21. Kapitel


Luke's P.o.V.

Alles war vergessen, als ich ihn erblickte. Mein Kopf war wie leer gefegt.
Das unbeschreiblich schöne Gefühl, als Zack mich geküsst hatte, die Enttäuschung, als er sagte, dass er mich nur wegen Leonora geküsst hatte, das Liebesdrama von Vanessa und Robin, all dies war ohne Bedeutung. Das einzige was zählte, war dieses abscheuliche Wesen,das vor mir stand.
Dieser Mann, der mir früher alles bedeutet hatte, der Mann für den ich alles getan hätte, er war der, zudem ich immer aufgeblickt hatte, ich hatte ihn vergöttert.
Doch nun war er der Mensch, den ich auf dieser Welt am meisten hasste.

Oft hatte ich darüber nachgedacht was ich ihm sagen würde, wenn ich ihn mal wieder sehen würde. Dass ich ihm, ohne ein Wort zu sagen einfach eine reinhauen würde, hatte ich nie als Möglichkeit in Betrachte gezogen, doch bei dem Anblick, wie er seine schmerzenden Wange hielt und sich jammernd vor Schmerzen krümmte, fand ich, ich hatte eine gute Entscheidung getroffen. Es hatte verdammt gut getan seinen Frust einmal rauszulassen und er hatte es auf jeden Fall verdient, auch wenn meine Hand nun ziemlich schmerzte. Ich hätte ihn schon damals eine reinhauen sollen, doch leider war dieses feige Schwein einfach abgehauen, hatte seine schwangere Frau, seine neun jährige Tochter und seinen zwölf jährigen Sohn zurückgelassen. Im Nachhinein betrachtet war es jedoch die beste Entscheidung, die er jemals getroffen hatte.

Von hinten umklammerten mich starke Arme, ohne hin sehen zu müssen, wusste ich, das es Max war, der mich so versuchte davon abzuhalten weiter auf meinen Erzeuger einzuschlagen. Er war der Einzige, der wusste was damals wirklich bei uns zuhause abgegangen war.

Langsam richtete mein Erzeuger sich auf, seine Wange war Feuerrot und schon jetzt leicht geschwollen.
„Ich glaube das hatte ich verdient...", sprach er leise.

„Glaub mir, dass war nicht mal ansatzweise was du verdient hast!", knurrte ich immer noch von der rasenden Wut besessen.

„Ich weiß." Niedergeschlagen blickte er zu Boden. Bedauern lag in seinem Blick .
Oh Nein! Er würde jetzt nicht einen auf ‚Es tut mir so leid, ich wollte das nicht, ich bereue es' machen. Es war zu spät. Er kam genau fünf Jahre zu spät.

„Luke, hör zu, du musst mir glaube, es tu..." begann er.

„Wag es nicht dich zu entschuldigen! Nicht nach all dem! Keine deiner lausigen Entschuldigungen kann das wieder gut machen." Ich wandte mich in Max Armen, am liebsten wollte ich ihm noch ein verpassen. Einfach damit er seine elende Klappe hielt!
Wie konnte er es wagen, nach fünf Jahren wieder hier aufzutauchen und sich zu entschuldigen? Für mich war mein Vater schon lange gestorben!

„Ich versteh, dass ihr mir nicht so leicht vergeben könnt. Ich habe damals wirklich scheiße gebaut!" flehend sah er mich aus denselben grauen Augen an, wie ich sie besaß.

„ ‚Scheiße gebaut' trifft es nicht mal annähernd!" Meine Stimme war bedrohlich ruhig geworden.
„Max du kannst mich nun loslassen! Ich schlage diesem... Ungetüm schon keine mehr rein. Er hat es nicht verdient, dass ich mir die Finger an ihm schmutzig mache!" Zögernd löste Max seinen Klammergriff von mir, so als würde er erwarten, dass ich jede Sekunde wieder auf ihn losgehen würde. Auch in dem Blick meines Erzeugers lag ein wenig Angst, doch als er sah, dass ich ruhig blieb begann er erneut zu reden: „Luke... Du warst damals noch so jung... zu jung, um das alles zu verstehen!"

Ungläubig sah ich ihn an. Er besaß wirklich die Frechheit mir zu sagen, ich wäre zu jung gewesen, um das zu verstehen? Ich war zwölf ! Ich war zwar noch ein Kind, doch hatte ich mehr verstanden, als gut für mich war.

Ich machte einen Schritt auf ihn zu. Ich war mir sicher, dass man den Hass in meinen Augen aufflackern sehen konnte. Unbehaglich schluckte er, sah sich hilfesuchend um, während er einen Schritt nach hinten trat. Bedrohlich baute ich mich vor ihm auf, dass ich ihn mittlerweile um ein paar Zentimeter überragte, bestärkte die Wirkung nur noch. Kleine Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn.
Er war genauso erbärmlich wie damals!

„Ich war also zu jung? Zu ‚jung' um mich um meinen arbeitslosen, drogenabhängigen Vater zu kümmern? Zu ‚jung' um mitzubekommen wie meine schwangere Mutter Überstunden gemacht hat, damit wir über die Runden kommen, während du faul auf dem Sofa lagst? Erzähl mir hier nicht, dass ich für irgendetwas zu jung war! Das kannst du jemand anderem erzähle,  aber nicht demjenigen der dich damals vom Bahnhof eine halbe Stunde nachhause schleppen musste, weil du mal wieder zu high warst um gerade laufen zu können! Ich habe alles mitbekommen! Ich habe Mama jeden Abend weinen gehört, weil sie nicht wusste wie sie das alles schaffen sollte. Ich war es der am Ende des Monats, wenn wir kaum noch etwas zu essen hatten, alles an meine Schwester abgegeben hat, damit wenigstens sie nicht hungern musste!" Ich war immer lauter geworden, mir war egal wer mich hörte. Früher war mir das peinlich gewesen, deshalb hatte ich niemanden davon erzählt, nur Max hatte es herausgefunden, doch heute kümmerte es mich nicht mehr was die Anderen dachten.

