombe sein!"
Entsetzte Stille breitete sich in der Tiefgarage des Krankenhauses aus.
Niemand sagte etwas.
Niemand bewegte sich.
Es war totenstill.
Selbst eine Feder hätte man auf den Boden aufkommen hören.
„Ich höre kein Ticken", sagte ich verwirrt und drehte mich fragend zu dem Polizisten um.
„Hören Sie ein Ticken?"
„Nein." Der Polizist entspannte sich ein wenig.
Mannomann, gibt es eigentlich irgendetwas, das wir noch nicht erlebt haben?
Gelassen spazierte ich auf Milans Auto zu.
Jetzt erzählt mir sogar noch ein Polizist, dass das Auto mit dem ich zum Flughafen gefahren bin, eine Bombe ist!
Innerlich fing ich an zu grinsen.
„Paris, was machst du da?"
Kritisch beäugte mich meine Mutter von der anderen Seite der Tiefgarage.
Man sah ihr deutlich an, dass sie sich alles andere als wohl fühlte.
„Ich sehe nach, ob das wirklich Milan Auto ist."
Beiläufig öffnete ich die Autotür und erstarrte.
Der Fleck auf dem Beifahrersitz war immer noch da.
Anscheinend hatte sich der Fake-Polizist noch nicht die Mühe gemacht, mit einem Lappen darüberzuwischen.
Fauler Fake-Polizist!
Meine Züge wurden weicher, als ich etwas anderes auf dem Rücksitz aufleuchten sah.
„Och, da ist ja mein Kleid!"
Überrascht beugte ich mich über den Beifahrersitz.
Freude durchströmte mich. Freude, dass das Kleid noch da war.
„Und ich hatte schon gedacht, das wäre verloren!"
Glücklich sah ich den weißen Stoff in meinen Händen an, während sich Carlo von hinten mir näherte und interessiert über meine Schulter lugte.
„Wieso ist da ein Fleck drauf?"
Verwirrt runzelte Carlo die Stirn, während ich nur erstarrte.
Es war mehr als eindeutig, welchen Fleck Carlo meinte.
Er war rot, groß und auf dem weißen Stoff des Hochzeitskleids unverkennbar.
„Ähm ..."
Lange suchte ich nach einer Antwort. Meine Gehirnräder ratterten auf Hochtouren und das "Ähm" wurde immer länger.
„Erdbeermarmelade?"
Gequält drehte ich mich zu Carlo um.
„Du frühstückst im Hochzeitskleid?"
Überrascht sah mich Carlo an.
„Machst du das auch Olivia?"
Mit großen Augen drehte sich Carlo zur Liebe seines Lebens um, während Boston – der natürlich sofort verstand, was los war – sich uns näherte und sofort genervt aufstöhnte.
„Man, Carlo!"
Beleidigt drehte sich Carlo zu Boston um.
„Du sagst gar nichts dazu", wetterte er mit hoch erhobenen Zeigefinger.
„Du hättest das Hochzeitskleid noch nicht mal sehen dürfen!"
„Jungs!"
Fröhlich drängte sich Olivia zwischen die beiden.
„Warum seht ihr euch nicht den den Lamborghini Aventador LP700-4 vor der Tür an und lasst die Polizei hier ihre Arbeit machen?"
Carlos Augen weiteten sich. „Ein ... Lam ... vor der ... Tür? Bist du dir sicher?"
Carlo brachte kaum mehr einen vollständigen Satz zusammen, so sehr stockte ihm der Atem.
„Dieses Mal wirklich", sagte Olivia liebevoll und tätschelte ihn leicht..
„Aber ihr werdet nur gucken, nicht anfassen und nichts kaputt machen, verstanden?"
Lächelnd sah sie ihn an.
„Sonst gibt es heute Abend keine Süßigkeiten!"
Carlos Gesicht fing sofort an zu strahlen und so schnell er konnte, flitzte er aus der Tiefgarage - Boston ihm dicht auf den Fersen.
„Man, dass mit dem Muttersein hat sie schon voll drauf!", fluchte Carlo dabei grinsend, worauf Boston taff antwortete: „Sie hat ja auch schon Übung mit dir!"
„He!"
Ohne stehenzubleiben, schubste Carlo seinen Freund beleidigt zur Seite. Dieser lachte jedoch nur.
„Sehr witzig!", grummelte Carlo.
„Ach komm schon, Schatz!", rief Olivia amüsiert vom anderen Ende der Tiefgarage.
„Jemand der soviel Blödsinn über alles und jeden macht wie du, muss auch mal ein bisschen über sich selbst lachen können!"
„Fick dich!"
„Lieb dich!"
Lachend drehte sich Olivia uns wieder zu.
„Geht ihr immer so miteinander um?"
Unsicher sah eine Polizistin Olivia an.
„Ja, dass ist normal." Unbekümmert winkte Olivia ab.
„Soll ich mal mit ihm reden, wie man mit Freundinnen umgeht?"
Immer noch ein bisschen schockiert, beobachtet die Polizistin Olivia.
„Um Gottes Willen, nein! Bitte nicht!"
Olivia kicherte.
„Das würde nicht mal was bringen."
Ihr Blick wanderte zu mir.
„Oh Gott, Paris! Ich konnte dir ja noch gar nicht sagen, dass wir einen Namen für das Kind gefunden haben!"
Überschwänglich hackte sich Olivia bei mir ein und zog mich Richtung Tiefgaragenausgang.
„Es war eine lange Diskussion, aber schlussendlich sind wir doch auf einen Nenner gekommen."
Mit leuchtenden Augen strahlte mich Olivia an.
„Cindarella! Das Kind soll es Cindarella heißen."
Dam. Dam. Dam. Daaaaaam.
Schwer schluckte ich.
Meine Begeisterung hielt sich eher in Grenzen.
„Also wenn es ein Mädchen wird", fügte Olivia glücklich hinzu.
Ein Blick zu meinen Eltern sagte mir, dass sie das gleiche dachten wie ich.
„Warum? Hat das Kind etwa ihren Schuh verloren?"
Verwirrt runzelte Olivia die Stirn.
„Hä? Was?"
„Na, gibt es da irgendwie einen Zusammenhang?", versuchte ich mich rauszureden.
„Du und Carlo habt euch doch sicher irgendetwas dabei gedacht, eurem Kind den Namen einer blonden Prinzessin im blauen Kleid zu geben!"
Olivia blieb stumm.
„Was ist, wenn sie nicht blond ist?", fragte sich schwer betroffen.
„Wie soll es denn heißen, wenn es ein Junge wird?"
Ohne weiter auf den eher ausgefalleneren Mädchennamen einzugehen, versuchte ich auf den Jungennamen einzugehen.
Wahrscheinlich hoffte ich, dass dieser besser sein würde.
Spoiler: Tat er nicht.
„Knirps." Stolz streckte Olivia ihre Brust raus.
Bitte was?
„Knirps", wiederholte Olivia den Namen. Wahrscheinlich hatte ich meine Gedanken schon wieder laut ausgesprochen.
„Wie der Regenschirm?"
„Welcher Regenschirm?"
„Na, der Knirps-Regenschirm! Sagt deine Oma nicht auch zu den kleinen Regenschirmen Knirps?"
Dab.
Laut klatschte sich ein Polizist hinter und die Hand gegen die Stirn.
„Gott steh der Jugend bei!", stöhnte er und betetet innerlich wahrscheinlich schon für alle Neugeborenen, die von ihren Eltern schreckliche Namen bekamen.
„Ja", sagte Olivia schließlich, nachdem sie eine Weile darüber nach gedacht hatte.
„Knirps wie der Regenschirm."
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