20 Puh-Pasch-Eskalation.

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Schon die ganze Woche brannte ich auf das zweite Puh-Pasch-Wochenende. Nicht, weil ich unbedingt abstürzen wollte, sondern weil ich mich zu gut daran erinnerte, wie es war dort aufgenommen zu werden. Die Erschöpfung rückte damals gewaltig in den Hintergrund.

Außerdem war das Wochenende nicht gerade schlecht ausgegangen für mich.

Noah hatte die letzten Tage viel gearbeitet und ich war gefühlt ständig unterwegs. Zweimal rannte ich Mrs Kent die Bude ein, sie möge am Hörgerät bitte etwas nachstellen und nachdem ich Harry um eine Nacht Schlaf gebracht hatte, klapperte ich sämtliche Bekannte Musiker ab, die ich im Umkreis finden konnte. 

Liam half ich sogar freiwillig dabei Regale zusammenzubauen und Wände zu streichen, nur damit er eher seine Kisten auspackte und ich ihn an die Instrumente zerren konnte. Aber leider ließ er sich von mir nicht stressen und schleppte mich stattdessen in Baumärkte.

Und doppeltes Leider machte sich Louis aus dem Staub zu seinem Top-Secret-Geheimnis bevor ich auch nur an der Tür klopfen konnte. Also verbrachte ich ganz viel Zeit damit mir in meiner Bude sämtliche Musiker anzuhören, die ich einmal gut fand. 

Das Problem war jedoch, dass ich wirklich lange brauchte und gerade einmal die Spitze des Eisberges geschafft hatte.

»Blauauge, schön dich zu sehen!«, gebärdete Hugo überschwänglich und goss mir ein Bier ein, als ich den Pub für den Puh-Pasch aufsuchte. Es war unglaublich voll und stickig. Die Musik blies mir fast die Schädeldecke weg und ich blickte in zahlreiche bekannte Gesichter. 

Zu meiner Verblüffung war Harry tatsächlich aufgetaucht. Er sah gar nicht wie er selbst aus, aber Isabell hatte ihn gut zwischen Noah und Mozzie untergebracht. Da hatte er zumindest keine Chance sich heimlich zu verdrücken.

Ab und an übersetzte ich Gespräche für Harry und merkte einmal mehr, dass ich mehr Gebärdensprache verstand, als das akustische Zeug, das Eleanor mir gegen den Lärm entgegenbrüllte. 

Eiskalt wünschte ich Harry viel Spaß, als Amanda ihn zum Kicker mitschleppte. Ich hatte bereits bei den verstohlenen Gesprächen zwischen ihr und Isabell gecheckt, dass Amanda meinem Kumpel mit ordentlich Alkohol ein bisschen die Zunge lockern wollte.

Dass Isabell sie darauf hinwies, dass Harry ihr kaum auf Gebärdensprache irgendwas hoch Interessantes gestehen konnte, ließ mich breit grinsen und hielt Amanda nicht von ihrem Vorhaben ab. Sie zwinkerte mir schelmisch zu und ich sah gerade noch, wie Mozzie Fizzy fragte, ob sie die Kickerrunde nicht bereuen würden.

Nachdem vier Plätze frei wurden, hatte man auch endlich mehr Platz am Tisch. Eleanor goss sich ein neues Bier ein und fragte: „Wer hat eigentlich die Diskussion darüber gewonnen, wer den hübschesten Hintern hat?"

Ich schmunzelte: „Mozzie."

Eleanor hob die Augenbrauen und schien darüber nachzudenken, dann lachte sie: „Oh verstehe. Stimmt schon, er kann sich sehen lassen. Heftig, dass es jemanden gibt, der Harry und dich an einem Tisch aussticht."

„Ach, das ist schon okay. Ich meine, er ist bestimmt 1, 90 Meter groß und hat wahrscheinlich Muskeln um einen Schrank zusammenzutreten. Dazu dieses Surferboy-Gesicht – wir haben keine echte Chance. Zumal er hier den Heimvorteil unter seinen Leuten hat."

Neben mir gebärdete Noah einmal quer über den Tisch zu Isabell und erklärte ihr, dass Benny hier herumschwirrte und seinen Bruder mitgebracht hatte. Er wirkte nicht sonderlich begeistert und Isabell rügte ihn, dass es seine Aufgabe gewesen wäre, den Anhang hier mit hin zu schleppen.

