7. Ein neuer Anfang?
Es dauerte eine Weile bis ich mich wieder beruhigt hatte. Kazutora war die ganze Zeit über nicht von meiner Seite gewichen. Durchgehend hatte er mich umarmt und mir gut zugeredet.
„Ich kann's einfach immer noch nicht fassen", flüsterte ich fast tonlos.
„Glaub ich dir, ist schwer zu verkraften", murmelte er bedrückt, als seine Hand ein weiteres Mal durch meine schwarzen Haare glitt.
„Soll ich uns was zu Essen machen?", fragte er mit einem leichten Lächeln im Gesicht. Wahrscheinlich weil er mich aufmuntern wollte.
„Warte, du kannst kochen?", fragte ich verwundert, da ich keine Erinnerung fand in der mir der Junge jemals etwas zu Essen gemacht hatte.
„Naja, es geht. Rührei krieg ich hin", lachte er verlegen.
„Kannst mir ja helfen, vielleicht lenkt es dich ab", lächelte er und stand auf, dabei nahm er meine Hand und zog mich mit sich nach oben.
„Du weißt, dass ich nicht kochen kann?", fragte ich vorsichtshalber nach.
„Na klar weiß ich das", grinste er als wäre es selbstverständlich.
Trotz dieser Erkenntnis zog er mich mit sich bis in die Küche. Erst jetzt fiel mir auf, wie warm und sanft seine Hände waren, was für einen Straßenschläger schon sehr ungewöhnlich war. Mein Inneres würde sie am liebsten gar nicht mehr loslassen, doch trotzdem löste ich mich von ihm, als wir in der Küche ankamen.
Kazutora ging zum Kühlschrank und kam mit einer Schachtel Eier zurück.
„Du darfst sie aufschlagen", sagte er.
Sofort schnellte Meike rechte Augenbraue nach oben.
„Ok, wenn du nur Schale essen willst, gerne", warnte ich ihn vor.
Das erste Ei schlug ich dabei so fest auf, dass es auf der Arbeitsfläche zerschellte.
Lautes Lachen ertönte hinter mir.
Kommentarlos warf ich ihm die Eierschale gegen den Kopf.
Den Rest des Ei's schob ich mit meiner Handfläche in die Schüssel.
*Passt schon, ist es halt etwas stückiger*
Die andern drei Eier wurden bei jedem Mal dafür besser.
Während Kazutora das anbraten übernahm, legte ich mich etwas auf die Couch.
Nachdenklich starrte ich die Decke an. All das nachdem ich immer gesucht hatte, war weg. Es war als hätte ich umsonst gesucht.
*Sollte ich wirklich aufhören weiter nach irgendwelchen Hinweisen zu suchen. Wofür lohnt es sich, wenn ich eh keine Familie mehr habe. Den Einzigen den ich noch habe ist Kazutora. Er scheint irgendeine Scheiße früher abgezogen zu haben, aber ist das wirklich wichtig? Muss ich das wirklich wissen? Wenn ich es nicht weiß, kann ich es auch nicht schlimm finden. Wahrscheinlich ist es besser, ich lass es einfach und bin glücklich mit dem was ich habe.*
„Na, worüber denkst du nach?", erschien ein schwarzblonder Wuschelkopf über mir.
„Ich bin am überlegen ob ich aufhören soll, weiter nach Hinweisen aus der Vergangenheit zu suchen, wenn es eh kein anderes Zuhause gibt wo ich hinkann. Alte Freunde brauch ich auch nicht, schließlich hab ich dich und Shuji. Nur Keisuke fehlt mir, seit ich mich wieder an ihn erinnern kann."
„Ja, Baji fehlt mir auch. Vielleicht kann ich ihn irgendwann mal überreden, dass wir uns heimlich treffen".
„Das würdest du für mich tun?", fragte ich überrascht.
Er lachte kurz.
„Ich mach das nicht nur für dich, er ist schließlich auch mein bester Freund."
„Essen ist übrigens fertig, also komm", schwungvoll zog er mich am Handgelenk nach oben.
