73. Kapitel
Harry freut sich sichtlich über das gute Essen. Ich kann nicht anders, als mich zu fragen, wie er es so lange schon in diesem Hotelzimmer aushält. Die Küchenecke beinhaltet lediglich zwei Herdplatten. Es gibt keinen Ofen und an eine Küchenmaschine ist gar nicht erst zu denken. Er mag es, gut zu kochen. Das wird dort allerdings kaum möglich sein. Ich straffe die Schultern und trinke einen Schluck Wein. Seine Küchenmaschine steht nicht mehr bei mir. Ich habe sie mit dem Schreibtisch abgegeben. Ich weiß genau, wo beides ist, aber ich bin mir nicht sicher, ob es sinnvoll wäre, es ihm zu sagen.
Harry seufzt leise vor Genuss und lehnt sich nach hinten. Herr Gott! Ich mustere ihn, ohne es zu wollen. Er erwischt mich, fängt meinen Blick und schmunzelt. Diesen Gesichtsausdruck habe ich definitiv lieber als die Tränen in seinen Augen. „Darf ich dich etwas fragen?", möchte ich schnell wissen, um zu verhindern, dass eine seltsam angespannte Stimmung entsteht. „Alles", antwortet er mir sofort, ohne zu zögern. Ich räuspere mich unbeholfen. „Äh... falls du hierbleibst, also in Tampa... äh..." Fuck, welche Wörter brauche ich nochmal? „Ich bleibe definitiv hier", korrigiert er mich geduldig. „Was ist dann?" – „Was passiert, falls du nicht mehr für TAA arbeitest? Ich meine nicht, dass du dir einen neuen Job suchst, aber... uhm... du kannst unmöglich alle deine Sachen im Hotelzimmer haben." – „Das war keine Frage", bemerkt er kokett. „Du weißt, was ich meine", seufze ich und verdrehe die Augen. Ich kann nicht verhindern, dabei zu lächeln.
Harry nickt verstehend. „Ich habe einiges in New York eingelagert." – „Die Sachen, die du damals in der Saisonpause holen wolltest?" Er nickt wieder. „Ja, alles aus meiner alten Wohnung. Ich habe die Wohnung nicht mehr." Das habe ich mir schon fast gedacht. „Ich war einmal in New York in den letzten zwei Jahren", erzählt er weiter. „Es war kurz nach den Nachrichten. Ich habe die Wohnung gekündigt und meine Sachen in ein Lager gebracht. Viel ist es sowieso nicht. Die Möbel wollte ich eigentlich verkaufen, aber bisher bin ich dazu nicht gekommen." – „Mhm... und jetzt? Willst du sie immer noch verkaufen?", frage ich weiter, ohne mir sicher zu sein, ob die Richtung, die dieses Gespräch einnimmt, so sinnvoll ist.
„Wieso möchtest du das wissen?", entgegnet er und sieht mich verwundert und mit einem Hauch von Skepsis in seinem Blick an. „Wenn du nicht mehr bei TAA arbeitest, bleibst du in dem Hotel? Ist das nicht zu teuer?", spreche ich dann aus, worauf ich von Anfang an hinaus wollte. Er schweigt. Ich sehe ihm an, dass er drüber nachdenkt, was er antworten soll, welche Wörter er wählen möchte und welche Formulierungen sich eignen. „Es ist vermutlich zu teuer", sagt er schließlich. „Ich habe mir darüber ehrlichgesagt noch keine Gedanken gemacht. So lange geht die Saison nicht mehr, vermutlich sollte ich mir eine Lösung überlegen." Er spricht es nicht an. Wir wissen beide, dass es in unseren Köpfen herumschwirrt, aber er überlässt es mir, ob ich es aussprechen möchte oder nicht. Ich zögere. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Zu gerne würde ich in diesem Augenblick auf Pause drücken und mir in Ruhe überlegen, wie es weitergehen soll. Diese Fähigkeit habe ich nicht. Ich trinke stattdessen ein wenig Wein und sehe den Mann an, der mit gegenüber sitzt. Mein Mann. Es ist mein Mann.
Ich bin ihm genug. Immer wieder denke ich an seine Worte, seinen liebevollen Blick und diesen verdammten Kuss, den er mir gestern geschenkt hat. Fuck. „Vielleicht suche ich mir eine Wohnung. Ich brauche nicht viel", sagt er plötzlich. „Eine Wohnung", wiederhole ich nachdenklich. Scheiße. Plötzlich lächelt Harry ein wenig. Er isst weiter, als wäre nichts, aber jeder würde sehen, dass das nicht stimmt. Was ist denn jetzt los? Ich spreche die Frage nicht aus, ich sehe ihn nur an. „Ich habe nur festgestellt, dass ich dich offenbar noch besser kenne, als ich gehofft hatte." – „Was?" Irritiert sehe ich ihn an. „Ich hatte bedenken, dass du dich in den letzten zwei Jahren verändert hast", erklärt er mir. „Bestimmt hast du das in gewissen Teilen, aber ich erkenne dich wieder, zu 100%", antwortet er mir. „Und deswegen bin ich ziemlich sicher zu wissen, woran du gedacht hast", fügt er hinzu.
