Kapitel 5

Ich hob meinen Kopf und sah direkt in die besorgten Augen von Manuel. Sie waren tiefblau wie Saphire und schienen direkt in meine Seele zu blicken. "Alice, alles okay? Was ist passiert?" fragte er mit seiner warmen und sanften Stimme. Ich war immer noch benommen und nicht ganz bei mir. Meine Sicht verbesserte sich allmählich, aber ich fühlte mich erschlagen und jeder Muskel in meinem Körper schmerzte.

Manuel kniete vor mir nieder und seine Bewegungen waren vorsichtig und bedacht, um mich nicht weiter zu verletzen oder zu beunruhigen.

In diesem Moment war ich unendlich dankbar, dass es Manuel war, der mich gefunden hatte, und nicht irgendein Fremder mit bösen Absichten. Ich kannte Manuel zwar noch nicht wirklich gut, aber ich spürte, dass ich ihm vertrauen konnte.

Ich war unfähig zu sprechen, geschweige denn meinen Mund zu öffnen. Mein Körper war zu schwach, um selbst die einfachsten Bewegungen auszuführen. Während ich eigentlich nicken und so tun wollte, als sei alles in Ordnung, schüttelte mein Kopf unwillkürlich hin und her.      Meine Gedanken rasten, während ich versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Doch es war wie ein Dammbruch - sie strömten unaufhaltsam über meine Wangen und ich konnte nichts dagegen tun.

Ich fühlte mich von meinem eigenen Körper betrogen, als er wider meinen Willen meine Schwäche offenbarte. Ich spürte eine Welle der Verachtung in mir aufsteigen und hasste ihn für seine Unfähigkeit, stark zu sein. Die Ohnmacht, die er in mir auslöste, machte mich wütend und traurig zugleich. Warum konnte ich nicht einfach aufstehen und weitermachen wie bisher? Warum musste ich mich so hilflos fühlen?

Hinter Manuels Rücken bemerkte ich einige Menschen, die eng zusammenstanden und tuschelten, während sie uns beobachteten. Die Worte, die ich am Rande hörte, waren voller Verachtung: "verzogener Snob" und "wohl ihr erster Drogenkonsum". Die Worte stachen wie Nadelstiche in mein Herz und verstärkten das Gefühl von Scham und Hilflosigkeit, das mich ohnehin schon umgab. 

Doch dann wandte sich Manuel ihnen zu, und seine Augen funkelten vor Wut. "Haltet eure Klappe, wenn ihr nichts Sinnvolles zu sagen habt. Verschwindet einfach!", fuhr er sie an. Zu meiner Überraschung verstummten sie sofort, und ich spürte eine Welle von Dankbarkeit gegenüber Manuel aufkommen.

Als er sich wieder zu mir wandte, war sein Blick voller Sorge und Mitgefühl. "Hat dir jemand etwas angetan?", fragte er mich leise. Dabei wurde sein Gesichtsausdruck düster und ich konnte spüren, wie seine Kiefermuskeln angespannt wurden.

Ich wusste, dass ich ihm die Wahrheit sagen konnte, aber der Gedanke daran, meine Schwäche einzugestehen, war unerträglich. Also schüttelte ich den Kopf, um ihm zu signalisieren, dass ich okay war, obwohl ich wusste, dass er es besser wusste.

Ich spürte Panik in mir aufsteigen, als Manuel mich fragte, ob er mich nach Hause bringen oder meinen Bruder anrufen sollte. Ich konnte auf keinen Fall nach Hause gehen, wenn meine Mutter herausfinden würde, dass ich einen Schwächeanfall beim Joggen hatte, wäre sie zutiefst enttäuscht und vermutlich auch wütend auf mich. Und ich wollte auch nicht, dass er Cody anrief. Wenn mein Bruder davon erfuhr, würde er vermutlich ausrasten und mir jede sportliche Betätigung verbieten. Aber ohne Sport würde ich noch dicker und unsportlicher werden. "Nein, nein, ich schaffe das schon irgendwie alleine", antwortete ich mit zittriger Stimme.

Als Manuel sich durch seine Haare fuhr, konnte ich die unterschiedlichen Goldtöne der einzelnen Strähnen erkennen, die von der Sonne beleuchtet wurden. Ein paar von ihnen fielen ihm lässig ins Gesicht und umrahmten seine scharfen, markanten Gesichtszüge. Ich konnte nicht anders, als fasziniert auf ihn zu schauen, während er nach einer Lösung suchte.

