66. Kapitel

Es ist seltsam. Gestern Nacht noch lag ich mit Harry im Bett und jetzt bin ich nicht sicher, ob ich mich im Flieger zu ihm setzen soll oder nicht. In seinen Armen, ich lag in seinen Armen. Ein Schauer erfasst meinen Körper und ich sehe ihn an. Er läuft ruhelos hin und her und telefoniert dabei. Wir warten darauf, in das Flugzeug steigen zu können. Ich verstehe nicht, was er sagt, dafür bin ich zu weit weg.

Plötzlich sieht er mich an. Er hält inne, bleibt stehen und lächelt ein bisschen. Ich erwidere es unsicher. Dann wendet er seinen Blick ab und sein Gesichtsausdruck ändert sich schlagartig. Er scheint aufgebracht zu sein.

Kenny setzt sich neben mich. „Weiß es schon das ganze Team?" – „Die meisten", antwortet er lediglich und zuckt mit den Schultern. Ich verdrehe die Augen. „War ja klar." – „Niemand konnte es überhören, naja bis auf Harry. Die meisten sind davon wachgeworden." – „Dachte ich mir schon", erwidere ich lediglich. „Ich glaube, ich habe ziemlich gut geschlafen, die meiste Zeit zumindest", füge ich dann hinzu. Mein Captain sieht mich skeptisch an. „Wir hatten keinen Sex, falls du das wissen möchtest." – „Nein, darauf wollte ich nicht hinaus." Ich zögere einen Moment, ehe ich antworte.

„Es war... okay, gut. Es ist seltsam." – „Verständlich." – „Willst du mir jetzt genau wie Zayn und Ian wieder sagen, dass ich ein Idiot bin, weil ich das hier tue?" – „Ich glaube, die beiden kommen dieser Aufgabe auch ohne meiner Hilfe nach." – „Allerdings", murmle ich. „Ich möchte nicht, dass sie recht haben", spreche ich unüberlegt weiter. „Ich weiß. Sonst wärst du wohl kaum zwei Nächte hintereinander in Harrys Zimmer verschwunden." Ich nicke nachdenklich. Ich kann ihm nicht widersprechen. „Er möchte mich küssen." Wieso ich ihm das sage, weiß ich nicht. Die Wörter verlassen meinen Mund, bevor ich es selbst bemerke. „Und?" Ich schüttle den Kopf. „Du weißt, dass es bei dir liegt", erinnert Kenny mich. „Ja." – „Was möchtest du?" – „Keine Ahnung." – „Das bedeutet nicht, dass du ihn nicht küssen möchtest", überlegt er. Ich drehe an meinem Siegelring und blicke wieder zu Harry. Er scheint noch wütender zu sein, als er es vorhin war.

Skeptisch beobachte ich ihn. Es wird nicht besser. Kurzerhand stehe ich auf und gehe zu einem der Shops hier im Flughafen. Ich hole einen Orangensaft und etwas zu essen. Soweit ich es mitbekommen habe, hat Harry schon beim Frühstück nicht viel gegessen. Seitdem telefoniert er ununterbrochen. „Los, wir boarden", gibt Liam mit Bescheid. Ich nicke und folge dem Goalie zum Flugzeug.

Harry telefoniert immer noch. Ich laufe zurück. Verwundert sieht er mich an, als ich in sein Sichtfeld trete. „Wir müssen los." Ich deute mit dem Kopf in Richtung Gate, wo gerade die letzten meines Teams zum Flugzeug laufen. Er nickt. „Tut mir leid, ich muss leider auflegen. Wir steigen in den Flieger zurück nach Tampa... okay, tschüss." Er legt auf und folgt mir. Ich gebe ihm das Frühstück. „Uhm... danke. Das war nicht nötig." – „Du hast bestimmt Hunger." Er nickt und trinkt einen Schluck des Orangensafts. Wir sind die Letzten, die zum Flieger gehen. „Mit wem hast du gesprochen?", möchte ich wissen. „Unwichtig." – „Sah nicht so aus." – „Ich kann es nicht sagen", antwortet er knapp.

Ich verdrehe die Augen. „War ja klar." – „Louis –" – „Weißt du was? Vergiss es, Harry", falle ich ihm ins Wort und bleibe mitten im Gang stehen, um mich zu ihm zu drehen. „Nichts kannst du mir sagen. Nicht, mit wem du telefoniert hast, nicht die Wahrheit, nicht einmal, wieso du mir nicht die Wahrheit sagen kannst. Vielleicht willst du es nur einfach nicht. Was weiß ich." Er schweigt und der Schmerz kehrt zurück, den ich die letzte Nacht ausnahmsweise nicht mehr gespürt habe. Es tut so verdammt weh und doch ist es so normal, dass es sich anfühlt, als wäre es normal, dass mein ganzer Körper brennt.

„Vielleicht war die letzte Nacht doch ein Fehler", denke ich laut. „Nein!", widerspricht er sofort, aber da laufe ich schon weiter. Ich werde mich nicht wieder verarschen lassen, dass kann er vergessen. „Nein, bitte." – „Was, Harry? Willst du mir wieder versprechen, es mir zu sagen? Willst du mir wieder versprechen, nicht zu gehen und es dann doch zu tun? Ich habe dir einen verdammt großen Vertrauensvorsprung gegeben und das Resultat hast du heute Morgen ja mitbekommen – oh, nein. Hast du nicht. Du warst nicht da!", feuere ich ihm entgegen.

