Kapitel 14

Der Vormittag des 24.12.2020 brachte die übliche Vorbereitungshektik mit sich, die ich bereits aus meinen Kindheitstagen kannte. Nach unserem gemeinsamen Frühstück gegen 9:00 Uhr, begann der ganze Spaß immer. Meine Eltern wuselten wie aufgescheuchte Lemminge durch das Haus und gaben in einer Blitz-Putz-Aktion ihr Bestes, um das Haus sauber strahlen zu lassen, sobald meine Großeltern hier eintreffen würden. Ihre Nerven waren dabei stets so gespannt, dass selbst die kleinste Nachfrage dazu führen konnte, dass die Antwort in einem genervten, härteren Ton zurückkam, als es wahrscheinlich gemeint war. Früher, als ich noch bei meinen Eltern gewohnt hatte, hatte mich diese gespannte Atmosphäre immer mit geladen. Doch seit ich nur noch zu Besuch kam, behielt ich in diesem Gewusel immer einen klaren Kopf und die Ruhe bei. Es war relativ schwer diese Ruhe auf meine Familie zu übertragen, doch ich hatte das Gefühl, dass sie zumindest ein wenig auf alle abfärbte.

Wie jeden 24.12. – so auch heute – trafen meine Großeltern überpünktlich gegen 12:53 Uhr ein, obwohl 13:30Uhr verabredet war. Ein letztes Mal fluchte meine Mum, dass sie immer zu früh kamen, doch das Haus war bereits vorbereitet. Dann entstand das Phänomen der entspanntesten Familie der Welt, sobald sich die Tür für den Besuch öffnete:

Wenn Dad gerade noch dabei gewesen war, in ruppigen Bewegungen einen Spiegel im Bad zu putzen und meiner Mutter energisch eine Antwort auf die Frage hin, ob er auch das Wischen der Arbeitsflächen in der Küche übernehmen würde, gab, so glichen seine Bewegungen nun beinahe der Anmut einer Ballerina und sein Lächeln wirkte so entspannt und natürlich, als würde er nie anders gucken.

Meine Mum setzte ihr freundlich einstudiertes Lächeln auf, doch sie benötigte ein wenig mehr Zeit, um herunterzufahren, damit ihre Worte nicht mehr über ihre Mimik hinweg trügen konnten.

Livi stellte sich brav – wenn auch sichtbar ein wenig lustlos – in unserer Begrüßungsreihe auf und umarmte Opa und Oma artig. Dabei war es klar, dass die Umarmung bei Oma aufrichtiger war, als bei Opa – denn mit diesem konnte sie auch heute, wo sie etwas älter war, immer noch nicht zu 100% warm werden.

Auch ich blieb von der Maskerade nicht verschont – sie war schon zu tief verankert. Außerdem wollte ich nicht, dass mein Vater von dessen Vater zurechtgewiesen wurde, nur weil die Familie sich dessen Meinung nach nicht vernünftig benehmen konnte.

Nach der Begrüßung, verschwanden Mum und Oma für die Vorbereitungen des Weihnachtsessens bis ca. 16:00 Uhr in der Küche, während die Herren sich im Wohnzimmer einschlossen – jetzt wurde in alter Vater-Sohn-Tradition wieder die alte Modelleisenbahn ausgepackt – der Anblick entsprang jedes Jahr wieder in ihrer Ähnlichkeit der Landschaft aus dem Film Der Polasexprex und war immer wieder magisch anzusehen. Nun war die Zeit, in der Livi und ich machen konnten, wonach uns gerade der Sinn stand. Als wir noch jünger waren, hatten wir hier immer unser Weihnachtsprogramm, welches seit dem Beginn des Dezembers einstudiert worden war, ein letztes Mal geprobt. Heute jedoch verzog sich Livi in ihr Zimmer, um mit Paul zu telefonieren und ich machte es mir mit einem Buch auf der Tagesdecke des Bettes im Gästezimmer bequem.


Als das Essen angerichtet war, versammelten wir uns alle im Esszimmer. Wie es die Tradition verlangte, gab es Ente mit Rotkohl, Klößen und Bratensoße. Jedes Jahr wieder schmeckte es hervorragend. Wir setzten uns zusammen und stießen mit einem Glas Rotwein an. Dann begann das Festmahl. „Was macht dein Studium, Mädchen?", fragte Opa, während er sich eine Gabel mit einem Stück Ente in den Mund schob. Ich zerteilte meinen Kloß. „Ach, ich bin fast fertig. Meine Thesis werde ich Anfang Januar abgeben und dann heißt es eigentlich nur noch warten, bis das Ergebnis kommt" „Mädchen, was ist denn eine Thesis?", brummte er, frustriert darüber, dass er thematisch nicht mitkam. „Die Thesis, ich meine finale Ausarbeitung, um den Grad des Bachelors zu erlangen", erklärte ich geduldig. Opa zuckte mit den Schultern. „Ah ja...gut." Damit war dieses Thema für ihn Wort wörtlich gegessen.