„Okay, pass auf, ich nehme dich mit zu mir", sagte Manuel bestimmt. Ich wollte schon ansetzen, um zu widersprechen, doch er kam mir zuvor: "Keine Widerrede. Ich lasse dich in diesem Zustand nicht hier, das ist zu gefährlich. Außerdem tut dir Essen und ein bequemes Sofa jetzt bestimmt gut. Und keine Sorge, Blue ist nicht da, sie wird von nichts erfahren." Seine Stimme klang beruhigend und ich spürte, dass er es ernst meinte.

Manuel packte meine Hand und zog mich sanft hoch, seine Kraft und Stabilität gaben mir das Gefühl, dass ich in guten Händen war. Als ich endlich auf meinen Beinen stand, hielt er mich noch einen Moment fest, um sicherzustellen, dass ich nicht wieder zusammenbrach.

"Bist du mit dem Auto hier? Wenn ja, fahren wir damit, damit es nicht hier stehen bleibt", fragte er besorgt. Seine Augen blickten mich liebevoll an und ich fühlte mich ein wenig geborgen in seiner Gegenwart. Ich nickte stumm und konnte mich immer noch nicht dazu bringen, ein Wort zu sagen.

Eine halbe Stunde verging, während wir uns langsam aber sicher meinem Auto näherten. Jeder meiner Schritte war begleitet von Schmerzen und ich humpelte vor mich hin. Manuel ging dicht neben mir her und wirkte dabei ungewöhnlich ruhig. Seine Augen schienen aufmerksam jede meiner Bewegungen zu verfolgen, als würde er sichergehen wollen, dass ich nicht erneut zusammenbrechen würde.

Als wir endlich mein Auto erreichten, atmete ich erleichtert auf. Doch dann fiel mir ein, dass ich kaum in der Lage war, es selbst zu fahren. Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich biss mir auf die Lippen, während ich zögerlich zu Manuel aufsah: "Ich glaube, ich kann nicht fahren...". Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. "Keine Sorge", sagte er schließlich ruhig, "Ich fahre."

Ich nickte erleichtert und ließ ihn den Fahrersitz übernehmen, während ich mich auf den Beifahrersitz sank und meine Augen schloss. Der Geruch von Leder und teurem Parfüm umgab mich und ich spürte, wie sich der Wagen in Bewegung setzte.

Es fühlte sich seltsam an, in meinem eigenen Auto neben Manuel zu sitzen. Ich hatte das Gefühl, dass es nicht normal war, dass er sich um mich kümmerte. War es üblich für ihn, schwache Mädchen von der Straße zu retten? Eine seltsame Vorstellung, die mir jedoch nicht aus dem Kopf ging. Ich fragte mich, ob ich ihm später körperliche Gefälligkeiten schulden würde und schüttelte den Gedanken schnell wieder ab. Das war unsinnig.

Manuel fuhr vor einem kleinen Bungalow vor, der auf den ersten Blick recht heruntergekommen aussah. Der Vorgarten war ungepflegt und wild, die Pflanzen wuchsen unkontrolliert und das Gras war viel zu hoch. Die Fassade des Hauses war an einigen Stellen beschädigt und der Putz bröckelte ab. Überall an den Wänden waren Graffiti zu sehen, was dem ganzen Gebäude einen noch trostloseren Anblick verlieh. Die Fenster wirkten alt und abgenutzt, und es war offensichtlich, dass das Haus schon bessere Tage gesehen hatte.

Als Manuel die Haustür aufschloss, blieb ich einen Augenblick zögerlich stehen. Der Gedanke daran, in das Haus eines fast Fremden zu gehen, machte mich nervös. Was, wenn er mir etwas antat? Doch andererseits hatte er mir im Park geholfen und war seitdem sehr freundlich zu mir. Außerdem waren wir indirekt durch unsere Geschwister miteinander verbunden. Warum sollte er mir jetzt plötzlich etwas antun?

Manuel schien mein Zögern nicht zu bemerken, und so betrat ich das kleine Haus. Ich sah mich neugierig um und bemerkte, dass es zwar nicht groß war, aber dennoch gemütlich aussah.

Als ich den Eingangsbereich des kleinen Hauses betrat, fiel mein Blick auf die Schuhe und Jacken, die vom Haken gerutscht auf dem Boden lagen. Ein unordentliches Durcheinander, das jedoch irgendwie gemütlich wirkte. Direkt nebenan befand sich das Wohnzimmer, das trotz seiner älteren Möbelstücke eine gewisse Charme ausstrahlte. Zwei Sofas standen dort, auf denen man sich gemütlich niederlassen konnte. Auf einem kleinen Sideboard an der Wand stand ein kleiner, alter Fernseher, der vermutlich schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. An den Wänden hingen überall Bilder und Fotos von Freunden und Familienmitgliedern, die dem Raum eine persönliche Note verliehen. Auf den Schränken lagen zahlreiche Gegenstände herum, wie etwa Bücher, Zeitschriften und andere persönliche Gegenstände verstreut.

