Taehyung stand vor seinem Spiegel und betrachtete sich. Die fetten Augenringe waren das Erste, was ihm auffiel. Gefolgt von seinen strubbeligen Haaren und der blassen Haut, bei der die Adern mehr als deutlich hervor stachen.

Es ging ihm ganz eindeutig dreckig. Das konnte man auf den ersten Blick sehen.

Seitdem er von seinem Tod erfuhr, nahm er kaum noch etwas an Nahrung zu sich, was er vor seinen Bandmitgliedern natürlich nicht verbergen konnte. Immer wieder sprachen sie auf ihn ein und baten ihn, doch wenigstens einen Apfel zu sich zu nehmen, doch immer schüttelte er nur den Kopf.

Alleine Jungkook konnte ihn dazu überreden, wenigstens ein paar kleine Bissen zu sich zu nehmen, doch war dies keinesfalls genug. Es reichte lediglich aus, um Taehyung am Leben zu erhalten.

„Wie geht es dir, Taehyung?", ertönte die liebliche Stimme seines besten Freundes, doch antwortete er nicht. Noch immer sah er einfach nur in den Spiegel. Nicht realisierend, dass heute der Tag war. Heute musste er Abschied nehmen. Ihn loslassen. Und zwar endgültig. Doch wollte er es nicht. Er konnte sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen.

„Tae, bitte rede endlich mit uns. Wir machen uns Sorgen um dich.", versuchte Jimin es ein weiteres Mal, als er mit Tränen in den Augen auf seinen besten Freund zu ging und diesen von hinten umarmte. Taehyung jedoch antwortete noch immer nicht, sondern senkte einfach nur seinen Kopf gen Boden. Eine kleine Träne tropfte von seiner Wange auf diesen.

Schon seltsam., dachte sich Taehyung, als er diese Träne auf dem Teppich nicht mehr sehen konnte. Gerade erst entstanden und schon war sie wieder weg. Verschwunden. Fast so, als hätte sie nie existiert. Doch die Nässe auf seiner Wange bewies ihm, dass sie sehr wohl da gewesen war.

Ähnlich war es mit den Menschen.

Sie wurden geboren. Sie entstanden, wie die Träne. Allerdings haben sie nur eine begrenzte Zeit auf der Welt. Genau wie diese Träne nur vorübergehend da war und dann wieder verschwand. Genau wie Menschen mit dem Tod verschwanden. Sie waren einfach weg, doch man spürte dennoch, dass sie gelebt haben. Dass sie da waren. Man spürte sie trotz allem noch. Auch wenn sie nicht mehr persönlich an deiner Seite waren.

„Ich weiß, dass es eine schwere Zeit für dich ist, Tae. Aber wir sind für dich da. Wir wollen, dass du das weißt. Wir...Wir warten in der Küche auf dich. In drei Stunden müssen wir los.", sprach Jimin erneut auf seinen schweigenden Freund ein, streichelte ihm noch einmal über die Schultern, ehe er das Zimmer dann verließ und zu den anderen BTS-Membern in die Küche ging, sodass Taehyung alleine zurück blieb.

Noch immer stand er reglos vor dem Spiegel, als er wiederholt spürte, wie sich zwei Arme von hinten um ihn schlangen. Doch fühlte es sich dieses Mal anders für Taehyung an. Wärmer. Liebevoller. Sicherer. Aus diesem Grund hob er seinen Kopf mit Tränen in den Augen und erblickte im Spiegel das Gesicht von Jungkook, der ihm ein aufmunterndes Lächeln schenkte.

„TaeTae. Jetzt komm bitte raus und iss was. Irgendwas. Und wenn es nur was Kleines ist.", bat Jungkook mit seiner sanften Stimme und drückte dem Älteren am Ende seiner Bitte einen Kuss auf die Schulter, ehe er seine Arme etwas fester um den Körper des Älteren schlang und seinen Kopf auf dessen Schulter ablegte. „Du hast viel abgenommen, in den letzten Wochen.", fügte Jungkook dann noch traurig an seine Worte an.

„Wie soll ich etwas essen können, wenn...wenn...", versuchte Taehyung zu antworten, doch kam er nicht weiter, weshalb Jungkook den Älteren zu sich drehte, sein Gesicht umrahmte und ihm tief in seine Augen sah, während er entgegnete: „Weil das Leben trotz allem weiter geht, Taehyung. Deshalb. Dafür sind Beerdigungen da. Sie dienen dazu, von den Menschen, die wir lieben, Abschied zu nehmen. Ihnen die letzte Ehre zu erweisen. Aber gleichzeitig dienen sie auch dazu, mit diesem Tod abzuschließen und nach vorne zu blicken. Dein Leben geht weiter.", lächelte Jungkook traurig, ehe er seine Lippen auf die seines Freundes legte. Augenblicklich erwiderte Taehyung diesen Kuss und ließ sich anschließend vom Jüngeren in die Arme schließen.

