74. Kapitel

Wir steigen aus. Ich schließe auf und trete ein. „Neo?", frage ich laut. „Beschäftigt!", höre ich ihn rufen und fange an zu lachen. Er ist oben in seinem Schlafzimmer. Ich kenne diesen Tonfall. Ich drehe mich zu Harry, der gerade die Tür hinter sich geschlossen hat. „Er spricht mit Rick." – „Woher weißt du das?", fragt er verwundert. „Sie vermissen sich. Oft", erkläre ich. „Und leider war ich einmal so dumm und habe nicht geklopft. Wenn Neo in diesem Ton sagt, er sei beschäftigt, lasse ich ihn in Ruhe und vermeide es, in die zweite Etage zu gehen." – „Äh... okay." Sichtlich unbeholfen bleibt er im Flur stehen.

„Möchtest du etwas trinken? Wein?", frage ich auf dem Weg in die Küche. „Ich muss noch fahren", erinnert er mich. Ich halte kurz inne. Dann öffne ich den Schrank und hole zwei Weingläser heraus, die ich mit Rosé fülle. Eins gebe ich Harry. Scheiß drauf. Zur Not kann er mit Uber fahren. Er nimmt es lächelnd an und trinkt einen Schluck. Er lehnt sich gegen die Kücheninsel uns sieht sich um. Es hat sich im Prinzip nicht viel verändert.

„Wie wird es sein, wenn das Team dabei ist?", fragt er mich plötzlich. „Du meinst, beim Training morgen." Er nickt. „Keine Ahnung. Ich habe bisher nicht darüber nachgedacht." Ich zucke mit den Schultern und sehe, wie er sich anspannt und seine Gedanken kreisen. „Wieso fragst du?" – „Ich weiß, dass sie mich nicht mehr mögen." Ich möchte antworten, aber er spricht weiter. „Du brauchst dazu nichts zu sagen. Sie sind dein Team und ich kann verstehen, wenn sie skeptisch mir gegenüber sind. Sie sind diejenigen, die dich aufgefangen haben und dafür bin ich sehr dankbar." – „Aber?", frage ich nach. „Ich finde, sie mischen sich zu sehr ein", antwortet er mir. „Ich finde es gut, dass du ihnen wichtig bist und dass sie sich um dich Sorgen, versteh das bitte nicht falsch", schiebt er direkt hinterher. „Es geht um meine Panikattacke", bemerke ich. „Wie hätte ich wissen sollen, dass so etwas geschieht? Ich bin aus dem Zimmer gegangen, um dich nicht zu wecken. Ich hatte keine bösen Absichten. Die hatte ich nie."

„Ich wusste auch nicht, dass es passiert", sage ich ruhiger und bemerke, dass er das Weinglas zwischen seinen Fingern dreht. „Es war nicht deine Schuld. Du hast recht, du konntest es nicht wissen." – „Was mache ich, wenn das nochmal passieren sollte?", möchte er wissen. „Ich hoffe natürlich, dass es das nicht wird –" – „Aber irgendwann wird es das wahrscheinlich", unterbreche ich ihn. „Meistens schaffen die Jungs es irgendwie, dass ich Wasser trinke. Manchmal stellen sie mich einfach unter die Dusche, keine Ahnung, ich habe es nie vollkommen mitbekommen. Außerdem bist du anders", gebe ich zu bedenken. „Darf ich dich in den Arm nehmen, wenn du... uhm..." – „Ja", nicke ich sofort. „Natürlich darfst du. Zur Not könntest du Ian oder Zayn oder so anrufen, aber ich glaube kaum, dass das notwendig sein wird." – „Glaubst du nicht?" – „Du hast mir schon aus einer Panikattacke geholfen.", erinnere ich ihn. Harry scheint nicht vollkommen überzeugt zu sich.