Der Übergang zwischen dem Wohnzimmer und der Küche war nahtlos, da keine Türen die beiden Räume trennten. Die Küche war einfach, aber funktional ausgestattet und hatte eine Essecke mit einem kleinen Tisch und Stühlen. Auf der Arbeitsfläche lagen Küchenutensilien und ein paar Kochbücher herum. Der Kühlschrank stand in einer Ecke und hatte eine Tür voller Erinnerungen: Fotos, Postkarten und Zeichnungen von Kindern. Ein kleiner Herd und eine Spüle vervollständigten die Küche.

Der Flur, der vom Wohnzimmer und der Küche abzweigte, führte zu vier weiteren Zimmern, die alle geschlossen waren.

Obwohl die Wohnung sichtbare Spuren der Zeit aufwies - Kratzer auf den Möbeln und Abnutzungserscheinungen an den Wänden - strahlte sie eine unglaubliche Gemütlichkeit aus. Überall sah man persönliche Gegenstände und Dekorationen, die darauf hindeuteten, dass hier eine liebevolle Familie lebte. 

Die Villa, in der ich wohnte, war im Vergleich zu Manuels Haus sehr modern und kalt eingerichtet. Die Einrichtung war sehr minimalistisch und es standen nur wenige Möbel im Raum. Es gab kaum persönliche Gegenstände, außer ein paar Bilder, die zeigten, dass mein Bruder oder ich gerade einen Wettbewerb gewonnen hatten. Es war immer makellos sauber und ordentlich, nirgendwo lag etwas herum. Der Boden und die Möbel glänzten, als ob niemand darin wohnte. Es fehlt jedoch an der Wärme und Persönlichkeit, die man in Manuels Haus spürte.

"Setz dich bitte", sagte Manuel und deutete mit einer Handbewegung auf eines der Sofas. "Möchtest du etwas trinken?", fragte er höflich.

Ich nickte dankend und antwortete mit einer rauen, krächzenden Stimme: "Ja, bitte. Ein Glas Wasser wäre gut." Erst jetzt bemerkte ich, wie trocken mein Hals war.

Manuel verschwand in die Küche und ließ mich allein im Wohnzimmer zurück. Ich ließ mich aufs Sofa fallen und spürte, wie die weichen Polster meine müden Knochen umschlossen und mir eine angenehme Entspannung bescherten. In der Zwischenzeit hörte ich, wie Manuel in der Küche rumorte. Wenig später kehrte er mit zwei Tellern und Gläsern zurück. "Meine Mum hat Lasagne für mich und Blue in den Ofen gestellt. Hier", sagte er und hielt mir einen dampfenden Teller unter die Nase. Skeptisch betrachtete ich die dampfende Lasagne auf dem Teller. Sie sah sehr fettig aus und hatte definitiv viel zu viele Kalorien.

Die Lasagne konnte ich einfach nicht essen. Es wäre, als ob all die Anstrengungen und der Schweiß, die ich heute beim Training vergossen hatte, umsonst gewesen wären. Ich hatte auch keinesfalls vor, zuzunehmen. Als Manuel meinen skeptischen Blick bemerkte, versuchte er mich zu überreden: „Ich weiß, es ist nicht gerade Sterne-Essen, aber meine Mum macht die beste Lasagne der Welt. Du musst sie unbedingt probieren." Sein Blick war so intensiv, dass ich ihm einfach nicht widerstehen konnte. Schließlich nahm ich den Teller und probierte unter Manuels wachsamen Augen einen winzigen Bissen. Während ich kaute, konnte ich förmlich spüren, wie das Fett sich in meinem Körper auflöste und sich auf den Weg machte, um sich in meinen Hüften niederzulassen.

Ich bemerkte, dass Manuel immer noch auf mich achtete und entschied mich deshalb, noch einen weiteren Bissen zu nehmen und nickte ihm anerkennend zu. Ich wollte nicht unhöflich sein, nachdem er so nett zu mir war. Also kämpfte ich mich durch mindestens die Hälfte des Tellers, obwohl mir allein bei dem Gedanken an das fettige Essen erneut übel wurde.

Ich nahm mir Zeit beim Essen und kaute jedes Stück gründlich, um möglichst wenig zu essen und trotzdem satt zu werden. Aber selbst diese kleine Menge fühlte sich schwer im Magen an und ich hatte das unangenehme Gefühl, als ob ich schon zu viel gegessen hätte.