„Warum ist Caleb nicht da?", fragte er weiter und stellte damit die Frage, vor der ich mich den ganzen Abend lang insgeheim gefürchtet hatte. „Ich bin nicht mehr mit ihm zusammen, Opa", entgegnete ich und versuchte mich auf die Mahlzeit zu konzentrieren. Opa entging das nicht und er begann zu bohren. „Wirklich? Warum? Er ist doch so ein lieber Junge!" Caleb hatte ihm ein paar Mal bei verschiedenen Sachen geholfen, womit er sich Opas Gunst erkauft hatte. Opa fragte jedes Mal, wenn wir uns sahen nach Caleb, weswegen ich es auch vermieden hatte, meine Großeltern zu besuchen. 

„Papa...", versuchte mein Dad das Gespräch umzulenken, wofür ich ihm mehr als dankbar war. „...kommst du mit deinem neuen Fernseher eigentlich soweit zurecht?" Ohne eine Antwort auf diese Frage zu geben, starrte mein Opa meinen Dad einen Moment lang an. „Nun, Nayla?", hakte er dann nachdrücklich nach und fixierte mich mit seinen gräulichen Augen. Augenblicklich war die Raumtemperatur auf 0° gesunken. Niemand wagte es zu sprechen. Ich schluckte meinen Bissen runter und nahm meinen Mut zusammen.

„Er hat mir nicht gutgetan, Opa" Er winkte ab. „Pff. Die jungen Leute heutzutage geben sich einfach keine Mühe mehr. Mädchen, das gehört dazu! Man streitet zwar, aber man trennt sich nicht deswegen!" Mein Dad ballte die Fäuste. Ich wusste, er wollte mehr sagen, war jedoch seit Kindheitstagen zu gehemmt, um zu widersprechen. Ich nahm es ihm nicht übel. „Am besten, du reißt dich zusammen, Nayla und gehst zu ihm. Ihr wart ein tolles Paar. Wusstest du, dass er dir einen Antrag machen wollte?", fuhr Opa fort. ...Was?! Entgeistert starrte ich ihn an, während die Übelkeit in mir hochkroch. „Jaa...", sprach er mit wissendem Blick. „Caleb hat mir letzte Woche bei ein paar Malerarbeiten unter die Arme gegriffen und wir haben uns unterhalten" Ich versuchte meinen mittlerweile rebellierenden Magen zu beruhigen und meine zitternden Hände unter Kontrolle zu bringen. „Nayla, es gehört sich einfach nicht eine Beziehung zu beenden. Er ist ein guter Junge für dich" Das reichte. Ich ließ mein Besteck fallen und stand blitzschnell im selben Moment auf. Die Stuhlbeine scharrten über den Boden. Totenstille herrschte im Raum. „Entschuldigt mich bitte.", sagte ich kurz angebunden und verließ dann zügig das Esszimmer. In meinem Rücken hörte ich nur noch wie Opa begann, aufgebracht zu wettern, warum ich keine richtige Erziehung genossen habe. Ich hätte doch zu gehorchen und so etwas wie gerade gehöre sich doch nicht... Der Abend war gelaufen.


Ich war heilfroh, als ich nach den Weihnachtsfeiertagen wieder zurück in meine Wohnung fuhr. Da Oma und Opa ebenfalls über die Feiertage geblieben waren, wurde dieses Fest der Liebe eines der emotional kältesten Feiertage, die ich jemals erlebt hatte. Ich hatte an jenem Abend noch Kimberly angerufen und mich bei ihr aufgeregt. Ich liebte sie so sehr dafür, dass ich sie einfach immer und überall anrufen durfte, wenn mich etwas bedrückte.

Als ich die Tür zu meiner Wohnung am frühen Nachmittag des 27.12. geöffnet und meine Tasche in meinem Zimmer abgeladen hatte, machte ich es mir mit meinem Buch auf der Couch gemütlich. Warm fiel das Licht der Sonne durch das Fenster und erleuchtete den Raum. Etwas später rief Nadim mich an und fragte, ob er zum Abhängen vorbeikommen könne. Auch er hatte offenbar Stress mit seiner Familie und brauchte jemanden zum Zuhören. Ich lud ihn zu mir ein und begann, nachdem wir aufgelegt hatten, ein Blech Kekse für uns zu backen. Wer weiß, vielleicht würden wir uns später noch eine Romanze ansehen – Nadim liebte romantische Filme. Sie erinnerten ihn immer an eine Zeit, in der für ihn die Welt noch rosig war – zumindest hatte er mir das einst so gesagt.

An den darauffolgenden Tagen verabredete ich mich dann noch mit Juli für private Trainingseinheiten zum Üben. Unsere Tänze waren fertig, sodass wir nur noch üben, üben, üben mussten. Es war eine willkommene Ablenkung nach den frostigen Festtagen und ich fühlte mich trotz Schweiß und schmerzenden Muskeln am Abend, entspannt. Tanzen war ein gutes Ventil zum Dampf ablassen.

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