7 Der Sinuston.


┊  ┊  ┊          ★ NIALL

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„Okay, ich denke, das war einfach eine saublöde Idee."

Ich drehte mich auf dem Absatz um und wollte in die entgegengesetzte Richtung hetzten. Doch Liam trat mir beherzt in den Weg. Wir befanden uns auf einem Parkplatz in einem Vorort von London. Es war nasskalt und das Wetter so dreckig, wie ich mich fühlte.

„Nein, im Gegenteil, es war die beste Idee, die du in der gesamten letzten Woche hattest", meinte Liam und blickte an mir vorbei. 

Hinter mir befand sich ein kleines Geschäft mit dem komischen Namen AudioWave. Auf der Suche nach einem passenden Akustiker hatten Liam und ich uns ganz genau informiert und uns dafür entschieden keine Kette aufzusuchen.

Liam war mit Feuereifer dabei und am Ende präsentierte er mir, samt PowerPoint, seine engere Auswahl. Ich konnte schlecht nein sagen. Nicht, nachdem mein Kumpel die Sache viel ernster in die Hand nahm, als ich. Kaum sagte ich einmal Ja, drehte Liam meiner Angst einen Strick draus.

„Komm schon, Niall. Wir sind beide hier und haben einen Termin. Ich weiß, dass du von deinem Arzt eine neue Verordnung bekommen hast", er fummelte den Zettel aus der Jackentasche. „Außerdem machen wir beide diesen Hörtest. Es gibt keinen Grund Schiss zu haben."

Ich schnaubte, doch Liam blieb hart: „Soll Louis das mit dir machen? Weil, ich könnte schwören, der hört sowieso nur das, was er hören will."

Meine Mundwinkel zuckten: „Weil er eiskalt an dir vorbeigegangen ist, als du ihn gefragt hast, ob er die schweren Kisten mit Harrys Schallplatten mit in den Keller bringt?"

„Als ich fragte wer Pizza will, da war er ganz Ohr!"

Ich gluckste, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass Liam mir weiter den Weg versperrte. Ernst sah er mich an: „Wir machen das zusammen! Ganz egal, was kommt. Außerdem will ich meinen Gehörschutz prüfen lassen. Ich habe bei der Recherche gesehen, dass man das tun sollte. Wir bekommen die Dinger ja einfach und wissen im Endeffekt gar nicht, ob sie funktionieren, wie sie das sollten."

Munter schob Liam mich Richtung AudioWave. Der Laden sah von außen nicht auffällig aus. Es gab Plakate mit Sprüchen, im Schaufenster lagen Hörgeräte, dessen Unterschiede ich nicht einmal optisch feststellen konnte und als wir den Laden betraten, da bemerkte ich, dass er hell erleuchtet war.

Auf dem Fernseher lief Werbung für Hörgeräte und es gab eine Ausstellung mit merkwürdigen Dingen, die ich bei Noah schon gesehen hatte. Der Blitzlichtwecker, die Türklingel und einiges mehr. 

An einer Art Theke meldete Liam uns an und die kleine unscheinbare Frau begrüßte uns prompt freundlich. Im elektronischen Kalender sah sie nach unseren Terminen und fragte nach den Versichertenkarten. Diese las sie ein und bat uns noch einen Moment Platz zu nehmen.

Auf dem Tisch vor den Sesseln lagen mehrere Zeitschriften, die ich noch nie gesehen hatte. Lauter Werbung. Die eine für etwas, was Oticon hieß, die andere für Phonak und etwas, das sich MED-El nannte. 

Liam ließ seinen Blick gespannt schweifen und bevor ich zu den Zeitschriften greifen konnte, da hörte ich lautes Kindergeschrei. Aufgeregt sprang ein kleiner, dunkelhaariger Junge an der Theke vorbei, direkt zu der Spielzeugecke, die sich dahinter auf einem weichen Teppich befand.

 Er stürzte an den Tisch und griff nach einem Bild, das er scheinbar zuvor gemalt hatte, dann kiekste er. Gleichzeitig klingelte das Telefon und eine Frau mit einem Kinderwagen sammelte den Jungen ein. Eine zweite junge Frau hielt ihr die Tür auf. Innerhalb von Sekunden war die Stille des Ladens verschwunden.

