19. Aufgegeben
Den Abend und die Nacht verbrachte Kei bei uns. Chifuyu war ziemlich bald gefahren, nachdem wir wieder vom Krankenhaus zurück gekommen waren.
Mikey saß immer noch bewegungslos auf dem Boden im Wohnzimmer. Ich setzte mich neben ihn und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab.
„Mikey, bitte vergib du ihm auch. Ich wünsche es mir als Schwester von dir."
Mein Bruder seufzte.
„Ich weiß nicht ob ich das kann. Kazutora hat so viel Scheiße abgezogen. Am liebsten wäre es mir immer noch wenn wir uns alle von ihm fern halten würden", murmelte er.
Betreten sah ich weg.
„Tut mir leid, aber das kann ich nicht. Ich fühl mich echt schuldig bei dem was passiert ist. Erst muss ich das irgendwie wieder gut machen."
Mikey lächelte schief.
„Sag doch einfach, dass du ihn noch liebst".
„Tu ich aber gar nicht!...Nur ein bisschen...irgendwas in mir drin will ihn nicht verlieren und das obwohl ich ihn hassen will", brummte ich.
Der Junge neben mir lachte kurz auf.
„Ich weiß genau was du damit sagen willst, mir geht es ähnlich. Ich will ihn hassen, aber irgendwas in mir drin sieht ihn immer noch als Freund".
Ich war beruhigt, dass ich nicht die Einzige mit so einem Gefühl war. Eng kuschelte ich mich an meinen Bruder, der wahrscheinlich grade der Einzige war der mich wirklich verstand.
„Wo ist Baji eigentlich?", fragte Mikey, da der Schwarzhaarige schön länger außerhalb unseres Sichtbereiches war.
„Der is oben in meinem Bett und pennt"
Erschrocken sah Mikey mich an.
„Weck ihn! Sofort! Der hat nichts mit dir in einem Bett zu suchen!"
„Kommt da jetzt der große Bruderkomplex raus?", lachte ich. „Du willst nicht wissen mit wem ich mir die letzten zwei Jahre alles ein Bett geteilt habe, da is Kei harmlos dagegen".
Entgeistert sah er mich an.
„Du bist aber schon noch Jungfrau oder?"
Ich schüttelte den Kopf. „Nö".
Weit riss mein Bruder die Augen auf.
„Sag mir wenigstens, dass es Kazutora war."
„Nee mit Kazutora hatte ich nie, der hat nichtmal an sowas gedacht. Der wollte einfach nur nie allein sein"
„Yuki...wer war es dann?", fragte er kalt nach.
„Shuji", antwortete ich knapp.
„Bist du verrückt?! Der Typ ist 16 und du grade mal 13, vor 2 Jahren warst du noch 11!"
„Na und?"
„Nichts na und!"
„Reg dich ab Brüderchen wir waren auch nie zusammen, das war nur zum Spaß".
„Das macht die Sache nicht besser", seufzte er und hielt sich seine Hand an den Kopf, als würde ihm das alles unheimlich Schmerzen verpassen.
„Ich glaub für mich ist das schlimmer als für dich", lachte er ironisch auf.
„Versprich mir wenigstens, dass du es in Zukunft nur noch mit Leuten machst mit denen du auch zusammen bist und die du liebst."
„Jaja, großer Bruder", grinste ich und sah ihn provokant an.
„Du weißt aber schon, dass das grade Kazutora wäre oder?"
Es war als durchzuckte es ihn wie ein Stromschlag.
„Dann vergiss was ich gesagt habe", seufzte er, worauf ich lachen musste.
Sanft legte er seinen Arm um mich.
„Mir ist einfach nur wichtig, dass du glücklich bist und wenn es Kazutora ist, dann ist es halt so", seufzte er den zweiten Teil seines Satzes.
„Danke", lächelte ich.
Er strich mir sanft über den Nacken und stoppte dann. Ein wenig tastete er meinen Hals noch ab, als würde er etwas suchen.
„Hast du es verloren?", fragte er mich.
