2 Kraftreserve.

┊  ┊  ┊          ★ NIALL

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Noch nie im Leben war ich so erschöpft. Ich schlief so unglaublich viel und war so froh, dass Noah mich kein Bisschen anstrengte. Alles, was mit ihm zu tun hatte, nahm ich visuell auf und mir war als würde er mich auffangen.

Der Gefühlsausbruch, der mich heulen ließ, beschämte mich. Ich wollte nicht, dass Noah mich so sah. Er tat es trotzdem. Sein simples: »Ist okay.« ließ einen Panzer aufbrechen. Ich hatte keine Ahnung, das Noah eigentlich genau wusste, wie ich mich fühlte.

Er bestellte Pizza, schleppte mich an die frische Luft und überzeugte mich mit ihm ins Stadion von Tottenham Hotspur zu gehen. Es war absolut nicht mein Verein, aber darum ging es Noah nicht. Stattdessen trank ich Bier, verfolgte das Spiel mit den Augen und bewegte mich unsichtbar neben ihm.

Blauweiß gekleidet, trotzen wir dem schmuddeligen Wetter und ich merkte, dass ich diese Auszeit brauchte. Ich hatte schon sehr lange nichts mehr einfach so gemacht. Kurz dachte ich daran, wann ich das letzte Mal so ausgelaugt war.

Damals... 2015 nach der On The Road Again Tour war ich fast zusammengeklappt. Die Pause kam gerade rechtzeitig. Das erste Wochenende danach verbrachte ich auch nur im Bett, auf Massagematten und vor der Glotze. Erst, als ich nicht mehr liegen konnte, da packte ich meinen Rucksack und ging auf Reisen.

Jetzt machte mich der bloße Gedanke an eine Reise schon erschöpft. Ich konnte nicht sagen, warum ich so fertig war, denn mein Akku sollte mittlerweile wieder aufgeladen sein. Stattdessen tat er sich unglaublich schwer Energie zu speichern.

Noah schien das nicht zu stören. Er machte keine Panik, gleichwohl ich allerdings innerlich schon Panik schob. Schließlich musste ich mich wieder einkriegen. Doch es war, als würde ich am Boden festkleben und Noah setzte sich geduldig daneben und leistete mir Gesellschaft.

»Wieso... bist du so...«, fragte ich ihn eines Morgens als ich neben ihm lag. Mir fehlte das Wort für gelassen. Sanftes Licht fiel ins Zimmer und Noah blinzelte verschlafen. Automatisch nahm ich jedes kleine Detail von ihm auf. Die Muttermale in seinem Gesicht, die Art, wie er die Nase kräuselte, das Mausbraune Haar, das zu allen Seiten abstand, die lebhaften braunen Augen.

Noah gähnte, dann schmunzelte er: »Was? Toll, cool, großartig, lustig, geil?«

Prompt musste ich lachen: »Geil, ja?«

»Jeden Morgen, wenn du hier schläfst«, er verzog das Gesicht als würde er sich beschweren. Ich zerrte an der Decke, um das zu überprüfen, aber er rollte sich hastig auf den Bauch und machte eine Gebärde, die ich nicht kannte.

Manchmal nervte mich das, doch gleichzeitig waren Gebärden so unglaublich entspannend. Abstrakt, klar und deutlich. Es gab keine Untertöne.

Ich spürte, dass Noah seine Hand auf meinen Bauch legte und ich meine eigene Hand auf seine. Schweigend sahen wir uns an. Schließlich fragte ich etwas linkisch: »Warum hast du nicht mehr auf meine Nachrichten geantwortet?«

Noah schluckte hart, unterbrach den Blickkontakt und schien peinlich ertappt zu sein. Doch dann erklärte er mir: »Mein... Englisch ist schlecht.«

Irritiert runzelte ich die Stirn: »Nein.«

»Doch. Schreiben... die Wörter richtig sortieren, ich kann das nicht gut. Es ist mir peinlich.«

Zuerst verstand ich nicht, was er mit sortieren meinte, bis der Groschen für Grammatik fiel. »Und du wolltest...«, ich machte eine Gebärde für Abbrechen und deutete zwischen uns. Noah seufzte und machte das Zeichen für Ja.

»Hat schlecht funktioniert«, stellte ich fest und er lachte laut und schief. Ich mochte dieses Lachen sehr, es hielt sich an keinen typischen Klang. Erst als er mich wieder ansah, da gebärdete ich weiter: »Mach das bitte nicht noch mal.«

»Okay«, antwortete Noah leichthin, doch ich war nachdrücklich: »Ich meine das Ernst. Rede mit mir.«

Wieder lachte er, aber er nickte: »Ich kann das nicht so gut, also reden über-« Er machte eine Gebärde, die ich nicht kannte, aber doch irgendwie verstand. Wahrscheinlich meinte er Gefühlskram.

