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»Und deine Mutter?«»War sauer und ging kurzerhand Eier kaufen«, flüsterte ich.Rabea rollte mit den Augen.»Da steht ein heißer ölverschmierter Kerl in einer Garage und will dir zwei Eier holen, und du rennst davon.«»Blabla«, gab ich zurück und wendete mich meinem seit gestern noch leeren Blatt zu. Gestern hatte ich noch die Hoffnung gehabt, es würde sich wie von Zauberhand selbst vollschreiben. Leider war dem nicht so.»Schreib doch über dein Leben als Burgfräulein«, raunte mir Joe zu. Wütend bastelte ich einen Papierflieger aus dem noch leeren Blatt und ließ diesen in Joes Richtung fliegen.»Miss Tawis, Sie sind hier nicht im Kunstunterricht!«»Wäre bestimmt auch spannender als das«, kam es von einigen Reihen hinter uns. Einige konnten sich das Lachen nicht mehr verkneifen.»Miss Brooks, ich bin mir sicher, Ihren Noten täte ein wenig mehr Aufmerksamkeit gut.«Unsere Lehrerin, eine ältere Frau mit schwarzen Locken,warf einen wütenden Blick zu Luise. Augenblicklich hörten alle auf zu lachen.Am Ende der Unterrichtsstunde hatte ich eine Kurzgeschichte über Mütter mit Dekorationswahn geschrieben. Wo ich nur all diese Ideen her nahm - keiner wusste es.Ich packte meine Sachen zusammen und begab mich mit Rabea in das nächste Klassenzimmer.Doch leider kamen wir nicht so weit, denn die halbe Cheerleader-Clique versperrte uns den Weg. Na super! Ich sollte langsam anfangen, unterirdische Gänge zu graben und nur noch diese zu benützen.»Samira?«, fragte ich zögerlich. Ich achtete darauf, sie nicht mit Sam anzusprechen. Meistens sprachen sich die Cheers mit dem Anfangsbuchstaben an. Doch sicher war ich mir nicht,und Ärger wollte ich keinen.»Lowa, wie sehen die weiteren Pläne aus? Ich muss wissen,wie viel Zeit das in Anspruch nimmt und ob mein Sport darunter leidet.«Mein linkes Auge zuckte ein wenig. Eine Angewohnheit,die dadurch ausgelöst wurde, dass ich jemandem am liebsten irgendwelche Bücher an den Kopf schlagen wollte.»Was für Pläne?«»Der Plan, den Ex zu vergessen«, entgegnete sie genervt und rollte mit den Augen.Ich drückte meine schwarze Umhängetasche enger an mich und suchte verzweifelt nach einem Ausweg.Wer wollte bitte, dass die gesamte Mannschaft bei den eigenen Anti-Liebeskummer-Plänen zuhörte?»Die Party«, kam es von Rabea. Überrascht wendete ich meinen Kopf zu ihr und folgte ihrem Blick. An der Wand hing ein Plakat vom Endsommerball. Nächste Woche.»Genau«, stimmte ich schnell zu.»Du gehst zu diesem Ball mit einem tollen Date, und Jasper wird dann sehen, was er verloren hat.«Samira klatschte vergnügt in die Hände. »Ausgezeichnet!«Und schon waren sie und ihre ganze Truppe wieder verschwunden.»Erschieße mich!«, murmelte ich und betrat dann das Klassenzimmer.***Es war Mittwochnachmittag, und ich war auf dem Heimweg.Ich hatte noch einiges zu erledigen. Später kam eine weitere Kundin zu mir, um einen Plan zu erstellen, mit dem sie ihren Freund zurückgewinnen sollte. Am Abend wollte Rabea noch vorbeischauen und mir bei dem Aufsatz helfen. Ihrer Meinung nach hatte ich ein völlig falsches Thema gewählt.Als ich in unsere Straße einbog, brauchte ich nicht lange,um zu erkennen, dass meine Mutter wieder an einem Tief ihres Liebeskummers angelangt war. Eine riesige Sonnenblume aus Karton prangte auf dem Dach, genau vor meinem Fenster.Das Gelb war alles andere als nicht knallig, und von Weitem hielten es Fischerboote bestimmt für das Licht eines Leuchtturms.