Chapter Twenty Seven

Es war falsch, sein eigenes Wort - gegenüber sich selbst - zu brechen. Aber zeitgleich fühlte es sich auch gut an. Mit einem Becher in der Hand langte ich nach Kyle und zog ihn etwas an mich. Ich hatte völlig die Zeit vergessen. Es war so surreal und doch aufregend, hier zu sein. Zwischen meiner Familie.

„Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll."

Wir standen etwas abseits in der Küche. Es erinnerte mich an meine erste Hausparty und an den Moment, in dem ich förmlich mit Kyle um die Wette trank. Es war ein schöner Abend mit Kopfschmerzen als Konsequenz. Und ich hatte mir das Wort gegeben, nicht mehr in diesem Maß zu trinken. Doch wenn ich nun auf die klare Flüssigkeit, die leicht hin und her schwankte, in dem Becher blickte, konnte ich nicht beurteilen, ob ich meine eigene Grenze nicht schon längst passiert hatte.

„Trink nicht ganz so viel. Deine Eltern bringen mich sonst um."

Kyle lachte leicht auf und nahm mir den Becher aus der Hand, um selbst ein Schluck zu trinken. Aber er hatte Recht.

„Ich mein' das ernst. Ich habe das Gefühl, dir nichts wiedergeben zu können. Was –" Ich gestikulierte um mich herum, „- damit mithalten könnte."

Kyle zog mich an der Hüfte näher zu sich heran und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Es waren immer diese kleinen Gesten, Geständnisse und Gefühle, die Kyle mir offenbarte, die mein Herz schließlich um Meilen höherschlagen ließen.

„Ich kann dir nicht viel geben. Ich bin froh, dass ich dir heute Abend etwas schenken durfte." Er stützte sein Kinn auf meinem Haar ab, sodass ich seine nächsten Worte nur unter großer Anstrengung verstand.

„Du hast mir viel mehr geschenkt, als ich verdient habe." Dann sah er mich an. „Chancen."

Kyle stellte den Becher hinter mir ab und hob mich von der Theke. Gemeinsam gingen wir zurück in das Wohnzimmer, in welchem sich die meisten Leute tummelten. Es war keine große Party. Sie war überschaubar. Und das war das Schöne. Ich fühlte mich wohl. Es waren Leute, die ich kannte.

Wir gesellten uns zu Oliver und Charlie auf das Sofa. Vorsichtig ließ ich mich auf den letzten freien Platz plumpsen und zog Kyle neben mir auf die Lehne. „Habt ihr euch heute schon von diesem Sofa bewegt?" Oliver äffte mich nach und hob dann seine Bierflasche, um mit dem Flaschenhals leicht gegen seine Schläfe zu tippen.

„Ich bin vorhin ja wohl vor Freude aufgesprungen, als ich dich gesehen habe."

Lachend schüttelte ich den Kopf und auch Charlie verdrehte die Augen.

„Außerdem haben wir Ferien. Die muss man genießen."

Mit diesen Worten lehnte er sich zurück und nippte an seinem Bier. Ich beobachtete die Leute um uns herum, wie sie tanzten und einfach glücklich waren. Heimlich stellte ich mir vor, wie Liam durch die Mengen lief. Er hatte mir nach jeder Party Geschichten über den Abend und die Nacht erzählt, sodass ich das Gefühl bekam, dabei zu sein. Oliver und Charlie saßen in jeder seiner Geschichten zu Beginn bis kurz vor dem Ende auf dem Sofa, bis sie auf einmal loslegten und es kein Zurück mehr gab. Er hatte mir erzählt, wie er immer wieder mit Jacob diskutieren musste, als dieser im Beer Pong daneben warf und ihn dann doch lachend in den Arm nahm. Und schließlich, wie es jedes einzelne Mal, wenn Stella durch die Tür trat, um ihn herum still wurde. In diesen Momenten sah er nur noch sie.

Schluckend und doch mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen, stellte ich mir vor, wie er den Raum verließ, noch einmal zu uns in die Ecke blickte und die Hand hob. Er hatte die Kapuze seiner Jacke über den Kopf gestülpt, sodass seine Haare noch herauslugten. Die Ärmel waren bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Dann verschwand er und die Musik wurde um mich herum lauter.

„Ich bin kurz auf Toilette", wandte ich mich an Kyle und stand auf. Meine Hände begannen zu zittern, sodass ich meine linke mit der rechten umschloss und mich durch die Menschen hindurchquetschte, um in die obere Etage zu gelangen. Anders als in Kalifornien, waren hier keine Leute, die sich gegenseitig an die Wand drückten oder in einem Zimmer verschwanden.