»Ich bin nicht sein Babysitter!«, wehrte Noah ab. »Außerdem kann ich so oder so nicht verhindern, wenn er sich die Birne wegballern will.«

Ich wedelte mit der Hand und bekam seine Aufmerksamkeit: »Hat A-l-e-c einen Gebärdennamen?«

»Nein«, Noah schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, was er überhaupt hier will.«

»Stellst du ihn mir vor?«, fragte ich und er grinste schief: »Auf gar keinem Fall.«

Prompt war ich irgendwie... enttäuscht. »Warum nicht?«

»Weil ich nicht glaube, dass es ihn interessiert«, Noah wirkte genervt. »Können wir das Thema wechseln?«

Von mir aus gern. 

Ich zuckte mit den Schultern und merkte einmal mehr, dass ich mich total entspannte. Hier schien mich niemand zu erkennen, denn ich spürte keine neugierigen Blicke im Nacken. Stattdessen wurde ich von Hugo gefragt, ob ich mit in den Gruppenchat wollte. Ohne zu zögern zückte ich mein Handy und wurde hinzugefügt.

Die Gespräche drehten sich um die neuen Deaf Slams, die nächstes Jahr wieder starteten. Außerdem hatte jemand hier in London ein kleines verstecktes Kino gefunden, das Filme mit Untertitel anbot. Sofort wurde der Name des Kinos in den Gruppenchat gesetzt. 

Ich hatte noch nie einen Kinofilm mit Untertitel gesehen und als sich alle auf neuen Klatsch und Tratsch stürzten, über Leute, die ich nicht kannte, da wendete sich Noah von dem Grüppchen ab und ich fragte: »Warst du schon mal in diesem Kino?«

»Nein«, wehrte er ab und ich grinste ihn an. Automatisch zuckten seine Mundwinkel und er gebärdete: »Was soll das werden?«

Lässig zuckte ich mit den Schultern: »Irgendwas wie ein Date? Oder auch keins?«

Statt darauf zu antworten, goss Noah uns Bier nach und klinkte sich ein, als Albert fragte, ob jemand eine Runde Schifferblut mittrank. Bei mir läuteten Alarmglocken, bis er belustigt meinte: »Schifferblut hat dir doch letztes Mal viel Spaß eingebracht. Vor allem drei Orgasmen in einer Nacht.«

»Das wirst du mir ewig unter die Nase reiben, oder?«

»Auf jeden Fall.«

Die Gruppe legte ordentlich los, nur Isabell verzichtete und hielt sich weiter an ihrem Bier. Allgemein trank sie heute Abend sehr wenig. Das war klug von ihr, denn Harry hatte am Kickertisch sicher keine Chance da heile rauszukommen.

Irgendwann lehnte Noah sich entspannt zurück und ich bemerkte, wie er mich abcheckte. Ohne ein einziges Wort zu verlieren, nickte er mit dem Kopf zur Treppe und ich reagierte automatisch.

 Wir seilten uns vom Tisch ab, mit der Ausrede, dass wir etwas essen wollten. Schnell machten wir uns vom Acker, bevor auch nur einer auf die Idee kam uns zu folgen.

Ich hatte keine Ahnung wo Noah hinwollte, aber er dafür einen genauen Plan. Er schob sich an den Leuten vorbei und ignorierte es, als ihn mehrere Unbekannte anquatschen. Stattdessen stolperten wir schließlich nach draußen in eine Art Hinterhof. 

Hier stapelten sich Bierfässer, Kisten, ein paar Stühle und ich erkannte eine improvisierte Raucherecke. Gerade herrschte tote Hose, wir waren also alleine.

Noah zog mich hinter die Bierfässer und ich grinste verschlagen: »Und ich dachte, das wird eine schweinische Aktion in einer Klokabine.«

Er verzog angeekelt das Gesicht: »Warst du hier schon mal pissen? Wenn ja, dann wärst du jetzt froh, dass wir hier sind.«

Ich stütze mich an der Backsteinmauer hinter Noah ab und beugte mich leicht vor. Meine Lippen strichen über seine und ich schmeckte die Reste von Schifferblut. Dann fragte ich mit einer Hand: »Willst du nach Hause?«

Noah zögerte: »Nein.«

»Sicher? Denk gut drüber nach.«

»Nein«, wiederholte er und boxte mir leicht in den Bauch. Ich lachte und schob mich näher zu ihm, doch Noah drückte mich dezent von sich weg: »Wenn du hier einmal anfängst, eskaliert es nur.«

»Ich habe mich gut unter Kontrolle, du etwa nicht?«

Ehrlich schüttelte er ernst den Kopf und eine hämische Stimme in meinem Kopf flüsterte mir zu, dass ich genau dies auch ausnutzen sollte. Mir war es völlig egal, dass hier Leute vorbeikommen könnten. 

Noch waren wir alleine und das reichte, damit ich mich wieder an ihn drängte und ihn zwang mich anzusehen, damit ich ihn küssen konnte. Ich roch sein vertrautes Aftershave und schloss die Augen.