Wir teilten das Rührei auf unsere Teller auf und setzten uns an den Esstisch.
Schon bei der ersten Gabel biss ich auf eine Eierschale.
„Ist wirklich sehr knusprig", sagte ich mit hochgezogener Augenbraue.
„Du hast die Eier getrennt nicht meine Schuld", grinste er provokant.
„Ich kann halt auch nicht alles perfekt", murrte ich.
Im nächsten Moment hörten wir von der Haustür ein Geräusch. Es klang als würde jemand den Schlüssel ins Schloss stecken.
Kazutora neben mir lief sofort bleich an.
„Schnell verschwinde nach oben in mein Zimmer und komm nicht runter egal was passiert!", sagte er eindringlich mit ernsten aber dennoch verängstigten Blick.
Schnell stand ich auf und lief die Treppe bis zur Hälfte hoch. Ich setzte mich auf eine der Stufen und schaute ins Wohnzimmer.
Der Junge saß immer noch regungslos am Esstisch.
„Kazutora!", brüllte im nächsten Moment eine männliche Stimme nach ihm.
Selbst von meiner Postion konnte ich sehen wie der Junge deutlich zusammen zuckte.
„J...ja", antwortete der Schwarzblonde verängstigt. Selbst von hier oben sah ich wie er zitterte vor Angst.
Es kam Jemand ins Wohnzimmer. Wahrscheinlich sein Vater. Unsanft wurde Kazutora von seinem Stuhl getreten.
„Warum sieht die Küche so aus?!".
Erschrocken hielt ich mir die Hand vor den Mund.
Sofort schossen mir Bilder in den Kopf, bei denen ich nicht traurig war sie vergessen zu haben.
Kazutora wurde fast täglich von seinem Vater zusammen geschlagen. Andauernd hatte er blaue Flecken und starke Schmerzen an seinem Körper.
Mein Körper bewegte sich wie von allein. In der Zwischenzeit bekam der Junge noch einen kräftigen Tritt in seine Seite ab. Vor Schmerzen krümmte er sich. Eine Träne glänzte in seinem Augenwinkel.
Mein Herz schlug immer schneller.
„Aufhören!", schrie ich, während ich die hölzernen Stufen der Treppe runterrannte.
Mit kalten Gesichtsausdruck stellte ich mich zwischen den Jungen und seinen Vater. Wütend blickte ich den Mann an.
Zischend sah er mich abwertend an.
„Was willst du hier, Mädchen? Was willst du noch von einem Verbrecher?"
„Ihn vor ihnen beschützen", knurrte ich ihn mit böse funkelnden Augen an.
Ich drehte mich zu Kazutora um und half ihm hoch. Zitternd hielt er sich seine Seite.
Ohne ein weiteres Wort, ließ ich seinen Vater stehen und half Kazutora in sein Zimmer. Er legte sich in sein Bett und krümmte sich immer noch vor Schmerz.
Schweigend setzte ich mich neben den Jungen auf die Bettkante.
Früher hatte ich ihn immer über den Kopf gestreichelt bis es ihm besser ging, doch jetzt konnte ich das nicht. Im Gegensatz zu früher hatte ich keine tieferen Gefühle für ihn. Ich wusste genau, dass er es sich wünschte, genau wie er sich wünschte, dass ich ihn wieder liebe, doch ich weiß nicht, ob ich das Jemals wieder könnte. In den zwei Jahren habe ich so gut wie alle Gefühle und Emotionen verloren.
„Warum...warum hab ich das nur verdient?", schniefte Kazutora neben mir in sein Kissen.
„Keine Ahnung", blieb ich relativ still, außerdem wusste ich wirklich keine Antwort auf diese Frage. Das einzige was ich wusste war, dass er unter unglaublich vielen Sachen leiden musste. Mehr als es wahrscheinlich nie Jemand gedacht hätte.
Ächzend setzte er sich auf. Er drückte seinen warmen Körper an mich und umarmte mich sanft.
„Danke, dass du mich beschützt hast", lächelte er leicht, dabei ist er der Stärkere von uns, eigentlich sollte er eher mich beschützen.
