72. Kapitel

Flashback

Ich ziehe die Decke höher und hoffe, dass mich einfach niemand findet. „Louis!", ruft mein Kollege wieder und ich seufze genervt. Sie sollen mich alle in Ruhe lassen. Ich werde garantiert nicht aufstehen. „Scheiße." Ich verdrehe die Augen, denke aber gar nicht erst daran, mich umzudrehen. Ian steht inzwischen in der Tür meines Schlafzimmers. „Zayn!", ruft er laut durchs Hause. Verdammt, der Verteidiger ist auch hier? „Los, steh auf!", befielt er (ehemalige) Rookie und tritt näher ans Bett. „Verpiss dich", antworte ich nur missmutig. Er schiebt die Vorhänge auf und öffnet das Fenster. „Hier drin stinkt es. Und du stinkst auch, geh duschen." – „Lass mich in Ruhe.", antworte ich ihm lediglich.

„Vergiss es." Zayn hat also den Weg in mein Schlafzimmer gefunden. Ich stelle die Frage, wie sie in mein Haus gekommen sind gar nicht erst. Neo ist bestimmt noch hier. Er wird ihnen die Tür geöffnet haben. Plötzlich zieht mir jemand mit Schwung die Decke weg. „Ey!", beschwere ich laut und blicke meine Freunde wütend an. Es kümmert sie kaum. „Raus aus dem Bett." – „Raus aus meinem Schlafzimmer!" Weder Ian noch Zayn interessiert es, dass ich friere. „Du müffelst. Geh duschen." Zayn rümpft die Nase. „Arschloch", antworte ich nur. Ian seufzt und sieht kurz zu Zayn. Dieser erwidert seinen Blick. Skeptisch sehe ich die Beiden an.

Bevor ich reagieren kann, packen sie plötzlich je einen Fußknöchel von mir und ziehen mich zur Bettkante. „Geht's euch noch gut? Lasst mich los!" Sie denken gar nicht dran. Neo steht bereits im Badezimmer und stellt das Duschwasser an. Samt Kleidung stellen sie mich darunter. „Fuck, habt ihr sie nicht mehr alle?!" Ich will aus der Dusche steigen, aber sie verhindern es. Ich bin bereits klitschnass. „Ich hasse euch." – „Tust du nicht. Das war dringend notwendig", antwortet Ian nur und reicht mir mein Shampoo. Ich sehe an mir herab. Ohne es kontrollieren oder gar verhindern zu können, treten mir Tränen in die Augen. Ich heule viel zu oft in letzter Zeit. Ständig, fast jeden Tag.

Mein Körper zittert und obwohl das Wasser inzwischen warm ist, friere ich immer noch unerträglich. Mir ist egal, dass meine Freunde mich so sehen, ich kann es nicht ändern. „Es... das hier ist Harrys Hoodie", erkläre ich leise und mit schwacher Stimme. „Es war der letzte, der noch nach ihm gerochen hat", füge ich hinzu. Jetzt habe ich auch das nicht mehr. Das Wasser hat alles rausgewaschen. Neo seufzt leise und tritt vollbekleidet zu mir unter die Dusche. „Zieh das aus, Louis", bittet er mich. Ich klammere mich an den Stoff und schüttle den Kopf. Nein. Ich kann nicht. Mir wird schwindelig. Neo stützt mich, bevor ich mein Gleichgewicht verliere. Ich bekomme kaum mit, wie Ian mir den Hoodie über den Kopf zieht. Ich habe nicht die Kraft, mich zu wehren.

Irgendwie schaffe ich es, mich zu waschen. Mir ist immer noch kalt, es wird nicht besser. Zayn nimmt das Handtuch von der Heizung und legt es um mich, als ich aus der Dusche trete. „Meint ihr, das wird was?" – „Es muss", antwortet Neo sofort. „Aber erst einmal, muss er sich anziehen." Sie bringen mich ins Schlafzimmer zurück Ich setze mich unbeholfen auf das Bett. Meine Wangen sind wieder trocken, aber mein Körper brennt nach wie vor. „Heute ist der letzte Tag, Louis. Du weißt, dass du mitkommen musst", sagt Zayn und reicht mir ein paar Socken. „Mhm." – „Du würdest bereuen, wenn du im Bett bleibst", stimmt auch Ian zu und gibt mir ein Shirt. „Du kannst nicht deine ganze Karriere von diesem Arschloch kaputt machen lassen." Harry ist kein Arschloch, will ich sofort widersprechen, aber ich weiß, dass sie recht haben.

Er ist weg, immer noch. Es ist Wochen her, dass ich ihn zuletzt gesehen habe. Ich stehe mit wackligen Knien auf und nehme mir mein Handy. Die Hoffnung, plötzlich eine Nachricht oder einen Anruf von ihm zu bekommen, will nicht verschwinden. Ich habe aufgegeben, ihn anzurufen. Meine Nachrichten liest er nicht, ich schreibe keine Neuen. Ich würde es gerne, jeden Morgen aufs Neue kostet es mich unglaubliche Selbstbeherrschung, ihm nicht wieder zu schreiben.

„Ich fahre euch", gibt Neo Bescheid und schnappt sich seine Autoschlüssel. Sein Wagen steht in der Garage, dort wo Harrys Auto früher stand. Aber Harrys Auto ist weg. Ich ziehe meine Schuhe an und gehe zu Zayn und Ian, die bereits an der Haustür auf mich warten. „Fertig?" – „Ihr schleift mich doch sowieso zur Halle", entgegne ich trocken. Ian zuckt mit den Schultern. „Stimmt. Los, ins Auto." Ich setze mich und Neo fährt los.

