46. Kapitel

Als wir in dem großen Saal ankommen, bemerke ich, dass an jedem Tisch wohl zehn Leute sitzen werden. Hätte Harry mir nicht den Sitzplan vorher schicken können? Ich atme tief durch, das wird schon gut gehen. Lottie sieht sich mit großen Augen um. „Oh wow, ist das schön hier." – „Protzig.", antworte ich nur und sie verdreht die Augen. „Dir wäre es lieber, wenn die Veranstaltung in einem Pub wäre, richtig?" – „Wie kommst du nur darauf?", frage ich schmunzelnd. Noch hat die Veranstaltung nicht angefangen. In welche Richtung ich auch blicke, überall sehe ich prominente Leute. Sportler, Schauspieler, Sänger. Soweit das Auge reicht. „Kennst du hier jemanden?", fragt Lottie leise und wir gehen weiter. „Äh... bisher niemanden persönlich.", erwidere ich. „Ich war lange nicht in England, vergiss das nicht. Und soweit ich weiß, bin ich hier der einzige NHL-Spieler.", füge ich hinzu.

„Tomlinson, die Nummer 28!", höre ich nur wenige Sekunden später jemanden sagen und drehe mich verwundert um. Ich brauche einen kurzen Augenblick, um zu verstehen, wer hier vor mir steht, fange mich aber schnell wieder. „Mr Hull, mit Ihnen hätte ich hier nicht gerechnet.", antworte ich überrascht und schüttle seine Hand. „Ich mit Ihnen auch nicht.", antwortet er. „Ich dachte, Sie sind verletzt?", fragt er dann und ich zucke mit den Schultern. „Anders hätte ich hier nicht unauffällig herkommen können. Mir geht es gut.", erkläre ich ihm. „Und das Team wusste nichts?" Ich lache und schüttle den Kopf. „Nein, da war ehrlichgesagt das Risiko zu hoch, dass doch einer der Jungs etwas verrät. Abends im Hattricks oder so." Er nickt verstehend. „Gutes Argument."

Lottie sieht mich fragend an. „Magst du uns nicht vorstellen?", frage sie dann. „Ich bin Brett Hull.", antwortet unser Gegenüber und reicht ihr ihr de Hand. „Ich war ebenfalls Eishockeyspieler und mein Sohn ist bei Louis im Team." – „Ach was." Überrascht sieht sie ihn an. „Lassen Sie mich raten... Ian, richtig?" – „Sie kennen ihn?" Lottie nickt. „Ich war mit meiner Familie vor einigen Wochen drüben, da habe ich die Mannschaft kennenlernen dürften.", erzählt sie. „Woher weißt du, dass Ian sein Sohn ist?", möchte ich anschließend wissen. Sie wusste bis gerade doch nicht einmal, wer vor ihr steht. „Oh, das ist ehrlichgesagt recht einfach.", antwortet sie und nun sieht auch Mr Hull sie interessiert und fragend an. „Naja, das hier ist eine Spendengala für mehr Akzeptanz und Toleranz und ehrlich gesagt...", sie zögert, sieht zu mir und spricht dann weiter. „Ian war einer der wenigen der Mannschaft, der die LGBTQ-Kampagne gut fand. Ich bin sicher, Sie wissen selbst, wie es in der NHL zugeht. Die meisten der Spieler waren nicht gerade begeistert von dieser Marketing-Aktion. Ian hingegen schien mir sehr aufgeschlossen zu sein. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass einer der anderen Spieler Ihr Sohn sein würde."

„Also ist es so schlimm, wie er erzählt.", seufzt Mr Hull. „Ich hatte gehofft, dass er übertreibt, weil es ihn nervt, aber offenbar hat sich in dieser Hinsicht wirklich noch nicht viel geändert." Sein Blick fällt auf den Pride-Pin. „Sie stehen für Gleichberechtigung ein, Mr Tomlinson?" – „Auf jeden Fall!", antworte ich überzeugt. „Ich war skeptisch gegenüber der Kampagne, das muss ich zugeben, aber im Nachhinein ist mir klar geworden, dass es definitiv richtig war und ich bin froh heute Abend Lightning hier vertreten zu können." – „Dann gehe ich mal davon aus, dass sie mit den Jungs Ihrer Mannschaft noch nicht gesprochen haben.", schlussfolgert er und ich seufze. „Nein, und das werde ich diesen Abend auch nicht mehr." – „Im Grunde kennen sie es alle nur nicht anders.", erwidert Mr Hull. „ich wusste es lange Zeit auch nicht besser." – „Und was hat Sie umgestimmt?", fragt meine Schwester. „Lottie!" – „Schon gut.", lächelt Mr Hull. „Das ist eine berechtigte Frage." Ich sehe meine Schwester trotzdem noch einmal mahnend an, aber das interessiert sie kaum.

„Ian, er hat mir vor einigen Wochen sehr nachdrücklich erklärt, dass dumme Sprüche und dergleichen durchaus verletzend sein können und definitiv auch zu Diskriminierung zählen. Ich hatte nie etwas gegen Schwule oder Lesben oder so. Es war für mich normal, diese Wörter – diese Beleidigungen – im Alltag zu gebrauchen. Ich bin froh, dass mein Sohn es anders sieht und ich inzwischen auch." Damit habe ich nicht gerechnet. Meine Gedanken kreisen und fliegen alle durcheinander. Mir steht das Fragezeichen offenbar ins Gesicht geschrieben, denn Mr Hull fügt einen Moment später hinzu: „Wissen Sie es etwa nicht? Das mit seiner Freundin?" – „Äh... ich kenne Ellie, aber ich wüsste nicht, was sie damit zu tun hat. Ist sie bisexuell oder so?", frage ich ihn. „Das weiß ich gar nicht genau, aber – wissen Sie was, das sollte Ian oder Ellie Ihnen besser erzählen. Ich denke, er hat es dem Team ganz bewusst nicht gesagt. Das ist übrigens noch etwas, das ich gelernt habe: Man erzählt nicht einfach Sachen anderer Menschen weiter. Das hätte mich früher nie gekümmert." Ich nicke verstehend. „Ist vielleicht auch besser so. Ian hatte bestimmt seine Gründe, wenn ich es nicht weiß." Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass ich nun sehr neugierig geworden bin und es am liebsten auf der Stelle erfahren würde.

