42. Kapitel

Luke's P.o.V.

Irgendwann während des Gottesdienstes hatte es wohl angefangen zu regnen. Die schweren Regentropfen prasselten auf uns herunter, trommelten auf dem hellen Eichensarg, als würden sie eine Melodie spielen. Eine Melodie vom Tod.

Die vier schwarzgekleideten Männer vom Bestattungsunternehmen ließen den Sarg in das ausgehobene rechteckige Loch hinab. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, wenn ich daran dachte, dass sie nun für ewig in diesem kalten dunklen Grab liegen würde. Nie wieder würden ihre Augen im Licht funkeln, ihr Haar von der Sonne beschienen glänzen. Es war aus, wirklich aus und vorbei. Für immer. Und genau das war so schwer zu verstehen. Wie sollte man den begreife das ein Mensch der dein ganzes Leben für dich da war, der dich auf allen Wegen begleitet hatte einfach nicht mehr existierte und nie wieder kommen würde.

Der heutige Tag hatte mir so viel Kraft gekostet das ich es nicht einmal geschafft hatte mich über meine Großmutter aufzuregen die an wirklich allem etwas auszusetzen gehabt hatte. In ihren Augen war alles war ich tat falsch. Früher hätte es mich verletzt mit welcher unterkühlten Ignoranz sie mir gegenübertrat, doch heute war es mir, zu meiner eigenen Überraschung, egal gewesen. In den vergangen Tagen hatte ich so viel Schmerz aushalten müssen, das es wohl nichts mehr gab das genug weh tat um durch die Mauer aus Schmerz zu mir durch zu dringen. Zumindest dachte ich das, bis er auf einmal vor mir stand. Er hatte mir seine Hand gereicht als wären wir uns fremd, flüchtige Bekannte denen man aus reinem Pflichtgefühl sein Beileid aussprach. Es war nur eine kleine Geste gewesen doch ich war mir sehr wohl bewusst was sie zu sagen hatte. Es war seine Art mir zu sagen dass es vorbei war. Es war vorbei ohne das es je richtig angefangen hatte und das nur weil ich wieder einmal zu dumm gewesen war, zu egoistisch und zu selbstsüchtig.

Der schwarze Stoff des teuren Markenanzuges, den Marko mir für den heutigen Tag geliehen hatte, saugte sich mit den Regentropfen voll die im Sekundentakt auf uns herunter fielen. Die penetrante  Kälte dieses verregneten Frühlingstages fraß sich durch die nassen Klamottenschichten und ließ mich leicht zittern. Vielleicht war es nicht meine klügste Entscheidung gewesen keinen Schirm mitzunehmen und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit würde ich mich selber verfluchen wenn ich in den nächsten Tagen krank im Bett lag, doch das interessiert mich im Moment nicht sonderlich. Irgendetwas in mir hatte sich dafür entschieden das ich meiner Stimmung angepasst lieber im Regen stehen wollte.

Rechts von mir standen meine Großmutter und Marko, beide separat mit einem Regenschirm bewaffnet, zu meiner linken teilten Caro und Mia sich den wenigen trockenen Platz unter ihrem Schirm. 

Mia trat vor und warf die einzelne weiße Rose die sie mir ihren kleinen Händchen umklammert hielt, in das tiefe Grab hinab. „Auf Wiedersehen, Mami."  Sagte sie, laut genug das ihre feine Stimme nicht in dem Rauschen des Regens verloren ging. Danach suchte sie wieder Schutz unter dem dunkelblau bespannten Schirm. Wir standen still schweigend da, sahen alle unbewegt auf das Grab in dem meine Mutter hoffentlich ihre ewige Ruhe finden würde, während die Männer des Bestattungsunternehmens begannen das Loch wieder zuzuschaufeln. Mit jeder Schaufel Erde die den Sarg ein Stückchen mehr bedeckten breitete sich dieses bedrückende Gefühl in mir aus. Eine kalte Hand griff um mein Herz, hielt es so fest das es kaum noch schlagen konnte, was merkwürdig war, denn ich hatte eigentlich gedachte eigentlich  das es an dem Tag als meine Mutter starb zu schlagen aufgehört hatte.

Minute um Minute verging.

Schlag um Schlag kämpfte mein Herz.

Schaufel um Schaufel füllte sich das Grab.

