•10 - Wer bist du?•

"Wer bist du?", frage ich und sehe in den Spiegel.

"Wer bist du, wenn du morgens vor dem Spiegel stehst und die Foundation aufträgst, die Wimpern tuschst und einen dünnen Eyelinerstrich ziehst?

Wer bist du, wenn du sagst, du siehst heute gut aus und zum Spiegel deines Schrankes wechselst, um dir eine schöne Frisur zu machen?

Wer bist du, wenn du zielstrebig durch die Schule gehst, der Blick fokussiert, das Aussehen perfekt?

Sag mir, wer bist du?

Du stehst bei deinen Freunden, lachst, lernst für die nächste Stunde um wieder zu glänzen, wieder perfekt zu sein.

Zu wem machst du dich?

Gesicht waschen, eincremen, Foundation - du malst dir deine Fassade.

Du malst dir die Fassade des glücklichen Mädchens, dem es egal ist, was die anderen sagen oder denken, dass sie alle feiern gehen und du nicht.

Du malst dir die Fassade derer, die gut in der Schule ist, allen alles Recht macht, ihre Eltern stolz macht.

Wer bist du, hinter dieser Fassade?

Hinter der Fassade.

Hinter der Fassade bist du anders.

Dich kümmert, was alle sagen.
Dich verletzt es, dass sie die Streberin, die Seltsame in dir sehen. Du weißt ja alles, du hast nicht solche Probleme wie sie.

Du willst deiner besten Freundin alles recht machen, gibst klein bei, anstelle ihr wirklich mal die Meinung zu sagen, wenn es dir stinkt. Du entschuldigst dich zu viel und immer zu erst.

Wohin geht dein Selbstbewusstsein in solchen Momenten?

Du sagst deiner Mutter abends, wenn sie dich fragt, ob es dir gut geht, dass es so ist. Dass du glücklich bist.

Eigentlich bist du das doch gar nicht.

Eigentlich würdest du gerne mal was trinken gehen, nur für das Gemeinschaftsgefühl. Du hast Angst davor, dich zu betrinken, die Kontrolle zu verlieren.

Eigentlich würdest du gerne schludern, jemandem die Meinung sagen, kantig sein, nicht immer dein Bestes geben, wenn man doch im Internet Geschichten schreiben kann.

Eigentlich würdest du gerne die Augen schließen und pausieren, die ständig rennenden Gedanken aufhalten.

Eigentlich würdest du gerne aktiver an deinem Ziel arbeiten.

Eigentlich.

Aber du magst deine Fassade. Du magst die Kontrolle. Du magst das Perfekte.

Wer bist du also?

Du magst es, deine Schwächen, deine Ängste nicht zu zeigen. Du redest nicht mit deiner Mutter oder deiner besten Freundin über das, was dich tief im Innern bewegt. Du weißt, was in den Menschen schlummert, die dich umgeben und bist nett zu ihnen, weißt, dass auch sie Schwächen haben.

Und du bist dir deiner eigenen Gegensätzlichkeit bewusst.

Und trotzdem stehst du jeden Morgen auf, für die Fassade."

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