Wir verabschieden uns, Lottie greift sich zwei Sektgläser von einem Tablett und reicht mir eins davon. „Ian hat also Geheimnisse." – „Die habe ich auch.", erinnere ich sie. „Mein erster Gedanke war, dass er vielleicht auch schwul ist.", meint sie, aber ich schüttle den Kopf. „Er ist schwer verliebt in Ellie. Ich würde mich nicht wundern, wenn er sie eines Tages heiratet." – „Meinst du echt? Glaubst du nicht, er ist zu jung?" – „Er ist nur ein paar Jahre jünger als ich.", entgegne ich und sie fängt an zu grinsen. „Was?" – „Das bedeutet, dass du dich nicht zu jung dafür hältst zu heiraten. Und dass du es durchaus in Betracht ziehst." – „Nicht das schon wieder.", murmle ich und trinke einen Schluck von der Blubberzeug. Gegen ein Bier hätte ich zwar jetzt auch nichts, aber den Sekt kann man trinken. „Es ist mir nur aufgefallen." – „Wenn es nach dir ginge, würden wir auf der Stelle heiraten." – „Nein." – „Ach, jetzt doch nicht?" – „Du hast ihm noch einen Antrag gemacht." Ich verdrehe die Augen und stöhne genervt. „Das werde ich auch erst einmal nicht.", beende ich das Thema.

Plötzlich klingelt mein Handy. Love. Lächelnd sehe ich auf den Display, ehe ich Lottie mein Sektglas in die Hand drücke. „Liebe Grüße.", antwortet sie nur. Ich nicke und laufe durch den Saal, auf der Suche nach einem ruhigen Ort. Ich finde mich drei Türen später in einem leeren Flur wieder. Schnell rufe ich Harry zurück.

„Hallo Schatz.", begrüßt er mich wenige Sekunden später. „Ich dachte schon, ich rufe zu spät an." – „Hi, Love." – „Ich wollte dich eigentlich erst nach der Gala anrufen, aber ich habe deine Interviews vom roten Teppich gerade gesehen.", erzählt er und mein Herzschlag wird schneller. „Ich bin so unfassbar stolz auf dich, Louis. Es ist der Wahnsinn. Dein ganzer Auftritt, das hätte ich nie erwartet!" Ich höre aus seinem Tonfall heraus, dass er grinst. Ich lächle glücklich. „Freut mich, dass ich es nicht vermasselt habe." – „Vermasselt? Ich bitte dich, das war perfekt!" – „Danke, Love." 

Einen Moment ist es still. „Was ist los?", möchte ich dann wissen und Harry seufzt. „Ich habe noch nicht mit dem Team gesprochen, aber ich bin mir sicher, dass auch sie es inzwischen alle mitbekommen haben. Oh. Hatte ich mir nicht vorgenommen, heute nicht mehr daran zu denken? So viel also dazu. „Soll ich dir schreiben, sobald ich etwas weiß?" – „Nein, erst nach der Gala.", bitte ich ihn. „So lange kann ich mir einreden, dass sie es nicht wissen und dass ich mir keinen Stress machen muss." – „Okay, verstehe ich.", erwidert er mit liebevoller Stimme.

Einen Moment lang denke ich darüber nach, ob ich auf Ian ansprechen soll, ihn fragen soll, ob er etwas weiß oder eine Ahnung hat, was Ian dem Team verschweigt. Aber dann lasse ich es sein. Ich selbst weiß schließlich ganz genau, wie es ist, dem Team etwas vorzuenthalten und wie schwierig es so schon ist, dass nicht jeden Augenblick die Bombe platzt. Ich glaube kaum, dass Ian es gutheißen würde, wenn ich jetzt nachforsche. Und Harry sowieso nicht.

„Sir? Sie müssten langsam wieder in den Saal, es fängt gleich an.", spricht mich auf einmal ein Kellner an. „Okay, sicher. Sekunde." Er nickt und läuft weiter. „Ich habe es gehört.", sagt Harry daraufhin. „Viel Spaß, mein Schatz." – „Danke, Love." Auf dem Weg zurück zu Lottie kann ich nicht anders, als darüber nachzudenken, wie es wohl wäre, wenn Harry nun hier wäre. Mit mir. Das kurze Telefonat hat vollkommen ausgereicht, dass meine Gedanken wieder nur im ihn kreisen. Herr Gott, ich kann doch nicht 24/7 an ihn denken! 

Im Saal angekommen, merke ich, dass sich die meisten schon gesetzt haben. Ich sehe mich um, aber meine Schwester entdecke ich nirgends. Möglichst zügig laufe ich durch die Tischreihen und halte nach ihr Ausschau. So schwierig kann das doch nicht sein! Dann, endlich sehe ich sie und lasse mich auf den Stuhl neben ihr fallen. „Das wurde ja auch Zeit.", murmelt sie und ich verdrehe die Augen. „Entspann dich, Lots." Erst danach sehe ich zu den anderen Stars, die an diesem Tisch sitzen. 

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Ians Vater ist also wieder da. Habt ihr damit gerechnet? Und was meint ihr, was Ian verschweigt? 

Love, L 

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