Chapter Thirty Three

„Liam war Kapitän unserer Football-Mannschaft." Ich ließ Kyles Hand los und strich über das Glas der Vitrine. Es wirkte so unberührt und unantastbar.
„Er war ein guter Anführer", ergänzte ich etwas leiser und seufzte, als ich auf die Bilder und Pokale unserer Schulmannschaften blickte.

„Dieser Sieg war einmalig für die Stagon High!", las Kyle leise vor und trat einen Schritt näher. „In den letzten Minuten des Spiels, verhalf uns der Kapitän des Football Team, Liam Cane, zum Sieg des Golden Ball." Schluckend betrachtete ich den goldenen Pokal, der selbst im dimmen Licht glänzte. Es war sein letztes Spiel. Und er hatte den Sieg nach Hause geholt.

Ich erinnerte mich an die entscheidenden Sekunden und seinen Sturz - und dann, wie die Zuschauer und Zuschauerinnen tobten und jubelten. Ich erinnerte mich an Liam und wie er vor Unglauben seine Hände in dem feuchten Gras vergruben und aufgeschrien hatte, bevor sein Team sich um ihn versammelt und sie gemeinsam angestoßen hatten. Ich erinnerte mich, dass ich neben dem Coach gesessen hatte und von der Bank gesprungen war, als der Sieg verkündet wurde.

Lächelnd und in Erinnerungen schwelgend, glitt mein Blick zu den Fotos und Artikel der Schüler- und Regionalzeitungen. Auf einem waren Jacob, Oliver und Charlie, wie sie die Faust hoben und jubelten. Und dann war dort das Bild von Liam und mir. Wie er mich in seine Arme schloss und herumwirbelte.

Ich war unglaublich stolz auf meinen Bruder. Und auf seinen Sieg.

„Er war talentiert, Kyle", flüsterte ich mit brüchiger Stimme, als mein Blick auf ein Foto von Liam fiel, welches golden eingerahmt war. Dieses Foto kannte ich nicht und es nahm mir die Luft zum Atmen, als ich die kleine Schrift unter dem Bild durchlas.

In Gedenken an Liam Cane.

Sein Lächeln war beinahe größer, als es die Linse der Kamera zugelassen hatte. Seine Haare waren verwuschelt und er hielt einen Football in der Hand. Der Bilderrahmen stand auf seinem alten Trikot, welches an manchen Stellen verschmutzt war. Er war die 07. Und er war großartig.

„Liams Zukunft - er hat das beste Leben gelebt, was man sich nur wünschen kann."

Kyle setzte zu einer Antwort an, als mein Handy klingelte und ich den Anruf annahm.

Ich rieb mir über mein Gesicht, bevor ich das Handy an mein Ohr hielt.
„Prinzessin?", fragte Jacob und brachte mich trotz der Träne, die meine Wange entlangfloss, zum Lächeln.

„Hm?" Hätte ich in diesem Moment weitergesprochen, hätte ich zu Schluchzen begonnen. „Das Feld wartet auf dich." Seine Stimme war weich und drängte mich nicht. Sie hieß mich willkommen.

„Oliver, verdammt. Halt dein Maul." Plötzlich war ein Rascheln zu vernehmen und überrascht über Jacobs vulgäre Aussprache, zog ich meine Augenbrauen hoch.

Dann wandte sich Jacob wieder unserem Gespräch zu.

„Oliver möchte auch nicht bei euren nächtlichen Aktivitäten stören, aber er würde es in Betracht ziehen, euch mit Kleidung zu empfangen." In Jacobs Ton lag Verwirrung und Irritation, als er allem Anschein Oliver zitierte. Denn wenig später war seine Stimme etwas dumpf. „Nein, das werde ich nicht ausrichten!" Dann lachte Jacob und warf Oliver etwas gegen den Kopf, als dieser schließlich aufstöhnte und sich beschwerte.

Unweigerlich war die Vitrine in meinen Gedanken in den Hintergrund gerückt und grinsend fuhr ich mir mit meiner freien Hand durch mein Gesicht, bevor ich erklärte, dass wir jeden Moment auf dem Feld stehen würden. Dann legte ich auf und sah zu Kyle, der mir etwas nähergekommen war und mich neugierig musterte.

„Eine kleine Station. Und du hast es geschafft."

Das raue Lachen der Jungs drang schon von weitem zu mir, als wir das Gebäude verließen und das Footballfeld betraten. Die Lichter umsäumten das Geländer.

Jacob und Oliver warfen sich den Football zu und lachten auf.