Wir fahren zur Halle, heute beginnt das Training für die neue Saison. Ich habe es nicht gewagt, in den Spiegel zu schauen. Ich habe die letzten Wochen weder Sport gemacht, noch vernünftig gegessen. Eigentlich habe ich nur etwas gegessen, wenn ich gezwungen wurde. Wie soll ich heute trainieren? Ich schaffe es ja kaum, mich in der Dusche aufrecht zu halten.

Whatever.

Ich folge meinen Kollegen in die Trainingshalle. Coach Drew wartet offenbar auf uns. „Louis, schön dich zu sehen", sagt er sofort, aber ich erwidere die freundliche Begrüßung nicht. Er mustert mich. Ich weiß, dass er sieht, dass ich abgenommen habe, vor allem an Muskelmasse. „Wir fahren es ruhig an", kündigt er an. Ich nicke nur und gehe mit Zayn und Ian in die Umkleide. Mir entgehen ein paar verwunderte Blicke nicht. Dachten sie, ich komme nicht wieder her? Und wenn schon – heute Morgen war ich mir selbst noch ziemlich sicher, dass ich heute nicht hier sein werde. Ich ziehe mich wortlos um. Selbst diese Kabine erinnert mich an Harry. Sofort denke ich daran, wie ich ihn das erste Mal gesehen habe. Mein Blick schweift zur Kante des Schranks über mir, wo der Schlüssel lag, den ich damals gesucht habe. Ich schließe die Augen und atme tief durch. Nein, nicht schon wieder heulen.

Mein Ehering brennt auf meiner Haut. Mein ganzer Körper brennt. Es verschlingt mich. Kurz denke ich, ich halte es nicht mehr aus, da wird die Tür aufgestoßen. Drew betritt die Kabine. „Jungs, willkommen zum ersten Training", begrüßt er uns alle offiziell. „Bevor wir starten, möchte ich euch gerne jemanden vorstellen." Er sieht zur Seite und winkt jemanden in die Kabine hinein. Perplex sehe ich den Mann an, der sich zu Drew gesellt. „Lucas?" – „Hi Louis", lächelt er und hebt kurz die Hand. „Du kennst ihn?", fragt Drew verwundert. „Ja...äh..." Er war auf unserer Hochzeit. Auf Harrys und meiner Hochzeit. Ich schüttle den Kopf. „Schon gut. Ist nicht so wichtig."

Lucas belässt es dabei. „Hi. Ich bin Lucas Allister. Ich bin, wie ihr euch denken könnt, neu bei Lightning. Ich werde in Zukunft die Pressearbeit übernehmen." – „Du bist Harrys Nachfolger", stellt Kenny fest und verschränkt die Arme vor der Brust. „Richtig. Ich arbeite ebenfalls bei TAA und habe bereits alle Unterlagen der letzten Saison erhalten", antwortet er ihm. „Du bist bei TAA?" Ungläubig sehe ich ihn an. Er nickt. „Ich habe in New York studiert und bin danach für ein paar Jahr nach Paris gezogen. Diesen Sommer habe ich bei TAA angefangen", erzählt er. „Harry", murmle ich nur. Lucas hört es und ich sehe, dass er kurz darüber nachdenkt, zu antworten. Das reicht aus, damit ich verstehe, dass Harry ihm den Job bei TAA verschafft hat. Ob er wohl auch dafür gesorgt hat, dass Lucas hier landet?

„Ich werde mein Bestes geben und freue mich auf eine gute Zusammenarbeit", fügt Lucas noch hinzu und sieht durch die Runde. „Woher kennst du ihn?", will Zayn von mir wissen. „Er war in Paris", presse ich heraus. „Paris?", fragt Ian verwundert. „Moment, war er –" – „Ja", unterbreche ich ihn. „Wir haben ihn quasi auf unserer Hochzeit kennengelernt", fasse ich zusammen. Ihn hier zu sehen und zu wissen, dass er Harrys Job ab heute übernehmen wird, bringt mich durcheinander.

Ich trete aus der Kabine. Sofort steht Kenny neben mir. „Kannst du heute mitmachen?" – „Geht schon", antworte ich. Mir ist schwindelig. „Wenn es noch nicht geht, ist es nicht schlimm. Wir haben alle Verständnis dafür, wenn du noch Zeit brauchst." Sofort schüttle ich den Kopf. Mir geht es nicht gut – mit geht es hundselend, wenn man es genau nimmt – aber mir ist klar, dass meine Karriere endet, wenn ich mich nicht ab heute zusammenreiße. „Ich packe das", verspreche ich, obwohl mein Magen sich jetzt bereits umdrehen und selbst entleeren könnte.

Wir laufen uns warm. Ich bin schnell außer Atem und bekomme Seitenstiche. Fuck, meine Ausdauer ist hin. Ich beiße die Zähne zusammen und versuche, Schritt zu halten. Es ist noch nur aus Aufwärmtraining! Wütend darüber, in welchem Zustand mein Körper ist, ziehe ich das Tempo weiter an. Meine Lunge brennt wie Feuer und mein Herz hämmert mir bis zum Hals. Ich schwitze schon jetzt, aber ich denke gar nicht daran, aufzuhören, bis unser Coach es sagt.

Dann sinke ich auf der Stelle zu Boden und lege mich auf den Rücken. „Hier." Zayn reicht mir eine Flasche Wasser und ein Traubenzucker. Ich nehme beides dankend an. „Lass nicht zu, dass dieses Arschloch dir deine Karriere versaut", sagt er und setzt sich zu mir. Harry ist kein – doch ist er wohl. „Ich gebe mein Bestes", antworte ich und zwinge mich, ehrgeizig zu sein – dabei könnte ich mich auf der Stelle zurück in mein Bett verkriechen, wenn man mich ließe. 

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Da ist Lucas also aufgetaucht. Was haltet ihr davon? 

Love, L

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