Als ihr Grab dann so vor uns lag, ihr Sarg schon längst unter den Erdmassen verschwunden, die Männer bereits auf dem Weg nach Haus, standen wir trotzdem noch eine Weile so da. Standen da versteinert wie ein Standbild, als hätte jemand einfach auf Pause gedrückt. Meine Großmutter war die erste die sich aus der Starre löste. Aus den Augenwinkeln erkannte ich wie sie die Tränen, die ihr von Falten durchzogenes Gesicht herunter liefen, wegwischte. Sie nickte Marco zu bevor sie sich umdrehte und Richtung Ausgang verschwand. Marco verstand, mit einem letzten schmerzerfüllten Blick auf ihr Grab und einem väterlichen Klopfen auf meine Schulter wand auch er sich ab und folgte ihr. Ich hatte nicht gewusst dass Marco nach den Besuch mit meiner Mutter bei meiner Großmutter noch Kontakt zu eben dieser gehabt hatte. Bis ich die alte Frau hatte heute aus seinem Wagen steigen sehen. Ich wusste er würde sie sicher wieder nachhause bringen, auch wenn es mich wurmte das er einen bessern Kontakt zu ihr zu haben schien als ich.

Caro gab mir einen Kuss auf meine vom Regen nasse Wange. „Wir sehen uns nachher." Sagte sie leise bevor sie mit Mia an der Hand ebenfalls ging. Sie wusste dass ich noch nicht bereit war zu gehen.

Die alte Kirche war nicht weit von unserem Haus entfernt, rund 300 Meter, sodass ich mir keine Sorgen machen musste wie die zwei nachhause kommen sollten.

Irgendwann als sie alle schon lange gegangen waren, hielten es meine zitternden Beine nicht mehr aus mein Gewicht zu tragen, sie gaben unter mir nach. Mein Blick weiter auf die braune Erhebung aus Erde gerichtet saß ich nun also dort auf dem aufgeweichten Boden. Die frisch aufgewühlte Erde war, von Regen durchtränkt, dunkler in ihrer Farbe. 

Bisher stand nur ein helles Holzkreuz am Kopfe des Grabes, doch schon bald würde es durch einen richtigen Grabstein ersetzt werden. Der Grabstein war das Einzige bei dem ich es mir nicht hatte nehmen lassen ein wenig mehr zu investieren, schließlich würde er mindestens für die nächsten fünfundzwanzig Jahre dort stehen und an meine Mutter erinnern. Er war schlicht gehalten, aber schön. So schön wie ein Grabstein nun mal sein konnte. Zwischen ihrem Namen und den Daten ihrer Geburt und ihren Todes, würde mein persönlicher Lieblingsspruch von ihr stehen.

‚Weil liebe niemals stirbt. '

Eine heiße Träne rollte mein Gesicht hinunter, vermischte sich mit den kalten Regentropfen. Seit meinem kleinen Zusammenbruch am Donnerstag, war ich zu einem Non-Stopp weinendem Weichei geworden. Die Trauer machte mich zu einem Menschen der ich nicht sein wollte, doch gleichzeitig hatte sie mir auf seltsame Weise die Augen geöffnet.

Das stetig konstante Prasseln des Regens hatte eine beruhigende, fast schon meditative, Wirkung auf mich.

Über die Geräusche des Regens hörte ich dumpfe Schritte näher kommen. Ich hatte nicht die Kraft in Panik zu verfallen und mich krampfhaft zu fragen welche grausigen Gestalten an einem verregneten Abend wie diesem auf dem Friedhof herum spazierten. Die Schritte verstummten neben mir, ich hatte kein Interesse nachzusehen welche Person wohl zu ihnen gehörte. Die Gestalt setzte sich zu mir in den Matsch. Am Rande meines Blickfeldes erkannte ich die verschwommenen Konturen seines Gesichtes. Seine Präsenz hatte immer noch dieselbe Wirkung auf  mich wie bei unserer aller ersten Begegnung. Ich begann nervös meine eiskalten Finger zu kneten in der Hoffnung dadurch wenigstens ein bisschen Gefühl in ihnen zurück zu erlangen.

„Warum sitzt du hier im Regen?" Seine Stimme klang rau, aber auch samtig. Ich wusste nicht, ob etwas rau und gleichzeitig samtig sein konnte, doch wenn ja dann klang es definitiv wie seine Stimme gerade eben.

„Mir fehlt die Kraft zu gehen." Flüsterte ich. Ich konnte und wollte sie nicht einfach so zurücklassen. Ich wusste sie war tot, doch konnten sich denn nicht auch Tote manchmal einsam fühlen? Ich wusste es nicht, aber sie hätte bestimmt eine Antwort darauf gehabt.

„Du wirst dich erkälten wenn du hier weiter rumsitzt." Vermutlich klang seine Stimme ein wenig besorgt, ich konnte es nicht hören, war froh das ich wenigstens seine Worte vernahm. 

„Möglich." Murmelte ich und schniefte. Es war sogar ziemlich wahrscheinlich dass ich krank werden würde. Trotz seiner Worte machte er keine Anstalten aufzustehen.

