Valaina und der König
Etwa vier Stunden waren seit der Ansprache des Königs vergangen. Seine Besprechung mit den Botschaftern aus dem Norden war nun ebenfalls vorbei. Neue und besorgniserregende Nachrichten waren gebracht worden, die schnelles Handeln erforderten. Dennoch hatte Thranduil seine Entscheidung bis zum nächsten Morgen aufgeschoben. Im Dunkeln der Nacht, mit wenig Schlaf und unter Einfluss von starkem Wein sollte man keine schwerwiegenden Befehle erteilen.
Die Königin, hatte sich indessen bereiterklärt die Größe der Armee abzuschätzen, die so kurzfristig zusammengerufen werden konnte. Auch in ihrem Kopf waren große Zweifel, doch sie würde sie in wenigen Stunden mit ihrem Mann genauer besprechen, jetzt war nicht die Zeit dafür.
So kam es, dass König Thranduil alleine zurück zu seinen Gemächern ging. Alles war ruhig und in seinem eigenen Palast musste er sich vor nichts fürchten.
Kurz vor dem Eingang in seine Gemächer, kam er an einer großen, angelehnten Tür vorbei. Die klare Stimme eines jungen Mädchens ließ ihn anhalten. Sie sang ein altes Lied von Verderben und großen Flammen, die ganze Städte verschlangen.
Die Stimme war rein und klar und hatte etwas an sich, das den König weiterhin zögern ließ.
Er kannte das Lied nicht (was ihn nur noch neugieriger machte) und als er dachte, dass es gleich zu Ende sein würde, da trat er näher und öffnete leise die Tür. Die Galerie der Könige lag dahinter, ein Raum, der mit Bildern der großen Herrscher und ihren Familien geschmückt war.
Zu solchen Festen war er kaum besucht, zumindest nicht von gewöhnlichen Gästen. Diese Besucherin war ein sehr junges Mädchen, alleine, mitten auf dem goldenen Teppich und ein Bild ansingend. Es war das Porträt von Maeglin, dem Sohn von Aredhel, der Schwester König Turgons von Gondolin. Seine dunkle Erscheinung hob sich von den meisten anderen in diesem Raum ab. Er besaß schwarze Haare, schwarze Augen und war groß und blass, wie sein Vater vom Volk der Dunkelelben.
Das Mädchen jedoch war im krassen Gegensatz dazu von graziöser Schönheit mit ebenholzfarbigem Haar, blauen Augen und ihrem schneeweißen Gewand, um das ein weißer Schein von Licht lag, den Thranduil sich nicht erklären konnte. Ihre Haut war blass, doch nicht kränklich wie die Maeglins, sondern cremig wie Milch. Es schien wie ein Spiel aus Gut und Böse zwischen den beiden.
„Ich kenne dieses Lied nicht", sprach der König, als sie verstummt war. Wenngleich die Kleine sich seiner Anwesenheit nicht bewusst gewesen war, erschrak sie nicht, sondern senkte bloß langsam ihren Kopf. Wie ein Gedanke, der nur für einen Moment greifbar schien, verließen sie einige Erinnerungen und sie wusste zwar, dass sie gesungen hatte, doch konnte den Text nicht mehr wiederholen.
„Es ist alt und findet seinen Ursprung im Weiten Westen dieser Welt", sagte sie leise und schloss kurz die Augen. Es war eine seltsam erwachsene und melodische Stimme, die aus dem kleinen Mädchen sprach.
„Wie lautet dein Name?", fragte Thranduil, in dessen Kopf sich bereits Vermutungen bildeten, doch in dem Moment sprang die Elbin auf die Füße und blickte in großem Staunen den hochgewachsenen König, gewandet in glitzerndem Silber und strahlendem Weiß, an. Auf seinem blonden Haarschopf lag eine Krone, bestückt mit roten Beeren, weißen Vögeln und kahlem Geäst.
„Valaina ist mein Name, Tochter von Maruvan, dem Schmiedemeister", stellte sie sich mit leuchtenden Augen vor. Ihre Stimme war wieder zu der kindlichen Höhe zurückgewechselt. Nervös spielte sie mit den Fingern.
Thranduil wusste genau wen Maruvan zur Frau hatte und sein Blick wurde etwas weicher. Er kannte Valanya, sie war bei den Verhandlungen vor einhundert Jahren dabei gewesen und hatte sich gut mit seiner Frau verstanden.