Manuel und ich saßen die ganze Zeit schweigend nebeneinander, und normalerweise hätte ich mich in dieser seltsamen Stille unwohl gefühlt. Aber bei Manuel war es anders. Es fühlte sich an, als ob wir uns ohne Worte verständigen konnten, als ob wir beide gerade einfach nur Zeit zum Nachdenken und Durchatmen brauchten. Beim Essen spürte ich, wie meine Energiereserven langsam wieder aufgefüllt wurden. Zwar war ich immer noch erschöpft, aber ich hatte nicht mehr das Gefühl, bei jeder Bewegung umzukippen.

Nach einer Weile des Schweigens überkam mich das Gefühl, dass es Zeit war zu gehen, um Manuel nicht weiter zu belästigen. Immerhin hatte er mir schon so viel geholfen und ich wollte ihm nicht noch mehr Umstände bereiten. Doch bevor ich mich von ihm verabschieden konnte, stellte er mir eine unerwartete Frage: „Wenn ich fragen darf, was hast du hier bei uns im Park gemacht?"

Ich war für einen Moment sprachlos und wusste nicht, was ich antworten sollte. Natürlich war es offensichtlich, dass ich hier Sport getrieben hatte, aber ich konnte die Unsicherheit in seiner Stimme spüren. „Sport, sieht man doch." Meine Stimme klang unbeabsichtigt ziemlich schroff und ich spürte, dass ich eine defensive Haltung einnahm. Ich wollte nicht an meinen gescheiterten Sportversuch zurückdenken und vor allem wollte ich Manuel nicht meine peinliche Zusammenbruch erzählen.

"Ja stimmt, dumm von mir", lachte Manuel und schlug sich einmal leicht die Hand gegen die Stirn. Es schien fast so, als würde er versuchen, die Atmosphäre zwischen uns zu lockern. Dann fügte er hinzu: "Wenn du reden möchtest über das, was auch immer passiert ist, kannst du das mit mir machen. Ich weiß, wir kennen uns nicht wirklich und es gibt für dich keinen wirklichen Grund, mir zu vertrauen, aber du kannst mir vertrauen. Ich kann schweigen wie ein Grab." 

Seine Worte berührten mich auf eine Art und Weise, die ich nicht erwartet hatte. Ich spürte, dass Manuel es ehrlich meinte und dass er wirklich für mich da sein wollte. Er fuhr fort: "Manchmal tut es vielleicht ganz gut, mit jemanden Außenstehenden zu reden, der keine Erwartungen an dich hat." 

Ich spürte, wie sein Blick mich durchdrang und meine Seele zu lesen schien. Obwohl ich versuchte, ihm auszuweichen, konnte ich nicht widerstehen und mein Blick kehrte immer wieder zu ihm zurück. Es war, als ob er mit seinen Augen eine Verbindung zu meiner Seele aufgebaut hatte und ich konnte nicht anders, als mich von seiner ungewöhnlichen Fürsorge und Aufmerksamkeit umhauen zu lassen. Als er schließlich sanft meine Arm berührte, kämpfte ich gegen die aufsteigenden Tränen an, die bereit waren, aus mir herauszubrechen.

Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in mir aus, als ich bemerkte, dass ein Fremder, den ich kaum kannte, so tief in meine Gedanken und Gefühle vordringen konnte. Normalerweise war ich Meisterin darin, meine Emotionen unter Kontrolle zu halten und niemandem Einblick in meine Seele zu gewähren. Aber bei Manuel war alles anders. Seine ungewöhnliche Fähigkeit, mich zu durchschauen, erschreckte mich, gleichzeitig aber genoss ich es auch, mich ihm zu öffnen und ihm zu vertrauen. Mein Körper schien zwischen dem Drang, davonzulaufen, und dem Verlangen, mich fallen zu lassen, hin- und hergerissen zu sein.

Die innere Zerrissenheit war förmlich spürbar, als ich versuchte, mich gegen den Drang zu wehren, ihm meine Gefühle zu offenbaren. Ein Teil von mir war verängstigt und wollte so schnell wie möglich fliehen, ohne auch nur einmal zurückzuschauen. Die Angst, dass er meine Schwächen ausnutzen und gegen mich verwenden könnte, nagte an mir. Schließlich hatte ich schon als Kind gelernt, dass man niemandem seine wahren Gedanken und Gefühle zeigen sollte. Doch andererseits sehnte sich ein anderer Teil von mir danach, diese Chance zu nutzen und meine Seele frei zu reden. 

