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Der Tag begann mit einem Stapel frischgedrucktem Papier, einem dampfendem Kaffee Latte und einem angeregten Gespräch mit ihrem Verleger, der in den höchsten Tönen von ihrem neuen Roman schwärmte.
"Emilia, das ist fantastisch!"
Sie neigte den Kopf, ein Lächeln huschte über ihre Lippen und ihre Wangen fühlten sich ganz warm an. Ihre Finger spielten mit dem Aufdruck an ihrem Kaffeebecher, schafften es aber nicht, ihn geradlinig nachzufahren. Dazu zitterten sie zu sehr. "Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ...", gestand sie. Dass sie die ganze Nacht noch am Computer gesessen und am letzten Kapitel gearbeitet hatte, um die Deadline einhalten zu können, wollte sie nicht verraten. Stattdessen sog sie den wohligen Geruch von Kaffeebohnen und Milch, der von ihrem Latte Macchiato aufstieg, tief in sich auf. Allein der Geruch machte zwei Stunden Schlaf wett, aber als sie den Pappbecher zum Mund hob und einen großen Schluck davon nahm, war sie im Himmel. Der cremige Schaum rollte sich in ihrem Mund aus wie ein Teppich aus Wolken und das milchcremefarbene Getränk floss angenehm warm ihre Kehle hinunter. Sie stellte den Becher wieder auf den runden Tisch und wischte sich die Milchschaumkrone in der kleinen Kuhle über ihren Lippen mit dem Zeigefinger weg. Genüsslich leckte sie mit der Zunge das Wölkchen auf ihrer Fingerkuppe auf. "Das ist lecker!"
Koule grinste. "Du bist so eine Genießerin, ich könnte dir den ganzen Tag zusehen!" Er griff nach ihrer Hand und sein seidengrünes Hemd rutschte ein Stück nach hinten, dass eine funkelnde Uhr zum Vorschein kam. Sie schmunzelte. Dieses Streben nach einem so extravaganten Aussehen, wie Koule es erreichen wollte, hatte sie noch nie verstanden. Für sie war er eine schrille Persönlichkeit, die irgendwie nicht so ganz in das Ambiente ihrer kleinen Stadt passte.
"Wir sollten dein Buch feiern. Lass mich dich heute Abend zum Essen einladen."
"Oh Koule, das ist lieb von dir. Aber ich kann heute Abend nicht." Ihre Lippen verzogen sich bedauernd, sie schenkte ihm ein tröstendes Lächeln und stand auf. "Ein anderes Mal, ja?" Sie nahm ihren Kaffee und den blauen Mantel, den sie so gern trug, und winkte ihm zum Abschied. Auf dem Tresen neben der Kasse ließ sie ein paar Münzen liegen. Sonst bestand Koule noch darauf, ihren Kaffee zu bezahlen, und das mochte sie nicht. Er war nett, aber sie wollte ihm keine falschen Hoffnungen machen.
Das kleine Glöckchen an der Tür des französisch angehauchten Cafés verabschiedete sie mit einer lieblichen Melodie, als sie ging.
Sie streifte ihren Mantel über und trat unter dem Dach heraus, hinein in den Sommerregen, der in warmen Tropfen auf ihren Kopf und ihre Schultern prasselte. Sie genoss den Geruch von warmem Asphalt, während sie ihren Weg durch die Straßen ihrer kleinen Heimatstadt fortsetzte.
Bald bog sie in die kleine Straße ein, in der sie sich eine kleine Wohnung mit ihrer besten Freundin Elisa teilte. Die Häuser sahen heute wunderschön aus. Jedes von ihnen erstrahlte in der Sonne, die sich jetzt ihren Weg durch den Regen bahnte, in seinen einzigartigen Farben. Backsteinhäuser reihten sich an Häuser mit Erkern, Häuser mit reich verzierten Balkonen und solche, bei denen, komplett vom Efeu überwuchert, die Farbe nur noch sporadisch zu erkennen war. Zwischen zweien der Häuser wackelte das Schild einer kleinen Bäckerei in der leichten Sommerbrise, die jetzt den Regen abgelöst hatte. Der Wind zupfte ihre Haare auseinander und wehte ihren Pony nach hinten. Wie der Wind durch die Straße säuselte und die Sonne ihr ins Gesicht schien, drifteten ihre Gedanken ab und verwandelten die Szenerie in den Schauplatz eines Films.
Sie schritt die Straße entlang, in ihrem knöchellangen Sommerkleid mit dem wunderschönen Blumenmuster, die Haare zu Locken gedreht und einem eleganten Sommerhut auf dem Kopf. Ihr Geliebter trat aus der kleinen Bäckerei und zog sie an sich, in einen innigen Kuss. Sie versank in der Berührung durch seinen sanften und dennoch fordernden, sehnsüchtigen Kuss. Die Brise hob ihr den Sommerhut vom Kopf und wirbelte ihn durch die Luft. Die Kamera ratterte im Hintergrund und der Regisseur beäugte kritisch das Band, auf dem flackernde Streifen den Film durchzogen. Und jeder der Zuschauenden beneidete das schöne Paar, das sich so ineinander verliebt hatte.
Ein lautes Hupen riss sie aus ihrer Tagträumerei. Erschrocken drehte sie sich um und bemerkte einen schwarzen Wagen, der hinter ihr angehalten hatte. Sie sah den Mann mit großen Augen an und wurde der Tatsache gewahr, dass sie mitten auf der Straße stand.
"Sag mal, spinnst du?" Der Mann schüttelte wütend die Faust aus seinem Auto heraus und rauschte an ihr vorbei. Oh Gott. Ihr Herz schlug fest gegen ihre Brust, so erschrocken war sie. Nervös und nachdenklich zugleich kaute sie auf ihren Fingernägeln. War sie wirklich so tief in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht gemerkt hatte, dass sie auf die Straße gelaufen war? Ein Schauer lief ihren Rücken hinab, wenn sie daran dachte, was passieren hätte können, wenn der Fahrer sie nicht bemerkt hätte. "Puh." Sie raufte sich die Haare. Das darfst du nie wieder tun, Emilia, schalt sie sich selbst.
Ihre Finger zitterten, als sie die Schlüssel zu dem schmal gebauten Haus aus der Tasche ihres Mantels holte. Es stand auf der linken Seite der Straße und sie schaute jetzt lieber dreimal links und rechts, denn ein zweites Mal Beinahe - Überfahren - werden konnte sie nicht gebrauchen. Aber alles war ruhig und sie schaffte es unversehrt auf die andere Seite.
Die grün gestrichene Tür öffnete sich mit einem leisen Knarzen und die kühle Stille im Inneren des Hausflurs hieß sie willkommen. Aber ihr Herz sehnte sich trotz des Schreckens immer noch nach einem Mann, der sie küsste und ihr das Gefühl gab, angekommen zu sein.
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