Chapter Thirty

Langsam öffnete ich meine Augen und verzog irritiert das Gesicht, als ich um mich blickte. Mit meinen Fingern tastete ich über das Gras, welches leicht unter meinen Fingerspitzen kitzelte. Der Duft von frischen Blumen umhüllte mich. Ich blickte gen Himmel, der so klar wie nie zuvor schien und kniff leicht die Augen zusammen, als ich langsam aufstand und mich um mich herumdrehte.

Ich stand mitten in einem Feld voller Blumen. Ihre Blüten wehten leicht im Wind und vereinzelt flogen Schmetterlinge über sie hinweg. Meine Finger fuhren über den weißen Stoff des Kleides, das sich an meinen Körper schmiegte. Ich betrachtete den drapierten Saum und die Spitze, die meine Arme umhüllte.

„Lola", hallte es plötzlich um mich herum. Immer wieder. Als würde die Stimme vom Wind getragen werden. Ich hielt mir die Hand schützend vor die Augen, als ich mich der Sonne zuwandte und mich noch einmal umsah. Diese Stimme. Sie kam mir so verdammt bekannt vor. Doch ich konnte dem kein Glauben schenken. Am Ende des Feldes erkannte ich eine verschwommene Silhouette eines Jungen und vorsichtig lief ich auf ihn zu, während ich mit meinen Händen die einzelnen Blumen streifte. Ein Lächeln lag auf meinen Lippen.

„Hallo?", fragte ich aus der Entfernung. „Kannst du mir helfen?"

Langsam drehte sich der Junge in meine Richtung und mein Atem stockte, als er seine Kapuze von seinem Kopf zog und ein schmales Lächeln sich auf seinen Lippen ausbreitete. „Schön, dich zu sehen."

Ich betrachtete den Jungen mit dem dunkelblonden Haar und den braunen, strahlenden Augen. Er trug eine leichte Jacke und hatte die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Es war die Jacke, die er am Tag des Unfalles trug.

Blinzelnd lief ich einen weiteren Schritt auf ihn zu.

„Liam?", flüsterte ich tränenerstickt und hielt mir die Hand vor dem Mund, als ein Schluchzer meinen Körper zum Beben brachte. Liam lächelte mich an und reichte mir seine Hand. Ich hatte Angst, sie zu berühren. Ich hatte Angst, dass es ein Traum war und Liam nur eine Illusion dessen. „Komm schon, Lola. Wir haben keine Zeit zu verlieren."

Unsicher legte ich meine Hand in seine und spürte, wie eine Wärme durch meinen Körper schoss. „Du - du bist hier", schluchzte ich und warf mich in seine Arme, sodass er lachend ein paar Schritte nach hinten stolperte.

Er schloss seine starken Arme, die mir mehr auf dieser Welt gaben als alles andere, um mich und drückte mir einen Kuss auf das Haar.

„Ich war nie weg", murmelte er und drückte mich sanft von sich weg.

Behutsam umschlossen seine Finger meine und er lief durch die Blumen, immer weiter. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug und zu fliegen schien.

„Wo sind wir?", fragte ich, als ich um mich herum sah. Die Farben der Blumen verblassten. Vor uns war ein kleines Feld, an dem ein See grenzte.

Erstaunt betrachtete ich die Rosenbüsche, die das Wasser an mancher Stelle umrandeten.

Es war wunderschön.

„Das weißt du", erwiderte Liam und drückte meine Hand etwas fester, bevor er mich ansah und lächelte. Sein Lächeln war das schönste, was mir im Leben geschenkt wurde. Seine Stimme zu hören, schien so surreal.

„Lass uns hierbleiben." Er ließ meine Hand los und voller Angst, umgriff ich sie wieder und klammerte mich an ihn. Dann schüttelte ich meinen Kopf, während Tränen meine Wangen entlangrannen. „Lass mich bitte nicht los."

Liam legte seinen Kopf leicht schief und schaute auf meine Hand, die sich in seinen Arm bohrte. Dann sah er mich an und zog mich in seine Arme. Tief sog ich sein Geruch ein und begann, erneut zu schluchzen. Beruhigend fuhr er mir durch mein Haar und verteilte kleine Küsse auf meinem Ansatz.

„Es tut mir leid, Lola." Er drückte mich fester an sich.

Gemeinsam legten wir uns schließlich nebeneinander in das Gras. Ich hatte meinen Kopf zu ihm gedreht und betrachtete all die kleinen Details. Das kleine Muttermal auf seinem Hals und die kleine Narbe unter der Lippe, die er sich zugezogen hatte, als er von der Schaukel gesprungen war und mit dem Gesicht voran aufgekommen war. Lachend schloss ich die Augen. Kleine Tränen flossen.

