IX - Diner

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Als sie ihre Wohnung verlässt und die Stufen im Treppenhaus hinuntergeht, meldet sich ihr körpereigener Untermieter erneut.

Ach, was liebe ich diese Hochhäuser und das dazugehörige Treppensteigen."

Während Alanis die Treppen zur dritten Etage hinuntergeht, denkt sie darüber nach, wie sie ihr Leben mit ihm weiterführen kann.

Wenn ich vor anderen Menschen mit dir rede, wirkt es für sie, als würde ich Selbstgespräche führen. Das würde ich gerne vermeiden."

Das heißt du wirst mir nicht antworten, wenn sich die Möglichkeit nicht bietet!"

Ein zustimmendes Nicken bestätigt dies; offenbar möchte sie nun damit beginnen.

Gut, allerdings heißt das nicht, das ich dann ruhig sein werde."

Das hatte sie bereits befürchtet, doch sie antwortet nicht. Jetzt steht sie an der Haustür, greift mit zitternder Hand nach dem Griff und atmet tief durch. Es ist für sie nach wie vor eine Herausforderung, unter Menschen zu gehen. Sie meidet den Augenkontakt und verhält sich im Allgemeinen zurückhaltend gegenüber anderen. Zu oft wurde sie enttäuscht, zu viele schmerzhafte Erlebnisse haben sich in ihr eingegraben.

Als der schreckliche Unfall mit ihren Eltern geschah, wurde ihr erst bewusst, wer tatsächlich für sie da war. Die erdrückenden Schuldgefühle lasteten schwer auf ihrer Seele. In diesen verzweifelten Momenten hätte sie sich sehnlichst jemanden gewünscht, der ihr zur Seite stand, der ihr Trost und Halt bot. Doch niemand war da. Niemand schien sich um sie zu kümmern. In den Augen der anderen war sie offenbar nur eine flüchtige Bekannte, eine Person, die schnell vergessen wurde.

Dafür bin ich jetzt da!"

Sie weiß nicht, ob sie sich dadurch beruhigt oder verängstigt fühlen soll. Mit einem tiefen Atemzug sammelt sie ihren Mut, bevor sie den Türgriff fester umschließt und die Tür nach draußen öffnet.

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Es regnet, wie könnte es auch anders sein? Der Himmel scheint ihre innere Verfassung widerzuspiegeln. Inmitten dieses grauen Wetters fühlt sie sich verloren und unsicher. Sie weiß nicht, wie es weitergehen soll oder welche Herausforderungen das Leben noch für sie bereithält. Die Tropfen, die gegen das Fenster prasseln, scheinen ihre eigenen Zweifel und Ängste zu verstärken, während sie nach Antworten sucht, die ihr im Moment unerreichbar erscheinen.

Langsam setzt sie einen Fuß vor den anderen, während der Regen wie dicke Bindfäden vom Himmel fällt und den Boden durchnässt. Doch das hat auch seine Vorteile: Bei diesem Wetter wagt sich kaum jemand aus dem Haus, sodass ihr auf ihrem Weg von einem Vordach zum nächsten niemand begegnet. Sie huscht geschwind unter den überstehenden Dächern entlang, während die Tropfen wie Perlen von den Kanten herabplätschern.

Wo gehen wir eigentlich hin, also was wollen wir essen?"

Darüber hat sie sich bisher noch keine Gedanken gemacht. Eigentlich möchte sie nur schnell etwas zu essen besorgen – am besten etwas zum Mitnehmen – und dann zügig nach Hause zurückkehren.

Das kannst du dir abschminken, wir werden uns – im Trockenem – hinsetzen und vernünftig essen."

Scheinbar hat sie keine andere Wahl, obwohl er grundsätzlich ebenfalls keine Optionen hat. Ihr Körper bleibt weiterhin unter ihrer Kontrolle. Plötzlich kommt ihr eine Idee: Früher sind sie oft nach der Arbeit zu dem Italiener um die Ecke gegangen. Doch sie zögert, denn sie möchte unbedingt vermeiden, den alten Kollegen dort zu treffen.

Also trifft sie eine Entscheidung und wendet sich einem anderen Restaurant zu, das ihr auf dem Weg begegnet.

