Im Lager
Es fühlten sich an wie viele Stunden, die Vilya still an dem Feuer wartete. Niemand sprach mit ihr, bloß einige interessierte Blicke wurden hin und wieder auf sie geworfen. Sie war jung und sah vermutlich etwas verängstigt und verlassen aus. Nichts, was am Vorabend einer Schlacht sehr oft zu sehen war. Die Soldaten aßen und tranken gut, sangen Lieder, um ihre Laune aufzufrischen und sprachen nicht über das, was sie zu Sonnenaufgang erwarten würde. Eine Schülerin, die aus unerfindlichen Gründen in letzter Minute im Lager aufgetaucht war, passte ihnen nicht sonderlich in den Kram. Außerdem hatte sich herumgesprochen, dass sie zu Prinz Faenen gehörte, der es nicht mochte, wenn man sich in seine Angelegenheiten einmischte.
Gerade, als einige Elben beschlossen hatten mit ihr zu reden, kamen Faenen und Legolas um die Ecke gebogen.
„Ich habe wirklich nicht die Zeit dafür, Faenen", brummte Legolas gerade etwas genervt. Vilya stand mit dem Rücken zu ihnen und starrte nachdenklich in die Flammen. Sie hatte sich immer noch nicht genau überlegt, was sie ihm denn sagen wollte.
„Die wirst du dir noch nehmen", antwortete Faenen und die beiden blieben stehen.
„Wer ist das? Ein Botschafter?", seufzte der Königssohn, worauf Vilya etwas lächeln musste. Sie hatte seine Stimme vermisst, so genervt sie im Moment auch klingen mochte.
„Besser", erwiderte sein Cousin, worauf die Elbin sich umdrehte. Wie oft sie diesen Moment auch erträumt hatte, war es nun doch eine unerwartet große Wucht an Gefühlen, die sie nun, wie eine Keule, traf. Legolas war gekleidet in gold-grün schimmernder Rüstung, seine blonden Haare wehten in der leichten Briese, die der Zauber der Elben nicht hatte abhalten können vom Sturm, seine blauen Augen blitzten wie die eines wahren Kriegers und seine Erscheinung war so groß und kräftig, wie sie sie noch nie gesehen hatte.
„Vilya", hauchte der Elb ungläubig und verlor etwas von seiner strammen Haltung. Seine Gesichtszüge entgleisten ihm für einen Moment.
„Legolas", lächelte sie bloß. Er tat einen Schritt auf sie zu, bevor er realisierte, wo sie waren und was das zu bedeuten hatte. Schockiert und in Unglauben sah er zu Faenen, der seine Hände am Rücken faltete und kein Wort sprach.
„Wie lange ist sie schon hier?", fragte Legolas, doch der Gefragte hatte immer noch nicht vor zu antworten.
„Wenige Stunden", nahm Vilya es ihm ab und kam näher.
Der Prinz sah zwischen den beiden hin und her, bis er den Kopf senkte und sich abwandte.
„Ich kann das hier nicht." Und damit ging er auch schon eilig davon.
Faenen schnaubte belustigt und wartete einige Sekunden.
„Hätte schlimmer gehen können", lächelte er amüsiert. Vilya sah ihn ungläubig an.
„Komm schon." Er drehte sich um und deutete ihr ihm zu folgen.
Schweigend schritten sie durch das Lager, bis sie zu weißen Zelten kamen, die goldene Umrandungen besaßen. Einige Meter weiter sah Vilya den König in seiner silbernen Kampfrüstung und mit tiefrotem Umhang mit einem Zwerg sprechen, doch Faenen versperrte ihr schnell die Sicht, indem er ihr den Vorhang zu einem der Zelte aufhielt.
„Ich werde sehen, dass ihr nicht gestört werdet", sprach er leise und nickte hinein.
Die Elbin atmete tief durch und trat ein.
„Was tust du hier, Vilya?", fragte Legolas, der offenbar gewusst hatte, dass sie ihm folgen würde. Er stand mit verschränkten Armen am anderen Ende des Zeltes und sah ihr fest in die Augen.
„Wenn du kämpfst, kämpfe ich auch, schon vergessen?", antwortete sie leise, doch schaffte es nicht den Blickkontakt aufrechtzuerhalten.
Er löste seine Haltung und kam langsam auf sie zu.
