15. Ein Abschied und ein Anfang

Am nächsten Tag wachte ich schon sehr früh auf. Mein Schlaf war absolut grauenhaft diese Nacht, weshalb ich es erst gar nicht probierte nochmal einzuschlafen.
Im ganzen Haus war es auch noch dunkel und alle schliefen, sogar mein Opa der sonst immer als erstes wach war.

Ich nahm mir die Gang Jacke die Mikey mir gestern gegeben hatte und zog diese über.
Ich liebte diese Jacken, deswegen trug ich sie auch in meiner Freizeit sehr gerne.

Als ich nach draußen ging war es noch sehr kühl. Schnell zog ich die Jacke zu um nicht noch mehr zu erfrieren.

Meine Kopfhörer waren in meinen Ohren und spielten laute Musik ab.
Zum Glück war es so früh, dass kaum Menschen hier draußen unterwegs waren. Mir gefiel es untermalt mit dieser düsteren Stimmung die in der Luft lag.

Leise sang ich den Text meines Liedes mit, das gerade abgespielt wurde.

*Heute muss ich mal zu meinen 'Eltern' ihnen Bescheid sagen, dass ich jetzt nicht mehr bei ihnen wohnen werde.*

Es wunderte mich auch nicht, dass sich die Beiden noch nicht bei mir gemeldet hatten, schließlich war ich öfters mal ein paar Tage oder sogar eine Woche weggewesen ohne mich zu melden. Diese Zeit verbrachte ich dann immer bei Shuji oder im Geheimversteck von Walhalla.

Hier draußen war es so schön ruhig und friedlich, fast als würde es nur mich in dieser Welt geben.

Das hallende Geräusch von Schlägen ließ mich hellhörig werden. Ich pausierte die Musik und drehte meinen Kopf in Richtung der Geräusche. Neben mir war eine dunkle, enge Gasse. Die Schläge hallten von den Wänden wieder. Interessiert kam ich näher. Es waren drei Kerle die auf einen am Boden liegenden eintraten. Bei den Schlägern handelte es sich eindeutig um Leute aus meiner Gang, das erkannte ich sofort an den goldenen Schriftzeichen auf den Jacken.

Der Kerl auf dem Boden hatte eine weiße Jacke an, doch diese war an vielen Stellen schon rot geworden durch sein Blut, das er verloren hatte. Als ich genauer hinsah, sah ich um wen es sich handelte.

*Die haben sich wirklich Mikey's Befehl wiedersetzt*, brummte ich und kam näher.

„Hey ihr!", rief ich mit kalten Gesichtsausdruck. „Habt ihr vergessen, das Mikey den Befehl zurück gezogen hat?"

Die drei grinsten nur.
„Na und er ist immer noch ein Feind, mit dem dürfen wir machen was ihr wollen."

Ich kam etwas näher, sah sie aber weiter emotionslos an.

„Mikey hat den Befehl zurückgezogen, also haltet euch dran, sonst werde ich ihm erzählen, was ihr hier treibt."

Genervt zischte der eine auf, ging dann aber mit den beiden andern Kerlen ohne nochmal ein Wort zu sprechen.

„Da...danke", ächzte Kazutora vor Schmerzen.

„Wegen dir hab ich das nicht gemacht, ich mag es nur nicht wenn man sich den Befehlen meines Bruders wiedersetzt, das ist alles", murrte ich vor mich hin und sah ihn finster an.
„Ich hasse dich so sehr, dass es mir scheiß egal wäre wenn du verrecken würdest", sagte ich ihm kalt ins Gesicht.

„Ich weiß und wahrscheinlich wäre es auch das Beste", lächelte er traurig.

„Wenn du versuchst bei mir Mitleid zu erregen, vergiss es."

Jetzt betrachtete ich ihn genauer. Am Kopf hatte er eine größere Wunde, sein Gesicht war mit Blut und Schrammen befleckt. An seine Hüfte hielt er schweratmend seine Hand auf eine Wunde aus der verdammt viel Blut floss, wahrscheinlich eine Stichwunde.

„Ich ruf dir Kei her er soll sich um dich kümmern, den Rest musst du selber hinbekommen."

*Ich mach das nur weil du sonst wirklich alleine verrecken würdest ohne Behandlung.*

Im nächsten Moment rief ich bei Kei an.

>Hey Yu, was gibts?<, meldete er sich verschlafen.

*Stimmt ja, es ist ziemlich früh*, wurde mir grade klar, dass ich ihn wohl geweckt haben muss.