Es fühlte sich an, als würde mein Bauch mir sagen, dass es Zeit war, all meine Gedanken und Gefühle freien Lauf zu lassen, da er mich ohnehin nicht kannte. Ein innerer Kampf tobte in mir und ich wusste nicht, welche Seite gewinnen würde.

Manuel saß da und schwieg geduldig, während ich mit meinen inneren Dämonen rang und mich nicht entscheiden konnte, ob ich ihm mein Herz öffnen sollte oder nicht. Sein Blick war so verständnisvoll und einfühlsam, dass es mich fast umhaute. Ich sah ihm tief in die Augen und spürte förmlich, wie er versuchte, mir Halt zu geben und mich zu ermutigen, meine Gefühle freizulassen.

Als ich endlich den Mut aufbringen wollte, um meine Worte zu finden, wurde ich jäh unterbrochen. Die Haustür wurde aufgerissen und Blue stürmte ins Haus. Als ich Blue bemerkte, durchfuhr mich ein Schock. Blitzschnell wechselte ich von meinem verletzlichen und offenen Zustand in meine tägliche kalte und stolze Miene. Ich versuchte, meine innere Unruhe und Verwirrung zu verbergen und stand kerzengerade da, mit einer Handbewegung fuhr ich mir über die Wange, um sicherzustellen, dass keine Tränen da waren. Sichtlich verärgert sah Blue mich an, als hätte ich etwas falsch gemacht. Manuel, der zuvor verwirrt über meinen abrupten Stimmungswandel war, bemerkte jetzt auch Blues Anwesenheit.

"Vielleicht habe ich mich im Tanzkurs nicht deutlich genug ausgedrückt", begann Blue mit einem kalten Unterton in ihrer Stimme, während sie mich mit einem wütenden Blick fixierte. "Ich werde es noch einmal sagen: Halte dich von meinem Bruder fern. Lass deine Wut an Cody und mir aus, aber fang nicht an, Manuel in irgendetwas hineinzuziehen. Das geht zu weit."

Ihr Tonfall war messerscharf und es lag eine unmissverständliche Warnung in ihren Worten. 

Normalerweise hätte ich mich darüber gefreut, dass ich Blue so aus der Reserve gelockt hatte, und hätte einen bissigen Konter zurückgegeben. Doch heute war anders. Der Zusammenbruch hatte mich geschwächt, und Manuels durchdringender Blick und seine einfühlsamen Worte hatten meine emotionale Mauer fast zum Einsturz gebracht. All die Gedanken und Gefühle, die ich so lange unterdrückt hatte, kämpften sich an die Oberfläche. Doch ich zwang mich, alles wieder zurückzudrücken und so zu tun, als sei nichts passiert. Es war einfach zu viel für mich.

Mit einem übertriebenen, genervten Augenrollen reagierte ich auf Blues Vorwurf. Doch Manuel sah seine Schwester tadelnd an und sprach ruhig: "Blue, beruhig dich, ich bin groß genug und kann auf mich selbst aufpassen." Seine Worte waren sanft, aber bestimmt und ich spürte eine Wärme in mir aufsteigen. Es tat gut, von jemandem beschützt zu werden, auch wenn ich es normalerweise alleine schaffte.

Ich drehte mich wieder zu Manuel um und lächelte ihm dankbar zu. "Ich möchte dir wirklich danken für heute", sagte ich aufrichtig.

Manuel erwiderte mein Lächeln und ich spürte, wie zwischen uns eine gewisse Verbindung entstand. Es war seltsam, wie jemand, den ich gerade erst kennengelernt hatte, solch eine Wirkung auf mich haben konnte. Aber ich wollte es nicht hinterfragen, sondern einfach genießen. "Vielleicht könnten wir uns mal treffen und reden, wenn du magst. Trotz der Umstände war es heute sehr nett." Diese Worte sprach ich eigentlich nur, um Blue zu ärgern. Ich hatte nicht wirklich vor, mich mit ihm zu treffen. Doch Manuel schien das anders zu sehen, denn er nickte freudig.

Wir tauschten unsere Nummern aus und ich konnte nicht anders, als Manuel mit einem schelmischen Blick zu versprechen: "Ich werde mich melden." Es war ein Spiel mit dem Feuer, das ich da begann, denn eigentlich hatte ich nicht vor, mich tatsächlich mit ihm zu treffen. 

Mit einem letzten Blick auf Blue, die immer noch verärgert dastand, verließ ich schließlich das Haus und atmete tief die frische Nachtluft ein. Ein neues Kapitel in meinem Leben hatte begonnen und ich war gespannt, was es für mich bereithalten würde.

Überarbeitet: 07. Apr. 2023

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