„Du bist ein Idiot, Oliver!", verkündete ich über den gesamten Platz und stellte mich auf eine der Bänke, etwas weiter oben auf einer Tribüne. Die Jungs sahen auf und während Jacob lachte, breitete Oliver seine Arme aus und sah mich beleidigt an. Sie setzten sich zu uns auf die Tribüne und wir erzählten uns Geschichten. Kyle lachte und schien keineswegs unbehaglich. Es erleichterte mir das Atmen, als ich die Jungs anblickte.

„Lust, eine Runde zu spielen?", fragte Oliver an Kyle gerichtet, schmiss den Football in seiner Hand leicht in die Höhe und fing ihn wenige Augenblicke später wieder auf. „Jetzt?", fragte Kyle sichtlich überrascht, stimmte jedoch schulterzuckend zu, nachdem Oliver nickte.

„Und was ist mit mir?", schmollte Jacob und verschränkte seine Arme vor der Brust, während er Oliver anfunkelte.

„Du bist scheiße." Mit diesen Worten eilte Oliver die Treppe an der Tribüne herunter.

Kyle folgte ihm.

Kurz haftete mein Blick auf seinem Rücken, bevor ich mich an Jacob wandte und meine Beine an mich heranzog. Inzwischen hatte ich mich seitlich auf die Bank gesetzt. „Das kleine Denkmal an Liam ist schön geworden."

Ein trauriges Lächeln breitete sich auf Jacobs Lippen aus, bevor er in die Luft starrte und nickte. „Das Footballteam hat sich Gedanken gemacht."

„Hast du Stella gefragt?", lenkte ich von dem Thema ab, bevor es mich innerlich zerreißen konnte. Es war auf der einen Seite ein befreiendes Gefühl, mit meinem Schmerz nicht allein zu sein. Auf der anderen Seite musste ich diesen Schmerz trotz allem allein bewältigen. Denn mein Schmerz, war weder Kyles oder Jacobs Schmerz. Und mir fehlte die Kraft, um es durchzustehen.

Jacob ließ mich mit seiner Antwort warten, beobachtete Kyle und Oliver, die auf dem Feld standen. Kyle rannte mit dem Ball unter seinem Arm quer über das Feld, während Oliver ihm folgte. Leicht runzelte ich meine Stirn. Ich war mir nicht sicher, was genau sie dort zu spielen wagten. Aber zur selben Zeit war es interessant zu sehen, was für eine Ausdauer Kyle in sich trug. Er rannte über das grüne Feld, als würde er gemütlich zum Kühlschrank laufen. Er wirkte entspannt und sein Lächeln im Gesicht wirkte gelöst.

„Sie hat ‚Ja' gesagt."

Überrascht wendete ich mich von den Jungs ab und blickte zu Jacob, der ein schmales Lächeln auf seinen Lippen trug. Ich hatte nicht mehr mit einer Antwort gerechnet und umso mehr erwärmte sich mein Herz, als ich seine Worte realisierte. Meine Brust begann zu kribbeln und ich freute mich aufrichtig für ihn. Und Stella. „Ich freue mich für euch", antwortete ich schließlich und lächelte ihn an.

Jacob musterte mich stumm, als wollte er fragen, ob meine Worte der Wahrheit entsprachen. „Es tut mir leid, Lola."

Nun sah ich Jacob fragend an und zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Was?", fragte ich irritiert.

„Alles." Es war ein Wort und erklärte alles und nichts zu gleich. Ich drehte mich auf der Bank, sodass meine Beine in der Luft baumelten und ich, wenn ich meinen Blick gerade hielt, die beiden Jungs vor uns auf dem Feld beobachten konnte. Dann lehnte ich mich seufzend an Jacob seine Schulter. Und er lehnte seinen Kopf an meinen.

„Das Leben ist verdammt unfair", murmelte er. „Und die Liebe verdammt verwirrend."

Mit einem tiefen Atemzug schloss ich meine Augen. Das Leben war verdammt schwer, ja. Und die Liebe umso verwirrender.

„Wir sollten durchbrennen." Jacob murmelte diese Worte mit solch einer Ernsthaftigkeit und doch hörte ich den Funken Ironie und lachte auf. „Am besten weit weg. An einem Ort, wo Schmerz niemanden erreichen kann."

„Gott, Lola! Dein Freund steht direkt neben mir. Flirte mit Jacob hinter geschlossenen Türen", schrie Oliver plötzlich, sodass ich aufschreckte und auf das Feld blickte. Oliver stand dort, mit dem Football unter seinem Arm und schaute uns an, als sei er gerade betrogen worden. Fassungslos. Mein Blick wanderte zu Kyle, der ebenfalls zu uns sah und dann den Kopf schüttelte, bevor er Oliver den Ball entriss und wieder davonlief. Kyle wusste, dass Oliver scherzte. Und er wusste, dass er mir vertrauen konnte.