>Wenn du nicht willst dass dein Kumpel abkratzt, dann solltest du her kommen, ich kümmere mich auf jeden Fall nicht um den. Standort schick ich dir gleich.<

>Warte, warte was ist passiert?!<

>Ein paar aus der Gang haben ihn zusammen geschlagen und das eine könnte ne Stichwunde sein, blutet ziemlich aber ist mir egal, hab's mir nicht angeschaut<, sagte ich als wäre das alles nebensächlich und irrelevant.

>Mensch Yuki, hilf ihm doch! Willst du echt, dass er drauf geht?!<

>Ich hab dich gerufen, damit er nicht verreckt, aber auch nur weil ich weiß, dass du dann traurig wärst<.

Genervt grummelte er.

>Du bist viel schlimmer als er, hab ich dir das schon mal gesagt! Wie kann man denn nur so sein!<, rief er wütend in sein Handy.

Mir dagegen wurde das zu blöd, weshalb ich auflegte. Ich schickte ihm nur noch schnell den Standort, dann schaltete ich mein Handy auf stumm.

Wortlos entfernte ich mich von Kazutora und ging wieder nach Hause.

Ema stand schon am Herd und bereitete Frühstück für uns alle vor. Mein Opa saß am Esstisch und laß die tägliche Zeitung.

„Wo ist Mikey?", fragte ich verwundert.

„Wahrscheinlich noch im Bett. Willst du ihn wecken?", kam es von Ema.

„Aber nur wenn er mich nicht umbringt", hob ich zweifelnd eine Augenbraue.

Meine Schwester kicherte.
„Nein, nein keine Sorge. Er wird nur meckern."

„Klingt überlebbar, ich mach's".

Zielstrebig lief ich rüber zur Garage die früher einmal Shinichiro's Werkstatt war. Seit er tot war, hatte Mikey sich hier eingenistet und sein Reich aufgebaut.

Laut klopfte ich gegen die Tür und rumpelte dann ohne weitere Vorwarnung ins inner des Raumes.

„Aufstehen Bruderherz, die Sonne lacht!", rief ich extra laut.

„Das glaubst du doch wohl selber nicht", ertönte die dumpfe Stimme meines Bruders, der seinen Kopf tief in seine Kissen gesteckt hatte.

Ich setzte mich zu ihm aufs Bett und piekste ihm in die Seite.

Er zuckte zusammen und grummelte.

„Sag bloß, du bist kitzelig", grinste ich boshaft, was er aber nicht sehen konnte.

Eher er reagieren konnte setzte ich mich auf ihn und kitzelte ihn weiter an seinen Seiten.

Mikey begann zu lachen und wild um sich zu treten um mich loszuwerden, doch ich klammerte mich fest.

„Hey! Hey! Was...was soll das?", bekam er vor lauter Lachen seine Worte fast gar nicht heraus.

Hektisch versuchte er mich abzuwerfen, doch ich hielt mich fest.

Mit triumphierenden Grinsen ließ ich von ihm ab.

„Ich glaub eine Schwester hat mir doch gereicht", lachte er während er sich zu mir umdrehte.

„Quatsch du hast mich vermisst und ich weiß es", schnippte ich ihm gegen die Stirn.
„Und jetzt komm, Ema hat Frühstück gemacht"

Ohne auf weitere Kommentare zu warten zog ich meinen Bruder aus dem Bett. Schlaftrunken wankte er hinter mir her und drohte dabei gegen jeden Türstock zu knallen, der sich ihm in den Weg stellte.

*Ja, das ist eindeutig meine Familie*, grinste ich innerlich, als ich sein Verhalten mit dem von mir verglich, wenn man mich in der Früh weckt.
*Naja ich bin dagegen viel unausstehlicher, Mikey ist eher auf Teddybär Kurs.*

Als wir es auch mal rüber ins Haus geschafft hatten, setzten wir uns an den Frühstückstisch.
Etwas nervös stocherte ich in meinem Spiegelei herum, schließlich hatte ich vor heute zu meinen Adoptiveltern zu gehen und ihnen alle dazu erzählen.

Mein Opa schien wohl meine Nervosität zu bemerken, andauernd schielte er hinter seiner Zeitung zu mir herüber.

„Und was macht ihr heute so, Kinder?", fragte er, als wolle er es enthüllen.

„Also ich werde mich mit Hina treffen, ich brauch dringend einen neuen Kimono", platzte Ema sofort heraus.

Mikey grummelte leise und warf ihr einen fragenden Seitenblick zu.

„Wozu das denn? Das nächste Fest ist doch erst Ende des Jahres"

„Na und? Es schadet nie"

„Du hast langsam mehr Kimonos, als ich Unterhosen hab", seufzte Mikey.

