Allianzen
Es war bereits später Abend als Vilya aus dem Haus ihrer Eltern trat. Sie hatte sicherstellen wollen, dass ihrer Schwester keine schlimme Strafe drohte, doch zu ihrer Überraschung war ihr Vater die ganze Zeit bloß still dagesessen und hatte seine Frau sprechen lassen. Vilya wusste zwar nicht, was Legolas zu ihm gesagt hatte, doch es zeigte definitiv Wirkung.
Als sie nun auf ihr Haus zusteuerte, sah sie aus dem Augenwinkel einen ihr unbekannten Mann, was in diesem Dorf bereits als verdächtig galt. Doch bevor sie etwas tun konnte, wandte er sich bereits ab und verschwand in der Dunkelheit. Vielleicht war er ein weiterer Spion ihres Vaters, der ihm über den nahenden Krieg berichtete?
Sie kümmerte sich nicht weiter darum und ging zu ihrem Haus. Mit dem Besuch bei ihrer Familie hatte sie genug Zeit zum Nachdenken gehabt. Inzwischen glaubte sie die Puzzleteile zu einem ausreichend erkennbaren Bild zusammensetzen zu können. Legolas' außergewöhnliche Fähigkeiten beim Kämpfen, seine Art sich Respekt einzuholen, wie er Vilyas Vater so leichtfertig kontrollieren hatte können, und nun auch noch das Wissen über den Gundabad und wie er sich erlaubt hatte alleine ein Urteil über den Verbleib der Zwerge zu fällen. Das alles verbunden mit seiner Herkunft aus dem Palast konnte nur eines von zwei Dingen bedeuten: entweder er war ein sehr arroganter Adliger, oder, was wahrscheinlicher war, er war der Prinz höchstpersönlich.
Vilya war bei ihrem Haus angekommen und sperrte auf. Warum sollte der König seinen einzigen Sohn so weit wegschicken? In irgendein Dorf?
Sie hatte sich kaum umgezogen, als es bereits an der Tür klopfte. Sie konnte sich denken, wer das war.
Sie ließ sich Zeit mit dem Öffnen. Eigentlich war sie immer noch wütend auf ihn. Sie mochte Arroganz nicht, auch nicht, wenn sie gerechtfertigt war. Sie selbst hatte immerhin oft genug die Möglichkeit mit ihrem Wissen zu prahlen, doch hielt sich zurück. Wäre Legolas als Prinz hierhergekommen, wäre das etwas anderes gewesen, doch er hatte seine Identität absichtlich geheim gehalten. Also sollte er sich auch wie ein gewöhnlicher Schüler benehmen.
Tatsächlich war es Legolas, der mit ernster Miene und verschränkten Armen vor der Tür stand, als sie öffnete.
„Was willst du?", fragte Vilya, die die Tür nur so weit geöffnet hatte, dass ihr Kopf durchpasste.
„Antworten", erwiderte Legolas sofort.
„Vergiss es", brummte die Schülerin und wollte die Tür schon wieder schließen, doch mit unerwartet großer Kraft drückte Legolas sie wieder auf. Und nun so weit, dass er eintreten konnte.
„Das sind hochgeheime Informationen Vilya, so weit weg vom Palast solltest du nicht das Leiseste davon mitbekommen haben", sagte er ernst und drückte die Tür hinter sich zu, sodass er nicht wieder hinausgeworfen werden konnte.
„Warum sollte ich es dir sagen? Immerhin beantwortest du meine Fragen auch nicht", fuhr sie wütend zurück. Solange er es ihr nicht ins Gesicht sagte, war sie nicht bereit ihn als den Prinzen anzuerkennen.
Er seufzte und schien sich endlich etwas zu entspannen. „Du musst mir in der Sache einfach vertrauen, Vilya. Ich dachte wir hätten uns inzwischen etwas angefreundet?"
Sie lachte bitter und schüttelte den Kopf. „Freunde belügen sich nicht", presste sie hervor.
„Wann habe ich dich angelogen?", fragte er, in dem Wissen, dass er vielleicht oftmals Informationen zurückgehalten, doch niemals wirklich gelogen hatte.
„Du bist der Sohn des Königs", stellte sie einfach fest und verfolgte genau seine Reaktion. Er verstummte für eine Sekunde und atmete dann die angehaltene Luft aus.
„Wenn dem so wäre, glaubst du dann nicht, dass du mir besser antworten solltest?" Sie reckte das Kinn ein Stück in die Höhe.
„Solange ich keine Beweise dafür habe, nicht." Er schnaubte belustigt und beschloss sich auf das Spiel einzulassen.
„Woher bist du dir denn so sicher, dass ich der Prinz bin?"