„Du bist vor meinen Wachen geflohen, hast einen direkten Befehl ignoriert...", begann er aufzuzählen, doch Vilya trat ihm bloß einen Schritt entgegen und umarmte ihn.
Mit dem Kopf an seiner Brust schloss sie kurz die Augen und murmelte: „Es ist schön dich zu sehen."
Legolas atmete die wütend angestaute Luft aus und legte auch seine Arme sanft um sie.
„Du kannst nicht hier sein", sagte er leise. Sie trennte sich etwas von ihm und sah auf in seine Augen.
„Du auch nicht."
Er lächelte und fuhr über ihre Wange.
„Ich habe schon viel zu oft mit meiner Mutter darüber gestritten. Deine Ankunft hier wird nichts an meinem Entschluss ändern." Seine Stimme war ruhig, doch endgültig.
„Warum ist Faenen so überzeugt davon, dass du sterben wirst?", fragte Vilya einfach.
„Darum geht es nicht. Er will nur das Risiko nicht eingehen", er pausierte und seufzte, während er sich noch einmal überlegte, ob er den wahren Grund preisgeben wollte. „Es geht um eine Prophezeiung, die er aufgeschnappt hat, als er als Kind auf Reisen war."
Er nahm einen Schritt Abstand und wandte sich ab. „Sie besagt, dass ich der einzige Prinz bleibe und wenn das der Fall ist und ich in der Schlacht erschlagen werde, so würde das Erbe des Reiches an seinen Vater und dementsprechend auch an ihn weitergehen."
„Und was wäre daran so schlimm?"
Legolas sah wieder zu ihr und schnaubte belustigt. „Um dir das zu erklären, müsste ich zu tief in Familienbelange eingehen."
Vilya nickte und senkte betroffen den Blick. Es schmerzte sie, dass er nicht ehrlich sein konnte, dass er ihr nicht vollends vertraute.
Legolas trat wieder vor sie und nahm ihre Hand in die seine.
„Eines Tages wirst du das alles verstehen. Diese Schlacht, Faenen und sein Schicksal und sein Glauben, das ist alles tief verworren mit der Geschichte eines anderen Volkes. Ein Volk, das sich ungezählte Jahre aus den Kriegen dieser Welt herausgehalten hat. Ich verstehe selbst vieles davon noch nicht so ganz, deswegen kann ich es dir auch nicht erklären. Ich weiß nur, dass ich morgen diese Schlacht an der Seite meines Vaters schlagen werde."
Die Elbin senkte den Blick und schluckte schwer. Was konnte sie noch sagen, um ihn umzustimmen?
„Vilya", sie sah zu ihm auf, „du wirst meinen Wachen einfach wieder entwischen, wenn ich dich hier zurücklasse, oder?"
Sie lächelte und nickte. Er hob seine Hand zu ihrem Gesicht und fuhr sanft durch die ebenholzfarbigen Haare.
„Dann muss ich dir wohl einfach vertrauen."
Damit beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie zart. Vilyas Finger legten sich vorsichtig an seine Brust. Die Wärme ging ihr bis in die Knochen und das Gefühl von Sicherheit ließ sie die Strapazen der letzten Tage vergessen. Was auch immer morgen passieren würde, diese letzten Momente mit ihm waren die Reise und den Stress wert gewesen.
„Ich will das hier nur ungern stören, aber die Truppen sammeln sich", unterbrach sie eine tiefe, ruhige Stimme hinter Vilya. Die beiden trennten sich.
„Ich werde auf mich aufpassen, wenn du es auch tust", flüsterte die Elbin leise. Er lächelte und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann wandte sie sich ab, nickte Faenen knapp zu und verließ das Zelt.
„Weißt du, was du da tust?", fragte Faenen, sobald sie fort war, noch im Türrahmen stehend.
Legolas seufzte und schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Der König wird nicht erfreut sein", fuhr sein Cousin fort.
„Ich glaube ich liebe sie", sagte er leise, als wollte er es selbst nicht wahrhaben.
„Du weißt, was dich erwartet nach dieser Schlacht – egal, wie sie ausgeht."
Legolas schluckte schwer und konnte ihm immer noch nicht in die Augen sehen.
„Es ist besser, du beendest es früher als später – für euch beide."
Faenen trat einen Schritt zurück, ließ den Vorhang fallen und entfernte sich von dem Zelt. Legolas ließ sich von ihm nicht gerne etwas sagen. Vermutlich würde er auch in dieser Sache seinen Rat ignorieren.