„Wenn man seine Unterwäsche auch nur alle 5 Tage wechselt, dann braucht man auch nicht so viel davon", brummte sie und warf ihm einen unfälligen, provozierenden Seitenblick zu.

„Das stimmt doch gar nicht, hör auf so einen Scheiß zu erzählen!", regte sich mein Bruder sofort darüber auf und wurde rot wie eine Tomate.

„Yuki, magst du nicht mitkommen? Du brauchst bestimmt auch ein paar Sachen, hier hast du noch nichts, du kannst schließlich nicht andauernd in dieser Uniform durch die Gegend laufen.", sprach Ema mich an.

Lächelnd winkte ich mit gehobenen Händen ab.

„Tut mir leid, aber ich wollte heute zu meinen Adoptiveltern gehen um mich bei den Beiden zu verabschieden. Mikey, willst du vielleicht mitkommen? Dann könnte ich ihnen gleich meine neue Familie vorstellen."

„Klar, warum nicht", willigte mein Bruder ein.

Gleich nach dem Frühstück machten wir Beide uns fertig und fuhren los.

Zusammen saßen wir auf seinem Motorrad. Mikey fuhr und ich hielt mich von hinten an seinen Hüften fest . Es war erst das Zweite mal, dass wir zusammen fuhren. Vor zwei Jahren hatte Mikey nur seinen Roller und da war es mir viel zu peinlich bei ihm mitzufahren. Wenn wir mit der Gang irgendwo hin sind, bin ich immer bei Kei oder Kazutora mitgefahren und sonst bei Shinichiro.

Es war wirklich ein wunderschönes Gefühl, dass einen frei sein ließ. Der kühle Fahrtwind im Gesicht und der Geruch von Abgasen in der Nase.

*Es gibt wirklich nichts schöneres.*

Etwa eine halbe Stunde fahrt später kamen wir an meinem alten Zuhause an.

Ich schloss mit meinem Schlüssel die Tür auf und trat hinein.

„Hallo?", rief ich quer durch das Haus um sicher zu gehen, ob auch wirklich Jemand da war.

„Ja, wir sind im Wohnzimmer", bekam ich als Antwort.

Etwas nervös war ich ja schon, doch zum Glück war Mikey mit dabei, der mir etwas Sicherheit gab.

„Wen hast du denn da mitgebracht?", fragte mich meine Adoptivmutter interessiert.

„Das ist mein Bruder", antwortete ich als wir uns zu den beiden Erwachsenen an den Tisch setzten.

Die Frau sah uns nur an, als würden ihr gleich die Augen aus dem Kopf fallen, mein Adoptivvater dagegen legte seine Zeitung weg und sagte:" klar seid ihr das, sieht doch ein Blinder mitm Krückstock."

„Wie hast du ihn denn gefunden?", fragte er gleich weiter.

„Wir haben uns zufällig getroffen, er hat erst mich erkannt und dann sind meine Erinnerungen zurückgekehrt", beantwortete ich.

„Und gibt es noch mehr von deiner Familie oder ist er der Einzige?", fragte jetzt meine Mutter interessiert.

„Nein ich hab noch eine Schwester und einen Opa. Und ich würde sehr gerne wieder zu ihnen zurück", betonte ich den zweiten Teil extra etwas vorsichtiger.
Zaghaft schaute ich den Beiden in die Augen, doch sie lächelten.

„Wir können das verstehen, Yuki"

„Eins interessiert mich aber dennoch", mischte Mikey sich nun in das Gespräch mit ein. Fragend schauten wir ihn alle an.

*Was will er denn jetzt noch?*

„Wie kommt es, dass ihr Yuki adoptieren konntet? Wir haben sie nie zur Adoption freigegeben, wir dachten schließlich sie sei tot", prüfend sah mein Bruder die zwei mit kalten Blick an. Es war unübersehbar, dass er den Beiden nicht traute, aber es stimmte was er sagte. Wie kann das sein?

Mein Vater seufzte.

„Willst du das wirklich wissen?", fragt er nach und sah mich ernst an.

Ich schluckte. Am Besten war es für mich wohl es nicht zu wissen, dennoch nickte ich, da ich endlich alles wissen wollte von vorne bis hinten. Und das war das letzte Puzzleteil in meinem Gedächtnis, das mir noch fehlte.

„Wir waren an diesem Tag in den Bergen wandern. Es war wunderschönes Wetter.", begann er. „Meine Frau und ich hatten Hochzeitstag. Nicht im geringsten, haben wir an irgendetwas schreckliches gedacht, doch wir wurden vom Gegenteil überzeugt."

Ich schluckte laut, während ich im zuhörte.

