78. Kapitel

Ich bin unkonzentriert. Im ersten Drittel verpatze ich es ganze dreimal, den Puck vernünftig anzunehmen. Ich setze mich seufzend auf die Bank und sehe bereits aus dem Augenwinkel, dass Coach Warren augenblicklich auf mich zukommt. „Was ist los, Tomlinson?" Ich schüttle den Kopf. „Alles gut." – „Sicher? Das sieht nicht danach aus." Ich nicke schnell. „Alles gut, Coach. Versprochen.", betone ich erneut und atme lautlos erleichtert auf, als er wieder zurück geht. 

„Du hast gelogen." – „Lass gut sein, Ian.", entgegne ich genervt und verfolge das Spiel. Es steht 1:1. Er zögert, entscheidet sich dann aber dazu, nichts mehr zu sagen. Ein Glück. In Gedanken gehe ich immer wieder die letzten Wochen durch. Ich weiß nicht, was ich getan haben könnte, dass Harry derart gegen den Strich geht. Ich verstehe es nicht und das macht mich wahnsinnig. Meine Reihe ist wieder dran. Wir springen über die Bande und Kenny spielt den Puck zu mir. Ich nehme an, rase nach vorne und spiele den Puck wieder ab. Daneben. „Konzentrier dich!", sagt Kenny zu mir, als er an mir vorbeifährt. Ich versuche es. Es klappt nicht. Es ist ein Desaster. Zayn spielt zu mir und ich aufs Tor. Daneben. Wenn ich nicht vorbeigeschossen hätte, wäre der Puck im Kasten gewesen. Garantiert. Verdammte Scheiße!

Fluchend lasse ich mich auf die Bank fallen. Auch die nächste Runde ist nicht besser. Nein, es ist noch schlechter. Ich verliere den Puck an einen Gegenspieler und zack 1:2.

In der ersten Pause in der Kabine steht Coach Warren mit verschränkten Armen vor uns. „Ihr spielt so schlecht, wie seit Monaten nicht mehr!", regt er sich auf. Ich sehe auf den Boden. Kurz habe ich zu Harry geblickt – oder ich wollte es, aber er ist nicht hier. „Ich muss mal eben weg. Bin sofort wieder da.", unterbreche ich unseren Coach und verschwinde aus der Kabine. So schnell wie es auf normalem Boden mit meiner Ausrüstung eben geht laufe ich durch die Flure auf die Suche nach meinem Freund. Fast wäre ich dran vorbeigelaufen. Ich stocke in meiner Bewegung und sehe in den Raum zu meiner Linken. „Harry?" Seine Schultern hängen nach unten, er sitzt mit dem Rücken zu mir auf der Liege im Sanitätsraum. Ich gehe durch die Tür und schließe sie hinter mir.

„Harry?" Er zuckt nicht einmal. Ich mustere ihn einen Moment lang. „Was machst du hier? Musst du nicht arbeiten?", frage ich. Plötzlich lacht er, bitter und freudlos. „Oh, ja. Ich müsste arbeiten." – „Soll ich wieder fragen, was los ist, oder sagst du es mir diesmal so?" Er schüttelt den Kopf und seufzt. Ich gehe um die Liege und sehe ihn an. Moment, was? Perplex sehe ich ihn an. Seine Wangen sind nach, seine Locken hängen herunter und er sieht aus, „Love?", frage ich leise und mustere ihn. Er antwortet mir nicht. Ich gehe vor ihm in die Hocke und versuche, seinen Blick zu fangen, aber er weicht aus.

Eine Weile ist es still zwischen uns. Die Stimmung ist zum zerreißen gespannt und ich weiß, dass ich nicht wieder aufs Eis gehen kann, ohne zu wissen, was in der Luft liegt. Harry spielt mit seinem Diensthandy. Er dreht es nervös zwischen seinen Fingern und wischt sich zwischendurch über die Wangen. Ich habe das Bedürfnis, ihm die Tränen wegzuwischen, aber ich bin mir recht sicher, dass ihm das nicht recht wäre.

„Schläfst du wieder mit ihm?"

„Was?" Irritiert sehe ich ihn an. Harry sieht auf, er blickt mich direkt an. In seinen Augen stehen neue Tränen. „Stehst du wieder auf Noah? Oder vögelt ihr nur? Oder beides?", möchte er wissen und atmet zitternd aus. Dann schüttelt er den Kopf. „Ich weiß nicht einmal, ob ich es wissen möchte." – „Bitte was?" – „Wenn du ja sagst, dann ist alles kaputt, aber wenn du nicht antwortest, dann..." – „Harry!", unterbreche ich ihn und lasse die letzten Sekunden Revue passieren. „Wie kommst du darauf? Wieso denkst du, dass Neo und ich... was?!", frage ich sprachlos. Er schnieft und zuckt mit den Schultern. „Ich hätte das nicht tun sollen." – „Was nicht tun sollen, mir sagen, was los ist? Das ist es doch, was dir seit Wochen den Kopf zerbricht, oder nicht? Wie kommst du darauf, dass ich mit Neo schlafe?!"

