Chapter Eighteen
Am nächsten Morgen wurde ich durch die Sonne, die mich in meinen Träumen blendete, geweckt. Ich hatte ganz vergessen, die Vorhänge zu schließen, und seufzend drehte ich mich auf die andere Seite, in der Hoffnung, weiterschlafen zu können. Fingerspitzen fuhren über meine Schulter, den Arm entlang. Es kitzelte leicht auf meiner Haut, doch es war ein schönes Gefühl.
„Willst du noch etwas schlafen?" Kyles Finger verschwanden und mit immer noch geschlossenen Augen drehte ich mich zu Kyle herum. Ich tastete nach seinem Oberarm und als ich diesen fand, zog ich mich etwas hoch in seinen Arm. Sein Körper war warm, beinahe heiß, als ich meine freie Hand, die nicht unter dem Kissen lag, auf seinen Brustkorb legte. Komplett verrenkt lag ich nun dort in seinen Armen und hörte ihn auflachen. Seine Lache - seine Stimme - war heiserer als noch vor wenigen Stunden.
„Lass uns heute etwas unternehmen." Er schob mich sanft von sich und stand auf. Das Bett fühlte sich leer an. Und doch war es entspannend, wieder in der Mitte liegen zu können. Keine Rücksicht nehmen zu müssen, jemanden ausversehen zu treten oder wegzuschubsen. „Hast du keine Freunde?", nuschelte ich und zog die Decke über meine Schulter. Ich wollte weiterschlafen und noch einmal träumen.
Empört schnaubte Kyle. „Die habe ich." Dann zog er mir ohne jegliche Reue die Decke weg. „Aber heute möchte ich etwas mit dir unternehmen."
Ein kalter Luftzug hüllte meinen Körper ein und ärgerlich öffnete ich meine Augen. „Was machen wir denn?"
Ich richtete mich gähnend auf und sah zu, wie Kyle sich sein Shirt von gestern überzog. Die Bilder der letzten Nacht kamen hoch und unwohl kreuzte ich meine Arme vor der Brust.
„Kannst du - kannst du mir bitte die Decke wiedergeben?"
Kyle sah mich verwirrt an und schien im ersten Moment nicht zu verstehen, wieso.
Dann wurden seine Gesichtszüge weicher und er setzte sich an die Bettkante.
„Muss ich jedes Mal Angst haben, dass du es bereust?"
Unwohl sah ich weg und zog meine Knie an meinen Körper. Ich bereute es nicht. Kyle hatte mich in dieser Nacht in eine neue Welt von Gefühlen entführt, von denen ich nicht geahnt hatte, wie schön sie sein konnten.
Aber Scham war in mir aufgestiegen. Ich fühlte mich entblößt. Die Sonne schien und im Licht der Sonne waren mehr Details zu erkennen, als in der Nacht.
„Bitte", flüsterte ich. Kyle seufzte.
Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie seine Gesichtszüge fielen, als er aufstand und mir die Decke reichte.
„Ich geh' mich Zuhause frischmachen. In einer halben Stunde bin ich wieder da."
Er wirkte distanziert und augenblicklich bereute ich es doch.
Vielleicht war es nicht gut gewesen, heute Nacht mit Kyle so weit gegangen zu sein. Er war nicht mein Freund. Wir waren nicht zusammen. Mit einem Mal fühlte ich mich dreckig und benutzt.
Vielleicht übertrieb ich, doch das alles war neu für mich. Vor Kyle hatte mich noch nie jemand auf die Art und Weise berührt, wie er es tat. Und nun ging er auf Distanz.
„Bin ich eine Schlampe?"
Ein Druck bildete sich in meinen Lungen, als ich die Decke um mich schlug und auf den Balkon blickte. Ich fühlte mich wie ein naives, kleines Kind, das einen Fehler gemacht hatte und nun nach den Konsequenzen fragte.
„O Gott, nein. Lola, wie kommst du darauf?" Vorwurfsvoll und erschrocken nahm Kyle mein Gesicht in seine Hände, damit ich ihn ansah.