„Das war auch keine gute Zeit für mich! Ich habe trotzdem immer versucht mein Möglichstes zu tun um euch etwas zu bieten!", versuchte er sich zu verteidigen.

Humorlos lachte ich auf. Die Wahrheit zu verdrehen, sodass er nicht schlecht da stand, dass konnte er schon immer.

„Oh, natürlich! Wie konnte ich auch nur deine äußerst selbstlosen Taten vergessen? Zum Beispiel, als du unser gesamtes Erspartes im Spielkasino verloren hast. Oder als du mich gezwungen hast den ganzen Tag auf dem kalten Boden in der Fußgängerzone zu sitzen und Passanten um etwas Geld anzubetteln! Dann wäre da noch deine spitzenmäßige Idee deinen zwölfjährigen Sohn im Supermarkt klauen zu schicken!
Weißt du was das Traurigste an allem ist? Du warst immer noch mein Vorbild! Ich habe all das nur getan, weil ich immer noch zu dir aufgesehen habe. Bis du es zu weit getrieben hast. Du hast eine Grenze überschritten! Sag mir wie krank muss man sein, um seine neunjährige Tochter auf den Strich anschaffen zu schicken? Wäre damals nicht die Polizei gekommen und hätte sie gefunden, wer weiß was sonst noch alles passiert wäre!
Du hast keine Ahnung wie oft Caro schreiend aufgewacht ist, weil sie geträumt hatte du hättest sie wieder allein in dieser dunklen Gasse zurück gelassen mit diesen komischen Männern! Du hast keine Ahnung, wie Mam sich gefühlt hat, als die Polizei angerufen hat, um ihr mitzuteilen, dass ihre kleine Tochter auf dem Straßenstrich gefunden wurde!

Das Wort Verachtung beschreibt nicht mal annähernd was ich für dich empfinde. Und trotz allem tauchst du wieder hier auf! Und du glaubst doch tatsächlich, dass das alles einfach so vergessen wäre, mit einer geheuchelten Entschuldigung?"
Wütend wischte ich mir die Träne weg, die sich, während ich gesprochen hatte, aus meinem Auge gestohlen hatte. Ihm endlich alles ins Gesicht sagen zu könne, die ganzen unterdrückten Gefühle rauslassen zu können, tat verdammt gut.

Als die Polizei Caro damals ganz allein und verängstigt aufgefunden hatte, war mein Vater wie vom Erdboden verschwunden, seitdem hatte er sich nicht mehr blicken lassen. Meine Mam hatte, dank des ganzen Stresses mit ihrem Mann, vorzeitige Wehen bekommen und kurzzeitig sah es so aus als würde sie das Baby vielleicht verlieren. Zum Glück konnte die Ärzte Mia retten, sie kam zwar drei Wochen zu früh zur Welt doch ansonsten war sie gesund. Nicht auszumalen was wir ohne unseren kleinen Sonnenschein machen würden.

„Ich bin eigentlich nur da, weil mich deine Mutter kontaktiert hat."
Sein Gesicht war dem Boden zugewandt. Er traute sich nicht mir in die Augen zu sehen, er war schon immer feige gewesen.

„Und wieso sollte sie so etwas tun?" Ich glaubte ihm nicht. Bestimmt war es nur wieder ein abgekartetes Spiel von ihm.

„Sie sagte nur, dass sie etwas mit mir zu besprechen hat." Antwortete er, immer noch zu Boden schauend. Ein verächtliches Schnauben kam über meine Lippen.

„Er sagt die Wahrheit, Luke.", erklang eine sanfte Stimme hinter meinem Rücken. Ich drehte mich zu meiner Schwester um, die einige Meter hinter mir stand und unseren Vater mit einem kalten Gesichtsausdruck musterte. Kurz huschte mein Blick zu den anderen zwei Gestalten, die neben ihr standen. Vanessa hatte diesen mitleidigen und auch ungläubigen Blick drauf, der mir verriet, dass sie alles gehört hatte, was ich gesagt hatte. Zacks Gesichtsausdruck war irgendwie unergründlich, ich konnte keine Emotion erkennen, ich war mir nicht sicher, ob das positiv oder negativ war. Ich vermutet aber, dass er einfach gerade erkannt hatte, dass er seine Zeit nicht mit einem armseligen Jungen wie mir verschwenden sollte. Übelnehmen konnte ich es ihm nicht.

„Was will sie von ihm?", fragte ich meine Schwester.
„Hat sie nicht gesagt. Aber ich denke wir wissen beide, was sie von ihm will.", erwiderte sie und warf mir einen verschwörerischen Blick zu.

Mit einem Nicken signalisierte ich ihr, dass ich verstanden hatte. Sie wollte mit ihm über die Zukunft reden. Mam wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, ich vermutet stark, dass sie ihn bitten wollte uns zu helfen, wenn es soweit war.
Aber das konnte sie sich abschminken. Nie im Leben würde ich Hilfe von diesem Menschen annehmen.

Da leckte ich doch lieber den Fußboden in der U-Bahn ab!

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