Ich drückte die Klinke zum Badezimmer herunter und seufzte. Es schien, schon jemand das Badezimmer besetzt zu haben. Also lehnte ich mich an die Wand und schloss die Augen. Ein leichter Schwindel überkam mich.

Entnervt seufzte ich auf, als auch nach weiteren Minuten niemand das Badezimmer verließ. Der Gedanke, dass es der Person vielleicht nicht gutging, kam plötzlich hoch und auf das Schlimmste vorbereitet, richtete ich mich auf und wollte gegen das Holz klopfen, als die Tür aufgerissen wurde und Stella vor mir stand.

Erschrocken und überrascht sah sie mich an. Ihre Haare waren etwas durcheinander und ihr Lippenstift war verschmiert. Blinzelnd betrachtete ich das Mädchen vor mir und wusste nicht, ob ich etwas sagen oder doch schweigen sollte.

„Alles okay?", fragte eine heisere Stimme hinter Stella und mit leicht offenem Mund, blickte ich auf Jacob, der sich durch seine Haare fuhr und den Saum seines Shirts etwas zurechtrückte. Völlig benommen starrte ich die beiden an, bis auch Jacob realisierte, dass ich vor ihnen stand.

„Lola-", begann er überrascht. Kopfschüttelnd löste ich mich aus meiner Benommenheit und versuchte meinen Atem zu finden.

„Kann ich in das Bad?", fragte ich und drängelte mich zwischen den beiden in den Raum. Stella tapste unwohl von einem Fuß auf den anderen und auch Jacob schien nicht zu wissen, was genau er sagen sollte.

Sie mussten mir nichts erklären. Sie waren mir keine Rechenschaft schuldig. Sie waren alt genug, um Entscheidungen zu treffen, und auf keine hatte ich einen Einfluss. Diesen wollte ich auch gar nicht haben.

Ich schloss die Tür hinter mir und drehte den Schlüssel im Schloss, bevor ich mich auf das Waschbecken abstützte und das Wasser laufen ließ. Ich spritzte mir kaltes Wasser in mein Gesicht. Ungeachtet, ob meine Mascara verschmieren könnte und schloss die Augen.

Es war in Ordnung, flüsterte ich mir selbst zu und schüttelte meinen Kopf. Mein Herz wog auf einmal so viel schwerer und seufzend nahm ich mir ein kleines Handtuch aus dem Schrank, um mein Gesicht abzutrocknen, bevor ich den Raum verließ.

Kyle stand gegenüber vom Badezimmer an der Wand angelehnt und schaute mich grinsend an. „Du scheinst dich immer auf der Toilette zu verirren." Ich atmete einmal durch, bevor ich mich in seine Arme schmiss und mich an ihn drückte.

„Ist alles in Ordnung?", hakte Kyle besorgt nach und legte seine Arme um meinen Rücken. Noch einmal drückte ich mich fest an ihn, bevor ich mich löste und ihn mit einem kleinen Lächeln anblickte. „Ja." Denn das Leben ging weiter. „Ich glaube, wir sollten langsam gehen."

Die gesamte restliche Nacht hatte ich an die dunkle Zimmerdecke gestarrt, die Decke bis zu meinem Kinn gezogen, und nachgedacht. Aufatmend richtete ich mich am nächsten Morgen auf, bevor mein Wecker klingelte. Ich schaltete mein Handy auf stumm und stand leise auf, damit ich Kyle nicht weckte.

Ich nahm mir frische Unterwäsche und ein Top, bevor ich unter die heiße Dusche stieg und das Wasser auf meinen Körper prasseln ließ. Leicht öffnete ich meine Lippen und schloss die Augen. Mein Kopf brummte und seufzend drehte ich das Wasser ab, wickelte mich in ein Handtuch und wischte über den Spiegel, um mich betrachten zu können. Dunkle Augenringe zierten mein Gesicht.

Schließlich zog ich mir die Unterwäsche und das Top über und setzte mich mit meinem Notizbuch neben Kyle auf das Bett. Lächelnd strich ich ihm durch sein Haar, welches am Morgen immer zerzaust war und musterte seine langen Wimpern. Kyle war um nichts zu beneiden.
Langsam klickte ich die Mine des Kugelschreibers durch und biss mir auf die Lippe, während ich noch einmal das Handtuch um mein Haar zurecht rückte und die Beine an mich zog.

Liebes Tagebuch,

Bei meinem letzten Besuch Zuhause war es anders. Ich kann es gar nicht wirklich beschreiben, aber es war anders. Es waren wenige Stunden, ich hatte nicht die Zeit, Dinge zu hinterfragen. Aber jetzt habe ich diese Zeit. Und ich bin maßlos überfordert.

