Kämpfen
Manuel liegt auf dem Eis und sein Brustkorb hebt und senkt sich immer wieder. Er gibt einen verzweifelten Ton von sich und richtet sich wieder auf.
"Du schaffst das, Manu."
Der Junge auf dem Eis rauft sich die Haare und ich höre ihn seufzen, weshalb ich einige Schritte zu ihm mache. Ich knie mich auf die kalte Fläche und schaue ihm dabei zu, wie er den Kopf schüttelt und sich durch sein Gesicht streicht.
"Ich schaffe es nicht, Patrick", flüstert er und schaut zu mir hinauf. Seine Wangen sind gerötet und an seinem Kinn klebt ein Pflaster, weil eine Platzwunde nach einem Sturz geklebt werden musste.
"Warum willst du es unbedingt schaffen?"
Vorsichtig streiche ich ihm ein paar Flocken des Eises, das die Gäste mit ihren Schlittschuhen abgekratzt haben, aus den Haaren. Manuel schenkt mir ein Lächeln und schaut wieder zu Boden.
"Mein Freund und ich sind schon ziemlich lange nicht mehr zusammen", beginnt er zu erzählen und streicht sich über die Hose, um dort ebenfalls einige Flocken zu entfernen. "Ich habe Schluss gemacht, als er nach einem Abend mit seinen Freunden nach Hause kam. Er hatte nicht getrunken, immerhin musste er noch fahren, aber er wollte unbedingt Sex mit mir haben. Nach den Abenden mit seinen Freunden fühlte er sich immer wie der König der Welt. Ich wollte aber nicht und stieß ihn von mir. Und als er mir die Ohrfeige verpasste, bin ich gegangen. Als ich die Wohnung verließ, rief er mir noch etwas zu. Ohne ihn würde ich nie etwas zustande bekommen."
Er schluckt einmal schwer und meidet weiterhin meinen Blick.
"Ich wollte mir beweisen, dass er Unrecht hatte. Dass ich etwas konnte. So kam ich auf das hier. Es war ein Hobby, das ich seinetwegen vernachlässigt hatte, da er auch aufgehört hat, obwohl ich relativ gut war. Also habe ich mir vorgenommen, diese Drehung zu schaffen."
"Meinst du, dass du ihn so vergisst?"
"Wenn ich diese Drehung schaffe, dann ja. Dann starte ich ein neues Kapitel. Aber schau mich an. Ich brauche deine Hilfe."
"Ich helfe dir nun wirklich nicht. Ich halte dich ein bisschen fest, aber du machst das ganz alleine. Und du wirst es schaffen. Tu es für dich."
Mit großen Augen schaut Manuel mich an und sein Blick huscht immer wieder von links nach rechts.
"Wollen wir-"
Ich setze einen Fuß wieder auf das Eis und will mich wieder aufrichten, da greift Manuel nach meiner Jacke und hält mich an dieser fest. Er zieht mich ein Stück zu sich und dann liegen seine Lippen auf meinen.
"Du blöder-"
Manuel löst sich von mir, schiebt mich ein Stück nach hinten, weshalb ich das Gleichgewicht verliere und mich mit meinen Händen auf dem Eis abstütze. In wenigen Sekunden steht Manuel wieder auf dem Eis und erst schaue ich zu ihm auf, entdecke dann aber den Mann, der gerade gerufen hat. Er steht im Eingang der Halle und wenn ich seinen Blick deuten müsste, dann würde ich sagen, dass er uns am liebsten versteinern würde. Langsam stehe auch ich auf und stehe nun vor Manuel, wie eine schützende Manuer.
"Wenn er auf das Eis kommt, sind wir erledigt", flüstert Manuel und bewegt sich nicht mehr.
"Warum ist er hier?"
"Ich..."
Manuels Stimme bricht ab und er schüttelt dein Kopf. "Ich habe keine Ahnung."
"Was machst du hier?", brüllt Manuels Exfreund und kommt auf uns zu. Er bleibt an der Bande stehen und jetzt kann ich sehen wie rot sein Gesicht ist. Innerlich scheint er vor Wut zu kochen. "Du solltest zuhause sein."
"Zuhause?", entgegnet Manuel und fährt nun einige Zentimeter nach vorne, um neben mir zum Stehen zu kommen.
"Ja, zuhause. Um diese Uhrzeit sollst du zuhause sein. Ich habe auf dich gewartet."
"Ich bin kein Kind mehr, dem du vorschreiben kannst, wann es rausgehen darf und wann nicht. Außerdem haben wir uns getrennt. Deine Wohnung ist nicht mehr mein Zuhause."