„Wir waren noch nicht sehr weit gegangen, da sahen wir einen Felsen. Blut tropfte von diesem herunter. Ich wollte nachschauen, meine Frau wollte mich erst aufhalten, doch mein Instinkt als Arzt sagte mir, dass ich da hin musste. Also kletterte ich schnell hinauf und da lagst du. Blut war überall um dich. Schürfwunden an deinen Armen, Beinen und deinem Gesicht. An deinem Hinterkopf war eine riesige Wunde aus der es unaufhörlich blutete.
Ich als Arzt, wusste, dass sofort geholfen werden muss. Meine Frau opferte ihren Schal, damit wir deinen Kopf verbinden konnten. Ich nahm dich hoch und wir rannten zum Auto. Rannten so schnell es auch ging, ich wusste, dass es ein Rennen gegen die Zelt war. Wir sind damals nicht ins Krankenhaus gefahren, das nächste wäre zu weit weg gewesen, das hättest du niemals überlebt. Stattdessen haben wir dich hier hergebracht und ich hab mich hier um deine Verletzungen gekümmert. Zum Glück bin ich Arzt und hatte hier, was ich brauchte."

Die Geschichte jagte mir einen Schauer über den Rücken, dennoch hörte ich gespannt weiter zu.

„Meine Frau ist auch sofort zur Polizei und hat Bescheid gesagt, dass wir dich gefunden haben, doch du hattest nichts bei dir, also wussten wir nichtmal wie du heißt.
Es hat ganze drei Tage gedauert bis du aufgewacht bist. Egal was wir dich gefragt haben du wusstest nichts. Deinen Namen nicht, deinen Wohnort nicht, deine Eltern nicht...gar nichts. Erst nach einem halben Jahr konntest du dich an deinen Namen erinnern, aber sonst bis vor ein paar Wochen an gar nichts.
Auch sonst konnte uns keiner weiter helfen. Bei der Polizei hatte keiner eine Suchanzeige nach dir aufgegeben und die Leute die wir hier in der Gegend gefragt haben, wussten auch nichts.
Aus diesem Grund haben wir beschlossen, dich so lange aufzuziehen, bis du dich wieder an alles erinnerst".

Er seufzte leise.

„Ich hoffe du bist uns nicht böse."

„Ihr habt mein Leben gerettet, wie könnte ich da böse sein". Ich stand auf und umarmte die Beiden innig.
„Ich danke euch, von ganzen Herzen, dass ihr Jemand fremden wie mich einfach so aufgenommen habt".
„Und das obwohl ich oft so viel Ärger gemacht habe", schob ich noch leise lachend hinterher.

„Wir waren auch froh, dass du da warst Yuki, nachdem wir selber nie Kinder hatten, fühlte es sich fast an wie ein eigenes zu haben", lächelte meine Mutter und ich musste ebenfalls lächeln.

„Ich geh mal hoch und pack ein paar von meinen Sachen, ich komm gleich wieder", sagte ich. Dann zog ich Mikey hinter mir die Treppe hoch zu meinem Zimmer.

„Die Beiden sind echt in Ordnung, ich bin froh, dass du an so einem guten Ort warst", lächelte mein Bruder und betrat nach mir mein Reich. Zum Glück hatten wir Beide jeweils einen Rucksack für ein paar Sachen mitgenommen.

Während Mikey willkürlich Klamotten in seinen Rucksack schmiss. Kümmerte ich mich eher um mein Handy Zubehör und ein paar Bücher.

„Ich bin voll", sagte Mikey und ich nickte ihm zustimmend zu.

Wir gingen wieder runter und ich umarmte meine Adoptiveltern ein letztes Mal bevor ich fuhr.
„Danke nochmal für alles, ich komm euch bestimmt mal besuchen. Oben sind auch noch ein paar Sachen von mir, ich hole sie sobald ich Zeit habe."

Meine Adoptivmutter drückte mich fest und strich mir sanft über den Kopf.
„Du kannst immer kommen, wann du willst, du wirst für immer ein Teil dieser Familie sein."

Ich lächelte während mir eine Träne der Rührung in die Augen stieg.

„Vielen Dank, Mama."

„Ich hoffe, du bist nicht zu traurig, dass du ab jetzt wieder bei uns wohnst", lachte Mikey leicht auf, als wir auf seinem Motorrad zurück nach Hause fuhren.

„Nein, alles gut. Ich hab euch so lange gesucht, da bin ich natürlich auch froh, endlich bei euch zu sein."

Ich klammerte mich fester an meinen Bruder und legte meinen Kopf auf seinem Rücken. Aus dem Augenwinkel sah ich wie er zufrieden lächelte.

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Endlich ein vollständiges Familienmitglied🥰

Würd mich über Feedback von euch sehr freuen 😊

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