„Du – was?" – „Es ist deine Entscheidung, Louis. Es ist dein Haus, dein Zuhause. Ich werde dich weder darum bitten, noch dich dazu drängen." Mein Zuhause ist es nicht, ist das Erste, was ich denke. Es schon lange nicht mehr mein Zuhause. „Meinst du nicht, es wäre seltsam?", frage ich ihn unschlüssig. „Seltsam?" – „Wenn plötzlich wieder alles wie früher wäre." Er seufzt. „Ich wünsche, das würde gehen, aber wie früher wird es nicht", erwidert er. Meine Gedanken überschlagen sich und vielleicht ist es der Wein und das gute Essen schuld, aber ich zögere nicht, als ich weiterspreche. „Dann können wir nicht wieder wir werden?" – „Wir?" – „So wie es früher war. Wir halt." – „Du solltest dir sicher sein. Das ist nichts, was du so einfach entscheiden kannst." – „Wieso nicht?" – „Ich war zwei Jahre kein Teil mehr deines Lebens und –" – „Ja, genau!", fahre ich ihn an und werde ungewollt lauter. Harry verstummt und sieht mich mit großen Augen an.
„Zwei fucking Jahre warst du weg! Zwei Jahre war ich allein und jetzt scheint es, dass du bald alleine in eine Wohnung in Tampa ziehen wirst!", rege ich mich auf. „Du redest die ganze Zeit davon mich nicht zu hetzen und mir Zeit zu lassen, aber was ist, wenn du mir zu viel Zeit lässt?! Zwei Jahre, Harry! Ich war zwei Jahre allein!"
Er presst die Lippe aufeinander und bleibst stumm, während ich immer wütender und immer lauter werde. „Und du sitzt vor mir und sagst, es wird nicht, wie früher! Und du sagst, dass ich mir sicher sein soll und überlegen soll und – fuck!" Ich atme zitternd und bemerke kaum, dass einige der anderen Gäste und anschauen. „Ich will doch nur meinen Mann zurück! Du hast mir versprochen, dass du das alles getan hast, um mich zu beschützen, aber du brauchst mich nicht mehr beschützen! Hör auf zu sagen, dass ich Zeit brauche oder überlegen soll! Ich will – ich will meinen Ehemann wiederhaben..." Ich schniefe und schüttle den Kopf. Verdammt, wie kann man sich so unglaublich dämlich anstellen?
Innerlich schlage ich mir vor die Stirn. So viel also dazu, dass wir entspannt zusammen essen gehen und in Ruhe reden können. Nein, es musste mal wieder eskalieren. „Sorry", murmle ich und sehe auf meinen Teller. „Entschuldige dich niemals für deine Gefühle", widerspricht er sofort. „Ich lasse dich entscheiden, welches Tempo wir gehen." – „Ich weiß, aber..." Ich seufze. „Wie soll ich wissen, ob mein Tempo für dich funktioniert?" Perplex sieht er mich an. „Ob es für mich funktioniert?" – „Ja, du bist Teil dieser Situation – Beziehung... äh...Ehe", stottere ich vor mich hin. Harry lächelt und bietet mir seine offene Hand. „Darf ich dich nachher nach Hause begleiten, Schatz?", fragt er mich zaghaft. Er braucht nicht zu sagen, dass es nicht darum geht mich abzuschleppen oder so. Sein Blick verrät es. Ich nicke und schiebe meine Finger zwischen seine.
Harry zahlt. Ich möchte widersprechen, aber er lässt es nicht zu. Es ist seltsam, dass er zahlt, ungewohnt, aber als ich sehe, dass es ihm scheinbar eine Freude bereitet, mich einzuladen, schweige ich und stecke mein Portemonnaie wieder ein. Vor dem Restaurant, zieht er die Autoschlüssel heraus, aber flink nehme ich sie ihm ab. „Vergiss es, du fährst nicht!", sagt er sofort. „Will ich doch gar nicht", antworte ich mit warmem Gefühl in der Brust. Ich nehme seine Hand und ziehe ihn zu mir. „Ich möchte nur nicht, dass du sofort im Auto verschwindest." Er versteht es im erstem Moment nicht. Dann küsse ich ihn und meine Erklärung brauche ich nicht weiter auszuführen. Ich höre, wie er leise und ungewollt seufzt und spüre, wie sein Körper sich entspannt. Sofort flattert mein Herz. Ich habe meine Wirkung auf ihn nicht verloren.
Harry lehnt gegen den Wagen. Keiner von uns beiden achtet auf die Zeit. Er streicht durch meine Haare, zieht mich zu sich und verführt mich. Ich habe einen Arm um seine Hüfte gelegt und die andere Hand liegt locker an seinem Hals. Mit dem Daumen streiche ich über seine Wange. Er lächelt plötzlich. Ich weiß nicht, wieso er es tut. Trotzdem tue ich es ihm gleich.
„Du hast gesagt, du möchtest deinen Ehemann zurück", durchbricht er die Stille. „Stimmt." – „Lass uns zu dir fahren", entscheidet er entschlossen. Bevor er allerdings um das Auto herumgeht, und es aufschließt, schenkt er mir einen weiteren, süßen Kuss. Während der Fahrt mustere ich ihn. Er sieht mich immer dann an, wenn es geht. Bei jeder roten Ampel, vor der wir stehenbleiben, schweigt sein Blick zu mir. Dann nimmt er auf einmal meine Hand und küsst die Innenseite meiner Handfläche. Meine Knie werden weich. Scheiße, wie gut, dass ich sitze. Das hier ist so richtig.
„Neo ist übrigens da", fällt mir plötzlich ein. „Ihr wohnt zusammen, ich bin davon ausgegangen", antwortet er mir, so neutral wie möglich. „Die Hälfte der Zeit", korrigiere ich ihn. „Er pendelt." – „Mhm." – „Stört es dich?" – „Schläft er in deinem Bett?" – „Was? Nein", antworte ich verwundert und sehe erst dann, dass Harry schmunzelt. „Dann stört es mich nicht." – „Du magst ihn aber nicht." – „Er mich auch nicht", entgegnet er. „Aber ich bin froh darüber, dass er für dich da war, als ich es nicht war."
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Was haltet ihr von dem Abend? Und was denkt ihr, wird jetzt passieren?
Love, L
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