Der Mann lacht auf, doch klingt er ganz und gar nicht erfreut. Sein Lachen klingt nach Spott und Arroganz.
"Du hast keinen anderen Ort, an dem du bleiben kannst."
Manuels Blick fällt kurz zu mir und er kommt mir noch einen Schritt näher. Seine kalten Finger berühren meinen Handrücken und vor Schreck ziehe ich meine Hand zurück, krümme dann aber meinen kleinen Finger um seinen.
Die Geste bemerkt der Exfreund und er nickt.
"Ich verstehe. Du glaubst, dass du jemand besseren gefunden hast. Er wird dich verlassen, genauso wie alle anderen Menschen in deinem Leben. Und dann wirst du wieder zu mir kommen, also lass es uns verkürzen. Komm vom Eis und geh mit mir nach Hause."
"Ich brauche dich nicht mehr."
Der Mann wirft seinen Kopf in den Nacken und hat dieses ekelige Lächeln im Gesicht.
"Das hat sich gestern aber anders angehört."
"Gestern?"
Meine Stimme klingt heiser und ein wenig schäme ich mich, dass der Mann so einen großen Einfluss auf mich hat und er mich so leicht verängstigen kann. Ich löse meine Hand von Manuels und schaue ihn an.
"Hat er es dir nicht erzählt?", kommt es von dem Mann. "Die Schlampe war gestern bei mir. Hat geschrien und gebettelt-"
"Das stimmt nicht, Patrick", unterbricht Manuel seinen Exfreund. "Ich war gestern bei ihm, um mein Zeug aus seiner Wohnung zu holen. Es ist nichts passiert."
Erneut lacht der Mann auf. "Es ist nichts passiert?"
"Manuel, sag die Wahrheit", fordere ich ihn leise auf und mustere jeden Millimeter seines Gesichtes. "Warst du gestern bei ihm?"
"Ja, war ich."
"Und du hast nur dein Zeug geholt?"
In Manuels Augen bilden sich Tränen und er schüttelt den Kopf. "Es ist nichts passiert, Patrick. Ich sage die Wahrheit. Ich habe nur die restliche Kleidung, ein Ladekabel und meine Tasche geholt."
"Wenn du lügst, dann-"
"Ich lüge nicht, bitte glaub mir."
Die erste Träne rollt ihm über die Wange und ich wende mich von ihm ab.
"Verschwinde von hier."
Perplex mustert mich Manuels Exfreund, beginnt aber zu grinsen. "Sonst was? Was willst du anrichten?"
"Verschwinde. Ich sage das nicht noch einmal."
"Manu, sag deinem Freund er soll die Klappe halten und komm mit mir nach Hause", wendet der Mann sich nun an Manuel, der ihn mit großen Augen mustert. Auf seinen Wangen sind noch die Spuren der Tränen zu erkennen, doch scheint er sich bereits beruhigt zu haben.
Von Manuel kommt keine weitere Reaktion. Er steht bloß da, starrt seinen Exfreund an und gibt keinen Laut von sich.
"Komm vom Eis", schreit der Mann und erneut laufen seine Wangen rot an.
"Nein", antwortet Manuel dieses Mal und greift nach meiner Hand. "Nein, ich bleibe hier."
Grinsend schließe ich meine Finger um die von Manuel.
"Ist das dein Ernst?"
Wir beide antworten nicht und nachdem er noch einmal gegen die Bande tritt, auf das Eis spuckt und uns jeglich Schimpfwörter an den Kopf wirft, verlässt der Mann die Halle.
Sobald wir hören wie die Tür ins Schloss fällt, nehme ich Manuel in den Arm und kann sein Lachen hören.
"Das war das erste Mal, dass ich ein Streit mit ihm gewonnen habe. Du scheinst ihn echt einzuschüchtern."
"Er ist nicht meinetwegen abgehauen", meine ich und lasse Manuel los. "Er ist abgehauen, weil du ihm die Stirn geboten hast."
Wir beide schauen uns für einen kurzen Moment an.
"Vielen Dank", haucht Manuel dann. "Dass du mir geglaubt hast. Und du mir geholfen hast."
"Warum sollte ich diesem Spinner mehr Glauben schenken als dir?"
Manuel zuckt mit den Schultern und spielt mit den unteren Knöpfen meiner Jacke, um meinem Blick auszuweichen. Vorsichtig lege ich meine Hand um seine und stoppe somit seine Bewegungen.
"Zurück zu dem, was wir eigentlich vorhatten", wispere ich und sorge dafür, dass Manuels Mundwinkel sich heben.
Ganz sanft, als wäre Manuel eine Puppe aus Porzellan, lege ich meine Hände an seine Wangen und küsse ihn.
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