„Du weißt über den Gundabad Bescheid."
„Das macht dich dann also zu einer Prinzessin?" Vilya wusste einen Moment nicht, was sie antworten sollte. Sie könnte alle ihre Argumente aufzählen und er würde sie widerlegen.
„Du weißt, dass das nicht alles ist. Ilmalca, mein Vater, deine Herkunft aus dem Palast und deine Kraft und Fähigkeiten. Das alles spielt einfach viel zu gut zusammen."
Sie stoppte und drehte sich Richtung Tür. Ihr war da gerade noch etwas eingefallen. „Und wenn ich hier hinausgehe, werde ich mit Sicherheit einige Wachen finden, die dein Wohlergehen sicherstellen. So wie die eine, die dir vorhin gemeldet hat, dass ich das Haus meiner Familie verlassen habe", sagte sie selbstsicher und legte bereits die Hand an den Griff, als Legolas schnell die seine an das Holz legte und damit so nah kam, dass Vilya bis an die Wand zurückwich.
„Das ist eine ernste Angelegenheit, Vilya." Die Elbin weigerte sich den Blickkontakt als erste zu brechen, so schwer es ihr auch fiel ihn aufrechtzuerhalten. Sie musste zugeben, dass sie sich etwas angezogen fühlte. Immerhin war er ein Prinz, gutaussehend, stark und endlich jemand, der sich gegen sie behaupten konnte. Sie konnte verstehen was Trîwen in ihm sah.
„Ich werde es dir erzählen, unter einer Bedingung", sagte sie schließlich.
„Warum sollte ich mich darauf einlassen?"
„Du hast selbst gesagt, wir wären Freunde geworden." Legolas lächelte schwach und wandte kurz den Blick ab. „Gut, sag schon", knickte er ein.
„Ich werde mit in die Schlacht ziehen", verlangte Vilya selbstbewusst. Das schwache Lächeln wuchs langsam weiter an, bis Legolas letztendlich kurz lachen musste und sich entspannte. Seine Hand glitt von der Tür neben der Elbin und er nahm wieder einen kleinen Schritt Abstand.
„Ich habe es dir für eine Sekunde wirklich geglaubt", lachte er und fuhr sich durch die Haare.
„Ich meine es ernst", sagte Vilya schnell und sah ihm entschlossen in die Augen.
Er beruhigte sich und musterte sie kurz. „Du bist noch nicht mal erwachsen und hast, geschweige denn, deine Ausbildung noch nicht abgeschlossen." Sie verschränkte die Arme und kräuselte die Lippen.
„Weshalb ich deine Hilfe brauche." Legolas hob eine Augenbraue und versuchte sie einzuschätzen. „Wirst du mitkommen?", fuhr sie fort.
„Ich nehme es an, ja. Aber ich habe meine Ausbildung schon abgeschlossen und um mich herum werden immer einige Leute sein, die mich verteidigen", antwortete er und schien endlich seine Ernsthaftigkeit wiedergefunden zu haben.
„Ja, und ich werde irgendwo in den letzten Reihen sein und die Erfahrung sammeln bei einer solch großen Schlacht dabei gewesen zu sein."
„Die einzige Erfahrung, die du machen wirst, ist der Tod. Und dabei werde ich dir nicht helfen", erwiderte Legolas strickt.
„Ich bin eine gute Kämpferin, du kannst die Trainer fragen. Ich werde mich zu verteidigen wissen", widersprach sie aufgebracht.
„Du bist eine außergewöhnlich gute Kämpferin in deiner Altersgruppe, aber du bist nicht mehr als ein kleines Kind neben den großen Kämpfern des Waldlandreiches." Vilya schob wütend ihr Kinn ein wenig vor.
„Dann eben nicht", knurrte sie und riss die Tür auf. Legolas reagierte blitzschnell und schlug sie wieder zu. Noch näher als vorhin stand er nun vor der Schülerin.
„Was willst du schon tun? Mich zum Palast bringen? Da würde ich mich noch viel eher unter die Armee mischen."
„Ich werde dir befehlen hierzubleiben und zu schweigen", sagte Legolas entschlossen und sah ihr fest in die Augen. „Und wem soll ich gehorchen? Einem Schüler, der seinen Mund nicht halten konnte und von seinem Vater in anderes Dorf geschickt wurde? Du bist nicht als Prinz hierhergekommen, also maß dir jetzt nicht an einer zu sein", fauchte sie und wollte unter seinem Arm wegschlüpfen als er seinen zweiten neben ihr an die Wand stemmte und nun so nah war, dass sich ihre Kleidung streifte.