„Ich fühle mich wohl bei dir. Das werden meine Freunde schon noch verstehen." – „Sehr optimistisch." Ich stoße mich von der Arbeitsplatte ab und verringere den Abstand zwischen uns. „Sie werden damit leben müssen." – „Was passiert, wenn –" – „Hör auf!", unterbreche ich ihn. „Du hast vorhin gesagt, du willst nichts Falsches sagen. Dann lass es auch. Es ist meine Entscheidung, nicht Neos, Zayns, Ians oder von sonst wem. Ich habe mich entschieden, dir eine Chance zu geben und ich habe mich dazu entschieden, dass ich bei dir im Hotelzimmer übernachte. Niemand hat mich dazu gezwungen", stelle ich klar. „Und das würde ich genauso meinem Team gegenüber auch sagen, wenn du das möchtest." Überrascht sieht er mich an. „Aber dein Team... uhm..." – „Mein Team ist mir wichtig, scheiße, es ist mein Team. Aber sie sind nicht mit dir verheiratet. Unterm Strich geht es nur uns beide was an", antworte ich. Ich habe keine Ahnung, woher das alles kommt. Ich denke nicht darüber nach, was ich sage. Normalerweise ist das ziemlich dumm und nicht selten, bereue ich es sofort, wenn das passiert, aber in diesem Moment ist es anders. Ich sage die Wahrheit, die ich selbst erst erkenne, während ich spreche.

„Du meinst das alles ernst?" – „Scheiße, ja!" Harry zieht mich in seine Arme. Er drückt mich an sich und ich spüre seine Nase an meiner Halsbeuge. Instinktiv schließe ich die Augen und erwidere die enge und innige Umarmung. „Ich liebe dich so sehr, Louis", flüstert er. Ich streiche durch seine Locken. Ich liebe dich auch. Ich möchte es rufen, laut schreiben, aber ich spreche es nicht aus.

„Bleib hier", sage ich stattdessen. Harry drückt mich von sich und sieht mich irritiert an. „Hier?" – „Bleib hier", wiederhole ich. Ist das dämlich? Vielleicht. Nein, ist es nicht. „Du weißt doch, dass neben Neos Zimmer noch andere Schlafzimmer in der zweiten Etage sind." – „Du bietest mir hier ein Schlafzimmer an?" – „Ist das zu schnell?", rudere ich sofort zurück. Harry küsst mich. Er küsst mich immer wieder.

„Nicht zu schnell?" – „Oh, Schatz." Er lächelt und streicht durch meine Haare. „Nichts mit dir ist zu schnell. Ohne dich unter Druck setzen zu wollen; ich würde auf der Stelle wieder zu dir ziehen. Das ist definitiv zu schnell, das weiß ich, aber... uhm..." Er zögert. Dann atmet er tief ein und wieder aus und nimmt meine Hand. Ich lasse zu, dass er mich aus der Küche zurück ins Wohnzimmer führt. Er schlägt den Weg zum Flur ein und öffnet die Tür meines Arbeitszimmers. „Darf ich?", möchte er wissen und deutet auf meinen Schreibtisch. Ich nicke, nicht in der Lage, soweit zu denken, wie ich es wohl normalerweise tun könnte. Er löst sich von mir, geht auf das Möbelstück zu und öffnet die Schublade. Es dauert einen Moment, aber er findet, was er sucht. Im gleichen Augenblick verstehe ich es. Ich sehe zu, wie Harry die Schublade wieder schließt. Er verlässt mein Arbeitszimmer und kehrt zurück ins Wohnzimmer. Ohne etwas zu sagen, nimmt er sein Portemonnaie heraus. Ich stelle mich zu ihm.

Sofort fängt das Bild in dem Portemonnaie meinen Blick. „Du hast das Polaroid da drin." – „Immer", antwortet er mir und lächelt kurz. Er öffnet ein kleines Fach und holt seine Ringe heraus. „Du hast sie dabei?" – „Immer", wiederholt er und legt das Portemonnaie weg. Jetzt hält er alle drei Ringe in seiner Hand. Nervosität flutet meinen Körper. Mein Siegelring brennt wie Feuer auf meiner Haut. Prüfend sieht Harry mich an. Er öffnet die Hand mit den Ringen. Scheiße ist es lange hier, seitdem ich sie alle zusammen gesehen habe.