Fest schlang der Ältere seine Arme um die schmale Taille Jungkook's und vergrub sein Gesicht in dessen Schulter. Den Geruch des Jüngeren dabei tief einatmend. Das Einzige, was ihn beruhigen konnte. Das Einzige, was ihm helfen konnte, diesen Tag zu überstehen. Das Einzige, was ihm zeigte, dass er nicht alleine war. Dass er jemanden bei sich hatte, der für ihn da war. Der ihn an diesem schweren Tag halten konnte. Ihn stützen.

„Wir gehen jetzt zu den Anderen, essen etwas und dann müssen wir uns fertig machen, Taehyung.", sprach Jungkook liebevoll, als sie ihre Umarmung lösten und der Jüngere seinem Freund, der seine Worte abnickte, die letzten Tränen von der Wange wischte. Gemeinsam gingen sie dann in die Küche zu den anderen Fünf.

Bedrückende Stille herrschte am Tisch. Keiner sagte auch nur ein Wort. Sie alle waren in ihrer Trauer gefangen. Doch alle warfen vor allem Taehyung immer wieder besorgte Blicke zu. Sie alle mussten an diesem Tag stark bleiben, um für ihren Freund da sein zu können, für den der heutige Tag vermutlich um einiges schlimmer war, als für sie. Auch wenn sie alle unter diesem Verlust litten, so war es aber vorrangig Taehyung, dem man diesen Verlust auch körperlich ansehen konnte.

Umso erleichterter waren alle, als der Schwarzhaarige wenigstens eine Banane runter würgte. Auch wenn er sie nur zur Hälfte aß.

„Ich bin stolz auf dich, TaeTae. Auch wenn ich der Meinung bin, dass du ruhig noch mehr hättest essen können, bin ich froh, dass du überhaupt etwas gegessen hast.", flüsterte Jungkook seinem Freund zu, als er diesem liebevoll über die Schultern streichelte und ihm wiederholt einen kleinen Kuss auf diese hauchte. Dabei konnte Taehyung ein leichtes Lächeln nicht zurückhalten. Trotz seiner Appetitlosigkeit nahm sich der Schwarzhaarige deshalb auch noch die restliche Banane vor und würgte sie herunter. Für Jungkook. Dabei liefen ihm allerdings wiederholt wenige Tränen über die Wangen.

Noch immer in ihrer Trauer gefangen, machten sich die BTS-Mitglieder nach ihrem kleinen Imbiss fertig. Sie alle hatten nicht wirklich Hunger, aber genau so war ihnen klar, dass sie ihrem Freund mit gutem Beispiel voran gehen mussten. Sie machten sich wirklich enorme Sorgen um Taehyung und dessen Gesundheit.

Seit seinem Tod ließ er sich komplett gehen. Nur in kurzen Momenten hatte er die Kraft, weiter zu machen. Zu essen. Zu trinken. Zu lächeln.

Jungkook wich nicht eine Sekunde von Taehyung's Seite. Sorgte dafür, dass er sich weiter fertig machte, auch wenn er kurzzeitig wieder einen Zusammenbruch erlitt und in Tränen ausbrach. Fest drückte Jungkook den Älteren an sich, in der Hoffnung ihn etwas beruhigen zu können. Taehyung krallte sich geradezu in die Sachen des Jüngeren. Ließ ihn nicht eine Sekunde los. Nicht nochmal. Das wollte er nie wieder. Doch genau das brachte ihn nur noch mehr zum Weinen. Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder etwas beruhigte.

„Es wird Zeit, TaeTae.", sprach Jungkook dann mit einem traurigen Lächeln, als er den Älteren etwas von sich drückte und diesem mit wenigen Tränen in den Augen die schwarzen Locken aus der Stirn strich und ihm anschließend einen kleinen Kuss auf diese hauchte. Verzweifelt blickte Taehyung dem Jüngeren entgegen.

Er wollte nicht zu dieser Beerdigung. Denn dann musste er ihn endgültig loslassen. Er wollte ihn nicht ziehen lassen. Er wollte es nicht. Er wollte weiterhin bei ihm sein können.