Faenen konzentrierte sich auf wichtigere Dinge und schlug den Weg zum großen Zelt des Königs ein. Die Besprechung mit dem Anführer der Zwerge war noch nicht vorbei gewesen.
Als er eintrat, blieb er wie vom Schlag getroffen stehen. Außer Durin V., seinen beiden Söhnen, dem Bruder von König Thranduil und dem elbischen Königspaar stand da noch eine Person an dem hölzernen Tisch. Sie war in einen dunkelgrauen Umhang gewandet, den sie einen Spalt geöffnet hatte. Darunter und im Inneren der ausgestopften Kapuze schimmerte es in einem dunklen Blau. Die blonden Haare fielen lang und gelockt über den monotonen Stoff, ihre Augen leuchteten in den Farben des Himmels, die Lippen waren schmal und etwas verärgert angespannt. Ihr Blick schien Faenen förmlich zu durchbohren. Von gut zwei Köpfen über dem Prinzen starrte sie auf ihn hinab.
„Luinmír", stellte Faenen atemlos fest. Die Elbin öffnete den Mund, um ihn mit harschen Worten aus dem Zelt zu werfen, doch Glânaew, der Bruder des waldlandländischen Königs, trat schnell einen Schritt vor: „Er ist mein Sohn, er wird bleiben."
„Er ist ein Spion", knurrte Luinmír durch geschlossene Zähne.
„Er ist der Grund, wegen dem wir hier stehen. Seine Freiheit wurde vor vielen Jahren mit der Prinzessin verhandelt. Wollt Ihr Euch über ihr Urteil hinwegsetzen?"
Die Botschafterin atmete tief durch und sah wieder zu Faenens Vater, der entschlossen den Blickkontakt aufrechterhielt.
„Lassen wir diese Zeiten ruhen", mischte sich nun auch Thranduil ein. „In wenigen Monaten wird die Allianz geschlossen werden, konzentrieren wir uns darauf."
Er stützte sich auf dem Tisch, um den sie standen, ab, womit er die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf die darauf liegende Karte lenkte. Sie zeigte den Gundabad in so viel Detail, wie Durin zulassen wollte. Er vertraute Elben nicht gerne, doch machte sich ihre Stärke zu Nutze, wenn es seinen Zwecken diente. Alle waren aus ihren eigenen Gründen hier.
Der elbische König ließ seinen Blick durch die Runde wandern.
„Luinmír hat ein Heer im Norden des Gundabad versteckt. Sie werden zwei Stunden nachdem wir unseren Angriff gestartet haben, dazustoßen, für das größtmögliche Überraschungsmoment."
Faenen verschränkte die Arme. „Wer führt es an?", fragte er kühl.
König Durin hob vielsagend seine Brauen und sah zu Luinmír, die Faenen wohl mit ihrem Blick getötet hätte, hätte sie es gekonnt.
„Du bist keine Kämpferin. Also wer führt das Heer an?", fuhr der Prinz fort, als sie nicht antwortete.
Erst auf ein Nicken Thranduils seufzte sie und antwortete: „Captain Arminas."
Während sie das sagte, sah sie dem jungen Elben fest die Augen. Er hielt dem Blick stand, doch einige Bilder seiner Kindheit blitzten in seinem Kopf auf. Nicht alle waren positiv.
„Die Prinzessin wird wissen, wen sie ihr Heer führen lässt", sprach Thranduil. „Es ist nicht unsere Aufgabe diese Entscheidung zu hinterfragen. Botschafterin Luinmír, Ihr werdet das vereinbarte Signal dem Captain ausrichten. Ich denke damit ist alles geklärt."
König Durin brummte zustimmend und richtete seine dicke silberne Rüstung, bevor er das Zelt verließ, seine beiden Söhne gleich hinter ihm.
„Dann werde ich mich ebenso zu meinen Leuten begeben", sagte Luinmír, neigte den Kopf und schlug wieder die Kapuze über.
Als sie an Faenen vorbeiging, hielt sie noch einmal an: „Halt dich in der Schlacht von meinen Leuten fern. Du magst eine Waldlandrüstung tragen, aber das ist noch keine Freikarte."
Glânaew, der Bruder des Königs, trat sofort vor, doch Faenen hielt ihn mit einem knappen Zeichen zurück. Ohne ein weiteres Wort verschwand die Botschafterin.
