Chapter Twenty

Ich folgte Kyle in sein Haus und setzte mich auf das Sofa in seinem Zimmer. Meine Hände hatte ich zwischen meine Beine gepresst. Mein Blick war starr aus dem großen Fenster gerichtet. Kyle lief vor mir auf und ab und fuhr sich immer wieder durch die Haare.

Anscheinend wusste er nicht, wie er anfangen sollte. Mir war unbehaglich und ich wünschte mir, einfach gegangen zu sein. Denn das war nun passiert. Ich saß in Kyles Zimmer, er lief wie von allen Geistern verlassen auf und ab und ich hatte keinen Schimmer, ob er mir die Wahrheit erzählen würde. Oder ob ich sie wirklich hören wollte.

„Ich - D-", stotterte er und brach schließlich seinen Satz ab. Er setzte sich auf einen schmalen Hocker mir gegenüber und legte sein Gesicht in die Hände, bevor er aufstöhnte und sie zu Fäusten ballte.

„Verdammt!" Er stand wieder auf. Ich zuckte bei seinem aggressiven Ton zusammen und drückte meine Beine fester aneinander.

„Kyle, ich -", abrupt unterbrach Kyle mich und schüttelte den Kopf.

„Nein, ich will es dir erklären." Dann setzte er sich wieder auf den Hocker. „Ich werde dich nicht anlügen. Das habe ich noch nie." Seine Stimme war ruhiger geworden und seine Gesichtszüge entspannten sich etwas, als ich ihn anblickte. Mein Herz zersprang, als ich die Verzweiflung in seinen Augen sah und ich wollte nichts anderes, als meine Arme um ihn schließen.

„O Gott, du bringst mich einfach um den Verstand. Seit Monaten habe ich aufgehört, mit irgendwelchen Mädchen rumzumachen oder zu schlafen. Es hat mich einfach nicht mehr interessiert." Kleine Erinnerungsfetzen kamen zum Vorschein. Kyle hatte mir tatsächlich sehr direkt gebeichtet, dass er mit niemanden mehr geschlafen hatte. Doch das war keine Entschuldigung und keine Begründung für den Kuss mit dem Mädchen. Denn dieser Kuss war keine Monate her. Er war nicht einmal Stunden vergangen.

„Gott-", begann er einen weiteren Versuch. „Du weißt nicht, wie mich meine Jungs abgefuckt haben. Ich hatte einfach die Schnauze voll, von ihnen verspottet zu werden. Ich habe dieses Mädchen aus Reflex geküsst. Ich weiß verdammt noch mal nicht einmal ihren Namen." Er versuchte meinen Blick zu fangen, doch ich wich ihm aus. Seine Worte milderten nicht den Schmerz, den ich spürte.

„Ich habe keine Ahnung, was mit mir los ist. Vielleicht wollte ich etwas beweisen. Oder auch nicht. Aber seit ich dich kenne, denke ich an nichts anderes mehr. Ich will niemand anderen mehr. Und ständig kribbelt mein ganzer Körper." Dass Kyle an mich dachte, füllte meinen gesamten Körper mit einer wohligen Wärme. Gleichzeitig musste ich ein kleines Lachen unterdrücken. Dass ich solch eine Reaktion auf seinen Körper und seine Worte hatte, war unbeschreiblich. Aber Kyle schien es sich nicht annehmen zu wollen, so wie er sein Gesicht verzog.

„Meine Erklärung ist absolut miserabel, aber ich kann es mir nicht einmal selbst erklären. So gern ich es auch möchte." Er atmete durch.

„Ich möchte, dass du weißt, dass es mir leidtut." Eine Stille legte sich über uns und als Kyle nichts weiter erklärte oder es vielmehr versuchte, stand ich auf. Mein Körper zitterte und ich war völlig neben mir. Ich wusste nicht, wie ich denken oder handeln sollte.