Jungkook stand dann von dem Bett, auf welchem sich das junge Paar verzweifelt umarmte, auf und hielt seinem Freund mit einem kleinen Lächeln die Hand entgegen. Die Seine zitterte, als er sie schweren Herzens in Jungkook's legte und sich von diesem auf die Beine ziehen ließ. Dann klopfte es auch schon an seiner Zimmertür, woraufhin sich diese auch schon öffnete. Jin blickte mit einem traurigen Gesicht in das Zimmer und nickte Taehyung zu, der sofort verstand, dass es nun an der Zeit war. Sie mussten los fahren, um rechtzeitig bei der Beerdigung anzukommen. Er sah verzweifelt in Jungkook's Gesicht, der ihm jedoch nur ein aufmunterndes Lächeln schenkte und dann ebenfalls nickte.

Hand in Hand folgten die Jüngsten ihrem Ältesten zu den anderen. Auch die Fahrt verging in einer bedrückenden Stille. Alle waren wieder in ihrer Trauer gefangen und schienen keinen Weg aus dieser zu finden. Jin, Jimin und Hoseok konnten sich, trotzdessen sie sich doch fest vorgenommen hatten für Taehyung stark zu bleiben, die Tränen nicht verkneifen. Nur mit Mühe und Not konnten sie ein lautes Aufschluchzen unterdrücken. Auch wenn sich seine Freunde Mühe gaben, es vor ihm zu verstecken, bemerkte er es dennoch, weshalb auch er seine Tränen nicht länger zurückhalten konnte.

Jungkook hielt sicher die Hand seines Freundes, doch schien er es dieses Mal mit dieser Aktion nur noch schlimmer zu machen. Dennoch drückte Taehyung Jungkook's Hand fest. Um sicher zu sein, dass er bei ihm war. Für ihn da war. An seiner Seite war. Ihn an diesem schweren Tag nicht im Stich ließ. Noch nicht.

Als die Band bei der Kirche ankam, fing es erst so richtig an. Die unter Tränen stehende Familie des Verstorbenen waren die Ersten, die sie begrüßte. Dadurch konnten Jin, Jimin und Hoseok ihre Fassade endgültig nicht mehr aufrecht erhalten. Die Trauernden zu sehen, machte es ihnen unmöglich ihre eigene Trauer weiterhin zu verbergen. Dabei hatte die Predigt noch nicht einmal mehr begonnen. Sie gaben es auf. So sehr sie auch wollten. Auch die drei konnten nicht länger stark bleiben. Dies machte es allerdings auch Namjoon und Yoongi schwerer, ruhig zu bleiben. Dennoch schafften sie es irgendwie. Sie waren aber auch die Einzigen. Kaum sah Taehyung das Bild des Verstorbenen, brach auch er wieder in Tränen aus.

Jungkook, der den Anblick des Älteren nicht ertragen konnte, versuchte ihn wiederholt zu beruhigen, indem er seine Hand mit der von Taehyung verschränkte, um ihm auf dieser Weise näher zu sein. Ihm mit seiner Nähe ein letztes Mal Trost zu spenden. Ihn ein letztes Mal aufzumuntern.

Ein letztes Mal.

Als die restlichen Trauergäste da waren, begann auch schon die Predigt des Pfarrers. Taehyung musste direkt am Anfang schwer schlucken. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Das laute Schluchzen der Familie des Verstorbenen machte es nur noch schwerer, sich selbst unter Kontrolle zu haben.

Ein letztes Mal.

Ein letztes Mal würde er seine Nähe spüren.
Ein letztes Mal würde er sein Gesicht sehen.
Ein letztes Mal würde er seine Stimme hören.

Ein Schluchzen entfiel ihm, wobei er seinen Blick zu seinem Freund wandern ließ.

Ein letztes Mal. Danach nie wieder. Alles, was er dann noch von ihm haben würde, waren Videos, Bilder und seine Erinnerungen.

Seine Erinnerungen...

Ihre gemeinsame Zeit. Ihre erste Begegnung. Ihr erstes Treffen. All das und mehr. All das und mehr war von nun an sein heiligster Besitz.

Etwas, was er niemals wieder hergeben wollte.
Etwas, das er für immer bei sich behalten wollte.
Etwas, das ihm keiner jemals wegnehmen durfte.
Etwas, an das er sich klammerte.

Etwas, was ihn nur noch mehr trauern ließ.