»Ich auch nicht«, gab ich knapp zu und Noah fand: »Passt ja spitze!« Wieder lachte er und dieses Mal stimmte ich mit ein.

Unsere Zweisamkeit endete, denn Isabell und Benny kehrten zurück. Obwohl ich Benny nicht gut kannte und keine Ahnung hatte, wie die Gruppendynamik der drei aussah, fühlte es sich merkwürdig angespannt zwischen ihnen an. So als läge etwas in der Luft, das nicht ausgesprochen worden war.

Weder Isabell noch Benny wollten wissen, weshalb ich mich bei Noah versteckte. Sie stellten schlicht keine Fragen und integrierten mich einfach voll mit ein. Ich musste Müll runterbringen, war dran mit kochen und eh ich mich versah, lernte ich sowohl von Benny als auch von Isabell zahlreiche Gebärden. Plötzlich kam mir die Sprache nicht mehr wie ein ratloses Fingergefuchtel vor, sondern wurde logischer und logischer.

»Du wirst immer besser«, stellte Noah mit gerunzelter Stirn fest. Es schien ihm nicht besonders zu gefallen und nach dem Abendessen, als ich allein mit Isabell war, fragte ich wieso. Sie schmunzelte: „Ich habe ihm mal erzählt, dass du einen Akzent hast. Vielleicht war die hoppelige Art und Weise seine Art den Akzent zu bemerken."

Die Vorstellung war... schön.

Ich merkte, dass Isabell immer weniger Lautsprache nutze und bei einem Bier erzählte sie mir, warum das so war. Automatisch musste ich hart schlucken und verstand nun, wieso das zwischen Harry und ihr nicht so gelaufen war, wie es hätte sein sollen.

Mit keinem einzigen Wort machte sie meinen Kumpel schlecht. Im Gegenteil. Trotzdem raffte ich schnell, was das Problem war. Nämlich die Tatsache, dass Harry leugnete, was sich nicht verleugnen ließ. Er konnte sich nicht dauerhaft vormachen, dass Isabell kein Handicap hatte, denn es war da. Vielleicht nicht sichtbar, doch das hieß nicht, dass es verschwand.

Isabell fragte nicht, wie es an meiner Hörfront aussah, sie wollte nur wissen: „Bist du in Ordnung?"

Und die Antwort war ehrlich: »Nein.«

Mein doppelter Boden war weg. Ganz genau so, wie sie es mir vorausgesagt hatte. Ich würde wieder klarkommen, wenn ich einen neuen Plan hatte. Aber aktuell war da überhaupt nichts. Umso kostbarer war für mich dieses Versteck in dieser viel zu kleinen WG. Ich konnte nicht für immer hier bleiben, das war logisch. Doch noch fühlte ich mich zu leer um draußen wieder den Kampf aufzunehmen.

An einem Mittwoch flog mein Versteck auf.

Ich räumte gerade das Schlachtfeld vom Abendessen auf, da ich der Depp mit dem Küchendienst war, als die Blitzklingel ging und Noah die Tür unten aufspringen ließ. Wenig später fielen mir fast die Teller aus der Hand, denn hinter Fizzy schob sich Louis durch den Türrahmen.

Völlig verdattert sahen wir einander an, dann atmete er tief durch: „Hier bist du. Da hätten wir dich ja noch ewig suchen können."

Seine Stimme in diesen Räumen zu hören war merkwürdig. Die ganze Situation war es. Vor allem als Fizzy wissen wollte: „Joar, welche Baustelle zuerst?"

Louis nickte in meine Richtung und schien gleichzeitig nicht zu wissen, ob er sich in Bewegung setzten sollte oder nicht, weil Noah ihn irritiert musterte. Fizzy gebärdete so schnell, dass ich nicht mitkam und schließlich stieß sie Louis in die Küche. Dieser ließ sich langsam auf der Eckbank nieder und ich sah noch, wie Noah nickte und irgendwas von Bier faselte.

Kurz darauf standen vier Bier auf dem Küchentisch und Fizzy öffnete sie. Leichthin erklärte sie: „Eigentlich wollte Lou zu Isabell. Ich bin hier, um den Fremdenführer zu spielen und den Dolmetscher zu machen. Außerdem braucht er jemanden, der auf ihn aufpasst, jetzt nachdem Eleanor ihn verlassen hat."

„Wieso sollte sie das tun?", bei mir schlug das ein, wie eine Bombe und kurz danach befand ich mich quasi im Krisengebiet.

„Sie hat mit Harry geschlafen", schob Fizzy eiskalt, aber leise hinzu.

