An den freundlichen, aber unhöflichen Jungen mit dem Regenschirm
Ich weiß gar nicht so wirklich wie und wo ich anfangen soll. Am Besten mit einem 'Hallo' oder?
Ja, ich denke das ist ein guter Beginn.
Also.....
Hallo, du mir unbekannter junger Mann mit dem Regenschirm.
Du wirst dich sicher fragen warum ich dir schreibe, wo wir uns doch gar nicht kennen und uns am heutigen Tage das erste Mal begegnet sind. Wer weiß, ob du dich überhaupt an mich erinnerst solltest du mich morgen noch einmal sehen.
Vermutlich eher nicht.
Ich erkläre dir den Grund dieses Briefes jedenfalls gleich im Anschluss, würde ich mich dir gerne kurz vorstellen, damit du weißt mit wem du es zu tun hast.
Ich bin Ariana, 20 Jahre alt und besuche die gleiche Uni wie du.
Damit wirst du sicher nicht viel anfangen können.
Mhhhh....
Ah ja, so vielleicht.
Ich bin die kleingewachsene, junge Frau der du deinen Schirm heute freundlicherweise überlassen.....Nein überlassen ist das falsche Wort. Wie sage ich es am Besten?
Gegeben?
Geliehen?
Aufgezwungen?
Ja, aufgezwungen passt besser.
Ich bin die kleingewachsene junge Frau, der du deinen Schirm am heutigen Nachmittag freundlicherweise aufgezwungen hast. Anders kann ich es wirklich nicht sagen, denn wie würdest du es nennen, wenn dir ein Wildfremder den Griff eines Regenschutzes über die Schulter gleiten lässt und du gezwungen bist diesen zu ergreifen?
Nicht das ich dies unfreundlich fand, meine Augen durften sicher groß wie Teller gewesen sein, hab ich mich nicht nur erschreckt, weil du wie aus dem nichts aufgetaucht bist und ich dich absolut nicht bemerkt habe, sondern war einfach überrascht.
Aus bestimmten Gründen, die hier nicht wirklich was zur Sache tun, bin ich solche Dinge aus Mitleid und Bevorzugung gewohnt. Aber da wir uns meines Wissens nach ja nicht kennen, bezweifle ich das es einer der Beiden Gründe war, die dich zu deinem Tun veranlasst haben.
Vielleicht doch, war schließlich auch nicht die Idee des Jahrtausends unter einem Baum Schutz vor dem am Nachmittag eingesetzten Platzregen zu suchen.
Im Herbst... unter einem halbleeren Blätterdach....
Zu meiner Verteidigung, es war gerade nichts anderes da und ich wäre sicher völlig durchweicht gewesen, wäre ich wie blöd losgestürmt. Naja, ich dachte jedenfalls die paar Blätter und das Chemiebuch reichen für den kurzen Moment aus. Ich konnte ja nicht riechen das der Himmel sich heute gegen mich verschworen hat und dann auch nochmal nachlegt.
Egal, ich gehe jetzt einfach davon aus, dass du völlig selbstlos gehandelt hast, als du mich da hast stehen sehen.
Naiv?
Nicht wirklich. Voller Hoffnung eher, dass es noch einfach freundliche Menschen da draußen in der Welt gibt, auch wenn meine bisherigen Erfahrungen die Jugend heutzutage als....Ach lassen wir das, sonst schaffe ich es heute nicht mehr dieses Thema abzuschließen.
Jedenfalls sind wir damit dann auch schon bei dem eigentlichen Grund meines Schreibens. Ich möchte mich einfach nur kurz bei dir bedanken. Ich hätte dies gern persönlich getan aber..... naja, du bist so schnell weg gewesen. Hast dich einfach gesagt direkt vom Acker gemacht, dich bei meinem 'Hey', das gefolgt ist nicht mal umgedreht, nur die Hand gehoben.
War deine Tat noch so freundlich und nett, muss ich dir im nächsten Atemzug leider trotzdem sagen, dass du zugleich auch ganz schön unhöflich bist. Einmal umdrehen hätte schon gereicht, denn da dein Körper völlig in eine Jacke gehüllt und dein Kopf mit einer Kapuze bedeckt war, konnte ich nicht einmal einen Blick auf meinen Retter werfen, um mich in den nächsten Tagen zu bedanken oder mal nach deinem Namen zu fragen, damit ich dir den Schirm zurückgeben kann, der hier gerade in einer Ecke trocknet.