„Und was tust du hier so ganz alleine? Um diese Uhrzeit solltest du nicht ohne deine Eltern durch den Palast streifen."
Die Kleine reckte das Kinn in die Luft und sah ihn stolz an. „Ich bin alleine den ganzen Weg hierhergereist. Meine Schwester ist hier irgendwo, doch ich habe sie noch nicht gefunden", sagte sie mit einem Funkeln in den Augen.
„Das war mutig von dir, doch genauso leichtsinnig. Du solltest bei deiner Schwester sein, wie lautet ihr Name?", fragte Thranduil streng, wobei er sie insgeheim etwas bewunderte. Noch nie hatte er von jemandem in diesem jungen Alter solch ein Standhaltevermögen erlebt. Er wusste um das Dorf, in dem sie lebte und es war eine mehrtägige Reise dorthin. Alleine die Planung mit genügend Essen und Trinken war für gewöhnlich nichts, was ein kleines Mädchen begreifen könnte.
„Aber ich bin noch gar nicht fertig mit meiner Erkundung", widersprach Valaina, schmollte kurz und drehte sich blitzschnell um. Der König war es nicht gewohnt Elben hinterherlaufen zu müssen – sprichwörtlich genauso wenig wie buchstäblich. Überrascht setzte er sich in Bewegung, als das kleine in Weiß gekleidete Mädchen auf eine Tür am anderen Ende des Raumes zusteuerte.
„Valaina!", versuchte er noch sie aufzuhalten, doch schon war sie durch die Tür verschwunden.
Hinter ihr lag ein kleines Zimmer mit einem runden Holztisch, um den sechs Stühle standen, einem Kamin (der wie jeder andere zu dieser Jahreszeit durchgängig brannte) und einem weitläufigen Balkon, auf dem der Schnee glitzerte.
Als Thranduil eintrat, hatte Valaina sich bereits auf das Essen auf dem Holztisch gestürzt. Sie hatte den letzten Tag ganz vergessen zu Essen, so eingenommen war sie von den vielen neuen Eindrücken gewesen. Ein kleines Törtchen hatte sie im Mund und zwei weitere in den Händen, als sie schnell zurückwich, wie der viel größere Elb eintrat.
„Wie wäre es", mampfte sie durch das Essen hindurch. Sie pausierte und schluckte erst hinunter, bevor sie weitersprach: „Mit einer Schneeballschlacht?"
Thranduil war so perplex, dass er bloß den Mund ein Stück weit öffnete.
„Legolas ist noch nicht sehr alt. Eure letzte Schneeballschlacht kann nicht so lang her sein", lachte Valaina und hüpfte schon auf die Terassentür zu, die sie unter großer Mühe öffnete. Ihr kluges Köpfchen hatte sich schon vor einer Weile zusammengereimt, dass der Legolas, der vor ein paar Wochen in ihrem Dorf gewesen war, in Wahrheit der Prinz des Waldlandreiches war. Doch es hatte sie nicht groß gestört oder interessiert.
„Könige beteiligen sich nicht an derartigen Aktivitäten", fand er endlich seine Stimme wieder und blieb, wo er war. Wenngleich sein Gesicht so kalt war wie eh und je, musste er innerlich über das energiegeladene Mädchen lächeln. Sie erinnerte ihn tatsächlich an seinen Sohn in diesem Alter. Etwas vermisste er die Leichtigkeit, mit der er damals mit ihm umgehen hatte können.
„Angst zu verlieren?", antwortete sie und hatte schon einen Ball mit ihren kleinen Händen geformt. Herausfordernd warf sie ihn einige Male in die Höhe.
Als er abermals widersprechen wollte, verdrehte sie die Augen und warf ihn einfach hinein in das Zimmer und auf seinen silbernen Mantel. Thranduil sah überrascht auf und rührte sich für einige Sekunden nicht, bis ein zweiter Ball geflogen kam.
Endlich brach ein verspieltes Flackern in den kühlen blauen Augen des Elben durch und mit wenigen schnellen Schritten kam er auf die Terrasse hinaus.
In dieser späten Jahreszeit gab es keine Tische auf der Plattform, hinter denen man sich hätte verstecken können. Die einzige Chance, die man hatte, war rechtzeitig zur Seite zu springen.