„WAS?"

„Aber das soll Harry Isabell irgendwann mal selbst erklären", meinte sie und mir vielleicht auch mal. „Wir sind nur Kollateralschaden und lästige Zeugen."

Jetzt verstand ich auch, wieso Louis vor wenigen Tagen so ausgeflippt war. „Scheiße Mann."

„Ist nur eine Hiobsbotschaft von vielen", brummte Louis. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst und das war gut so. Meine Güte, ich war doch keinen ganzen Monat weg, wie konnte da gleich die Welt komplett neu geordnet werden?

„Harry hat sein Auto zwischen Leitplanken geparkt und ist im Krankenhaus. Das ist die Kurzfassung, warum Liam und ich dich seit Tagen suchen", sprach Louis so dämlich leise, als würde er befürchten, dass uns hier jemand belauschen könnte. Für mich war das nur wieder anstrengend.

„Ist... er... also..."

Knapp machte Louis eine rüde Geste: „Er hat mehr Glück als Verstand. Deshalb bin ich hier. Ich wollte Isabell... na ja... ins Bild setzten."

„Und wahrscheinlich drum bitten, dass sie ihn besucht, nehme ich an?", warf ich ein und Louis schien überrascht. Mit den Schultern zuckend meinte ich: „Ist nur logisch. Harry hat es nicht gerade gut aufgenommen, dass sie einen Cut gemacht hat."

„Nach allem was ich verstanden habe, hat sie den Cut völlig zurecht gemacht", es war merkwürdig zu merken, dass Louis plötzlich wieder viel Ahnung davon hatte, was im Leben der anderen vorging. Er erzählte, dass Liam immer noch bei mir wohnte und vor Sorge fast die Wände hochging. Weshalb er diesem kurz darauf eine Nachricht schrieb, dass er mich gefunden habe.

„Entschuldige dich bei ihm", verlangte Louis und ich schrieb mir das auf die zurückkehrende to-do-Liste. Eine Liste, die ich nicht erneut hatte haben wollen. Tief seufzte ich und bemerkte nicht rechtzeitig, dass Louis mich eindringlich musterte. Fizzy stand auf, sie sagte etwas zu Louis, was ich nicht verstand und verließ die Küche. Er sah ihr kurz nach, dann wandte er sich mir erneut zu und nippte an seinem Bier.

„Ich bin froh, dass Fizzy Isabell vom Unfall erzählt. Irgendwie wäre ich mir seltsam dabei vorgekommen", gab er zu und ich blinzelte: „Wieso?"

„Na, ich weiß, sie versteht mich akustisch aktuell noch weniger als davor. Mich hätte es nervös gemacht, wenn ich neben Fizzy nach den richtigen Worten gesucht hätte und meine Schwester gleichzeitig mit den Fingern herumfuchtelt", erzählte er.

Prompt hatte ich einen Kloß im Hals. „Hast du was gegen die Gebärdensprache?"

„Nein", Louis schüttelte den Kopf. „Aber was ich nicht kenne oder durchschaue, macht mich unruhig." Er war überraschend ehrlich, dann fügte er hinzu: „Niall, ich werde dich nicht fragen, warum du abgehauen bist. Schätze, du hattest deine Gründe dafür. Nur, wenn du denkst du bist bereit darüber zu sprechen, dann tue es, ja?"

„Okay", war das Einzige, was ich dazu sagte. Louis hielt sein Wort, er bohrte nicht und als er nach über einer Stunde mit Fizzy schließlich ging, da schloss Noah die Tür hinter ihnen und kam zu mir in die Küche.

»Habe das mit Harry Potter mitbekommen«, gebärdete er und ließ sich auf dem Stuhl fallen. Ich schwieg, denn das musste ich erst einmal sacken lassen. Natürlich war es nicht fair von mir gewesen so abzutauchen, aber ich brauchte das.

»Was willst du tun?«, fragte Noah frei heraus und ich wusste sofort, was er damit meinte. Prompt machte ich meine absolute Lieblingsgebärde. Man machte quasi mit der Hand den Buchstaben F und führte die Hand zum Kopf. Das Ganze sah aus, als hätte man quasi ein Loch im Schädel. »Keine Ahnung.«

Knapp nickte Noah und knibbelte an Louis' leerer Bierflasche herum. Ihn schien etwas zu beschäftigen und schließlich drehte er den kompletten Oberkörper in meine Richtung: »Aber ich weiß, was du tun musst. Nämlich aufhören dich hier zu verstecken.«

»Meine Freunde wissen, dass ich hier bin.«

»Aber sie wissen nicht warum.«

Ich sah ihn an, mein Herz begann heftig zu schlagen. Automatisch öffnete ich den Mund und wenig später stellte ich fest, dass Noah von etwas ganz anderem sprach, als mir in den Sinn kam. Er meinte nicht das, was zwischen uns ablief.