„Es ist schön, dich lachen zu hören." Er wandte sich mir zu, sodass ich meine Augen wieder öffnete, um ihn ansehen zu können.

„Du bist der Grund für mein Lachen", erwiderte ich und rutschte etwas näher, um seine Wärme zu spüren. Manchmal wurde einem erst bewusst, was man alles verloren hatte, wenn man es wieder in seine Arme schließen durfte.

„Es gibt so viele Gründe, um zu lachen, Lola. Lass dir keinen einzigen nehmen."

Schluckend betrachtete ich einen kleinen Schmetterling, der an uns vorbeiflog und seufzte. „Für mich gibt es keine Gründe mehr. Ohne dich ist es... es ist nicht mehr wie es einmal war." Ich verfluchte die Tränen, die mir meine Sicht rauben wollten.

Liam richtete sich auf und fuhr sich durch sein Gesicht. Ich tat es ihm nach und setzte mich mit angewinkelten Beinen ihm gegenüber.

„Ich werde immer an deiner Seite sein. Ohne Ausnahme." Er beugte sich etwas zu mir, um mit seinem Daumen eine kleine Träne wegzuwischen.

„Aber du musst es langsam akzeptieren. Es ist nicht schlimm, Abschied zu nehmen."

Energisch schüttelte ich meinen Kopf, als ich mir seinen Worten bewusst wurde.

„Nein - ich - ich bin dazu nicht bereit."

Er neigte seinen Kopf etwas und lächelte leicht, dann nickte er. „Das weiß ich."

Er rupfte das Gras aus der Erde und fragte leise, sodass ich es kaum hören konnte. „Wie geht es Mom und Dad? Sie kommen so selten."

Schluckend betrachtete ich, wie seine Gesichtszüge fielen und als er aufsah, schimmerten seine Augen.

„Sie vermissen dich", antwortete ich leise und seufzte schließlich. „Es ist schwer ohne dich."

„Du bist nicht allein." Er ließ das Gras in seiner Hand fallen und winkelte, wie ich, seine Beine an, bevor er seine Arme lässig auf seinen Knien ablegte.

„Kyle hat mit mir gesprochen", erklärte er weiter und lächelte. „Er scheint ein wirklich guter Junge zu sein. Er macht dich glücklich, ob du es zulässt, oder nicht."

Ich blickte zum Himmel und erwiderte sein Lächeln. „Er macht mich glücklich. Ja", bestätigte ich und sah ihn dann wieder an. Es war ein Traum, dass er vor mir saß. Seine Stimme, sein Geruch und sein Lächeln. Es schien, alles ein Traum zu sein. Doch ich genoss, dass es sich so real anfühlte.

„Wie geht es dir?", fragte ich nach einiger Zeit. Es war schön Liams Stimme zu hören, aber genauso schön war die Stille zwischen uns. Liam mir gegenüber sitzen zu sehen, gab mir die Sicherheit, für diesen Moment loszulassen.

Er zuckte mit den Schultern. „Ist das relevant?"

Und ich nickte. „Ja, das ist es."

Liam stand auf und reichte mir seine Hand, bevor er mich mit sich zog.

Er antwortete nicht auf meine Frage. Ich drängte ihn nicht. Stattdessen schloss ich meine Hand stärker um seine und folgte ihm.

„Es gibt so viele Dinge, die ich dir sagen möchte", begann ich erneut und blinzelte gegen meine Tränen.

„Ich weiß", erwiderte Liam und lächelte.

Er schien glücklich. Und frei von jeglichen Sorgen. Seine Haare sahen genau so aus, wie an diesem Abend. Und es war das gleiche Lächeln, das er trug, als er an Stella dachte.

„Stella und Jacob-", begann ich unsicher. Ich wusste nicht, ob ich es über mein Herz bringen konnte, ihm das mitzuteilen. Doch bevor ich die Möglichkeit hatte, meine Möglichkeiten überhaupt einmal durchzugehen, schnitt er mir das Wort ab. „Es ist schön, beide glücklich miteinander zu sehen." Sein Lächeln wirkte etwas gezwungen und ich stoppte, damit er mich ansehen konnte.

Ich wusste, wann ich meinen Mund halten sollte und wann Liam log. Es waren kleine Dinge, die ich im Laufe der Jahre lernen durfte.