Der Neuschnee war perfekt für die Wurfgeschosse und einige letzte Flocken fielen immer noch vom Himmel. Das Lachen der beiden war das einzige Geräusch in der weit vorangeschrittenen Nacht. Auch den König traf unerwartet einiges an Schnee, Valaina hatte eben mehr Übung als er in diesem Spiel. Natürlich hielt er sich etwas zurück, doch weniger, als er gerne zugegeben hätte. Legolas war in diesem Alter tatsächlich noch nicht so gut gewesen. Davon abgesehen hatten sie sonst immer in den Gärten gespielt, wo es genug Büsche und Bäume zum Verstecken gab.
Nach einigen Minuten fing Valaina an etwas zu zittern. Ohne Handschuhe waren ihre weichen, kindlichen Hände der eisigen Kälte ungeschützt ausgesetzt und außerdem hatte sie wohl nicht so weit gedacht einen Wintermantel zu einem Winterfest mitzunehmen. Hier im Palast war es überall warm, wodurch es ihr bis jetzt noch nicht aufgefallen war, doch nun merkte sie die Temperatur an ihren Armen und Beinen nagen.
Auch Thranduil fiel auf, wie sehr das Mädchen zitterte, weshalb er noch einem ihrer Geschosse auswich und dann stehenblieb.
„Wir sollten hineingehen", sagte er und schüttelte etwas den Schnee von sich ab.
„Ihr gebt Euch geschlagen?", fragte Valaina, deren Zähne schon etwas klapperten. Der Elb lächelte und nickte. Er war alt genug, um derartige Niederlagen eingestehen zu können, obwohl er sie hätte verhindern können. Sie sollte nicht frieren müssen.
Unerwartet schnell huschte die Kleine nach drinnen und vor den Kamin, wo sie sich die Hände rieb.
Der König lächelte, schloss die Tür hinter sich und zog den silbernen Umhang aus, der (wie der elbische Stoff es an sich hatte) nicht mehr nass oder kalt war. Wie weiche Seide schmiegte er sich an die empfindliche Haut des Mädchens, als er ihn um sie wickelte. Nur noch die beiden großen blauen Augen und ein Teil der dunkelbraunen Haare schaute aus dem Haufen aus silbernem Stoff hervor.
„Danke", murmelte sie gedämpft. Er schnaubte belustigt bei dem Anblick und setzte sich neben sie auf den kleinen Teppich vor dem Kamin. Es war lange her, seit er das letzte Mal auf dem Boden gesessen war.
„Hat Legolas deine Schwester und dich eingeladen als er in eurem Dorf war vor ein paar Wochen?", fragte er mit Blick auf die tanzenden Flammen. Valaina hatte schnell aufgehört zu zittern, der Umhang wärmte sie gut.
„Meine Schwester, ja. Ich hatte angenommen, dass die Einladung für die ganze Familie gilt, immerhin kannte er auch meine Mutter augenscheinlich sehr gut", antwortete sie und zuckte mit den Schultern (was von außen kaum zu erkennen war).
„Was meinst du damit?" Thranduil konnte und wollte nicht glauben, dass sein Sohn so einfach über die geheimen Verhandlungen gesprochen hatte, und dann auch noch mit einem so jungen Mädchen.
„Ich habe sie reden sehen. Warum habt Ihr überhaupt Euren Sohn so weit fortgeschickt?", wechselte sie unschuldig das Thema.
Er lächelte als er das bemerkte, doch beschloss es dabei zu belassen.
„Ich will dich nicht mit Politik langweilen, Kleine."
Sofort legte sie beleidigt die Stirn in Falten.
„Ich entscheide immer noch selbst, was mich langweilt. Außerdem ist Legolas doch noch viel zu jung, um so tief in Politik verwickelt sein zu können."
„Er ist ein Prinz, er wurde schon so geboren", antwortete der König ruhig und sah wieder zu Valaina, die nun auch kurz schwieg. Eingehüllt in dem weichen Stoff und von der Wärme betört, übermannte sie langsam die Müdigkeit. Auf der Reise zum Palast hatte sie nur wenig Schlaf bekommen und der vergangene Tag war sehr aufregend gewesen.