Ich hörte weiteres Geschnatter und beobachtete, wie ein großer Mann einem älteren Herrn mit Rollator in die Jacke half und bis zur Tür brachte. Was sie redeten, konnte ich nicht verstehen. Die kleine Frau kam hinter der Theke mit zwei Klemmbrettern hervor. Endlich konnte ich ihr Namensschild lesen.

„Würden Sie uns diese vorab einmal ausfüllen?", sprach sie laut und deutlich und ich nahm Mrs Walker das Klemmbrett ab. „Wenn Sie auf bestimmte Fragen keine Antwort haben, dann lassen Sie das Feld einfach frei."

Ich nickte knapp und frimmelte den Kugelschreiber vom Klemmbrett, dann sah ich mir die Fragen an. Zuerst ging es nur um die Telefonnummer, den Datenschutz und die üblichen Dinge wie Geburtsdatum, Wohnort, Beruf und behandelnder Arzt. 

Danach wurde es medizinisch. Ob ich einen Tinnitus hatte, also ein Klingeln im Ohr, wenn ja welche Seite. Ob ich ein gefühlt besseres Ohr hätte, ob ich Medikamente nahm. Ob mein Gehör schwanken würde. Ob es Operationen am Ohr gab, wenn ja welche.

Meine Güte, wofür musste man das alles wissen?

Als würde man einmal komplett durchleuchtet werden.

Nach dem medizinischen Kram, wurde gefragt, in welchen Hörsituation man Schwierigkeiten hatte. Es wurde eine Reihe von Möglichkeiten vorgegeben und ich sollte ankreuzen, auf einer Skala von 1-5 wie schwierig die Situationen für mich waren. Und auf welche Situationen zum Hören Wert legte.

Da war eine große breite Auswahl, wie Musik hören, Theaterbesuche, Unternehmungen mit Freunden, Fahrradfahren, Sport, Kino und ohne lange darüber nachzudenken, kreuzte ich alles als wichtig an.

Liam runzelte neben mir nachdenklich die Stirn und schien sich nicht entscheiden zu können. Schließlich blickte er auf meinen Fragebogen und tat es mir gleich. Wir waren jung, wir wollten sämtliche Situationen akustisch miterleben.

Nach fast zehn Minuten kam der große Mann mit einer runden Brille zu uns und begrüßte uns freundlich. Leider hatte Liam bei ihm den Termin und er bat meinen Kumpel mitzukommen. Vielleicht hatte ich Vorurteile, aber ich hielt den Mann für fachlicher, als die junge Frau, die ich zuvor gesehen hatte.

Schlank, schlicht gekleidet in einer weißen Bluse und dunkler Hose, trat sie auf mich zu. Ihr Lächeln war breit und das brünette Haar zu einem ordentlichen Zopf geflochten. Ich sah Sommersprossen auf ihrer Nase und las ihren Namen auf dem kleinen Namensschild ab. 

Sie reichte mir trotzdem die Hand und stellte sich vor: „Hallo, ich bin Mrs Kent. Mr Horan, richtig?" Ihre Stimme klang überraschend deutlich, aber nicht so laut, dass ich mich unangenehm angebrüllt fühlte.

Ich stand träge auf und nahm ihre Hand an. „Ja."

„Es ist Ihr erster Besuch bei uns, nicht wahr? Möchten Sie den Mantel ausziehen, denn in dem Hörräumen kann es gleich warm werden", sprach sie fröhlich weiter und ich folgte ihr nachdem ich den Mantel abgegeben hatte. Sie führte mich in einen kleinen, hellen Raum. Wir nahmen an einem Tisch einander gegenüber platz und sie wandte sich kurz an den PC, dann griff sie nach dem Klemmbrett.

„Wie ich sehe, haben Sie bereits alles ausgefüllt, sehr schön", Mrs Kents Augen huschten über die Antworten, dann fragte sie: „Sie haben beim subjektiven besseren Ohr nichts angekreuzt, darf ich fragen, mit welchem Ohr Sie telefonieren?"