„Kyle", seufzte ich schließlich leise und knetete meine Hände. „Wir sind nicht zusammen. Du schuldest mir nichts." Dann richtete ich mich auf und schloss kurz meine Augen. „Aber ich lasse nicht mit mir spielen, nur weil du mit dir selbst Schwierigkeiten hast."

Kyle blickte zu mir hoch und schien mir nun um Längen unterlegen. Sein Blick war voller Reue und Schmerz, was es mir nur schwerer machte, einen klaren Kopf zu bewahren. Es wenigstens zu versuchen.
„Und ich habe Angst." Kyle stand auf und wollte mich berühren, zog jedoch seine Hand zurück. „Wovor?", fragte er. Sein Atem stockte.

Verzweifelt fuhr ich mir durch mein Haar und warf meine Hände in die Luft.

„Dass ich mich noch mehr in dich verliebe! Ich habe verdammte Angst, noch einmal verletzt zu werden. Du - du hast mir verdammt wehgetan." - „Du bist in mich verliebt?"

Freudlos lachte ich auf. „Du glaubst nicht, wie se-" Kyle unterbrach mich, bevor ich zu Ende sprechen konnte, indem er seine Lippen auf meine legte. Überrascht und überfordert zugleich, stand ich teilnahmslos vor ihn, bis ich meine Hände um seinen Nacken legte und mich an ihn drückte. Ich presste meine Lippen gegen seine und passte mich seinen Bewegungen an.

Kyle zu küssen, war wie fliegen und fallen zur selben Zeit. Er führte mich in die Höhe und zeigte mir, was es bedeutete, frei von jeglichen Sorgen zu sein. Doch zur selben Zeit ließ er mich fallen. Er ließ zu, dass mir jegliche Kontrolle genommen wurde und ich wehrlos war. Als ich realisierte, was genau ich gerade tat, löste ich mich abrupt von seinen Lippen und atmete hektisch ein und aus, bevor ich wild den Kopf schüttelte.

„Das ist falsch, Kyle." Wie konnte nur etwas so Gutes, das sich so verdammt richtig anfühlte, so falsch und gefährlich sein?

Ich nahm Abstand und schüttelte ein weiteres Mal meinen Kopf. „Ich kann das nicht."

Ich öffnete seine Zimmertür und lief die Treppen runter, als er mir wie im Gang in der Schule, hinterherrief.

„Lola, bitte!" Doch dieses eine Mal war ich schneller. „Ich habe mich auch in dich verliebt." An der Tür hielt ich inne und lehnte mich mit der Stirn an das kühle Holz. Kyles Stimme brach gegen Ende und hätte ich mich umgedreht, war ich mir sicher, hätte ich seine Tränen gesehen.

„Ich brauche Zeit." Ich öffnete die Haustür und lief zu mir herüber. Tränen brannten in meine Augen und fielen beim nächsten Wimpernschlag auf meine Haut.

Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, glitt ich an ihr herunter und begann zu schluchzen. Ich hatte wirklich gedacht, dass Kyle mich retten könnte. Das er mir meine Freude und das Glück zurückschenken würde. Seine Worte hatten die Schmetterlinge in meinem Bauch hochfliegen lassen, aber einen Moment später waren sie grausam gefallen. Das Vertrauen war verschwunden. Ich wusste nicht, ob Kyle kein anderes Mädchen mehr küssen würde - seine Worte und die Begründung hin oder her.

Er war nicht mein Freund.

Kyle war nicht an mir mich gebunden und konnte sein Leben leben, wie er es wollte. Wenn es ihm wichtig war, ein Image aufrechtzuerhalten, das ihn in keiner Weise auch nur im Ansatz beschrieb, dann musste ich mich damit abfinden und los lassen. Es war besser, etwas loszulassen, was man nicht besaß, als etwas loslassen zu müssen, was einem gehörte.

Als ich am Abend in meinem Bett lag und die sämtlichen Nachrichten von Kyle durchging, beschloss ich, mir eine Auszeit zu nehmen. Die nächsten Tage blieb ich Zuhause, konzentrierte mich auf meine Gedanken und mein Leben.