Meine Lippen streiften nur kurz seine.

Dann wurde ich brutal zurück gerissen und bekam buchstäblich einen Schlag in die Fresse.

Ich war so überrumpelt, dass ich krachend zu Boden stürzte und auf den Grund der Realität landete. Mir klingelte die Birne und ich merkte im ersten Schockmoment nicht, dass mein Wangenknochen gefühlt in 1000 Stücke splitterte.

„Er hat Nein gesagt, du Wichser!", dröhnte eine Stimme und ich wurde heftig am Saum meines Shirts gepackt. Sekunden darauf ließ mich der Typ auch schon los und ich knallte zurück auf meine fünf Buchstaben. Vor meinen Augen tanzten Sterne, doch ich sah, wie Noah den jungen Kerl an der Schulter herumriss.

Er wirkte genauso geschockt, wie ich, hatte die Augen weit aufgerissen und schien im Affekt nicht zu wissen, wie er reagieren sollte. Sichtlich überfahren, beugte er sich zu mir runter und sprach meinen Namen aus, wie nur er es konnte. Leicht schief in der Betonung.

„Scheiße Mann", hustete ich. „Was zum Teufel ist falsch mit dir?"

Der ungekannte Typ sah mich an, als würde er mich in der Luft zerfetzten wollen, nur kurz wirkte er irritiert. Noah half mir auf und machte die Gebärde für: »Was soll das?«

Statt in Gebärdensprache zu antworten, sprach der Junge langsam und deutlich, so als wüsste er, dass Noah so von seinen Lippen lesen konnte: „Du wolltest das nicht!"

»Doch!«, widersprach Noah prompt und raufte sich die Haare. Er sah mich schließlich an und gestand: »Mein Bruder, A-l-e-c.«

Nun war ich es, der den Jungen anstarrte und tatsächlich konnte ich Ähnlichkeiten erkennen. Das Mausbraune Haar, bestimmte Gesichtszüge und die Art und Weise, wie er die Haltung veränderte. 

Noah gebärdete schnell und heftig. In seinem Gesicht las ich Unverständnis und Wut. Bei Alec erkannte ich pure Verwirrung und Überforderung.

Ich brauchte einen Moment, bis ich verstand, dass Alec der Gebärde nicht folgen konnte. Vorsichtig tastete ich über mein Kinn: „Er sagt, dass es keinen Grund gibt mir direkt eine Reinzuhauen und ob du von allen guten Geistern verlassen bist."

Mir wurde schwindelig und Noah griff gerade rechtzeitig nach mir. Er half mir mich auf ein Bierfass zu setzten und musterte mich besorgt: »Ich hole Wasser von der Bar und einen Eisbeutel.«

»Okay«, antwortete ich knapp und er warf seinem Bruder einen angepissten Blick zu: »Ich bin gleich wieder da.«

Damit stürmte er ins Innere und ließ mich mit Alec zurück. Dieser trat nervös von einem Bein auf das andere, er schien nicht zu wissen, was er sagen sollte, deshalb sprach ich: „Noah und ich wohnen zusammen."

„Das erklärt, warum er mir sein WG-Zimmer überlassen hat." Unbehaglich räusperte sich Alec: „Schätze Mum weiß nichts von... euer neuen WG."

„Ist doch sein gutes Recht das erst Mal für sich zu behalten", fand ich, denn auch meine Eltern ahnten von nichts. Im Moment lief es gut so, wie es war. Warum also etwas verändern?

Ich spürte Alecs brennenden Blick auf mir, es schien ihm regelrecht auf der Zunge zu liegen und ich konnte es mir denken. Nämlich wie Noah an einen Typen wie mir kam. Eigentlich sollte ihn nichts verwundern, immerhin wohnte er mit Fizzy in einer WG. Stattdessen schluckte er seine Neugier herunter und machte einen Schritt zur Seite, da Noah zurückkehrte.

Es tat gut sich das schmerzende Gesicht zu kühlen und das Wasser brachte meinen schwirrenden Kopf zur Ruhe. Der Schwindel ließ jedenfalls nach. Trotzdem blieb Noah besorgt: »Wir sollten in die Notaufnahme.«

»Himmel, nein. So schlimm ist es nicht.«

»Sicher?«

»Dein Bruder ist nicht der H-u-l-k«, buchstabierte ich zum Ende hin. »Aber für mich ist der Puh-Pasch vorbei. Ich rufe mir ein Taxi.« Das war zumindest das Vernünftigste. Ich hangelte nach dem Handy in meiner Tasche und nutze ein Unternehmen, mit dem ich in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht hatte.