Sanft löste ich seine Arme von mir.
„Ich hab dir gerne geholfen, aber ich sage es nicht nochmal. Ich habe keine Gefühle für dich, ich kenne dich kaum. Mag sein, dass es schwer für dich ist, aber akzeptier, dass meine Gefühle vielleicht nie zurückkommen, also lass mich los."
„Tut mir leid, es tut nur so weh", murmelte er entschuldigend.
„Es ist wahrscheinlich auch besser wenn ich jetzt gehen würde. Wir sehen uns wahrscheinlich morgen", sagte ich und stand auf.
„Verstehe", seufzte er traurig und erhob sich ebenfalls.
„Soll ich dich noch nach Hause begleiten?"
„Nein, bitte lass mich allein. Ich muss nachdenken", kam es leise von mir.
Gleich danach ging ich aus seinem Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Ich ging nach unten, zog meine Schuhe an und verließ das Haus.
Inzwischen war es dunkel geworden und schon etwas kühl, doch das machte mir nichts aus.
Tief zog ich die Kapuze meines Hoodies ins Gesicht.
Der Wind blies heute stärker als sonst. Die Bäume wanden sich im Sturm und auch ich musste meine Kapuze festhalten, damit diese nicht wegflog.
Aus irgendeinem Grund fühlten sich meine Beine so schwer an. Sie wurden immer schwerer je weiter ich mich von Kazutora entfernte. Dann wurde mir erst schlecht, im Anschluss stach mein Herz und zuletzt liefen mir Tränen über das Gesicht.
*Was ist nur los? Ich versteh nicht warum mein Körper das macht.*
*Was passiert da nur mit mir?*
Kraftlos setzte ich mich auf den Boden und lehnte mich an die Hauswand hinter mir.
Heiße Tränen liefen weiter über mein Gesicht und tropften auf meine Hände.
Mein Kopf und meine Gedanken waren nicht wie früher, doch mein Körper und meine inneren Gefühle waren wie früher. Mein früheres ich liebte Kazutora, es liebte ihn von ganzen Herzen. Der Kopf war der, der das alles nicht akzeptieren konnte, schließlich war der Junge für ihn ein unbekannter Fremder.
*Was soll ich tun? Mein Inneres braucht ihn um glücklich zu werden, aber mein Kopf versteht das alles nicht. Was soll ich nur tun?*
Es war alles zum verzweifeln.
Im nächsten Moment fing es an zu regnen. Dicke Tropfen prasselten auf mich nieder und trieften mein Haupt. Mir im Gegensatz war das scheiß egal, es wär mir sogar egal wenn ich hier elendig verrecken würde.
Ich wollte immer meine Familie finden und mein früheres Leben zurück bekommen, aber seitdem Kazutora mir gesagt hatte, dass diese tot wäre, fehlte mir jeglicher Antrieb weiter zu machen.
*Soll ich nochmal von vorne anfangen? Es bringt nichts in der Vergangenheit zu suchen. Es gibt niemanden mehr, der auf mich wartete. Hier hatte ich Kazutora den ich irgendwo liebte und Shuji der mein bester Freund ist.*
Ich packte fest an die Kette die ich schon immer um meinen Hals trug. Es war ein Lederband, an dem ein grün leuchtender Glasstein befestigt war.
Sie war alles was ich aus meinem Leben davor noch hatte.
*Yuki...es ist Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen*, mit diesem Satz riss ich mir die Kette vom Hals. Ein letztes Mal betrachtete ich den grünen Stein, der in meiner Handfläche lag. Ich legte die Halskette sanft auf den nassen, kalten Boden neben mich. Dann stand ich auf und ging durch die Dunkelheit alleine nach Hause, mit dem festen Entschluss die Vergangenheit nun endgültig ruhen zu lassen und ein neues Leben zu beginnen.
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Wieder ein neues Kapitel von mir, ich hoffe es hat euch gefallen^^
Lasst gerne Feedback da, freue mich immer drüber 🥰
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