Kapitel 11
Ehe ich mich versah, war der November ins Land gezogen und hatte den regnerischen Oktober abgelöst. Die Temperaturen kühlten von Tag zu Tag weiter runter und laut Wetterbericht sollte es nicht mehr lange dauern, bis der erste Schnee fallen sollte.
Am 07.11.2020 lud ich meine Freunde abends zu meiner Geburtstagsfeier ein – ich plante, in meinen Geburtstag rein zu feiern. Mit Youngjun hatte ich seit jenem Abend nur noch per KakaoTalk – die quasi koreanische Version von WhatsApp – Kontakt und schrieb täglich mit ihm über Stunden hin und her. Wenn er einmal nicht innerhalb von drei Stunden antwortete, ertappte ich mich dabei, wie mich das unruhig machte und ich immer häufiger ungeduldig aufs Handy schmulte. Mit Youngjun zu reden, bzw. zu schreiben, gab mir ein Gefühl von Seelenfrieden und Sicherheit. Leider erlaubte seine Zeit es erst später im November herzukommen, wodurch ich mich mit dem Museumsbesuch länger als erwartet, gedulden musste. Mein Geburtstag jedoch, war an jenem Abend ein voller Erfolg.
Kim und ich organisierten eine Homeparty und luden meine Freunde ein. Es wurde ein wilder Abend, bei dem viel gesungen, getanzt und gelacht wurde. Eine Überraschung hielt der Tag jedoch noch parat: Am Mittag hatte ein Bote bei uns geklingelt und ein Paket für mich abgegeben. Wie sich herausstellte, hatte sich Youngjun an dem Tag, wo ich meine Geldbörse verloren hatte, sich mehr als nur die Adresse gemerkt. In dem Paket fand ich neben einem hochwertigen Zeichenblock und Wasserstiften auch noch eine schlichte aber elegante kleine rosé-goldene Uhr. Mit einem Grinsen im Gesicht hatte ich sie direkt angelegt und mich mit einem Foto davon bei Youngjun bedankt.
Gegen Novembermitte schrieb ich meine ersten Abschlussarbeiten und arbeitete parallel an den Abschnitten meiner Bachelor-Thesis. Es half, mich hierfür mit Nadim und Leona in unser Café zu setzen und die Nachmittage dort verstreichen zu lassen, wenn ich nicht gerade trainierte oder in der Bibliothek jobbte.
Wegen der Idee, nach der Meisterschaft noch einige Zeit in Korea zu bleiben, war ich nur bedingt mit dem schmieden meiner Pläne weitergekommen. Ich konnte es machen, wenn ich wollte. Sicherlich gab es bestimmt Jobs da drüben, die ich annehmen konnte, um mir dort meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Außerdem, gab es so viele Orte, die ich wiedersehen und auch neu entdecken wollte. Ein paar Tage nach den Championships waren einfach nicht genug Zeit in meinen Augen, um Seoul erneut zu entdecken.
Ich hatte meinen Mädels vom Training von der Idee erzählt. Sie waren zwar traurig bei dem Gedanken, dass sie mich nicht mehr beim Training sehen würden, standen jedoch der Überlegung unterstützend gegenüber, was mir wieder einmal vor Augen führte, zu was für einer kleinen Familie wir über die Jahre hinweg zusammengewachsen waren. Auch Kim sah dieser Idee mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen. Doch letztlich hielt sie die Entscheidung für die Beste, wenn sie daran dachte, dass Caleb zu diesem Zeitpunkt womöglich immer noch nicht aufgehört haben sollte, mir nachzustellen und mir aufzulauern.
Ab der zweiten Novemberhälfte begann die Welt sich weiß zu färben. Täglich blieben mehr und mehr Flocken Schnee auf den grauen Steinen der Gehwege liegen und bedeckten nach und nach die Wiesen. Mittlerweile flatterte mein Herz aufgeregt, wenn ich auf dem Handydisplay Youngjuns Namen las. Ich konnte nicht verleugnen, dass ich ihn mittlerweile ins Herz geschlossen hatte und die anregenden Unterhaltungen mit ihm sehr genoss. Er interessierte sich auch für Bücher, somit hatten wir längst abgeglichen, ob unsere Vorlieben sich überschnitten oder eher auseinanderdrifteten. Es zeigte sich, dass er sich für verschiedene Genres begeistern konnte, jedoch eher gesellschaftskritische Literatur bevorzugte, wenn er die Wahl hatte, während ich bei überwiegend romantischen Fantasy-Geschichten und Romanzen aus meiner Jungend hängen geblieben war.
Und Youngjun war tiefgründig. Mich faszinierte seine Art, über gewisse Dinge nachzudenken, sie zu hinterfragen und zu analysieren. Dabei handelte es sich nicht um Fragen, wie Etwas der Allgemeinheit nach zu sein hatte, sondern mehr darum, warum sie so waren und ob sie überhaupt Sinn ergaben. Manchmal kam ich mir mit meinem Easybrain im Vergleich zu ihm einfach nur stumpf vor.
Zum Vergleich für alle: Wenn er das schärfste Fleischmesser in der Küche war und im Licht silbern blitzte... dann war ich das eingefettete Buttermesser, dass nutzlos daneben lag.
Doch offenbar fand Youngjun mich dennoch interessant – ein Gefühl, dass ich damals nach und nach verloren hatte, nachdem Caleb und ich es das erste Mal getan hatten. Waren mein Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl während der Beziehung wirklich so weit gesunken? Die Antwort lautete: Offensichtlich!
Ich begann mich zu fragen, wie oft ich wohl noch auf meine ehemalige Beziehung zurückblicken würde. Ich wusste nicht einmal, warum ich es tat. Ich wusste nur, dass mir im Nachhinein immer mehr Dinge auffielen, die ich zu Zeiten der rosaroten Brille noch nicht bemerkt hatte. Dann fragte ich mich, wie ich nur so blind hatte sein können und warum meine Freunde mich nicht darauf hingewiesen hatten. Oder hatten sie es getan und ich habe es nur nicht hören wollen? Hatte ich meine negativen Gefühle verleugnet? Vielleicht trugen all diese Gedanken irgendwo mit zum Verarbeitungsprozess meiner ehemaligen Beziehung mit Caleb bei, doch sie nervten mich tierisch.
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