Gelingen

Erneut werfe ich einen Blick auf den Bildschirm, der mir die Bilder zeigt, die die Überwachungskameras gerade aufnehmen. Die Kamera, die draußen installiert wurde, ist kaum zu gebrauchen, da der Schnee, der gerade in Massen vom Himmel fällt und ein einziges Chaos in der Stadt hinterlässt, die Sicht verdeckt.

Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich durch die Kamera sehen kann, wann Manuel hier auftaucht, jedoch muss ich jetzt wohl warten, bis er durch die Tür kommt.

"Die Schuhe sind desinfiziert, meine Hände tun mir weh und ich habe Hunger", beschwert sich Maurice und lässt sich auf den Stuhl neben mir fallen.

"Sag nicht, dass du schon wieder vergessen hast, vor der Arbeit zu essen."

Verlegen kratzt sich mein bester Freund an seinem Hinterkopf und grinst mich an, weshalb ich lache und amüsiert den Kopf schüttele.

"Und ich habe noch vier Stunden vor mir", jammert Maurice und legt seine flache Hand auf seinen grummelnden Bauch

"Aber ich muss nur noch eine Stunde arbeiten und wenn Manuel gleich kommt, dann könnten er und ich uns Essen holen. Wir müssen eh noch etwas erledigen."

"Oh nein, wenn Manuel kommt, dann wird mein Arbeitstag ja noch langweiliger", beschwert sich Maurice. "Dann hast du nur noch Augen für ihn."

"Das stimmt nicht", widerspreche ich. "Er will noch einmal auf's Eis und ich habe ganz viel Zeit für dich."

Amüsiert verdreht Maurice seine Augen und er steht auf. "Ich bringe den Müll raus. Wenn ich das hinter mir habe, kann ich den Rest des Tages entspannen."

"In Ordnung, ich suche in der Zwischenzeit nach einem Laden, bei dem wir dir dein Essen holen können."

Maurice schnappt sich die Rolle mit den Müllsäcken und verschwindet hinter der Tür, um die Abfalleimer zu leeren. Ich nehme mir mein Telefon zur Hand und suche nach einem Imbiss in der Nähe. Gerade als ich das Handy an mein Ohr halte, um bei einem Restaurant anzurufen, höre ich einen leisen Knall, weshalb ich mich umdrehe und Manuel entdecke, der einen schweren Karton auf dem Tresen vor mir abstellt.

"Hey", begrüßt mich Manuel und zieht sich die Kapuze vom Kopf. Darunter trägt er noch eine Mütze und er hat sich seinen Schal bis zur Nase gezogen. Er schiebt den Stoff nach unten, was seine roten Wangen und die gerötete Nasenspitze zum Vorschein bringt. "Mit wem telefonierst du?"

"Ich versuche den Imbiss hier in der Nähe zu erreichen. Ich dachte, wenn wir uns gleich auf den Weg machen, können wir Maurice noch etwas mitbringen."

"Maurice ist doch Vegetarier, oder? Leg auf, ich kenne den perfekten Ort. Es ist gleich hier in der Nähe und wir müssen nicht vorher bestellen."

Gerade als jemand an das Telefon geht und mich begrüßt, drücke ich auf den roten Knopf und stecke das Handy in meine Hosentasche. Manuel reibt seine Hände aneinander und pustet einmal hinein.

"Deine Hände sind ja scharlachrot."
Ich beuge mich über die Theke, greife nach seinen Fingern und eine Gänsehaut bildet sich auf meinem Rücken. "Und sie sind eiskalt. Bist du etwa hergelaufen?"

"Ja, als ich aus dem Haus gegangen bin, war es draußen noch nicht so kalt. Und es lag auch noch kein Schnee."
Manuel lacht und kommt mir auch ein Stück näher.

Ich umschließe seine Hände mit meinen und versuche sie zu wärmen.

"Was ist in der Box?", möchte ich wissen und lasse Manuels Hände los. Das Grinsen des Jungen wächst und stolz mustert er den Karton.

"Das ist das Zeug aus der Wohnung von-"

"Du warst schon alleine bei deinem Exfreund?", unterbreche ich ihn. "Ich dachte, wir wollten da zusammen hin."

"Ich wollte es hinter mir haben. Außerdem hättest du dir nur Sorgen gemacht und es hätte ihn sicher provoziert, wenn du mitgekommen wärst. Es tut mir leid."

"Was hat er gesagt, als du aufgetaucht bist? Hat er dir wehgetan?"
Ich greife nach seiner Hand und ziehe ihn daran ein wenig zu mir, um sein Gesicht zu begutachten und nach eventuellen Verletzungen zu sehen, doch scheint sein Gesicht noch immer so makellos wie immer.

"Nein, Patrick", meint Manuel und nimmt lachend seine Hand aus meiner. "Er hat zwar versucht mich aufzuhalten, aber nachdem ich ihm verdeutlicht habe, dass das nichts bringt, hat er sich in der Küche eingeschlossen und gewartet bis ich weg bin."

"Du hast es also endlich geschafft, was?"

"Ja, jetzt fehlt nur noch die Drehung. Wenn mir die gelingt, dann... Dann ist dieses Kapitel endlich vorbei."