Ich zuckte mit den Schultern und unterdrückte meine Tränen. So hatte ich mir das Ende der Nacht und den Anfang des Morgens nicht vorgestellt.
„Ich möchte nicht, dass du so denkst." Er drückte mir einen Kuss auf die Lippen. „Denkst du, das war es jetzt?"
„Ich bereue es nicht, Kyle. Aber-" Ich entfernte seine Hände von meinem Gesicht und sah zur Seite. „...ich weiß nicht, ob es richtig war."
Kyle stand wieder auf und stöhnte frustriert auf. „Lass dich überraschen."
Er verschwand aus meinem Zimmer. Kurz darauf fiel die Haustür ins Schloss und immer noch wie gelähmt, saß ich auf meinem Bett. Mir wurde erst Minuten später bewusst, dass Kyle auf meine Frage - bevor ich alles ins Chaos gestürzt hatte - geantwortet hatte.
Ich stand auf und ließ die Decke um meinen Körper fallen, sodass sie um mich herum auf den Boden fiel. Ich ging unter die Dusche und ließ mich die Wand runterrutschen. Immer wieder ermöglichte mir dieser Ort eine Ruhe und Erholung.
Ich fuhr mir durch das Gesicht und konzentrierte mich auf die einzelnen Tropfen, die meine Augenlider und Lippen entlangflossen. Ich beschloss für mich, dass es unsinnig war, immer so viel nachzudenken, zu weinen und zu zweifeln. Also stand ich wieder auf, wusch mir den restlichen Schaum vom Körper und begann mich anschließend fertigzumachen.
Ich zog mir ein weißes Kleid über, dass mir bis kurz über die Knie reichte und machte mir einen hohen Zopf. Die restlichen Minuten, bevor es an meiner Haustür klingelte, verbrachte ich damit, mein Bett zu machen. Dabei entging mir nicht, dass eines der Kissen, mit welchem Kyle geschlafen hatte, nach ihm roch.
Ich rannte beinahe die Treppe herunter, als Kyle schließlich vor meiner Tür stand, und riss sie auf. „Es tut mir leid", platzte es aus mir heraus und hektisch atmend sah ich ihn an. Er hatte seine Hände in den Hosentaschen vergraben und als ich runterblickte, bemerkte ich, dass er zum ersten Mal Shorts trug.
„Kyle. Ich bereue es nicht", wiederholte ich. „Die Nacht mit dir war unglaublich schön. Das gesamte Wochenende. Es - es war unvergesslich. Manchmal denk ich einfach zu viel nach. Ich weine viel zu viel und ich zweifele auch sehr. Das ist mir bewusst. Aber -" Ich atmete tief durch. „Ich bereue es nicht."
Kyle sah mich stumm an und beinahe bereute ich diese Konversation, als er zu grinsen begann und mir die Hand entgegenhielt. „Komm mit."
Wir liefen die Treppen zum Strand runter, an den Besuchern vorbei. Es waren nicht viele unterwegs, nur einzelne Sportler und Familien mit Kindern. Sie tobten im Sand und rannten neben dem Wasser entlang. Ich war als kleines Kind immer hingefallen. Über Sand zu laufen, das war nichts für mich.
„Komm, es geht noch weiter." Er zog mich an der Hand mit sich an den einzelnen Personen vorbei. „Gehen wir zur Bucht?", fragte ich neugierig und versuchte, auf den ganzen unebenen Wegen, nicht hinzufallen oder umzuknicken. „Denkst du wirklich, dass das meine Überraschung ist?" Kyle lachte auf.
„Auf keinen Fall."
Wir blieben vor einem kleinen Hügel stehen, der in der Nähe der Bucht lag. Mit erhobener Augenbraue sah ich Kyle an. Ich kletterte gerne, aber nicht in Sandalen und einem Kleid.
„Eigentlich gehe ich immer außen herum. Aber ich habe das Gefühl, dass du gerne kletterst." Er legte seine Hände auf den Felsen und lachte kurz auf, bevor er sich hochzog.