„Mit rechts", sprach ich prompt und sie notierte sich das auf einem extra Block: „Waren Sie beim HNO bevor Sie uns kontaktierten?" Ich nickte und reichte ihr die Verordnung, die Liam mir hinterhergetragen hatte. 

Mrs Kent musterte die komischen Messungen und legte sie schließlich zur Seite. Dann faltete sie die Hände vor sich und stellte mir weitere Fragen, nämlich ob ich selbst manchmal das Gefühl hatte nicht alles mitzubekommen. Ob es mir selbst aufgefallen war, oder Leuten um mich herum und ob ich mich bereits über Hörsysteme informiert hätte.

„Ich bin ganz ehrlich, ich bin da kein Freund von", gab ich zu und Mrs Kent lächelte: „Ja, wir wissen, dass Hörsysteme noch immer einen sehr altmodischen und schlechten Ruf haben, aber der Ruf ist unberechtigt. Die Technik entwickelt sich so rasend schnell, dass mittlerweile unglaublich viel möglich ist."

Ich hatte nicht die leiseste Vorstellung, was sie damit meinen könnte. Aber sie schien das vorerst nicht vertiefen zu wollen, stattdessen sprach sie: „Mr Horan, bevor ich Sie hinsichtlich der Hörsysteme berate, möchte ich ein paar Hörtest mit Ihnen machen. Ich weiß, dass Sie diese bereits beim Arzt gemacht haben, aber ich muss sicherstellen für die spätere Hörsystemeinstellung, dass unsere gemessenen Werte übereinstimmen."

„Okay", nickte ich knapp ab und bevor es losging, schaute sie mir mit einem Otoskop in die Ohren, ob alle Gehörgänge frei waren. Erst dann erklärte sie mir den ersten Test: „Ich setzte Ihnen gleich Kopfhörer auf und spiele Ihnen Töne vor. Die werden vom Klang erst immer heller und dann immer dunkler. Wenn sie den Ton das allererste Mal so gerade eben hören, dann heben Sie bitte die Hand. Wir fangen mit Ihrer rechten Seite an."

Klang nicht sehr schwer. Ich bekam den Kopfhörer aufgesetzt und dann ging es los. Es war schwierig sich auf die hohen Töne zu konzentrieren, weil ich immer das Gefühl hatte, ich würde sie nicht wirklich hören, sondern mein Kopf spielte mir einen Streich. Dunkle Töne waren da sehr viel angenehmer. Schließlich wechselte sie auf das linke Ohr.

Es folgte ein zweiter Test. Dafür bekam ich einen komischen kleinen Knopf hinter das Ohr gesetzt. Mrs Kent erklärte mir, dass sie damit überprüfen würde, wie gut ich über den Schädelknochen hören würde und wie intakt mein Mittelohr war. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass es diese Art des Hörens gab. Es fühlte sich etwas merkwürdig an und ich war froh, als ich diese Art der Messung hinter mir hatte.

Danach blieben wir bei dem Kopfhörer. „Jetzt spiele ich Ihnen noch ein letztes Mal Töne vor", sprach sie. „Dieses Mal ist der Ton von Anfang an gut hörbar. Ich werde ihn schnell immer lauter machen. Wenn der Ton unangenehm laut ist, dann sagen Sie bitte Stopp und ich nehme den Ton sofort weg. Fragen?"

„Nein, alles verstanden", behauptete ich. Die Messung ging mit meinem rechten Ohr wieder los und lief ganz so ab, wie Mrs Kent es mir erklärte. Sobald mein Auge zuckte und ich gerade die Hand heben wollte weil es mir unangenehm laut wurde, da nahm sie den Ton bereits weg und spielte den Nächsten an. Es war, als würde sie an meinem Gesicht ablesen, wann es mir tatsächlich zu laut wurde.

„Die Töne haben wir nun geschafft", sprach Mrs Kent wenig später. „Jetzt machen wir eine Sprachmessung um festzustellen, wie gut Sie Sprache noch verstehen."

Meine Güte, und ich hatte geglaubt, dass es reichen würde den ganzen Kram beim HNO gemacht zu haben.