„Du musst nicht", sagt er nach einer Weile. „Es wäre nicht schlimm oder falsch, wenn du sagst, es ist zu schnell oder zu viel. Oder beides." Mein Herz klopft mir bis zum Hals. Wieder einmal merke ich, wie verdammt sehr ich ihn vermisst habe. Ich schüttle den Kopf. Harry seufzt leise, kaum hörbar und schließlich seine Hand wieder. „Nein, warte!", schreite ich sofort ein. „So war das nicht gemeint." – „Du hast den Kopf geschüttelt. Bitte fühl dich nicht gezwungen oder –" – „Komm mit", unterbreche ich ihn unbedacht. „Wohin?" – „Komm mit", wiederhole ich lediglich und gehe durchs Wohnzimmer zur Terassentür. Die Nachtluft empfängt ins im Garten. Ich schalte das Licht der Terrasse an und spüre, dass Harry sich zu mir stellt.

Keiner von uns sagt etwas. Ich gehe auf den Olivenbaum zu, er folgt mir. Er betrachtet ihn mit einem Blick zwischen Skepsis und Erleichterung. Ich warte geduldig, bis er sich den Baum ganz genau angeschaut hat. „Zufrieden?", frage ich nach einer Weile. Er sieht ertappt zu mir. „Uhm... ja, also ihm geht es gut", antwortet er unschlüssig. In diesem Moment bin ich unglaublich froh, mich um den Baum und alle anderen der Pflanzen hier gekümmert zu haben. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie Harry in einen leeren Garten tritt. In einen Garten, in dem alle seine Pflanzen fehlen auch der Baum. Nein, das wäre schrecklich.

„Verlass mich nie wieder." – „Werde ich nicht", verspricht er mir. „Nie wieder, Louis." Ich sehe auf meine Hand. Dann ziehe ich den Siegelring ab. Er ist schön, keine Frage, aber er gehört dort nicht hin. Hat er nie. Auf einmal fühlt es sich an, als würde ich erneut vor dem Traualtar stehen. „Wenn du, also wenn wir...", fängt Harry an und sieht auf die Ringe. Wie gut, dass ich nicht der Einzige hier bin, der vor Nervosität fast umkippt. „Wenn du den Ring wieder trägst, sind wir wieder ein Team, richtig?" – „Ein Team?", frage ich überrascht. „Mist, das ist wohl nicht das richtige Wort. Uhm..." – „Wir sind ein Team, Love", stimme ich zu. Harry sieht auf. Ich sehe ihm an, dass es ihn überrascht, diesen Kosenamen zu hören. Er lächelt glücklich und mir wird warm. Mein Herz flattert zufrieden und mein Körper kribbelt.

„Kannst du? Also möchtest du?", fragt er und deutet auf die Ringe. Ich nehme erst den Verlobungsring und betrachte ihn einen Moment. Dann nehme ich Harrys Hand in meine, küsse seine Knöchel so wie ich es früher so oft getan habe und schiebe den Ring an seinen rechtmäßigen Platz. Der zweite Ring folgt. Harry schnieft leise. Prüfend sehe ich ihn an. Er schüttelt den Kopf und bleibt still. Er streicht vorsichtig über meinen Handrücken. Ich spüre das Metall an meiner Fingerspitze. Vorsichtig und mit bedacht schiebt er meinen Ehering über meine Fingerknöchel bis ganz nach hinten. Fuck, wie sehr habe ich diesen Ring vermisst.

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Soll ich dazu eine Frage stellen? Wie findet ihr es? Wie meint ihr, wird das Team reagieren?

Love, L

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