„Sie hat recht, Vater", murmelte Faenen leise und wandte sich ebenfalls zum Gehen.
„Faenen", hielt Thranduil ihn strickt auf. Er drehte sich etwas überrascht zurück. Thranduil hatte ihn nie vor dem Blauen Volk verteidigt oder ihm Mut gemacht in dieser Hinsicht.
„Ich will noch ein Wort mit dir wechseln – alleine." Glânaew und die Königin nickten knapp und ließen sie allein.
„Was weißt du über Captain Arminas?", fragte der König mit gesenkter Stimme.
Faenen zögerte und biss sich auf die Lippe.
„Er ist ein guter Kämpfer, im Blauen Volk zumindest."
„Du hast bereits gesagt, dass sie nicht die besten Kämpfer sind. Wie viel Unterstützung können wir wirklich von ihnen erwarten in der Schlacht?"
„Sie verfügen noch über einige Schmiedekünste lang vergangener Zeiten, doch sie sind ein Volk, das rennt, wenn es Probleme sieht. Sie trainieren nicht viel und legen mehr Wert auf Kunst und Wissen. Ihre Waffen mögen einiges von ihren fehlenden Fähigkeiten kompensieren, doch nicht alles. Außerdem werden sie unter keinen Umständen auf die Befehle von jemandem außerhalb ihres Volkes hören. Sie sind ein sehr stolz."
Der König nickte nachdenklich und senkte den Blick.
„Darf ich gehen?", fragte Faenen nach einigen Sekunden Stille.
Thranduil erlaubte es mit einer kurzen Handbewegung und sah wieder auf die Karte unter ihm.
Als Faenen nach draußen trat, waren bereits viele der Zelte weggeräumt worden. Die Feuer waren ausgestampft und ein Großteil der Armee außerhalb des Lagers gesammelt.
Ganz an der Spitze der Zwergen-Elben-Armee standen die drei Böcke des Zwergenkönigs und seiner Söhne, die vier weißen Pferde der Königin und der Prinzen und der große Elch des Königs, dessen Geweih so breit war, dass er noch ein kleines Stück weiter vorne stand als die anderen Tiere.
Die Zwerge waren bereits an ihrem Platz, so wie die Königin und Legolas. Glânaew musste noch etwas anderes erledigen, sein Hengst stand alleine an seinem Platz, den Blick aufmerksam auf das gerichtet, was vor ihm lag.
Wortlos stieg Faenen auf sein Pferd zwischen dem Legolas' und seines Vaters.
„Wie lange wird die Schlacht dauern?", fragte der Sohn des Königs leise. Auch an ihm schienen endlich Zweifel zu nagen. Vielleicht war es auch nur die Angst um seine Freundin, die irgendwo in den hinteren Reihen stand.
„Kommt darauf an, wie vorbereitet die Orks sind. Es war für eine lange Zeit ihr Reich und sie werden es zu verteidigen wissen. Andererseits hoffe ich nicht, dass wir durch die Nacht kämpfen müssen", antwortete Faenen, auf dessen Nase eine kleine Schneeflocke landete und schmolz. Der Wind war weitgehend abgeschwächt.
„Was würde mit der Allianz passieren, wenn wir die Schlacht nicht gewinnen?", fuhr Legolas mit seinen Fragen fort.
Faenen lächelte leicht und sah zu ihm. „Ich war ebenso ausgeschlossen aus den Verhandlungen, wie du, Legolas." Hinter dem blonden Jungen stand, einige Meter weiter, die Königin. Ihr Blick war sorgenvoll auf den Gundabad gerichtet. Sie hatte eine schlechte Vorahnung, eine, die auch Faenen beschäftigte, doch er hatte getan, was er konnte.
„Aber du kennst das Blaue Volk am besten. Du kannst einschätzen, wie sie reagieren würden", widersprach Legolas.
„Ich nehme nicht an, dass du aus rein politischen Gründen fragst, deswegen kann ich dir sagen, dass sie sich vermutlich zurückziehen und Valanya, Vilyas Mutter zurückrufen würden. Ich denke, dass Vilya ihr Schicksal teilen wird."
Faenen strich langsam über den Hals seines Pferdes. Den beunruhigten Blick seines Cousins konnte er im Nacken brennen spüren. Er verkniff sich einen Kommentar.
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