„Was machst du hier, Zack?" stellte ich die Frage die schon die ganze Zeit zwischen uns gestanden hatte. Zum ersten Mal seit sie hier lag wendete ich meinen Blick vom Grab meiner Mutter ab. Durch das Dunkel des Abends erkannte ich nur Schemen Weise die feinen Linien die sein schönes Gesicht so einzigartig machten. Seine nassen blonden Haare klebten ihm in der Stirn. Er sah mich direkt an, wand seinen Blick nicht ab oder sah beschämt zu Boden. Wie lange war es her dass er mich einfach nur so angesehen hatte?

„Etwas völlig bescheuertes." Erwiderte er. Ich verstand nicht was er damit meine, bis er seine Hand in meinen Nacken legte und seine Lippen auf meine drückte. Ich hatte mit allem gerechnet von einem Aufstand der Blauwale bis zu einem Schneesturm in der Sahara, aber niemals damit dass ich noch einmal in den Genuss seiner weichen Lippen kommen würde.

Trotz der beißenden Kälte der einbrechenden Nacht breitete sich die vertraute wohlige Wärme in meinem Inneren aus. Jede Faser meines Körpers prickelte wie all die Male zuvor in denen wir uns geküsste hatten. Viel zu lange schien es her und viel zu schnell ging es vorbei. 

„Was war das?" war die einzige Frage die mein überfordertes Hirn auf die Schnelle hatte ausspucken können.

Hatte ich doch vor wenigen Minuten noch gedacht endlich seine Gesten und Handlungen verstanden zu haben, so hatte er mich nun zum wiederholten Male in ein absolutes Gefühlschaos gestürzt.

„Ein Kuss." Antwortete er simpel.

„Aber warum hast mich geküsst?" Ich verstand es nicht, verstand ihn nicht. Ich dachte dass er endlich eingesehen hatte dass ich nicht der Richtige für ihn war, dass ich ihn nicht würde glücklich machen können. Ich hatte ihm wehgetan und das nicht nur einmal, also warum ging er nicht? Warum blieb er hier, bei mir? Hatte er eine masochistische Ader oder war er einfach zu blind es zu sehen?

„Ich will das nicht mehr. Ich will nicht dass wir uns benehmen als wären wir Fremde wo wir doch so viel voneinander wissen. Ich will mich nicht ständig Fragen müssen wie es dir geht und ob du gerade an mich denkst. Ich habe diesen Schmerz in meiner Brust statt wenn ich daran denke wie fern wir uns doch sind obwohl du direkt vor mir stehst." Seine Augen waren mit Kummer durchtränkt.

„Wir sollten das nicht tun, nicht schon wieder. Ich bin nicht gut für dich. Ich werde dich wieder  wegstoßen. Es wird wieder wehtun. Nenn mir nur einen Grund warum wir diesen Schmerz noch einmal auf uns nehmen sollten." Es gab keinen logischen Grund, das wusste ich. Er würde einsehen müssen, dass es besser war es zu beenden bevor es zu spät wäre.

Bei meinen Worten schien er wütend zu werden und die Worte seiner Antwort schrie er mir fast schon entgegen.

„Weil ich dich liebe, verdammte nochmal. Ich liebe dich wie ich noch nie etwas zuvor geliebt habe. Weil es so verdammt weh tut wenn ich sehe das du traurig bist das ich am liebsten jeden gottverdammten Menschen umbringen würde der dir dein bezauberndes Lächeln stiehlt. Mich von dir fern zu halten war das schwerste das ich jemals tun musste, aber ich habe es getan, für dich. Ich wollte dir Zeit geben um zu trauern, ich wollte dich nicht noch mehr belasten und vielleicht wollte ich auch dass du endlich einmal den ersten Schritt machst. Du solltest um das kämpfen was wir haben, denn es ist verdammt nochmal wert das man darum kämpft."

„Du liebst mich?" fragte ich atemlos mit erstickter Stimme. Die Wut in seinen Augen erlosch auf einen Schlag. Ein liebvolles Lächeln trat auf sein Gesicht, niemals hätte ich gedacht das er mich je wieder so ansehen würde. So voller Liebe.

„Wie kannst du nur daran zweifelen dass ich dich liebe?" Seine Stimme klang leicht gequält als würde es ihm wehtun das ich daran gezweifelt hatte. Ich zuckte nur ausweichend mit den Schultern, schniefte um die aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Eine kleine Träne löste sich trotzdem aus meinem Auge.

Sie war anders als die Dutzenden davor.

Sie war die schönste Träne die je vergossen hatte.

Sie war eine Träne der Liebe.

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