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Es sollte ein Diner werden – Geenas Cucina. Schnell sprintet sie durch den Eingang, während der Regen von ihren Haaren auf den Boden tropft. Doch das Diner ist nahezu vollständig leer; nur die Kellnerin steht hinter dem Tresen und schaut auf.

Sie wirkt zwar etwas älter, doch ihr sonniges Gemüt strahlt förmlich. Trotz des trüben Wetters schenkt sie Alanis ein freundliches Lächeln. Als sie näherkommt, blitzen zwei strahlend grüne Augen auf, und ihre roten Haare hat sie zu einem fröhlichen Zopf gebunden. Sie trägt abgetragene Turnschuhe, und der abgewetzte Block für Bestellungen lässt darauf schließen, dass sie nach vielen Jahren als Kellnerin müde geworden ist. Doch genau das Gegenteil vermittelt sie. Mit einem breiten Grinsen strahlt sie Alanis beinahe an und verbreitet eine ansteckende Lebensfreude.

Hallo und herzlich willkommen bei Geenas! Mein Name ist Tina. Ich möchte ganz offen mit Ihnen sein: Bei diesem miserablen Wetter – bitte nehmen Sie es mir nicht übel – hätte ich nicht gedacht, dass sich heute jemand nach draußen wagt."

Äh, ja diese Idee kam mir auch ziemlich unverhofft!"

Alanis vermittelt spürbare Unsicherheit. Im Gegensatz dazu scheint Tina bereits viele verschiedene Kunden in ihrem Laden empfangen zu haben. Sie geht mit einer lockeren und herzlichen Art auf die Situation ein, was eine angenehme Atmosphäre schafft.

Ach Kind, dann setz dich doch zu mir an den Tresen, dann werde ich dir beweisen, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast!"

Ihre freundliche und charmante Art zieht Alanis sofort in ihren Bann. Durch Tinas herzliche Art, verschwindet ihre Angst und Verschlossenheit allmählich. Warum ist ihr dieser Laden vorher nie aufgefallen, hier hätte sich sich sicher gleich wohl gefühlt.

Könnte daran liegen, weil du dich zuhause nur eingeschlossen hast!"

Alanis blinzelt die Stimme weg und möchte Tina gerade mitteilen, dass sie lieber an dem kleinen Tisch in der Ecke sitzen würde. Doch bevor sie ihre Worte aussprechen kann, legt Tina sanft ihre Hand auf Alanis' Schulter und führt sie zum Tresen.

Oh, ich glaube, du hast dir den richtigen Laden ausgesucht!"

Kaum hat Alanis Platz genommen, geht Tina um den Tresen und lächelt sie an: „So, was führt dich denn hierher? Nur der Hunger?"

Meine innere Stimme, in gewisser Weise..."

Die Worte brechen so plötzlich aus ihr heraus, dass sie sich am liebsten den Mund zugehalten hätte. Warum fällt es ihr so leicht mit Tina zu reden, wenn sie doch sonst kaum ein Wort raus bringt?

Tina nimmt es gelassen, als sie bemerkt wie Alanis langsam auftaut und lacht: „Na dann ist das vielleicht eine göttliche Fügung!"

Wohl eher im Auftrag des Teufels!"

Entgegnet Alanis mit einem schalkhaften Grinsen.

"Hey..."

Alanis blinzelt erneut, als die Stimme antwortet und versucht, die Gedanken zu ordnen. Man erkennt aber wie es in Tina arbeitet, sie scheint noch eine Frage auf dem Herzen zu haben. „Es gibt da noch etwas, das ich von dir wissen muss: Trinkst du Kaffee?"

Etwas überfordert schaut sie Tina an. Hat diese Frage einen besonderen Hintergrund, oder sieht sie einfach nur aus wie eine Tee-Trinkerin?

Äh,ja?"

Fällt Alanis' knappe Antwort aus.

Plötzlich schnippt Tina mit den Fingern. Alanis zuckt ein wenig zusammen, bis Tina erklärt, was sie vorhat: „Ich habe genau das Richtige für dich! Ich bereite dir meine Spezialmischung zu. Vor ein paar Wochen habe ich gehört, dass sie wirklich hervorragend ist. Und das Beste daran: Der erste geht auf's Haus!"

