Kapitel 02
„Ich sagte doch, ich muss dich sehen", erklärte Caleb und trat einen weiteren Schritt auf mich zu. Ich wich einen Schritt zurück und spürte die Haustür im Rücken. „Warum, Caleb?" Mein Magen zog sich unangenehm zusammen. „Bitte gib uns noch eine Chance, Naynay." „Caleb, nein. Und das habe ich dir auch schon mehrmals gesagt. Ich kann nicht." „Können oder wollen?", hakte er nach. „Beides", erwiderte ich, ohne zu zögern. Für einen Moment ließ er die Schultern hängen. Dann straffte er sie wieder. „Aber Naynay..." „Nenn mich nicht so", unterbrach ich ihn barsch und abermals hob er schlichtend die Hände. „...Nayla. Hat dir unsere Beziehung denn wirklich so wenig bedeutet, dass du sie jetzt einfach so leichtfertig wegwirfst?" Ich wusste, dass er mich mit den schönen Seiten unserer ehemaligen Beziehung manipulieren wollte und hasste ihn dafür so sehr.
Meine Gedanken wanderten an Zeiten zurück, in denen wir uns lachend gegenseitig im Restaurant fütterten, uns im Kino in die letzte Reihe mit einem riesigen Eimer Popcorn zurückzogen oder auf Partys miteinander tanzten. Ich dachte an die vielen Stunden, die wir gemeinsam im Bett verbracht hatten – verregnete Tage, an denen wir ins Laken eingekuschelt dalagen, den Tropfen lauschten und uns küssten.
Ein Stich durchzuckte mein Herz und unter Aufbietung all meiner Willenskraft, behielt ich meine neutrale Miene bei. „Glaub mir Caleb. Ich werfe nichts leichtfertig weg." Er sah einen Augenblick zu Boden. „Ich... ich verstehe nur nicht wieso", begann er dann wieder und ich verdrehte hilflos die Augen. „Ich habe dir bereits x-Mal erklärt, warum! Ich glaube nur, dass du mir einfach nicht zuhörst!" Verärgert verschränkte ich meine Arme vor der Brust. „Ja, du hast es mir erklärt...ich sehe nur keinen Grund, deswegen gleich Schluss zu machen." „Pah!" Ich lachte laut auf und warf die Hände in die Luft. „Kein Grund...!", murmelte ich frustriert und wendete mich wieder dem Schlüsselloch zu. „Auf wiedersehen, Caleb." „Aber Naynay, ich..." „Auf Wiedersehen...", wiederholte ich nachdrücklich. In meinem Rücken hörte ich ihn seufzen. „Okay...", murmelte er leise. „Wir sprechen morgen nochmal." Erschöpft schloss ich die Augen. Bitte nicht. Ich öffnete die Tür, trat ins Treppenhaus und ließ Caleb draußen ohne ein weiteres Wort stehen.
Vor einem Monat habe ich die Beziehung mit Caleb beendet. In den drei Jahren, die wir zusammen gewesen waren, gab es zwar ein paar schöne Momente, doch größten Teils, war unsere Beziehung toxisch. Caleb hatte mir oft wehgetan – psychisch und manchmal auch physisch – und letzten Monat hatte es mir gereicht. Nachdem er mir wieder einmal wehtat – dieses Mal am heftigsten – beschloss ich, dass dieses Mal, das letzte Mal sein sollte. Ich war mir selbst zu viel wert, um noch weitere Demütigungen und Erniedrigungen hinzunehmen und auf seine Versprechen, er würde sich ändern, weiter zu vertrauen. Nein... mein Vertrauen in ihn war endgültig zerstört und ich wollte nie wieder zu ihm zurück. Dem war ich mir sicher – ein für alle Mal!
Nachdem ich mich im Treppenhaus zunächst gegen die Eingangstür gelehnt und versucht hatte, mich wieder zu beruhigen, erklomm ich die Stufen in den zweiten Stock. Ich öffnete die Tür zu meiner Wohnung und fand mich in einem dunklen Flur wieder. Offenbar war Kim also noch nicht von ihrer Schicht im Restaurant zurückgekehrt. Ich schaltete die warme Passivbeleuchtung im Flur ein, stellte meine Schuhe auf der Fußmatte im Eingangsbereich ab und hängte lustlos meinen Mantel über einen, der vielen vollbehangenen Haken unserer Garderobe. Dann lief ich den Flur hinunter in die Küche, wobei ich auf meinem Weg dahin die Lichter in meinem Zimmer, im Badezimmer und Wohnzimmer einschaltete. Als ich die Küche erreichte, knipste ich auch dort den Lichtschalter um und das warme Licht durchflutete den Raum. Besser.