Überall hing Blumendekoration, und als ich näher kam, hörte ich, wie Musik von Tracy Chapman aus dem Haus erklang. Die Musik war so laut, dass ich sogar befürchtete, die leibhaftige Tracy stände in unserer Küche und gäbe ihre Gesangskünste zum Besten.»Ma?«, rief ich über die Musik hinweg. Auf dem Boden stand ein Eimer mit greller gelber Farbe.»Lowa?«, kam es von meiner Mutter. Erleichtert atmete ich auf, die Stimme war aus dem Badezimmer gekommen. Wenigstens musste diesmal nicht mein Zimmer unter ihrem Dekorationswahn leiden. Bis auf die unscheinbare gelbe Sonnenblume vor meinem Fenster.Ich lief eilig zu meiner Mutter, die gerade dabei war, die sonst so braune Wand im Badezimmer gelb zu streichen.»Du musst endlich damit aufhören«, sagte ich und ließ seufzend meinen Blick über die neuen Wände schweifen.»Ich hatte da so einen Blitzgedanken. Gelb steht für Erleuchtung und Helligkeit. Ich dachte, diese Farbe bringt ein wenig mehr Leben in dieses Haus.«Kein Wunder, dass kein Leben in diesem Haus ist, wenn sogar tote Männer an Halloween aus dem Fenster schauen.»Wann musst du wieder arbeiten?«, fragte ich zögerlich und ignorierte so ihre lebensbejahende Aussage über die Farbe Gelb. Ich dachte erst gar nicht daran, mich damit zu beschäftigen.Meistens trug ich Schwarz, Grau oder Weiß.»Nächste Woche.« Meine Mutter richtete sich langsam auf.Das schwarze Haar fiel wie ein Wasserfall über ihren Rücken.Sie trug ein gelbes Oberteil und ihre mit Farben bespritzte Malerjeans. Meine Mutter besaß zusammen mit drei Freundinnen einen kleinen Kleiderladen in der Stadt. Dort konnte man sich aber auch in einem kleinen Nebenraum die Nägel machen und die Haare schneiden lassen. Es war der perfekte Laden für viele Frauen, und meine Mutter liebte es, sich mit ihren Kundinnen auszutauschen. Leider verbrachte sie nicht mehr allzu viel Zeit dort, oft machte sie frei oder meldete sich krank, nur um hier alles auf den Kopf zu stellen. Sie litt immer noch unter der Trennung von meinem Vater.Ich hingegen befasste mich gar nicht mehr mit diesem Kerl.Ich hatte ihn nur selten zu Gesicht bekommen, weil er oft Geschäftsreisen auf der ganzen Welt unternehmen musste. Das war auch sein Trennungsgrund. Keine Zeit für Familie.»Eine Freundin kommt später noch vorbei.«»Wieder dieses Liebesbewältigungszeug?«, meinte meine Mutter und schenkte mir einen ihrer Meine-Tochter-rettet-die-Welt-Blicke.»Ich helfe anderen, über besagten Liebeskummer hinwegzukommen,ja«, gab ich zur Antwort und schnappte mir eine der gelben Zahnbürsten, die gleich neben dem Spiegelschrank lagen.»Da muss jeder mal durch«, meinte sie nur und widmete sich der nächsten Wand.»Ja, und manche von uns stecken noch mittendrin«, murmelte ich. Langsam verließ ich das Badezimmer und lief eilig die Stufen hoch. Ich musste diese Sonnenblume noch entfernen, ehe meine neue Kundin denken würde, wir seien die neue Anlaufstelle für Malerzubehör. Langsam fragte ich mich wirklich, woher sie dieses Zeug immer hatte.Ich öffnete das Fenster und lehnte mich ein wenig hinaus.Die Sonnenblume stand leider etwas weiter weg als gedacht.Ich kletterte langsam aus dem Fenster. Mit beiden Händen hielt ich mich noch am Rahmen fest. Ich hatte zum Glück keine Höhenangst, denn es ging einige Meter nach unten.Ich lehnte mich etwas nach links und streckte den Arm aus.Die Sonnenblume war nun in meiner Reichweite. Mit einem geübten Griff beförderte ich dieses riesige, Augenkrebs verursachende Ding in mein Zimmer.Ich wollte gerade wieder hineinhuschen, als mir die zwei Gestalten unten an der Straße auffielen.
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