Heute mal ganz lustig, der Junge.
Doch ich konnte es nicht unterdrücken und so erklomm ich mit einem Grinsen und ein wenig Abstand den Weg, den Kyle einschlug.
Kyle schaute immer wieder über seine Schulter hinweg nach, ob ich hinter ihm war, bis ich meine Nase krauszog und antwortete: „Ich werde dir Bescheid geben, sollte ich runterstürzen."
„Oh, hör' ich da etwa Ironie?"
Ich antwortete nicht mehr und konzentrierte mich auf meine Atmung, während ich versuchte, nicht abzurutschen. Der Hügel war nicht besonders hoch. Aber die vielen Steine waren Hindernisse.
Kyle reichte mir seine Hand, als er oben angekommen war und dankend nahm ich sie an. Er zog mich nah an seine Brust und grinste.
„Wir sind da." Er deutete auf das andere Ende des Hügels und lächelnd blickte ich auf das Meer. Es war auf jeden Fall ein anderes Gefühl, von weiter oben auf das Meer zu schauen. Ich trat ein wenig näher an die Klippe und strich meinen Zopf nach hinten, der mir zwischenzeitlich immer wieder in mein Gesicht wehte.
„Das ist traumhaft." Kyle stand hinter mir. „Hier komme ich immer her, wenn ich allein sein möchte."
Ich wünschte mir auch solch einen Ort. Einen Ort, der nur mir gehörte und den niemand anderes kannte. Einen Ort, an den ich mich zurückziehen konnte und meinen Gedanken nachhängen durfte.
„Bist du o-" Ich drehte mich um, um Kyle anzuschauen, als er dabei war, sein Shirt über den Kopf zu ziehen. „Was tust du da?" Argwöhnisch sah ich dabei zu, wie er das Shirt auf den Boden schmiss und sich die Shorts von den Hüften strich.
„Zieh dich aus", war seine einzige Antwort und irritiert sah ich ihn weiterhin an.
„Was?", fragte ich dann doch noch einmal. Vielleicht hatte ich mich verhört.
„Ich habe dich schon nackt gesehen."
Seine direkten Worte brachten mich um den Verstand und peinlich berührt verdeckte ich mein Gesicht mit meinen Händen.
„Bitte", jammerte ich und schüttelte meinen Kopf.
Kyle sein Lachen drang zu mir hindurch und zwei Hände legten sich um meine.
„Was bitte?", hakte er nach und zog mich an meinem Becken näher zu ihm.
„Du bist so direkt." Ich sah ihn gequält an.
Kyle drückte mir einen Kuss auf die Lippen und nahm dann den Saum meines Kleides in seine Finger.
„Darf ich?", fragte er leise nach und zog leicht an dem weißen Stoff. Ergeben nickte ich und nahm meine Arme hoch, damit er es mir über den Kopf ziehen konnte. Nur in Unterwäsche stand ich vor ihn und betrachtete Kyle.
Seine Haut hatte eine schöne, natürliche Bräune und sein Oberkörper war sportlich. Aber nicht zu übertrieben. Er war einfach perfekt. „Und jetzt?" Unwohl sah ich überall hin, nur nicht zu Kyle. Als mein Blick zu dem Ende der Klippen wanderte, weiteten sich meine Augen. Er wollte doch wohl nicht dort hinunterspringen? Ich hatte keine Höhenangst und konnte auch schwimmen. Aber ich hatte nicht vor, Selbstmord zu begehen.
„Du hast nicht das vor, wovon ich ausgehe. Oder?" Entrüstet sah ich ihn an, doch er grinste nur schelmisch und nahm meine Hand in seine. Ich beugte mich etwas über den Rand und starrte auf die Wellen, die gegen die Klippe stießen. Es waren bestimmt 10 Meter, die uns von dem Wasser trennten.
Ängstlich schüttelte ich meinen Kopf.
„Nein. Das kannst du vergessen."
Kyle sah mich nur aufmunternd an.
„Es ist das schönste Gefühl auf Erden. Für die Sekunden, in denen du springst, bist du der Freiheit ein großes Stück näher."