Nun wurde mir je einmal rechts und links zehn leise Zahlen vorgespielt, ich sollte nachsprechen was ich verstand. Es folgten Zahlen wie 23, 67, 80, manchmal verstand ich nur fünf und wusste, dass dahinter noch etwas anderes kam, doch ich konnte es nicht zuordnen. „Neun und irgendwas", sprach ich deshalb und Mrs Kent nickte jedes Mal freundlich.

Diese Art der Messung war tierisch anstrengend, doch ich machte sie mit.

Danach ging es direkt weiter. Dieses Mal war es ähnlich, wie bei den Tönen die sie schnell immer lauter stellte. Nur, dass sie jetzt Zahlen abspielte, die mir immer intensiver ins Ohr dröhnten. „Stopp!", entwich es mir nach der vierten Zahl und sofort war diese Messung beendet.

„Sehr gut", lobte sie mich und ich musste tief Luft holen. „Sie haben es bald geschafft, Mr Horan. Die lauten Zahlen waren notwendig, damit ich für Sie das Hörsystem am Ende nicht zu laut einstelle. Den Punkt, ab wann es Ihnen unangenehm laut wird, wollen wir bei der Einstellung nicht überschreiten."

Klang nachvollziehbar. „Was kommt jetzt noch?"

„Einsilber, Wörter wie Haus, Maus, Glas, Ei", zählte Mrs Kent geduldig auf. „Zuerst sind die Wörter recht leise. Sprechen Sie einfach nach, was Sie glauben verstanden zu haben. Wir starten mit dem rechten Ohr."

Das war der Gipfel, denn diese Messung brachte mich ans Limit. Die zwanzig Wörter waren so leise, dass ich tatsächlich die meiste Zeit nur riet oder mit den Schultern zuckte. War das Arzt oder Ast? Beil oder Heil? Band oder Rand?

Im nächsten Durchgang machte Mrs Kent die Lautstärke höher und ich verstand deutlich besser. Noch einmal folgte eine Wörter-Reihe. Allerdings war ich mir immer noch nicht sicher, ob ich Rat oder Rad hörte oder Tisch oder Fisch.

Im dritten Durchgang war ich dann sicher und nahm die feinen Unterschiede wahr. Doch wir waren danach leider immer noch nicht fertig. Das ganze Programm musste ich auch noch mit dem linken Ohr machen.

Ich war schließlich fix und fertig. Mir dröhnte der Kopf, und ich war mehr als froh, als ich die Kopfhörer endlich abnehmen durfte. Mrs Kent lächelte aufmunternd und druckte etwas aus. „Sie haben es geschafft."

„Müssen das all die Leute machen, die hier reinkommen?", fragte ich und sie nickte: „Ja. Es gibt noch weitere Testmöglichkeiten, aber das war für heute definitiv genug." 

Nun legte Mrs Kent einen Ausdruck auf den Tisch und ich erkannte die Grafiken wieder, die auch auf der Verordnung vom Arzt waren. Sie begann mir geduldig die Messungen zu erklären und fing oben, bei den Kästen an.

„Rot ist für die rechte Seite und blau für die Linke", begann sie und zeichnete hier und da etwas ein. An der Seite konnte ich von 0 bis 120 Dezibel die Lautstärke ablesen. Horizentral befand sich die Leiste für die Töne, links lagen die tiefen Töne und wenn man die Leiste entlang ging, wurden sie immer heller. „Zwischen 500 Hertz und 4 Kilohertz sagt man, befindet sich unser Hauptsprachbereich."

Dann tippte sie mit dem Kugelschreiber auf die 0-Linie und erklärte mir: „Man sagt, ab einer Lautstärke von 0 Dezibel beginnt ein junger gesunder Mensch zu hören. Irgendwann haben die Audiologen dann festgelegt, dass bis zwanzig Dezibel hörtechnisch alles in Ordnung ist." Sie zeichnete eine Linie ein bei 20 Dezibel und ich sah, dass meine Kurven ab dem Hauptsprachbereich darunter rutschte.