„Vielleicht ist Liebe Schmerz wert", sagte ich, stieß leicht gegen Jacobs Schulter und stand auf. „Sie zeigt uns, dass wir noch leben und dass es Wert ist, dafür zu kämpfen."

Dann beeilte ich mich, die Treppen runterzulaufen und auf das Spielfeld zu rennen. Ich suchte Kyle, als ich plötzlich durch einen Prall zu Boden fiel. Reflexartig hatte ich meine Augen zusammengekniffen und aufgeschrien. Dann stieg mir Kyles Geruch in die Nase und sein Atem prallte gegen meine Haut.

„O Gott, ich hatte dich nicht gesehen." In den ersten Sekunden schwangen die Überraschung und Überrumpelung in seiner Stimme, bis er zu lachen begann.

„Du bist ziemlich leicht zu überwältigen."

Spielerisch schlug ich ihm auf die Brust und sah zu ihm hoch. Seine Stirn glänzte leicht und seine Haare waren feucht durch den Schweiß.

„Tatsächlich bist du die einzige Person, die mich je überrumpelt hat." Mit etwas Kraft streckte ich mich, um meine Lippen kurz auf seine zu pressen. Dann ließ ich mich erschöpft zurück in das Gras fallen und versteckte mein Gesicht hinter meinen Händen. Meine sportlichen Aktivitäten und Leistungen waren unterirdisch.

„Ich liebe dich." Kyle beugte sich zu mir herunter und drückte mir einen leichten Kuss auf die Lippen. Beinahe schwebten seine wie eine Feder über meinen.

„Ich liebe dich auch." Sanft strich ich über seinen Arm und sah die Zeit stoppen, nur um dann an uns vorbeizurennen.

Die Stunden und Tage vergingen und fühlten sich wie ein einziger Wimpernschlag an. Ich genoss die Zeit mit meinen Freunden, Kyle an meiner Seite und tatsächlich auch die Ausflüge mit meinen Eltern. Vielleicht würden sie ihr Wort halten, was sie Liam und mir an seinem Grab gaben. Dieses besuchte ich jeden einzelnen Morgen. Lächelnd erzählte ich ihm, wie ich Oliver auf dem Feld überholt hatte und wie glücklich Stella aussah, als Jacob nach ihrer Hand griff. Es waren kleine Momente, die sich zu der großen Erzählung fügten. „Ich werde dich vermissen, Liam."

Ich stand von dem Boden auf und klopfte mir die Kieselsteine, die sich in meine Haut gebohrt hatten, ab, bevor ich meine Augen schloss und versuchte, meinen Herzschlag zu beruhigen. „Und ich werde jeden einzelnen Tag an dich denken. Und für dich leben. Das verspreche ich dir."

Niemals hätte ich vermutet, dass die Schritte von Liams Grab schwerer wiegen würden, als die, die zu seinem Grab hinführten.

Kyle schloss seine Hand um meine, während wir hinter meinen Eltern und weg von Liam liefen. Im Taxi herrschte eine Stille. In mir herrschte plötzlich eine Leere.

Eine Leere, die ich die gesamten Tage über nicht verspürt hatte.

Am Flughafen drückte Kyle meine Hand, während mein Vater das Gepäck aufgab und mit meiner Mutter eine kleine Diskussion führte. Doch ich wandte mich ab und vergrub mein Gesicht an Kyle seine Brust.

„Ich will nicht zurück", murmelte ich und spürte, wie eine kleine Träne mein Auge verließ und Kyles T-Shirt befleckte. Seine Finger strichen über meinen Rücken und er drückte mir ein Kuss auf das Haar.

„Ich weiß", waren seine einzigen Worte und ich war dankbar, dass er meine hingenommen und nicht bereden wollte.

Im Flugzeug lehnte ich mich an Kyle und schlief. Es passierte nichts Besonderes und ich war erleichtert. Ich hatte das Gefühl, eine Pause zu brauchen. Die Woche über hatte ich mich leer gefühlt. Natürlich, die Momente in denen ich Liam gegenüber kniete, hatten mir den letzten Herzschlag geraubt. Doch die Momente, in denen ich von alten Freunden und Erinnerungen umgeben war, waren es Wert.

Und schließlich betrat ich mein Zimmer, stellte meinen Koffer in die Ecke und betrachtete den Raum, wie an meinem ersten Tag. Es wirkte alles andere als lebendig. Die Worte von Liam in meinem Traum verfolgten mich. Plötzlich hatte ich das Gefühl, etwas verändern zu müssen. Und das würde ich.

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