„Was denn?", sah ich ihn verwundert an.
„Die Kette mit dem grünen Stein, die ich dir mal geschenkt habe".
Erst jetzt bekam ich ein Bild zu der Kette in den Kopf. Mikey hatte sie mir damals zum 11. Geburtstag geschenkt. Ich könnte mich schlagen, dass ich diese Erinnerung erst jetzt bekam.
„Ich hab sie abgenommen weil sie das letzte aus meinem alten Leben war und ich mit dem abschließen wollte. Tut mir leid, wenn ich gewusst hätte, dass sie von dir ist, hätte ich das nie getan", murmelte ich schuldbewusst.
Lächelnd strich er mir über den Kopf.
„Alles gut, ich schenk dir einfach zum nächsten Fest eine Neue".
„Danke", lächelte ich.
Wir saßen noch etwas länger eng aneinander gelehnt im Wohnzimmer bis mir langsam drohten die Augen zuzufallen. Ich wünschte meinem Bruder eine gute Nacht und ging nach oben.
*War ja klar*, grummelte ich als ich meine Zimmertür öffnete und sah, dass Kei den kompletten Platz in meinem Bett blockierte.
Mit all meiner Kraft schob ich ihn etwas zur Seite und legte mich neben ihn. Sofort spürte ich seinen starken Arm, der mich in eine enge Umarmung zog.
„Kazu", sprach er beruhigt im Schlaf und zog mich noch näher.
*Wahrscheinlich hatte er sich die letzten Wochen immer ein Bett mit ihm geteilt um ihn noch besser vor sich selbst beschützen zu können*.
Ich lächelte leicht über Kei, er war schon ein unglaublich guter Freund.
Am nächsten Morgen fuhren Kei und ich gleich nach dem Frühstück wieder ins Krankenhaus. Kazutora lag unverändert in seinem Bett. Diesmal wachte er auch nicht auf. Egal was wir taten ob wir mit ihm redeten oder ihm über den Kopf strichen, er wachte nicht auf.
Traurig sah ich zu Kei.
„Bestimmt nächstes Mal", versuchte mein bester Freund mich mit einem gezwungenen Lächeln aufzuheitern. Ich nickte nur traurig und hoffte, dass er Recht behalten würde.
In den nächsten vier Wochen besuchten Kei und ich Kazutora jeden Tag, doch nicht einmal war er wach während wir kamen.
Vor einer Woche hatte er öfters mal aufgehört zu atmen, weshalb die Ärzte ihm als Vorsichtsmaßnahme eine Atemmaske gaben.
Es machte mich jeden Tag trauriger ihn so zu sehen und meine Hoffnung, dass er Jemals nochmal aufwachen würde war bei mir inzwischen fast komplett verschwunden.
Sanft hielt ich immer seine Hand bis wir gingen. Am Anfang fühlte sie sich immer noch warm und sanft an, inzwischen war sie aber sehr kalt geworden, als wäre er schon gar nicht mehr richtig da.
Jedes Mal wenn ich ihn inzwischen sah liefen mir schon die Tränen über das Gesicht.
„Ich wollte das nicht", flüsterte ich leise weinend.
Kei legte beschützend seinen Arm um mich.
„Das weiß er doch".
Im nächsten Moment ging die Tür auf.
Ein Mann in weißer Jacke kam herein.
Er begrüßte uns und sah dann besorgt auf Kazutora.
„Wissen sie wann er wieder aufwacht?", fragte ich den Arzt.
Der Mann seufzte.
„Wahrscheinlich gar nicht mehr".
Entgeistert sah ich ihn an während meine Hände zu zittern begannen. Kei verfestigte seinen Griff um mich. Auch er war wie erstarrt von der Nachricht.
„Warum...warum sind sie sich da so sicher?", fragte ich kurz vor dem absoluten Zusammenbruch.
„Weil er aufgegeben hat. Er möchte nicht mehr weiter leben".
Ein Schauer lief mir den Rücken runter.