Er zögert. „Bitte, Love, rede mit mir.", versuche ich es erneut, diesmal ruhiger. „Vor ein paar Wochen... uhm... dein Handy hat gepiepst und du hast noch geschlafen und... ich wollte nicht schauen, aber da war diese Email von Noah und er hat geschrieben... er hat was über euren Kuss geschrieben und die Gala und..." Er weint stärker und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. „Und dann... ich bin früher nach Hause gekommen, weil ich dachte, ich überrasche dich mit einem Dinner und du warst nicht da." Wann? „Und als ich dich angerufen habe... hattest du da Sex mit Noah?", möchte er wissen. „Wovon sprichst du?" – „Ich habe es dort gehört.", meint er und schnieft erneut. „Und du hast mir die Nachricht geschickt, nicht ihm.", fügt er dann hinzu. „Und jetzt trefft ihr euch wieder und geht essen und -" Seine Stimme bricht.

„Welches Telefonat?", möchte ich wissen. „Wann soll das gewesen sein?" – „Am gleichen Tag wie die Mail.", antwortet er mir leise. „Die Mail...", überlege ich. „Und welche Nachricht?" Er zieht sein Handy aus der Hosentasche und dreht es kurz danach mit dem Bildschirm zu mir.

Schatz: Aber dann wird ich wieder Neo zu dir sagen! Immerhin bist du endlich wieder Teil meines Lebens :)

„Das habe ich dir geschickt?" Er nickt stumm. „Hast du. Und du hast es nicht einmal bemerkt." – „Ich war betrunken.", richte ich aus, aber er schüttelt den Kopf. „Du hast es nicht einmal am nächsten Tag bemerkt." Ich streiche mir die Haare nach hinten und versuche, meine Gedanken zu ordnen. „Du denkst, ich schlafe mit Neo." – „Ich will es nicht denken, aber das Telefonat... und alles andere... und du hast mir nicht gesagt, dass ihr wieder so engen Kontakt habt."

„Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich seit Monaten nur mit dir schlafe? Und es auch nicht ändern möchte?", frage ich ihn und versuche, nicht durchzudrehen. „Ich möchte es dir glauben.", antwortet er. „Es spricht so viel dagegen.", murmelt es. „Kannst du es mir erklären? Ich weiß, ich sollte dir vertrauen und dich nicht bitten, dich rechtfertigen zu müssen, aber..." Er spricht nicht weiter. Ich sehe mich um und entdecke auf dem Beistelltisch eine halbleere Packung Taschentücher. Ich stehe auf, greife sie und reiche ein Taschentuch meinem Freund. Dann hocke ich mich wieder vor ihn und nehme eine seiner Hände in meine. Er zieht sie nicht zurück.

„Ich schlafe nicht mit ihm, wir sind Freunde. Vielleicht ist er im Moment sogar mein bester Freund.", fange ich an. „Harry, ich will dich, wieso sollte ich jemand anderen haben wollen, wenn ich dich haben kann?" Er zuckt mit den Schultern. „Der Anruf... es klingt super bescheuert, nur als Vorwarnung.", merke ich an. 

Er nickt und fordert mich auf, weiterzusprechen. „Nachdem du mir geschrieben hast, dass du länger im Büro bleibst, hatten wir wieder Training. Eigentlich hatte Ian einen Termin bei Lorena, aber irgendwas ist dazwischengekommen. Jedenfalls war Warren unfassbar gut drauf und das Training entsprechend hart.", erzähle ich weiter. „Deswegen war Ian so nett und hat mir seinen Termin überlassen. Das, was für dich danach klang, dass ich Sex hatte, war Lorena, die meine Muskeln davor gerettet hat, am nächsten Morgen nicht mehr funktionstüchtig zu sein. Ich lag auf der Massagebank, Love. Das ist alles. Und dass ich dir die Nachricht geschickt habe, ist wohl ein blöder Zufall gewesen. Ich hab so viel getrunken im Hattricks... wir haben Trinkspiele gespielt. Und das Essen heute Mittag? Wir sind Freunde, Love, mehr nicht, ich verspreche es dir."

„Du warst bei Lorena? Und hast auf ihrer Liege gestöhnt?" – „Glaubt mir, das würdest du auch, wenn du mal bei ihr auf der Liege wärst.", antworte ich ihm sofort. „Frag sie, oder Ian oder Noah. Ruf ihn an oder geh direkt zu ihm. Er sitzt im Block über der Box in Reihe sieben.", schlage ich vor. Harry schüttelt den Kopf. „Du war bei Lorena." – „Ja." – „Ihr hattet auf der Gala nichts?" – „Scheiße, nein!" Er seufzt und wischt sich wieder über die Wangen.

„Es tut mir leid." Er streicht mit dem Daumen über meinen Handrücken. „Ich hätte dir vertrauen sollen. Müssen. Ich dürfte nicht daran zweifeln, dass du mir treu bist." Er spricht genau das aus, was ich die ganze Zeit denke, aber in den Hintergrund schiebe. „Es gab... Anzeichen. Ich weiß nicht, was ich in so einer Situation gedacht hätte." Er schüttelt den Kopf. „Nein, ich hätte dich auch einfach direkt Fragen sollen. Und außerdem war es scheiße, dass ich deine Email gelesen habe.", fügt er hinzu. Ich lache. Verwirrtsieht er mich an. „Harry, du kannst alle meine Emails lesen. Ich verheimliche dir nichts!", grinse ich. „Oh, außer wenn eines Tages Emails von Juwelieren oder so kommen. Die öffnest du dann bitte nicht.", füge ich ernst hinzu und seine Augen werden groß. „Du verarscht mich doch!" – „Irgendwann. Nicht jetzt.", betone ich. „Aber irgendwann."

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Habt ihr damit gerechnet? Könnt ihr verstehen, wieso Harry das gedacht hat?  Was meint ihr, wie es weitergeht?

Love, L

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