„Wenn auch nur ein Messpunkt, also ein Kreuz oder Kreis im Hauptsprachbereich auf oder unter die Linie von 30 Dezibel rutscht, dann haben wir eine Indikation für ein Hörgerät." Rechts waren das bei mir fünf Kreise und links alle sechs Kreuze im Hauptsprachbereich. Das musste ich erneut sacken lassen.

„Die Kurve fällt ziemlich steil ab", beschönigte Mrs Kent nichts. „Mit einem Hörgerät versuchen wir, dass die Kurve sich wieder nach oben verschiebt und die hohen Töne wieder eher hörbar für Sie werden."

Nun wandte sie sich dem zweiten Audiogramm zu, das für die Sprache zuständig war. Sie erklärte mir, dass man festlegte, dass ein normales Gespräch bei einer Lautstärke von 65 Dezibel stattfand und der normal Hörende  zwischen 100% Sprachverstehen hatte. Im Toleranzbereich waren 81%, alles was drunter rutschte, sprach für einen Hörverlust. Ich dümpelte irgendwo bei 50% herum.

„Das erklärt Ihr Tonaudiogramm. Die hellen Töne sind für die Sprachklarheit zuständig und die tiefen für die Lautstärke. Die Klarheit leidet sehr, deshalb ist es so schwer Fisch und Tisch zu unterscheiden. Mit einem Hörsystem versuchen wir das Sprachverstehen, das Sie bei 80 Dezibel erreichen, und das sind satte 100% in Richtung 65 Dezibel zu verschieben."

„Das heißt, mit Hörgerät könnte ich bei normaler Sprachlautstärke die 100% erreichen?", versuchte ich meine Gedanken zu ordnen. Es schockierte mich nicht, wie schlecht ich hörte, im Gegenteil. Die Erklärungen von Mrs Kent wirkten logisch und zeigten mir Möglichkeiten auf.

Da war... irgendwie ein Bisschen Hoffnung.

Sie  zog eine Broschüre hervor, die sie aufklappte. „Ich weiß, dass Sie als Musiker hörtechnisch einiges leisten müssen, Mr Horan und ich will ehrlich zu Ihnen sein, ich kann kein Hörgerät der Welt so einstellen, dass sich Ihre Welt wieder so anhört, wie vorher. Die 100% erreichen Sie wahrscheinlich nur bei uns, denn hier im Raum herrschen optimale Bedingungen. Draußen werden es realistisch betrachtet eher 80% sein."

Das war mal direkt und ich schluckte prompt.

„Es wird anders", fuhr sie fort. „Und wenn Sie bereit sind sich umzugewöhnen und wir zusammenarbeiten, dann ist es möglich, dass wir ein Hörsystem finden, mit dem Sie gut zurechtkommen und Sie in der Höranstrengung entlasten wird."

„Ich habe schon mal eins ausprobiert", gab ich zu. „Vor fast einem Jahr."

„Und es hat Ihnen scheinbar nicht gefallen", schlussfolgerte sie. 

Ich erzählte ihr davon, wie blechern alles klang und wie dumm ich mich dabei fühlte. Sie hörte mir zu und notierte sich das eine oder andere. Ich schloss schließlich: „Am liebsten wäre mir ein Gerät, das ich komplett im Ohr tragen kann."

Mrs Kent nickte: „Ja, das wollen die Meisten. Aber wenn ich Ihnen eine Empfehlung aussprechen darf, für ein im-Ohr-Hörsystem hören Sie die tiefen Töne noch zu gut. Es könnte sein, dass Sie am Ende das Gefühl bekommen, ihre Ohren wären verstopft, als würden Sie sich quasi die Finger in die Ohren stecken. Ein solches Hörgerät lässt die tiefen Töne dann nicht mehr natürlich an Ihr Ohr. Aber wir können natürlich trotzdem gern eine solche Bauform ausprobieren."

Das wollte ich auf jeden Fall, aber ich war auch offen für Mrs Kents Vorschlag. Nämlich ein Gerät für hinter dem Ohr und ein kleines Ohrstück. Es würde dann fest und stabil im Ohr sitzen und wäre besonders praktisch, wenn ich mich auf der Bühne oder beim Sport viel bewegte.