Ich setze mich und bemerke erst jetzt, dass der einzig freie Platz neben mir ist. Was für eine Scheiße. Harry setzt sich und sieht mich entschuldigend an. „Ich werde es dir sagen." – „Lass stecken." – „Ich will es dir gerne sagen." – „Verarsch jemand anderen." Ich hole meine Kopfhörer raus, aber bevor ich sie in meine Ohren stecken kann, nimmt Harry sie mir aus den Händen. „Ey!" – „Louis, fuck!", flucht er laut und atmet einmal tief einmal ein und wieder aus. Er zittert nervös und unruhig. „Scheiße, ich darf es dir nicht sagen! Ich will es dir sagen, die ganze Zeit schon!" – „Du darfst nicht?", frage ich perplex. „Du willst mir ernsthaft erzählen, du darfst es mir nicht erzählen? Jemand verbietet dir, mir zu sagen, wieso mein Ehemann mich verlassen hat?"

Er lässt die Schultern hängen. „Ja und ich habe mich daran gehalten weil... ich weiß nicht, ob ich es besser ist, die Klappe zu halten oder es doch zu erzählen", gibt er zu. Nein. Das ist doch alles wieder gelogen. „Ich kann es dir Beweisen", beteuert er. „Ich kann dir alles beweisen, wenn wir zurück in Tampa sind."

Harry mustert mich. „Willst du es noch wissen? Ich kann verstehen, wenn du Zeit brauchst." – „Ich will keine Zeit", sage ich sofort. Zwei Jahre waren lang genug. „Okay", nickt Harry. „Es... uhm... es hat vor zwei Jahren angefangen", fängt er an zu sprechen und sieht sich um. Die meisten meiner Kollegen hören Musik. Keiner um uns herum beachtet uns oder hört zu. „Ich dachte erst, es wäre nichts weiter, deswegen habe ich mit dir nicht darüber gesprochen." Er sucht nach den richtigen Worten. „Es wurde immer mehr und irgendwann wurde mir klar, dass es nicht mehr so harmlos ist, wie ich dachte. Ich hätte vielleicht früher reagieren sollen." – „Worauf?", will ich wissen. Harry zögert. „Du darfst dem Team nichts davon erzählen." – „Wovon?" – „Louis, ernsthaft." – „Schon gut", stimme ich zu.

„Es waren Briefe. Mails. Nachrichten. Ich habe sie abgefangen, weil ich euer PR-Manager war. Es wurden immer mehr." Fragend sehe ich ihn an. „Drohungen, Louis." – „Drohungen." – „Ja. Weil du schwul bist." – „Weil ich –" – „Ja." Ich schlucke. Was? „Ich habe nichts gesagt, weil ich dir keine Angst machen wollte. Mir war klar, dass einige dumme Nachrichten kommen würde, wenn du dich outest, aber auf einmal waren Fotos dabei."

Mir wird eiskalt und eng in der Brust. Es schnürt mir die Luft ab. „Fotos. Du meinst, von mir?" – „Ja." – „Und dann?" – „Ich bin zur Polizei gegangen. Es wurden immer mehr Bilder und Nachrichten. Sie sagten mir, ich sollte es erst einmal nicht erzählen, um keine Panik im Team zu verbreiten und zu verhindern, dass es an die Öffentlichkeit gerät. Dann hätte die Gefahr bestanden, dass sich weitere homophobe Leute anschließen und es noch gefährlicher wird." Er sieht mich prüfend an. „Sprich weiter", fordere ich zittrig. „Die Polizei hat mir verboten es dir zu sagen." – „Wieso?" Harry schweigt. „Verdammt, wieso?!"

„Es waren Morddrohungen, Louis." Mir bleibt die Luft weg und meine Sicht verschwimmt. Jemand wollte mich umbringen. Oh fuck. „Was?" Ich merke gar nicht, dass ich das frage. „Es wurde immer schlimmer und gefährlicher. Um die Situation zu entschärfen hat die Polizei mir geraten, mich erst einmal nicht mehr in der Öffentlichkeit mit dir sehen zu lassen, damit etwas Ruhe einkehrt und sie Zeit haben, zu ermitteln. Gleichzeitig wurde ich in Europa für ein Projekt gebraucht", erzählt er mir. „Du wurdest die ganze Zeit von der Polizei überwacht. Sie wussten, dass diese Menschen dich beobachten. Es sollte so aussehen, als würde ich ausziehen, damit dir nichts passiert. Es sollte so aussehen, hätten wir uns getrennt. Deswegen habe ich nachts meine Sachen gepackt: diese Leute haben zugesehen. Ich bin nach Europa geflogen, nur für ein paar Wochen. Als ich grünes Licht von der Polizei bekommen habe, habe ich dir geschrieben. Diese Nachricht kennst du ja", meint er und sofort sehe ich vor meinen inneren Auge, den Chatverlauf, den er mir vorletzten Abend in der Bar gezeigt hat.

Perplex sehe ich ihn an. Die Informationen fluten mein Gehirn. Ich wiederhole das Gesagte in meinen Gedanken, aber es will sich nicht in das Bild einfügen. Alles ist durcheinander.

„Ich zeige dir alle Mails und Nachrichten mit den Detektives, wenn wir in Tampa sind", fügt er hinzu. „Ich werde dir alles beweisen, ich verspreche es dir." Ich bleibe still. Harry mustert mich. „Louis? Bitte sag etwas." Ich kann nicht. Mein Körper handelt von selbst. Ich springe auf, ignoriere die Stewardess, die mir sagt, dass ich noch nicht aufstehe und renne zu der Flugzeug Toilette. Ich schaffe es gerade so, die Tür hinter mir zuzukicken, bevor mein Magen sind umdreht und ich mich übergeben muss.

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Jetzt reden Sie. Habt ihr damit gerechnet?  Wie wird es wohl weitergehen? Und wird Louis ihm glauben?

Love, L

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