„Woher wollen sie das wissen?! Können sie Gedanken lesen oder was?!", blaffte ich den Mann unter Tränen an.
Ich wollte ihn nicht so anreden, doch meine Emotionen übernahmen die Oberhand und schoben alles andere zur Seite.
„Seine Werte sind alle gut. Auch sein Körper ist stabil. Es gibt keinen gesundheitlichen Grund weshalb er nicht aufwacht. Er will einfach nicht mehr", er machte eine kurze Pause und sah mich mitleidig an.
„Wir geben ihm noch Zeit bis zum Ende der Woche, wenn er dann nicht von alleine atmet und zeigt, dass er überleben will, können wir nichts mehr für ihn tun, tut mir leid".
Mein Herz brach zusammen. Würde Kei nicht hinter mir stehen und mich fest umarmen, wäre ich schon lange auf den Boden gefallen. Warme Tränen spürte ich an meinem Nacken. Kei weinte ganz offensichtlich auch. Auch seine Hoffnung war soeben sehr gesunken, seinen besten Freund noch einmal zu retten.
„Verdammt!", schrie er hinter mir unter Tränen.
„Warum bin ich an dem Tag nur weg gegangen?! Warum hab ich ihn nur allein gelassen?! Das was passiert ist, ist alles meine Schuld!", schluchzte der Junge hinter mir laut.
„Er war den ganzen Tag schon so komisch drauf, warum bin ich dennoch gegangen?!".
Ich drehte mich zu Kei um und nahm ihn sanft in den Arm. In seinem Gesicht war so viel Angst und Schmerz, wie ich es bei ihm noch nie gesehen hatte.
„Mach dir keine Vorwürfe. Ich bin dafür verantwortlich, dass es überhaupt soweit gekommen ist."
Ich löste mich von ihm und ging zu Kazutora. Sanft strich ich dem Jungen über seine Wangen. Tränen von mir tropften auf seine Atemmaske und liefen an dieser hinunter auf sein Gesicht.
„Bitte stirb nicht, wir brauchen dich alle. Kei vorallem. Bitte tu es für ihn. Er ist doch dein bester Freund. Wenn du es nicht für mich tust, dann wenigstens für ihn...ich bitte dich."
Wie zu erwarten regte er sich nicht.
„Warum warst du damals wach? War das nur, damit du dich bei mir entschuldigen konntest?"
Eine Hand legte sich sanft auf meine Schulter.
„Komm, lass uns gehen."
Ich nickte traurig und verließ mit Kei sein Zimmer.
Zuhause erzählte ich Mikey natürlich sofort alles, doch der war zu dem Thema noch gleich eingestellt wie zu Beginn. Es war ihm nach wie vor egal was aus seinem früheren Freund werden würde.
„Mensch Mikey, warum bist du nur so stur? Ich versteh dich einfach nicht, irgendwann ist doch wieder gut."
Wütend zog er eine Augenbraue hoch.
„Du verstehst mich nicht?! Ich versteh eher dich nicht!", knurrte er mich so sauer an, dass ich auf dem Sofa von ihm weg wich.
„Dieser Wichser hat Shinichiro umgebracht, er war Schuld daran, dass du dein Gedächtnis verloren hast, er hat dich ausgenutzt, er hat mir verschwiegen, dass du noch lebst und dir eingeredet deine ganze Familie wär tot. Selbst als ich vor euch stand hat er es immer noch abgestritten. Und das alles soll ich einfach so vergessen?! Ich kann nicht verstehen, warum du noch Gefühle für den hast Yuki."
Traurig senkte ich meinen Blick.
„Du hast schon recht mit dem was du sagst, aber ich habe ihm vergeben. Vergeben ist wichtig, es ist Unsinn so lange an sowas festzuhalten, grade in so einer Situation."
Die Mimik meines Bruders wurde wieder weicher.
„Im Grunde genommen hast du schon recht, aber mein Herz kann das alles noch nicht verkraften."
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Hoffe ihr hattet Freude beim lesen, lasst gerne Feedback da ^^
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