Ich ließ je einen Abdruck von meinem Ohr nehmen. Dafür wurde etwas Watte mit einem Faden in mein Ohr geschoben und mit einer merkwürdig aussehenden großen Spritze, die Mrs Kent Injektor nannte, wurde mir eine Knete-artige Masse ins Ohr gespritzt. Dann mussten wir kurz drei Minuten warten, bis die blaue Masse ausgehärtet war und sie zog mir den Abdruck vorsichtig aus dem Ohr.

„Was wird mich so ein Hörgerät kosten?", fragte ich als Mrs Kent alles wegräumte, dass sie für den Abdruck gebraucht hatte. Sie blätterte in der großen Broschüre und zeigte mir eine Tabelle: „Oh, das fängt beim Nulltarif an, also lediglich einer gesetzlichen Zuzahlung von 10 Pfund pro Seite, bis Highend bis zu 3800 Pfund pro Gerät."

Geld spielte bei mir nun keine allzu große Rolle und ich hörte aufmerksam zu. Je teurer das Hörgerät, desto mehr konnte es. Quasi, wie jedes andere technische Gerät. Mrs Kent erklärte mir, dass ich mir das alles wie ein Klavier vorstellen sollte. 

Das Nulltarif Gerät hatte 6 Tasten, mit dem man die verschiedenen Frequenzen einstellen konnte, das Highend-Gerät hatte wieder 24 Tasten. Nur das es Mrs Kent Kanäle nannte. 

 Dazu kamen Features wie Windgeräuschunterdrückung, Sprach- und Störlärmunterdrückung und vieles mehr. Die Tabelle zeigte mir in der Broschüre eine Übersicht. Es gab so viele Features, dass ich schließlich gedanklich ausstieg und Mrs Kent sah es mir an.

„Ich würde vorschlagen, wir fangen bei der Technikstufe in der Mitte an. Dann können wir immer noch drunter oder drüber gehen. Letzten Endes entscheiden Sie, was Sie wirklich brauchen. Es kann sein, dass Sie das Highend-Gerät ausprobieren und mir sagen, es klinkt in anspruchsvollen Situationen nicht anders, als das Mittelklassegerät."

Ich musste belustigt schnauben, denn eigentlich merkte man in jeder Technikstufe einen Unterschied, ob beim Handy, Auto oder Tonstudio. Aber vielleicht lief das hier anders. Zum Schluss horchte Mrs Kent noch einmal nach, welche Situationen hörtechnisch für mich besonders wichtig waren. 

Ich antwortete prompt: „Musik." Und beschrieb ihr Konzerte, Interviews, Telefonate und die Treffen mit Freunden. Da wollte sie wissen, von wie vielen Personen ich bei so einem Treffen sprach und schrieb sich weitere Notizen.

Zum Schluss machten wir einen Termin in neun Tagen aus, um alles andere würde sie sich kümmern und kam etwas dazwischen, würde ich telefonisch informiert werden. Ich bedankte mich und war froh, als ich diesen kleinen Raum verlassen konnte. Ich schnappte mir meinen Mantel und fand Liam müde im Wartezimmer.

Draußen an der frischen Luft atmeten wir synchron tief durch.

„Meine Fresse war das anstrengend", sprach mein Kumpel. „Ich dachte, diese ganzen Test hören nie auf."

„Was ist bei dir rausgekommen?", wollte ich wissen und zog den Reiferschluss des Mantels hoch. Liam zuckte mit den Schultern: „Mein Gehörschutz ist für nen' Arsch, ich habe einen neuen machen lassen. Ich werde angerufen wenn der fertig ist. Außerdem-!", er zog einen Zettel aus seiner Jackentasche, „sollte ich definitiv besser auf mein Gehör aufpassen. Ich bin zwar noch nicht reif für ein Hörgerät, aber auf dieser komischen 0 Dezibellinie eines normal Hörenden bin ich mit zwei Kreisen auch nicht mehr."

Das hätte ich nun nicht erwartet.

„Außerdem sollte ich meinen Stress im Auge behalten, das würde mein schwankendes Gehör erklären", plapperte er weiter. „Sollte es aber jetzt in der Pause immer noch schwanken, riet man mir zum Arzt zu gehen."