Denn so wunderschön diese Erinnerungen eigentlich auch waren, so sehr schmerzten sie in diesem Moment. In diesem Moment, wo ihm klar wurde, dass er keine neuen Erinnerungen mehr mit ihm sammeln konnte. Keine neuen Erinnerungen mehr. Ihm blieben nur noch die alten. Die alten, die irgendwann verblassen würden. So wenig Taehyung sich das auch wünschte. Es war eine Tatsache. Je älter man wurde, desto weniger konnte man erinnern. Diese Erinnerungen würden irgendwann verblassen, doch wollte Taehyung das nicht. Er wollte ihn nicht vergessen. Er wollte noch so viele schöne Erinnerungen mit ihm sammeln. So viele schöne Erinnerungen, auf die sie irgendwann mit einem Lächeln zurückblicken konnten. Es waren ihm zu wenige Erinnerungen mit ihm. Er wollte mehr. Er wollte alles von ihm festhalten. Er wollte vieles mit ihm festhalten. Er konnte sich eine Welt ohne ihn nicht vorstellen. Wie sollte er das Alles nur überstehen?

Immer mehr Tränen traten aus seinen Augen, als er seinen Freund ansah. Dieser hatte ebenfalls Tränen in den Augen, als er in das Gesicht des Älteren blickte. Auch ihm fiel es nicht leicht, doch war es so vorbestimmt. Sie konnten nichts dagegen machen.

Schweigsam liefen die Trauernden, nachdem der Pfarrer seine Rede beendet hatte, mitsamt der Bestatter, die den Sarg trugen, zum vorbereiteten Grab. Jungkook und Taehyung ließen die Hand des Anderen auf diesem Weg nicht eine Sekunde los. Sie wollten es nicht, doch ließ es sich nicht ewig hinaus zögern. Sie beide wussten, dass es nun soweit war. Dass sie lebe wohl sagen mussten. Sich verabschieden mussten.

Am Grab angekommen, wurde der Sarg vorsichtig in dieses hinein gelassen, während der Pfarrer noch weitere, wenige Worte verlor und dann das Ritual begann, indem er etwas Erde aus einem Topf mit Hilfe einer kleinen Schaufel auf den Sarg streute und anschließend noch eine Blume auf diesen warf.

Die Familie des Verstorbenen schloss sich als erstes an und vollzog unter Tränen und Schluchzern ebenfalls das Ritual. Erst die Eltern, dann sein Bruder und andere Blutsverwandte. Und dann musste auch BTS dieses Ritual vollziehen. Jin, Jimin und Hoseok weinten noch immer. Auch Namjoon und Yoongi liefen einige wenige Tränen über die Wangen, ehe sie versuchten Jin, Jimin und Hoseok zu beruhigen. Nur Taehyung war noch übrig.

Aus diesem Grund löste Jungkook nun schweren Herzens seine Hand von der des Älteren, trat neben das Grab und sagte: „Es ist Zeit, Taehyung. Du musst mich nun loslassen. Damit du nach vorne schauen kannst. In eine neue Zukunft blicken kannst. Auch wenn du mich nicht sehen kannst, so werde ich dennoch immer bei dir sein. Ich werde dich beschützen. Dein Leben geht weiter. Lebe es. Liebe es. Wenn nicht für dich, dann für deine Familie, unsere Hyungs und mich."

Kaum vernahm er diese Worte des Jüngeren, fing er nur noch mehr an zu weinen und zu schluchzen. „Ich will das nicht.", weinte Taehyung. Konnte sich kaum noch auf seinen Beinen halten. „Ich will dich nicht ziehen lassen, Kookie.", entfiel ihm, als er endgültig unter seinen Beinen zusammenbrach und gerade so noch von Junghyun, Jungkook's Bruder, gestützt werden konnte und somit einem Aufprall auf die Erde entkommen konnte.

Wie soll ich ohne dich weiter machen?, fragte er den Jüngeren in Gedanken, als er auf den Grabstein blickte, der ihm die grauenhafte Realität klar machte:

In Gedenken an Jeon Jungkook
Geboren am 01.09.1997
Gestorben am 28.02.2022
Liebender Sohn, Bruder und Freund

Wie soll ich ohne dich weiter machen?, fragte Taehyung erneut in Gedanken und blickte zu der Illusion seines Freundes, die jedoch immer mehr verblasste.

„Ich liebe dich, Taehyung. Ich werde immer bei dir sein. In deinem Herzen.", sprach Jungkook, bevor er gänzlich verschwand. Daraufhin brach Taehyung endgültig in Tränen aus. Brachte mit zitternden Händen und schweren Herzens ebenfalls das Ritual hinter sich.

Ich liebe dich, Jungkook.

Denk dran. Dein Leben geht weiter, Taehyung. Vergiss das nicht. Lebe und liebe für mich.

~~~~~💣🕰️💣~~~~~

Ich hoffe euch hat dieser kleine OneShot gefallen, auch wenn er sehr kurz war und ein trauriges Ende hatte.

Ganz ehrlich, ich bin nicht zufrieden mit mir, aber das bin ich in letzter Zeit allgemein irgendwie nicht.

Was haltet ihr von dem OneShot?🤔