»Du hörst schlecht. Na und? Wenn sie echte Freunde sind, helfen sie dir und beginnen ihr Verhalten zu ändern. Sie entlasten dich.«

Schwach musste ich lächeln: »Können sie das wirklich, mich entlasten?«

Nun war es Noah der grinste, und zwar unendlich breit: »Klar!« Als wäre es das selbstverständlichste der Welt. Ich streckte die Hand aus und strich durch sein Haar. Automatisch schloss er die Augen und genoss die zärtliche Geste.

Wieso setzte er mich nicht unter Druck? So lange ich zurückdachte, hatten all meine Beziehungen oder Nicht-ganz-Beziehung gewollt, dass ich für offensichtliche Verhältnisse sorgte. Daran war es jedes Mal gescheitert. Ich hasste es, wenn man mir die Pistole auf die Brust setzte.

Noah hatte an all dem kein Interesse. Er wollte, dass es mir gut ging, dass ich mit mir zurechtkam, und er fing mich auf, ohne auch nur irgendetwas dafür zu verlangen.

Es war so... sicher und warm bei ihm.

Vielleicht machte Louis etwas, was er nicht direkt verstand, nervös. Er hatte recht, auch mich hatte das einst unsicher gemacht. Aber war man mutig und wagte es trotzdem, wurde man auf eine Art und Weise belohnt, die jedes bisschen Mut dreifach zurückzahlte.

Ich blieb noch eine weitere Nacht bei Noah. Doch in dieser Nacht machte ich kaum ein Auge zu. Stattdessen lud ich mein Handy auf, schrieb den Jungs, packte meine Sachen und lag neben ihm. Ich lauschte der Stille und den Geräuschen, die er hin und wieder machte. Er atmete schwer und der Regen, der hart gegen die Dachschräge trommelte, schien für ihn ganz weit weg.

Wir waren ganz weit weg.

Es wurde Zeit die sichere Blase zu verlassen und als ich morgens dabei zusah, wie Noah sich fertig machte, um mit Fluffy eine Runde zu drehen, da wurde mir klar, dass diese Blase mein Alltag sein sollte. Ich wollte mich immer sicher und geborgen fühlen.

Draußen roch es nach Regen, der Himmel war dunkel und ich schulterte meine Tasche. Das riesige Pony sprang um meine Beine herum und Noah vergrub die Hände in den Taschen seines Hoodies.

»Schreibst du mir?«

Er nickte und ich schob hinterher: »Wirklich? Versprochen?«

Nun rollte er belustigt mit den Augen und gebärdete: »Versprochen und drei Kreuze.«

Immerhin etwas. Ich wartete. Irgendwie rechnete ich damit, dass wir uns richtig verabschiedeten. Doch Noah machte keinerlei Anstalt und ich kam mir komisch dabei vor. Schließlich hob ich knapp die Hand und wandte mich um. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Noah mich noch einmal aufhielt.

Ich bekam keine kitschigen Worte. Keinen rührseligen Abschied oder den Filmreifen Schlussakt.

»Du hast gute Freunde«, gebärdetet er und zerstreut antwortete ich: »Ja.«

»Sieh mich an!«, seine Bewegungen wurden energischer und ich hob den Kopf. Noah wirkte angespannt: »Deine Freunde sind gut. Du kennst sie. Sie kennen dich.«

Nun blinzelte ich.

»Sag ihnen die Wahrheit und sie werden dir zeigen, wie gut sie als Freunde sind.«

Ohne darüber nachzudenken, gebärdete ich: »Sie sind mehr als Freunde.«

Über Noahs Lippen zog ein breites, sehr zufriedenes Lächeln: »Ganz genau!«

Einmal mehr machte mir das deutlich, wie anders das, was ich mit Noah hatte, war. Anders war nichts Schlimmes, es war manchmal genau das, was man brauchte. So wie das, was er mir gab.

Denn er gab mir aufrichtige Zuversicht. 



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Kleinlautes leises "Hallo!", von meiner Seite aus. Ich traue mich fast nicht das Nachwort zu schreiben. Hier sind wir wieder, es war schwierig reinzukommen und dann plötzlich so, als sei man Zuhause.

Danke für die ganzen Kommis zum letzten Kapitel und auch für die Votes <3 

Willkommen zurück in der lauten und leisen Welt und ich hoffe, es ist noch jemand da, der den Weg findet. 

Hat man verstanden, was damit gemeint war, als Niall sagte, die Jungs und er seien mehr als Freunde? Habt ihr so etwas auch?



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