Er sagte nichts, starrte ihr bloß tief in die Augen. Sie musste sich konzentrieren ihre Gedanken zu behalten. Wie einfach es doch wäre sich vorzulehnen und ihn zu küssen, doch das wäre mehr als nur unangebracht. Immerhin waren sie die letzten Minuten am Streiten gewesen und sie kannten sich kaum mehr als zwei Tage.
Als er seufzte spürte sie den warmen Atem ihre Lippen streifen, die Luft schien förmlich zu prickeln und so nah sie auch waren, sie konnte beim besten Willen nicht sagen, was er dachte oder wollte.
Versuchte er nur sie einzuschüchtern oder wusste er vielleicht von ihrer Anziehung und wollte sie damit manipulieren?
„Ich habe keine Angst, dass du es weitererzählst, oder dass du in den Palast kommst und dich unter die Armeen mischt", fing er an und nahm so viel Abstand, dass seine Arme ausgestreckt waren.
„Aber ich würde sehr wohl gerne wissen, ob die Person, von der du diese Informationen hast, etwas gegen das Bündnis im Schilde führt. Allianzen sind eine schwierige Angelegenheit, in ihrer Bildung ebenso wie im Aufrechterhalten."
Als er so erwachsen über diese wichtigen Dinge sprach, merkte Vilya erst, wie kindisch es von ihr war ihm nicht einfach zu antworten. Der König und er wollten nur das Beste für das Reich und sie war ein Teil davon.
„Mein Vater", begann sie so leise, dass Legolas sich wieder etwas vorlehnte. Sie hatte den Blick abgewandt und spielte nervös mit den Fingern. Angst kroch ihr wie Gänsehaut über die Arme. Was würde Maruvan wohl tun, wenn er hiervon erfuhr?
„Ich habe ihn bei einem Gespräch mit einem seiner Leute belauscht. Er hat Spione, die zwischen dem Palast und diesem Dorf hin und her reisen. Er heißt den Krieg nicht gut. Was er über die Allianz denkt, weiß ich nicht", erklärte sie endlich. Legolas nickte nachdenklich.
„Lautet der Name deiner Mutter nicht Valanya?", fragte er nach. Vilya sah etwas überrascht auf und nickte. Das hatte sie ihm nie gesagt.
„Danke, dass du es mir erzählt hast", murmelte Legolas und strich ihr leicht über den Arm, bevor er sich auch schon abwandte. Doch die Elbin griff schnell nach seiner Jacke und hielt ihn auf.
„Was wird nun passieren?", ihre Stimme war weiterhin zu einem Flüstern gesenkt. Er starrte auf das dunkle Holz vor sich und zögerte.
„Ich werde mit meinen Wachen sprechen und darüber schlafen", sagte er und legte seine Hand langsam auf die Klinke. „Wirst du mir helfen?", fragte er noch leise. Vilya konnte sich denken, worauf das hinauslief.
„Wie?", hauchte sie in der Hoffnung doch falsch zu liegen.
„Ich muss wissen, ob dein Vater den Krieg aktiv verhindern will – und damit auch die Allianz."
Vilyas Herz wurde schwer. Er hatte doch gesehen, wie er mit ihr umging, er musste wissen wie schwer das für sie war.
„Weißt du, was du von mir verlangst?", sagte sie schwach und starrte an ihm vorbei in das Haus hinein. Der Elb wandte sich ihr wieder ein Stück zu und sah sie mitfühlend an.
„Der König tut, was er für das Beste für das Volk hält, so auch ich, doch es ist nicht fair von dir dasselbe zu erwarten. Du musst es nicht tun, ich werde dir nichts befehlen, aber ich hoffe, dass du es wenigstens in Erwägung ziehst."
„Woher soll ich wissen... ich meine ich weiß doch nur, dass dieser Krieg geplant ist und, dass es etwas mit einem Blauen Volk im Norden zu tun hat?" Sie wusste nicht ganz, was sie davon halten sollte, so spontan in solch ein wichtiges Thema miteinbezogen worden zu sein. Im Endeffekt war sie bloß eine Schülerin, die den Palast nur in Zeichnungen gesehen hatte und von heute auf morgen stand plötzlich der Kronprinz vor ihr?
„Selbst ich werdenicht zu allen Besprechungen eingeladen. Ich kann dir nicht mehr sagen, dochich bin mir sicher, du wirst wissen, was wichtig ist, wenn du es hörst." Mitdiesen Worten legte er seine freie Hand auf die ihre, die immer noch in seineJacke gekrallt war. Mit einem schweren Schlucken löste sie sie und trat einenSchritt zurück, um ihn die Tür öffnen zu lassen. Das alles hatte eine sehrunerwartete Wendung genommen.
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