Sie zwinkert Alanis zu und verschwindet hinter dem Tresen, wo sie sich gleich mit der Kaffeemaschine beschäftigt. Das gibt dir die Gelegenheit, dich genauer umzusehen. Es scheint ein italienisches Diner zu sein, mit silberner Umrandung des Tresens und den dazu passenden Barhockern. Tina hantiert an der klassischen alten Kaffeemaschine, die aus schimmerndem Chrom besteht und mit einem Mahlwerk sowie verschiedenen Bohnen ausgestattet ist – ein wahrer Traum für jeden Kaffeeliebhaber.

Nach einem lauten Zischen der Maschine wirkt es, als wäre Tina endlich fertig. Sie dreht sich mit einem dampfenden Becher Kaffee zu mir um und sagt strahlend: „Voilà– Tinas Spezial!"

Sie stellt mir den Kaffee vor sich auf den Tisch und lächelt sie erwartungsvoll an. Doch plötzlich scheint ihr etwas einzufallen: „Oh, ich hoffe du kannst Milch ab, danach habe ich gar nicht gefragt!"

Alanis lächelt sie an, selten das sich jemand so viele Gedanken macht.

Nein, alles gut!"

Die Erleichterung ist ihr deutlich anzusehen. „Dann lass es dir schmecken!", sagt sie mit einem Lächeln. Sie dreht sich um, um die Speisekarte zu holen. Währenddessen nimmt Alanis einen Schluck von der Spezialmischung, und ihre Augen weiten sich vor Überraschung. Selten hat sie einen so köstlichen Kaffee genossen.

Nicht zu viel versprochen?" Tina lächelt sie an, als sie mit der Karte in der Hand ihren Blickerkennt.

Was ist das denn? Ich habe selten einen so guten Kaffee getrunken."

Sie lächelt nur, während sie ihr die Speisekarte reicht. „Das freut mich und wenn ich dir noch etwas empfehlen darf, dann schau mal bei den Sandwiches."

Alanis nickt zustimmend und betrachtet die Karte aufmerksam. Ihr Blick bleibt tatsächlich an den Sandwiches hängen, und schließlich entscheidet sie sich für ein köstliches Chicken-Parmesan-Sandwich. „Gute Wahl!", lässt Tina verlauten, „Kommt sofort!"

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Als Tina in die Küche verschwindet, hört Alanis hinter sich die Türglocke läuten, die ihr beim Betreten des Diners nicht aufgefallen ist. Ein junger Mann tritt in das Restaurant ein, und als Tina aus der Küche kommt, um ihn zu begrüßen, hebt er bereits die Hand. Offensichtlich ist er ein Stammgast. Er nimmt Platz am anderen Ende des Tresens und wartet geduldig auf Tina. Anscheinend möchte er nur einen Kaffee.

Mit einem freundlichen Lächeln tritt Tina an ihn heran, und die warme Atmosphäre des Diners umgibt sie beide. Der Duft von frischgebrühtem Kaffee und frisch gebackenem Gebäck liegt in der Luft, während der junge Mann entspannt in seinem Stuhl sitzt und die Wände des Diner mit ihren bunten Bildern und nostalgischen Erinnerungen betrachtet. Es ist klar, dass er sich hier wohlfühlt und die kleine Auszeit von seinem Alltag – oder dem Regen – genießt.

Siehst du, das alles meine ich. Du kannst dir nicht vorstellen wie sehr ich das vermisst habe!"

Ich auch denkt Alanis nur, um ihm nicht sofort recht zu geben.

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Als sie mit dem Essen fertig ist und bezahlen möchte, wird der andere Gast unruhig. Plötzlich schaut er zu Alanis, und sie spürt, wie ein kalter Schauer ihren Rücken hinunterläuft.

Irgendetwas stimmt hier nicht!"

Als Tina zum Bezahlen kommt, legt sie noch etwas Trinkgeld auf den Tisch und macht sich bereit, zu gehen. Plötzlich steht der Gast auf und starrt sie förmlich an. Alanis versucht, seinem Blick auszuweichen, doch für einen kurzen Moment treffen sich ihre Augen. In diesem Augenblick spürt sie eine unerklärliche Verbindung, die die Luft um sie herum aufzuladen scheint.

Wir müssen gehen, SOFORT!"

In nächsten Moment leuchten die roten Augen des Gastes auf.


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