Ich nahm mir Zeit für meine Haut. In letzter Zeit war sie viel zu strapaziert worden, durch sämtliche Tränen, die geflossen waren. Also deckte ich mich mit Masken ein und schaute nebenbei den gesamten Tag Filme.

Ich hatte das Haus abgedunkelt und konnte schon nach wenigen Stunden nicht mehr sagen, wie spät es war, hätte ich nicht mein Handy gehabt.Ich widmete mich wieder meiner Ernährung. Als mein Blick über meinen nackten Körper wanderte, erschauderte ich selbst. Ich fühlte mich unwohl und so bestellte ich mir an meinem ersten, freien Tag eine Pizza und widmete mich am zweiten Tag einer Lasagne.
Und schließlich begann ich wieder, in mein Notizbuch zu schreiben. Die Seiten wurden immer voller, sodass mich die Sorge einnahm, bald keinen Platz mehr zu haben.

Am Donnerstagbend beschloss ich wieder in die Schule zu gehen. Ich hatte den gesamten Tag über in Liams alten Schulsachen gestöbert und dabei alte Jahrbücher gefunden. Er war auf so etlich vielen Seiten. So viele Unterschriften waren in den Büchern verteilt. Sein Lächeln war plötzlich lebendig. Mir wurde abermals bewusst, dass ich mit jedem Schritt, den ich in Kyle's Richtung ging, mich einen Schritt von Liams Leben verabschiedete. Als ich sein altes Trikot in der Hand hielt, seufzte ich. Vielleicht wurde es Zeit für mich, weiterzuleben. Und vielleicht - ganz vielleicht war es nun einmal wie es war. Mein Leben glich einer endlosen Tragödie.

Aber auch in einer Tragödie gab es Lichter am Ende des Tunnels. Und diese Lichter durfte ich mir nicht nehmen. Nicht ich selbst.

Doch so sehr ich mich an diesen Gedanken klammerte, in dieser Nacht wurde mir alles genommen, woran ich zu glauben versuchte.

Schweißgebadet schreckte ich hoch und stützte mich auf meinen Armen ab, während ich ungleichmäßig ein- und ausatmete. Meine Haut glühte und Tränen flossen meine Wangen entlang.

Ich setzte mich auf und schlug die Bettdecke beiseite, um meine Haut etwas zu kühlen, während ich meine Beine an mich heranzog und stumm zu weinen begann.

Immer wieder sah ich den Unfall vor mir. Ich saß neben Liam und konnte sein Aftershave riechen. Sein Lächeln betrachten. Seine Stimme hören.

Und plötzlich wurde ich von ihm weggerissen. Seine Rufe nach mir wurden leiser und verstummten schließlich komplett. Ich hatte mich gegen diese Stille und Dunkelheit gewährt und wollte zu Liam. Ich schrie seinen Namen, als wäre es der letzte Tag, an dem ich meine Stimme erheben dürfte. Losgerissen rannte ich in der Dunkelheit umher und suchte Liam. Bis ich ihn fand.

Blut überströmt lag er auf dem Boden, in einem Scherbenhaufen. Ich ließ mich auf die Knie fallen, sodass sich die Scherben in mein Fleisch bohrten und hob Liams Kopf an. „Du musst aufwachen, Liam." Meine Stirn lehnte an seiner, die so kalt und unnahbar schien.

„Bitte.",", flüsterte ich und sah stumm dabei zu, wie eine Träne von meinem auf sein Gesicht tropfte und sich mit dem Blut vermischte.

Ich tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe und knipste das Licht an. Ich fühlte mich auf einmal ganz allein auf dieser Welt. Das Gefühl der Angst stieg in mir an und wimmernd legte ich mich seitlich auf das Bett, den Blick auf meinem Balkon gerichtet. Die Vorhänge waren geschlossen. Genauso wie die Türe.    

„Ich schaff das einfach nicht."

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