Er fuhr sich mit seiner freien Hand durch die Haare und sah auf das Wasser. Die Wellen waren nicht groß und ich vermutete, dass Kyle schon öfter hinuntergesprungen war und das demnach dort unten keine Gesteinsbrocken in dem Blau des Meeres versteckt auf uns warteten. „Ich werde dich nicht zwingen. Aber ich verspreche dir, dich keine Sekunde loszulassen."
„Versprichst du es?" Es war unfassbar, dass ich es überhaupt in Erwägung zog.
Er nickte und drückte meine Hand ein wenig fester. „Versprochen." Langsam zählte er bis drei herunter.
„Eins." Wir liefen einen Schritt zurück, um etwas Anlauf zu haben. Meine Beine zitterten und mein Atem wurde flacher.
„Zwei." Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich auf den Wind, der mir in das Gesicht schlug. Auf Kyles Hand in meiner, die er nicht loslassen würde.
„Drei." Kreischend nahmen wir Anlauf und sprangen. Für mich war es ein Sprung in das Ungewisse. Mein Gekreische erstickte während des Falles. Meine Augen kniff ich zusammen. In diesem Moment schwebte ich ohne jegliche Kontrolle. Ich lebte in diesen Moment, wie noch nie zuvor und vergaß all meine Sorgen, Ängste und Zweifel. Kein Gedanke drang zu mir hindurch. Ich fühlte mich wie in einer kleinen Seifenblase, die erst platzte, als wir in das Wasser eintauchten und wieder an die Oberfläche trieben.
Das Wasser war eiskalt und durchbohrte meine kleine, unverwundbare Blase, innerhalb weniger Sekunden.
Ich durchbrach die Wasseroberfläche und schnappte nach Luft. Kyle hatte seine Hand immer noch fest um meine geschlungen, was das über Wasser Bleiben etwas erschwerte. Und dann prustete ich los. Ich spürte die Freude in jeder meiner Zellen. Das Adrenalin rauschte durch meinen Körper.
Kyle hatte Recht. Es waren wenige Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, die mir die Freiheit schenkten. Ich konnte nach ihr greifen. Sorglos und ohne jeglichen Gedanken.
Überwältigt folgte ich Kyle den Hügel wieder hinauf. Der Weg schien um einiges kürzer, als es das Ende der Klippe war. Unsere Sachen waren zur Seite geflogen und schnell schnappte ich mir mein Kleid, bevor ich es verlieren würde.
Der Stoff auf meiner nassen Haut fühlte sich unangenehm an, aber das war mir egal. Ich setzte mich neben Kyle an die Klippe und ließ meine Beine herunter baumeln.
Ich biss mir auf meine Unterlippe und sah auf das Meer. Die Wellen tobten und wirkten doch so friedlich und unberührt.
„Lass uns reden."
„Okay."
„Wieso bist du so?" Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und wartete gespannt auf eine Antwort. Unbewusst hatte ich mir diese Frage schon so oft gestellt. In der Schule verschwand sein Lächeln und ein oftmals schelmisches Grinsen zierte sein Gesicht. Er schenkte jedem die kalte Schulter und ließ zu, dass seine Freunde unschuldige Mädchen ausnutzten.
Aber wenn wir allein waren, war er voller Liebe und Wärme. Er schenkte mir ein Lächeln, welches mir das Gefühl gab, die Einzige in seinem Leben zu sein. Er hörte mir zu und drängte mich zu nichts.
Es schien, als sei er bei mir eine ganz andere Person. Und ich verstand es einfach nicht.
„Ich weiß es nicht." Ich hatte mit keiner Antwort mehr gerechnet, doch diese Antwort hatte ich mir nicht ausgemalt. Aber so war es nun einmal. Manchmal verstand man sich selbst nicht. Es gab Momente, in denen man in den Spiegel blickte und sich fragte, wer man eigentlich war. Wieso man war, wie man war. Und das war in Ordnung.
Denn wer hatte bestimmt, dass man sich immer verstehen müsse?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top