Den einzigen Hinweis den ich erspähen konnte, war die Nummer auf deiner Jacke, die mir verraten hat, dass du einem der Sportclubs angehörst.
Nur welchem?
Ach das finde ich schon heraus. Du musst nämlich wissen, dass ich ziemlich hartnäckig bin ;).
Jetzt wirst du sicher denken, das ich nicht mehr alle Nadeln an der Tanne habe, weil ich da oben 'Retter' geschrieben habe, doch tatsächlich empfinde ich dich als ein solchen. Schließlich hast du im Grunde genommen dafür gesorgt, dass ich meinen Termin nicht verpasse. Du musst nämlich wissen, dass dieser für die meisten Menschen, hier an diesem Ort, eine große Wichtigkeit besitzt.
Und wenn du bis jetzt immer noch nicht der Meinung bist, dass bei mir einige Schrauben locker sind, dann im nächsten Moment, denn diesen Brief wirst du mit hoher Wahrscheinlichkeit nie zu Gesicht bekommen. Der Grund dafür ist mehr als einfach, schließlich steht er in einem Buch, in dem ich eigentlich meine innigsten Gefühle und meine geheimsten Gedanken schreiben sollte. Vorne auf dem Einband steht schließlich nicht umsonst 'Tagebuch' drauf.
Wie ich auf diese schwachsinnige Idee komme?
Nun ja, ich hab gerade nichts Besseres zu tun als zu warten und dieses Buch weiß ich eigentlich auch nicht anders zu nutzen. Vielleicht bin ich aber auch sehr egoistisch und will der Nachwelt einfach etwas schönes von mir hinterlassen und nicht Seiten die voll mit traurigen Erinnerungen und schlechten Nachrichten gefüllt sind. Außerdem bin ich nicht kreativ genug um Geschichten oder Gedichte zu schreiben, wie die Schwestern hier vorgeschlagen haben.
Also warum nicht Briefe an einen Fremden schreiben?
Ich halte das für eine schöne Idee, was meinst du?
Oh, ich muss los und damit unsere nette und erste Unterhaltung unterbrechen. Ich hoffe wir sehen uns recht bald wieder. Zum Einen wünscht sich der Regenschirm sicher wieder in die Hände seines eigentlichen Besitzers zu kommen und ich möchte mich schließlich persönlich bei dir bedanken, damit du diese 'Danke' auch wirklich erhälst. Es ist schließlich auch verdient.
Also, hoffentlich bis bald
Ariana ;)
Am Ende des Briefes angekommen, klappe ich das Buch zu, lasse mich nach hinten auf die Matratze fallen und sehe an die schneeweiße Decke, während ich deine Hinterbliebenschaft an meinen Brustkorb drücke. Fluch und Glück zugleich das ich es besitzen darf, denn ich weiß gerade nicht ob ich lachen oder heulen soll. Lachen, weil auch nur du auf eine solch dumme Idee kommen kannst und dein Schreibstil tatsächlich an eine Unterhaltung, wenn auch eine eher monologe, mit dir ähnelt. Oder soll ich weinen, weil du mir Erinnerungen vor Augen führst, die den Schmerz nicht abklingen lassen?
Nein, mehr denn je vermisse ich deine Gegenwart, dein Lachen und deine dummen Witze. Dein schönes blasses Gesicht, deine langen dunklen Haare, die sich in einer leichten Brise wiegen und deine dunklen, großen, leuchtenden Augen, die von der Sonne angestrahlt werden und funkeln sobald du lächelst. Dieses tiefe Schwarz in ihnen, das mich bereits mehr als einmal in den Bann gezogen hat. Deine schmalen, weichen Lippen, die ich.....