„Da hast du ja gut zu tun", zog ich ihn auf und er seufzte: „Das Loch in meinem Magen ist gigantisch."

Kurz dachte ich nach: „Noah hat mir von einem Pub oder so erzählt, der Speck-Eck heißt. Wir könnten hin."

Liams Augen funkelten: „Und ist Noah gleich auch dort?"

„Nein", antwortete ich knapp und wir stampften über den Parkplatz. Liam schwang sich hinter das Steuer, wir knallten die Türen zu. Doch bevor er das Auto startete, da sprach er: „Ich möchte Noah kennenlernen."

Überrascht blinzelte ich. „Was?"

„Ja. Und ich möchte vorher... lernen wie ich mit ihm reden kann."

Vollkommen überrumpelt schwieg ich. Dann gab Liam zu: „Louis und ich haben uns darüber unterhalten, also, dass wir uns mit dieser Gebärdensprache ja null auskennen und Harry... ich denke ihm ist klar geworden, dass auch er die Sprache lernen sollte. Einfach, damit wir uns in lauten Umgebungen besser austauschen können."

„Ich verstehe nicht ganz", gab ich zu.

Liam sah mich fest an und seine folgenden Worte sorgten dafür, dass eine merkwürdige schöne Erleichterung durch meine Venen kriechen spürte.

„Wir wollen dir ein Sicherheitsnetz knüpfen, Niall."

In diesem Augenblick bedeutete mir das mehr, als Liam sich je hätte vorstellen können. 



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Hallo ihr Lieben :)

Hier habe ich noch einmal ein Ton-Audiogramm eingefügt, damit man sich besser vorstellen kann, was Mrs Kent Niall erklärt hat. Rot = Rechts, Blau = Links. Oben 125-8K zeigt die Töne an. Links dunkel, rechts hell. Zwischen 500-4k ist der Hauptsprachbereich. Links an der Seite ist die Lautstärke, -10 episch leise, 120 ist ein Düsenjet. Bei 0 Dezibel hört ein gesunder junger Mensch. Ab 30 Dezibel im Hauptsprachbereich hat man in Deutschland Anspruch auf ein Hörgerät und einer Krankenkassenzuzahlung. (In der Regel sind das knapp 685 Euro)

Hier im Audiogramm seht ihr so U-Zeichen. Das ist die Messung, wo es dem Kunden/Patienten zu laut wird. Diese sollte so zwischen 90-110 Dezibel liegen. Je mehr Abstand zwischen diesen U-Zeichen und der Messung, wo die Person anfängt zu hören liegt, desto mehr Platz zum Einstellen hat der Akustiker. Denn der Akustiker will die Grenze des U-Zeichens nicht überschreiben.

Damit würde er eventuell Schaden anrichten. Die U-Zeichen nennt man auch Unbehanglichkeitsschwelle.

Die Messung für das Mittelohr ist auf dieser Abbildung nicht drauf. Genauso wenig wie die Wort-Messungen.

Dies ist nicht 1:1 Nialls Messung. Ich musste im Internet schauen, was ich fand. Aber so in etwa sieht Nialls Hörverlust aus. Vielleicht war es ja interessant für euch, so ein Diagramm erklärt zu bekommen :)

Wenn ihr das Gefühl habt, ihr hört schwankend oder es ist etwas nicht in Ordnung, dann könnt ihr jeder Zeit beim Akustiker in eurer Nähe einen kostenlosen Hörtest machen. Besonders der Azubi vor Ort wird es euch danken, da er so üben kann und ihr keine Wartezeit beim Arzt habt. 

Hat jemand von euch schon mal einen Hörtest gemacht?

Jetzt aber zu einem anderen Thema <3

Herzlich willkommen zurück!

Ich drücke euch und danke euch episch für die Votes und Kommentare zum letzten Kapitel <3 Unsere Truppe ist kleiner geworden, aber angesichts der epischen Wartezeit, die ihr hattet, kann ich das verstehen. Deshalb bin ich umso dankbarer für die Leute, die tatsächlich geblieben sind.

Wow, ihr seid echt enorm geduldig!

Wir lesen uns nächsten Sonntag <3

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