Ich lief zur Arbeitsfläche, über der ich auf einem Regal die Bluetooth-Box einschaltete und sie mit meinem Handy verband. ‚Calm down' hatte ich die Playlist auf Spotify genannt, die mich runterbringen sollte, wenn meine Gedanken mal wieder aufgewühlt waren. Genau diese Playlist startete ich nun und begann dann, den Topf für die Nudeln mit Wasser zu befüllen und auf den Herd zu stellen. Taylor Swifts Stimme sang ME! und ich begann den Song mitzuschmettern, so inbrünstig ich konnte. Je mehr ich sang, desto mehr hob sich meine Laune glücklicherweise auch wieder. Es tat gut, alles rauszulassen. Nichts ging über Taylor Swift Songs in Zeiten einer Trennung. Während die Nudeln vor sich hin kochten, bereitete ich mir die Badewanne vor. Ich drehte das Wasser warm auf und schmiss schwungvoll eine blaufärbende Badebombe aus dem Drogeriemarkt hinein. Platschend klatschte sie auf der Wasseroberfläche auf, ehe sie zum Grund sank und sich dort begann aufzulösen. Am Wannenrand entzündete ich meine Kerze und stellte sicher, dass ihre Flamme nichts anbrennen konnte. Sehr gut, zurück an den Herd.
Als die Nudeln bissfest und die Soße für den Auflauf gekocht waren, packte ich alles zusammen in die Auflaufform und bestreute sie mit Gouda. Dann schob ich die Form in den vorgeheizten Ofen und stellte den Handytimer auf 20 Minuten ein. Ich flitzte in mein Zimmer, schmiss die getragenen Klamotten achtlos auf meinen Schreibtischstuhl, hüllte mich in meinen dünnen Satin-Morgenmantel – den ich mir im vergangenen Sommer zugelegt hatte – und schlürfte dann ins Bad.
Das warme Wasser beruhigte meine Nerven augenblicklich und ich tauchte für einen Moment Unterwasser. Kleine Luftbläschen prickelten über meine Kopfhaut, als sie sich ihren Weg an die Oberfläche bahnten. Ich tauchte wieder auf und atmete seufzend aus. Was für ein langer Tag. Während Lauv I'm so tired... anstimmte, kippte meine Stimmung diesen Abend ein weiteres Mal. Wären meine Wangen zu diesem Zeitpunkt nicht schon sowieso nass gewesen, wären sie es spätestens jetzt. Tränen bildeten sich in meinen Augen, während meine Hände mit dem Badeschaum spielten. Ich schloss die Lider und ließ einen kleinen Schluchzer zu. Warum konnte Caleb mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben! „Dieser Scheißkerl!", fluchte ich und schlug mit der Faust aufs Wasser. Dann ließ ich den Frusttränen der letzten Wochen freien Lauf.
Als ich den Schlüssel in der Tür klicken hörte, stoppte ich augenblicklich meinen Heulkrampf und hielt die Luft an. „Ny?", schwebte Kims Stimme wie ein Rettungsring durch den Flur. Ich schnüffte noch einmal, bevor ich ihr antwortete. „Ich bin im Bad!", rief ich. Ich hörte es im Flur rascheln, als sie ihre Jacke aufhängte und den Regenschirm faltete. Dann erschien ihr Kopf in der Badezimmertür. „Was ist los?", fragte sie alarmiert. „War er wieder hier?", fuhr sie dann fort, noch ehe ich etwas antworten konnte. Ich nickte und heftete meinen Blick auf die Bläschen im Badeschaum. „Dieser Scheißkerl!", fluchte sie und sah sich aufgebracht um. „Wenn das noch weiter so geht, stellen wir eine Anzeige wegen Nachstellung!" „Aber Kim..." „Bahbahbah!", unterbrach sie mich sanft und wedelte mit dem Finger. „Er hätte es verdient!" Zaghaft nickte ich. „Ich weiß..."