Ich weiß nicht, ob es am Alkohol lag - dabei habe ich nicht einmal viel getrunken - oder an Liams Geschichten, aber gestern sah ich ihn vor mir stehen.

Die Freude teilte sich den Platz mit dem Schmerz, der sich in mir ausbreitete.

Es ist schon unfassbar lange her. Und langsam vergesse ich einzelne Details. Sein Lachen und seine Stimme verblassen. Genauso wie sein Lächeln.

Ich habe Angst, dass ich irgendwann nur noch eine leere Hülle vor mir stehen sehe. Denn das wird Liam nicht sein. Das darf er nicht sein.

Ich würde alles hergeben, um ihn ein letztes Mal zu betrachten. Seine Stimme und sein Lachen zu hören. Durch sein Haar zu wuscheln und auf seinen Rücken zu springen.

Vielleicht wäre es einfacher, hätte ich die Möglichkeit gehabt, „Auf Wiedersehen" zu sagen.

Vielleicht würde es mir dann auch leichter fallen, Stella und Jacob willkommen zu heißen. Es war nicht, dass ich es den beiden missgönnte. Es war schön, beide zusammen lächeln zu sehen. Und ich bin glücklich, dass Jacob allen Anschein nach jemanden gefunden hat. Und das gilt auch für Stella. Sie ist nicht an Liam gebunden.

Aber Liam ist an sie gebunden. Und es bricht mir das Herz, dass er niemals die Möglichkeit, die beide miteinander haben, haben wird.

Es bricht mir verdammt nochmal das Herz.

In Liebe, Lola

Ich legte den Stift zwischen die Seiten des Buches und klappte es zu, bevor ich es unter mein Kissen schob und mich an Kyle kuschelte. Sofort hob er seinen Arm und zog mich näher an sich, sodass ich meinen Kopf auf seine Brust betten konnte. Lächelnd schloss ich die Augen und versuchte, noch wenige Minuten vor mich hin zu träumen.

Es war Kyles Wecker, der uns beide aus dem Schlaf riss. Die schlaflose Nacht hatte mich eingefangen und müde versteckte ich meinen Kopf zwischen den Kissen, um dem Lärm des Alarms zu entkommen.
Kyle drückte mir einen Kuss auf die Schläfe und stellte seinen Wecker aus.

„Deine Eltern warten auf uns", flüsterte er mit rauer Stimme und gab mir einen weiteren Kuss. Zwischen den Kissen murmelte ich etwas vor mich hin, das nicht einmal ich selbst wahrnehmen konnte, und nur wenige Sekunden später spürte ich Kyles Lippen auf jeder freien Stelle meiner Haut. Als er mit seinen Fingern über meine Seite strich, schreckte ich hoch. Ich war nicht kitzelig. Außer in unvorbereiteten Momenten wie diese.

„Finger weg!", warnte ich und richtete meinen auf seine Brust. Dann tippte ich dagegen. „Ich warne dich." Lachend streckte Kyle mir seine Hand entgegen. Müde nahm ich sie entgegen und ließ mich von dem Bett hochziehen.

„Würdest du mir die Ehre erweisen, mit mir zu tanzen?" Kyle entfernte sich einige Schritte von mir und hielt mir ein weiteres Mal seine Hand entgegen. „Was?", fragte ich lachend und sah verwirrt zu Kyle.

Doch dieser riss mich ohne eine weitere Antwort an sich und wirbelte mich herum.

Dann drückte er mir einen Kuss auf die Wange und grinste. „Wie kann ein Mensch nur in seinen schrecklichsten Momenten dennoch so wunderschön aussehen." Lächelnd lehnte ich mich an seine Brust, bis ich stirnrunzelnd die Bedeutung hinter dem Anfang seines Satzes verstand. Spielerisch schlug ich ihm auf die Brust und murmelte, „Arsch."

„Das habe ich gehört." Sein Lachen drang zu mir hindurch und hoffnungsvoll vergrub ich mein Gesicht etwas mehr.

„Gut so."

Während Kyle sich die Zähne putzte, zog ich mir eine Jeans über und schlüpfte in meine Sneaker. Meine Haare waren immer noch leicht feucht und lustlos band ich sie zu einem Dutt in meinem Nacken zusammen.

Wir alberten im Fahrstuhl herum, bis sich die Türen öffneten und wir im Restaurant zu meinen Eltern stießen.

„Wir sind bereit", waren die ersten Worte meiner Mutter, als wir uns setzten. Stirnrunzelnd sah ich sie an. Dann meinen Vater, der die Hand meiner Mutter hielt.

Meine Mutter legte ihren Kopf schief und zuckte mit den Schultern, als würde sie gleich zu weinen beginnen. „Wir können heute Liam besuchen."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top