Sie gähnte ausgiebig, worauf das Lächeln des Elben ein wenig breiter wurde.
„Schlaf ruhig. Morgen ist auch noch ein Tag", sagte er leise, während ihr bereits die Augen zufielen.
Beschützt an der Seite des Königs und gemütlich gebettet in seinem Umhang fiel sie in einen tiefen Schlaf mit vielen schönen Träumen von hohen Räumen gefüllt mit Blumen, Gemälden und Essen so viel das Herz begehrte.
Am nächsten Morgen wurde Valaina von gedämpften Stimmen geweckt. Sie blinzelte einige Male und sah sich etwas verwirrt um. Thranduil oder eine seiner Wachen musste sie weggetragen haben, denn sie lag nicht mehr vor dem Kaminfeuer und auch nicht mehr eingerollt in dem weichen silbernen Mantel. Stattdessen war sie umgeben von wunderbar seidenen Polstern und Decken, in einem Doppelbett, das für das kleine Mädchen viel zu groß war.
Als sie ihren Blick durch das Zimmer wandern ließ, stellte sie fest, dass es ein Gästezimmer im königlichen Trakt sein musste. Es war reichlich verziert, doch nicht so persönlich, als dass es ein privates Gemach sein könnte.
Ihre empfindlichen Ohren vernahmen wieder die Stimmen, die sie geweckt hatten. Sie waren sehr leise und drangen nur schwach durch die angelehnte Tür.
Getrieben von Neugier, kletterte Valaina aus dem Bett und zupfte sich etwas ihr weißes Kleid zurecht, das durch den Schnee der letzten Nacht und nun auch noch den Schlaf sehr zerknittert worden war.
Auf leisen Füßen schlich sie zu der Tür und wagte einen Blick in den nächsten Raum. Er war leer. Kurzentschlossen huschte sie zur nächsten Tür, die geschlossen war, doch hinter welcher zweifellos der Ursprung der Stimmen lag.
„Sechstausend? Das wird niemals ausreichen", hörte sie die unverkennbare Stimme des Königs.
„Das ist nur so viel, wie ich über die Nacht herausfinden konnte. Wenn wir den Weg durch die großen Städte im Waldlandreich nach Westen nehmen, werden sich mit Sicherheit noch einige mehr anschließen", widersprach eine weiche, melodische, doch sehr entschlossene Stimme, die Valaina nie gehört hatte, doch sie konnte sich denken zu wem sie gehörte: der Königin. In diesem Ton würde sich kein anderer trauen mit Thranduil zu sprechen.
„So viel Zeit haben wir nicht. Je größer die Armee, desto langsamer können wir uns fortbewegen, selbst durch unser eigenes Reich."
„Willst du die Allianz so einfach aufgeben?"
Für einige Sekunden herrschte Stille. Mit flachem Atem stellte Valaina sich neben die Tür, sodass sie zumindest nicht sofort entdeckt werden würde, falls sie geöffnet wurde.
„Was bringen uns die Weisheit, die Waffen und der Reichtum des Blauen Volkes, wenn wir diesen Krieg verlieren?", antwortete der König schließlich.
„Wir werden ihn nicht verlieren. Wir sind Elben, die meisten unserer Krieger haben schon im Letzten Bündnis gekämpft, so auch wir beide. Und Zwerge sind oftmals unerwartet stark, wenn es darum geht ihre Heimat zu verteidigen, das weißt du am besten."
Wieder folgte eine lange Pause.
„Nun, gut. Dann müssen wir schnell reagieren. Das Winterfest muss abgebrochen werden und die Armeen sofort zusammengerufen. Die Gäste, die bereit sind zu kämpfen, ohne zuvor nach Hause zurückzukehren, werden mit der hier lagernden Rüstung ausgestattet."
Die Königin gab noch etwas zur Antwort, doch Valaina hatte ich sich bereits abgewandt und war zu ihrem Bett zurückgerannt. Ihre Angst entdeckt zu werden war zu groß geworden und das Wichtigste hatte sie bereits gehört.
Mit weit aufgerissenen Augen und schnellem Atem kuschelte sie sich wieder in die weißen Laken. Ein echter Krieg stand kurz bevor und sie kannte ihre Schwester gut genug, um sagen zu können, dass sie sich das nicht würde entgehen lassen.
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