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Noah erneut sauer etwas zu seinem Bruder gebärdete. Langsam verstand ich, wie schwierig das Verhältnis wirklich war. Wenn Alec sich noch nicht einmal flüssig mit seinem Bruder unterhalten konnte, dann war da aber einiges schiefgelaufen.

Gleichzeitig hatte Alec verdammt schnell reagiert, als er das Gefühl hatte, ich würde Noah in die Ecke drängen. 

Das tat man nicht, wenn einem der Bruder ziemlich scheißegal war. Und er war ganz sicher nicht nur in London, um sich klar zu werden, was er jetzt nach der Schule machen wollte und nutze dafür noch das Nachtleben der Hauptstadt.

Für eine richtige Party nutze ein Hörender schließlich nicht den Puh-Pasch. Das hier war überhaupt nicht seine Zone. Im Gegensatz zu mir, schien Noah davon rein gar nichts zu merken. Er war einfach nur angepisst und verabschiedete sich rüde, als er mir half vom Fass zu kommen damit wir an der Straße auf das Taxi warten konnten.

»Geh schon mal vor und guck ob es da ist«, bat ich ihn. »Ich muss noch schnell Harry Potter und Dickkopf Bescheid sagen.« Dafür hielt ich das Handy hoch und Noah nickte angespannt. 

Kaum verschwand er, drehte ich mich zu Alec um: „Wenn du willst, dass nicht ständig ein Übersetzer dabei ist, dann solltest du lernen, wie du mit Noah kommunizierst."

„Ich bin dran das aufzufrischen", antwortete Alec störrisch. „Aber so etwas lernt man nicht von heute auf Morgen."

Prompt erinnerte ich mich daran, wie schwer mir der Anfang gefallen war, doch Alec sah nicht so aus, als würde er viel von meinem Ratschlag halten. Stattdessen wurde seine Miene wieder angespannt und abwehrend. Er sprach: „Wehe du verarschst meinen Bruder!"

„Wieso sollte ich!", entfuhr es mir gereizt. „Krieg du mal lieber deine Aggressionen in den Griff, anstatt dir über so was das Hirn zu zermahlen." Eine Entschuldigung wäre angebrachter, als eine unterschwellige Drohung!

Damit ließ ich ihn stehen und stieß draußen zu Noah, der das Taxi schon heranwinkte. Während ich durch die Kneipe gegangen war, hatte ich Albert getroffen und ihm erklärt, dass Noah und ich abhauten. Verwirrt hatte sich dieser mein Gesicht angesehen, aber keine weiteren Fragen gestellt.

Im Auto wirkte Noah immer noch besorgt: »Wenn du kotzen musst, fahren wir sofort ins Krankenhaus.«

»Abgemacht«, stimmte ich ihm zu. 

Zum Glück hatte ich nicht so viel Alkohol getrunken, dass ich zu Hause keine Schmerztablette nehmen konnte. Regungslos lag ich nach einer Ewigkeit auf dem Bett und wartete darauf, dass das Medikament seine Arbeit machte. 

Ich blickte schweigend an die Decke und genoss es, dass der Schwindel verschwand. Als ich merkte, dass Noah sich an meinen Schuhen zu schaffen machte, da schmunzelte ich und hob den Kopf: »Ziehst du mich ganz aus?«

»Wenn du willst, ja«, antwortete er und zog an den Socken. Ich entspannte mich und gebärdete: »Jetzt, wo wir zu Hause sind, können wir ja eskalieren.«

Noah lachte bitter: »Dafür bist du nicht mehr hübsch genug. Deine Wange schwillt an, wie ein riesengroßer Pickel.«

Tief seufzte ich und sank zurück ins Kissen. Kurz darauf merkte ich, wie Noah sich trotzdem erbarmte und zu mir ins Bett kletterte. Ich mochte es, wie er durch mein Haar strich und mir sanft die Kopfhaut massierte. Automatisch schloss ich die Augen und merkte so kaum, dass ich in einen Dämmerschlaf überglitt.

Aus weiter Ferne glaubte ich, dass Noah meinen Namen auf seine ganz eigene Weise sagte. Das war aber auch schon alles, bevor ich in einen fast komatösen Zustand fiel.


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Hallo ihr Lieben!

Hoffe, ihr packt diesen heißen Sonntag. Eistee für alle!

Hier sind wir wieder, ich hab die Szene mit Noahs Bruder geliebt x) und viel Spaß daran. Finde, man kann Alec keinen Vorwurf machen hahaha. Denn von außen hätte es durchaus auch anders aussehen können.

Habt ihr auch einen Beschützerinstinkt?

Antworten auf die Kommentare sind bereits unterwegs ;) ich gebe alles und danke euch mega für das Feedback <3 Ihr rettet meine Woche.

Bis nächsten Sonntag, hoffe ich ;)

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