Frustriert seufzend unterbreche ich meinen nächsten Gedanken, setze ich mich auf und starre ins Leere, während das Bild deines lächelnden Selbst vor meinem geistigen Auge auftaucht. Mein Griff verstärkt sich erneut und meine Finger klammern sich an das Buch, als wäre es ein Rettungsboot das mich vor dem ertrinken schützen soll, während meine Erinnerungen an den Tag unseres ersten Treffens abdriften
Natürlich erinnere ich mich als wäre es gestern gewesen. Ich war auf dem Weg zur Halle an dem kläglich geschmückten Laubbaum vorbeigekommen unter dem du gestanden hattest. Dein Kopf mit einer Kapuze bedeckt und ein Buch über diesen gehalten, als würde das irgendetwas bringen. Deine Blickrichtung wanderte immer wieder von oben nach unten, zeigte deine wandernden Augen von deiner Uhr und zum Himmel zurück, als wenn du mit deinen Blicken den Regen anhalten könntest, wenn du nur lange genug auf und ab starrst. Du hattest es eilig, wie ich nun weiß, um ins Krankenhaus und zu dem letzten Versuch zu kommen, der dich hätte retten können.
Aus Mitleid habe ich sicher nicht gehandelt, liegt mir das in solchen Fällen auch jetzt noch fern. Auch als selbstlos würde ich meine Tat nicht bezeichnen, bin ich alles aber sicher nicht das. Sonst wäre ich in den letzten Stunden bei dir gewesen, an deiner Seite und nicht hier in dem Zimmer, um mir den Kopf zu zermatern, weil ich einfach nicht wusste wie ich mich dir gegenüber verhalten soll, nachdem ich dich.....
Den Kopf schüttelnd, verbanne ich dieses Ereignis aus meinem Gedanken und führe den eben gedachten Moment weiter, damit die abgeflaute Wut auf mich selbst nicht erneut hockocht.
Tatsächlich hatte ich dir den Schirm aus dem einfachen Grund gegeben, das ich glaubte du könntest ihn besser gebrauchen als ich, weshalb ich dir den Griff wortlos im vorbeigehen über die Schulter habe gleiten lassen. Ich war sowieso fast da.
Eine Laune also, nichts weiter.
Das ich mich nicht umgedreht hatte, hatte den einfach Grund, dass ich in Eile gewesen war. Wenn ich zu dieser Zeit gewusst hätte, was mir ein Zusammentreffen mit dir bringt..... Sicher wäre ich stehen geblieben, hätte mich umgedreht, denn das Kennenlernen deiner Person war sicher nicht das schlechteste in meinem Leben.
Ganz im Gegenteil.
Du hast mir im Laufe der Zeit so viel beigebracht, mir die Sicht auf die Welt aus deinen Augen gezeigt und mich tatsächlich verändert. Erneut seufzend lasse ich meinen Blick durch mein verwüstetes Zimmer gleiten.
Ich fühle mich gerade irgendwie ruhiger.
Nicht besser und sicher nicht befreit von dem Schmerz in meiner Brust, aber ruhiger, was mich doch verwirrt.
Erneut macht mein Telefon, welches immer noch in der Ecke des Zimmers liegt, vibrierend auf sich aufmerksam. Ich weiß das es Oikawa ist. Der Idiot hat sicher bemerkt das ich seine Nachricht gesehen und im Grunde ignoriert habe, was ihn garantiert dazu treibt mich jetzt anzurufen. Dieser widerliche vibrierende Ton ebbt nämlich einfach nicht ab. Meine müden Beine tragen mich träge, nachdem ich mich erhoben habe, zu dem Handy, meinen derzeit wichtigsten Besitz noch immer an meine Brust gedrückt. Das Telefon augehoben, bestätigt sich mein Gedanke als der Name auf dem Display aufleuchtet. Mein Daumen bewegt sich wie von selbst auf den roten Knopf, der den Anruf abweist zu und drückt auf diesen.
Ich bin nicht bereit mit jemandem zu sprechen, jemandem von meiner Situation zu erzählen. Immer noch habe ich das Bedürfnis einfach alleine mit mir, meiner chaotischen Gefühlswelt und meinen Gedanken zu sein. Das Handy komplett ausgeschaltet, wandert es zurück in meine Hosentasche. Mir ist bewusst was als nächstes passiert. Oikawa wird zuerst fluchen, dann schmollen. Im Nachhinein wird er sich dann Gedanken machen, begreifen das etwas passiert sein muss und mir ist bewusst das er irgendwann hier aufkreuzen wird.
Doch noch möchte ich für mich sein. Möchte mir Zeit für die Erinnerungen an dich nehmen. Ich will mich darin verlieren, an die schöne Zeit zurückdenken, um meinem Schmerz mit deinen gelesenen Worten vielleicht doch ein wenig Linderung zu verschaffen.
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