Mein Timer klingelte. „Der Auflauf ist fertig", murmelte ich und machte Anstalten aus der Wanne zu klettern. „Ich tu uns auf", entgegnete Kim, war schon aus dem Türrahmen verschwunden und eilte in die Küche. „Mmmmh, das riecht super!", drang ihre Stimme zu mir ins Bad. Ich lächelte traurig, während ich mich in den Morgenmantel hüllte und in meine warmen Hausschuhe schlüpfte.
Als ich die Küche betrat, hatte Kim mir bereits einen Teller aufgetan und auf die Anrichte gestellt. „Wollen wir uns ins Wohnzimmer setzen?", fragte sie, während sie nach den Rotweingläsern angelte. „Von mir aus...", murmelte ich, nahm den Teller, schnappte zwei Gabeln aus der Schublade und griff nach meinem Lieblingswein. Dann schlurfte ich zum Couchtisch, wo ich meine Portion und den Wein abstellte. Dann kletterte ich aufs Sofa und machte mich in meiner Lieblingsecke klein. Kurz darauf kam Kim ins Zimmer und setzte sich neben mich. „So...", sprach sie, drehte sich zu mir herum, nahm ihren Teller und ihre Gabel in die Hand und nahm einen ersten Happs. „...erzähl. Was ist genau passiert?"
Während ich erzählte, was geschehen war, hörte sie mir aufmerksam zu und schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf. Ich musste sie im Anschluss mehrmals versuchen daran zu hindern, dass sie nicht gleich morgen zur Polizei gehen würde. Ich fand nicht, dass ich so weit gehen sollte, um Caleb von mir fernzuhalten. Zumindest noch nicht.
Wir beendeten den Abend mit ein paar Folgen iZombie, bevor wir dann unser Geschirr in die Küche stellten, uns im Bad die Zähne putzten und uns dann eine gute Nacht wünschten. Nachdem ich meine Zimmertür hinter mir geschlossen hatte, sah ich mich verloren in meinem Zimmer um.
Gegenüber der Tür befand sich die Wand mit dem großzügig ausfallenden Fenster, durch das morgens immer so schön das Licht fiel. Mein breites Futonbett befand sich in der linken Zimmerecke auf einer kleinen Anhöhe, die über zwei Stufen zugänglich war. Als kleiner Raumteiler, stand mein Ikea-Kallax-Regal mit seinen 3x4 Kästen vor dem Bett und verhinderte so eine direkte Sicht auf das wilde Durcheinander an Kissen und Decken darauf. Direkt zu meiner linken Seite fand sich meine Arbeitsecke mit einem Eck-Schreibtisch und besagtem Stuhl, auf dem mein Wäscheberg thronte. Rechts hinter der Tür befand sich ein weiteres Regal, zugepackt mit allen möglichen Artikeln. Das Arsenal reichte von Kosmetik und Beauty-Produkten bis hin zu Notizbüchern, Acrylfarben, Pinseln und kleinen quadratischen Leinwänden. Und dann war da noch mein Kleiderschrank mit Spiegeltür, welcher sich direkt gegenüber von meinem Bett befand. Die Wand an meiner Bettseite hatte ich in hellem Pastell-Lila gestrichen und eine Lichterkette für die Länge meines Bettes an der Wand entlanggeführt.
Müde tapste ich die paar Stufen zu meiner Matratze hinauf und ließ den Morgenmantelvon meinem Körper rutschen. Ich schnappte mir mein weites weißes T-Shirt und suchte mir eine frische Pantie aus dem Schrank. Dann fiel ich in mein Bett und schaltete die Stehlampe am Fenster mit der Funkfernbedienung aus. Die Dunkelheit hüllte mich augenblicklich ein und ich drehte mich auf die Seite – die Decke wie ein Kissen zwischen meinen Armen und Beinen zusammengeknüllt. Das Licht des Mondes fiel kalt durch das Fenster und hüllte mein Zimmer in mattes silbernes Licht. Müde blinzelte ich und während ich in einen erschöpften Schlaf hinüberglitt, spürte ich ein paar letzte Tränen des Tages über meine Nase und Wangen rollen.
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