Er seufzte. „Ich bin froh, dass Stella jemanden wie Jacob gefunden hat. Er respektiert sie. Das ist es, was zählt." Er schloss seine Augen und seine Stimme wurde leiser.

„Natürlich schmerzt es. Aber sie leiden zu sehen - wie du es tust - das würde ich nicht aushalten."

Mich überkam eine Wut. Auf Liam und seine Worte und diese Umgebung und den Unfall.

„Das hast du verdammt nochmal nicht verdient!", schrie ich und wusste, dass er nichts dafürkonnte. Doch meine Lungen schrien beinahe.

„Du hättest in dieser Nacht nicht sterben dürfen. Nicht in dieser Nacht!"

Erschöpft sackte ich zusammen und sah zu ihm hoch.

„Du hast alles verloren. Alles." Dann schluchzte ich ungehalten.

Liam hockte sich vor mich und nahm mich in den Arm, doch dieses Mal beruhigte es mich nicht. Meine Schluchzer wurden lauter und meine Tränen mehr.

„Ich vermisse dich so sehr, Liam. Ich wünsche mir, ich wäre in dieser Nacht an deiner Stelle gewesen. Oder zumindest mit dir gemeinsam gestorben." Liam hob mein Kinn und sah mich sanft an. Schmerz spiegelte sich in seinem Blick, als er zu sprechen begann.

„Es ist in Ordnung, wie es gekommen ist. Und es hat einen Grund, weshalb du noch am Leben bist. Du lebst jetzt für uns beide, Schwesterherz."

Sein Blick war intensiv, sodass es mir den Atem raubte.

„Und ich möchte, dass du das beste Leben lebst, dass du dir nur vorstellen kannst. Dafür musst du Abschied nehmen." Er drückte seine Lippen auf meine Stirn und strich grob die Tränen von meinen Wangen.

„Es tut mir verdammt leid." Seine Stimme wurde etwas brüchiger, als er seine Stirn an meine presste und meinen Kopf fest in seinen Händen hielt.

„Ich hatte nie vor, dich allein zu lassen. Dir das Gefühl zu geben, allein zu sein. Ich bin immer für dich da und ich werde auf dich aufpassen. Bis zu deinem letzten Atemzug. Und dann werde ich dich hier, auf dieser Wiese in die Arme schließen. Okay?"

Eine Träne tropfte seine Nase hinab und landete auf einem kleinen Blütenblatt zwischen uns.

Nickend schaute ich auf. „Okay."

Liam zog mich auf meine Beine und betrachtete mich von oben bis unten.

„Ich bin verdammt stolz auf dich, Schwesterherz."

Seine Stimme hallte auf einmal um mich, als würde er nicht mehr vor mir stehen.

Dann lächelte er mich ein letztes Mal an, bevor er sich umdrehte.

„Ich liebe dich, Schwesterherz." Dann verschwand er, bevor ich etwas erwidern konnte.

„Nein!", schluchzend ließ ich mich zurück auf meine Knie fallen und blickte zu dem Punkt, an dem Liam gestanden hatte. „Ich liebe dich auch, Liam."

Mit leiser, hoffnungsvoller Stimme fügte ich hinzu: „Ich werde für uns beide das beste Leben leben, versprochen."

Ich schloss meine Augen und stützte mich auf dem Gras, zwischen all den Blumen ab. „Versprochen", wiederholte ich und lauschte meinen Schluchzern, die nun genauso weit weg schienen, wie Liam.

Ich schreckte hoch und blickte mich in dem dunklen Zimmer um. Heiße Tränen flossen mein Gesicht entlang und ruhelos versuchte ich zu atmen, während ich meine Hand auf meine schweißbedeckte Brust presste und mich zurück in das Kissen fallen ließ. Stumm rollten die Tränen unaufhörlich mein Gesicht entlang, während ich an die Zimmerdecke starrte.

„Liam", flüsterte ich und schluchzte auf. Ich bedeckte meinen Mund mit der Hand, doch ein weiterer Schluchzer bebte durch meinen Körper.

Kyle schreckte neben mir aus dem Schlaf und knipste das kleine Nachtlicht neben dem Bett an, bevor er mich ansah und wortlos an seine Brust drückte.

Liams Worte hallten durch meinen Kopf, während Kyle mir beruhigend über das Haar strich und leicht vor und zurück wippte. Als könne ich jeden Moment zerbrechen.

Das beste Leben leben.

Aber Liam gehen lassen? Das konnte er nicht von mir verlangen. In dieser Nacht hatte ich ihn zum ersten Mal seit Monaten bei mir. Ich konnte keinen Abschied nehmen. Nicht in dieser Nacht.

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