"Du hast diese Drehung doch schon etliche Male geschafft."

"Nein, aber das war nicht richtig. Was ist, wenn ich es jetzt wieder versuche und ich scheitere?"

"Du wirst nicht scheitern."

"Ich werde auf das Eis gehen und es versuchen."
Manuel deutet auf die Tasche, die über seiner Schulter hängt und in der sich seine Schlittschuhe befinden.
"Kommst du auch, wenn du Feierabend hast?"

"Ja, ich muss nur noch eine knappe Stunde arbeiten, dann bin ich fertig."

"Sehr gut, dann bis gleich."

Manuel lehnt sich über den Tresen und drückt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er sich seine Schlittschuhe anzieht und auf das Eis geht. 

"Der Müll ist draußen und die Beutel sind leer. Wir müssen unserem Boss sagen, dass er neue kaufen soll", teilt mir Maurice mit und stellt sich neben mich.

"Dann müssen wir wohl neue kaufen."

Maurice runzelt die Stirn und schaut mich etwas verdattert an.
"Hast du mir nicht zugehört? Patrick? Hallo? Du bist ja in einer ganz anderen Welt."

Mein bester Freund wedelt mit seinen Händen vor meinem Gesicht und ich schüttele meinen Kopf, um die Aufmerksamkeit von Manuel abzuwenden. Maurice folgt meinem Blick und muss grinsen, sobald er Manuel auf der Fläche entdeckt.

"Ah, Manuel ist hier. Dann muss ich ja gar nicht versuchen deine Aufmerksamkeit zu erlangen."

"Was?"

"Du liegst ihm zu Füßen, Patrick. Und mir wird schlecht, wenn ich deinen Blick sehe. Der ist so voller Liebe. Ekelhaft."
Maurice zieht eine angewiderte Grimasse, doch muss dann lachen.
"Du kannst schon Feierabend machen und zu ihm gehen. Ich schaffe das hier alleine."

"Wirklich?"

"Ja, wirklich. Dann komme ich auch schneller an mein Essen."

"Vielen Dank."

Ich mache also Feierabend, schnappe mir dann auch ein Paar Schlittschuhe und begebe mich zu Manuel, der eine Drehung nach der anderen macht.

"Das sieht doch gut aus", lobe ich Manuel, der auf mich zukommt und kurz vor mir hält. "Ich habe doch gesagt, dass es dir gelingen wird."

"Ich weiß nicht. Ich schaffe es zwar jetzt, aber was ist, wenn es in ein paar Tagen, Wochen oder Monaten nicht mehr klappt?"

Manuel steht vor mir und mustert mich besorgt, weshalb ich meine Arme um ihn lege und ihn an mich drücke.

"Wir wissen beide, dass es hier nicht um diese Drehung geht", flüstere ich und löse mich von ihm. Der Junge vor mir öffnet seinen Mund, um etwas zu sagen, bekommt jedoch keinen Ton heraus. Die Tränen drohen über seine Wange zu laufen und seine Unterlippe zittert.

"Es tut mir leid."

"Hör zu, Manu. Ich weiß, dass dein Exfreund sehr wichtig für dich war und du Zeit brauchst, um ihn wirklich vollständig zu vergessen, aber sieh dich an. Du machst eine Drehung nach der anderen und du hast deine Sachen aus seiner Wohnung geholt. Vielleicht kommst du irgendwann an einen Punkt, an dem du ihn vermisst, an ihn denkst oder diese Drehung vermasselst, aber ich bin bei dir. Ich werde dich auffangen, wenn du fällst."

Manuel grinst und nimmt mich in den Arm.
"Es tut mir wirklich leid. Ich will das alles gar nicht und ich wünschte, ich könnte es einfach ausstellen, weil ich weiß, dass ich dich wirklich liebe und-"

Erstaunt ziehe ich die Augenbrauen in die Höhe und mein Mund öffnet sich wie automatisch. Manuel hält inne und als er merkt, was er gesagt hat, schaut er beschämt auf den Boden und läuft rot an.

"Oh wow", bringe ich heraus, fühle mich aber wie gelähmt von den Worten.

"Also... Das ist mir so heraus gerutscht. Ich wollte nicht... ich war so..."

"Ich liebe dich auch, Manu."

Mit großen Augen schaut Manuel mich an und bei dem Funkeln in seinen Augen kann ich gar nicht anders als ihn zu küssen und in den Arm zu nehmen.

"Jetzt mach eine letzte Drehung", fordere ich Manuel auf und gehe einen Schritt zurück. "Ein letztes Mal und wenn dir diese Drehung gelingt, dann hörst du auf. Dann holen wir endlich etwas zu essen."

"In Ordnung."
Manuel macht einige Schritte zurück.
"Bereit?"

Ich nicke und verschränke die Arme vor der Brust, während Manuel Anlauf nimmt und sich dann dreht. Sobald seine Füße wieder nebeneinander stehen und und er mich mit zerzausten Haaren anschaut, reißt er die Hände in die Höhe.

"Ich habe es geschafft", jubelt Manuel und kommt auf mich zu. Er fällt mir um den Hals und freudig drehe ich ihn einmal im Kreis.

"Und jetzt holen wir Essen. Langsam bekomme ich Hunger."

Ende

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