14 Tausend Gedanken.
┊ ┊ ┊ ★ NOAH
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»Pennst du, oder was?«
Amüsiert wurde ich von Mozzie angestoßen. Wir befanden uns auf dem Fußballplatz und spielten 8 gegen 8. Der Verein für Hörgeschädigte wurde immer kleine. Die Meisten hörten beim Eintritt ins Berufsleben auf und der Nachwuchs war schwindend gering. Auch ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt auszutreten, denn ich schaffte es nicht mehr jede Woche zum Training.
»Sorry, ich bin irgendwie-«, ich bekam den Fußball an den Kopf und taumelte. Wütend fuhr ich herum und erkannte Albert: »Beweg dich, oder leg dich hin zum Schlafen, Pickel. Wir sind hier, um ein paar ordentliche Tore zu ballern.«
»Ihr liegt 2:0 hinten«, informierte Mozzie ihn schadenfroh.
Ich rieb mir den Hinterkopf und zwang mich die letzten zwanzig Minuten aktiv dabei zu sein. Es gelang mehr eher schlecht als recht. Eigentlich lief ich nur passiv hin und her. Trotzdem war ich nach dem Training fix und fertig und saß einige Minuten regungslos auf der Umkleidebank.
Das Haar klebte mir noch nass am Kopf und ich blickte stumpf auf meine Schuhe. Als mir jemand hart eine Hand auf die Schulter knallte, da zuckte ich erschrocken zusammen und bemerkte, dass sich Benny zu mir runterbückte. Er wirkte besorgt und war anders als ich, schon komplett angezogen. Im Endeffekt wartete er nur auf mich.
»Was ist los?«, fragte er direkt und ich blinzelte: »Nichts.«
»Das Nichts kenne ich. Ärger mit Blauauge?«, wollte er amüsiert wissen und ich schüttelte den Kopf.
Obwohl ich nun seit ein paar Tagen bei Niall improvisorisch wohnte, fühlte es sich alles andere als vorrübergehend an. Er hatte in seinem begehbaren Schrank Platz für mich gemacht, setzte Dinge auf die Einkaufsliste, die ich gerne aß und stellte mir sogar eine ziemlich fette Karre zur Verfügung. Die ersten paar Tage hatte sie sie tatsächlich genutzt, doch dann fühlte ich mich nicht mehr gut dabei.
Auch glaubte ich, dass es merkwürdig werden würde, wenn auch Nialls Kumpel Liam bei ihm wohnte. Aber zu meiner Überraschung war er... angenehm.
Er kommunizierte irgendwie mit mir, schloss mich nicht aus und gab mir nicht das Gefühl ein Eindringling zu sein. Diese merkwürdige Freundlichkeit war ungewohnt.
Benny neigte leicht den Kopf: »Aber irgendetwas stimmt nicht.«
Ich zuckte mit den Schultern: »Viel Arbeit, ich bin kaputt.«
Tatsächlich war der Job bei Apple hart. Gleichzeitig erfüllte ich die Anforderungen. Ich fand Bugs, Fehler in neuen Apps oder konnte Ideen zu entwickelten Apps einreiche. Manchmal, wenn ich fand, dass eine App noch nicht ganz rund war, dann zeigte ich meinem Abteilungsleiter die Lücke auf.
Nicht immer verstand Mr Giliberti sofort, was ich meinte, da wir uns nur durch knappe simple Gesten verständigen konnten. Meistens begriff er jedoch schnell, da er meine Protokolle lesen konnte und jemand war, der mehr draufhatte, als nur eine Abteilung stumpf zu führen. Ich war immer furchtbar stolz, wenn er meiner Meinung war und Ideen weiterleitete.
Leider schienen meine Kollegen das nicht so geil zu finden, wie ich, weshalb ich auf der Arbeit eigentlich ständig alleine hockte. Man fühlte sich schnell verdammt ausgeschlossen.
»Hast du deshalb Dicky gebeten deinen Job an Dickkopf zu übergeben?«, horchte Benny und ich seufzte, denn es war das Schwerste, was ich je getan hatte. Ich liebte es die Videos für das Deaf Studio zu drehen, aber ich hatte keine Zeit mehr dafür. Müde rieb ich mir über das Gesicht: »Dickkopf macht das richtig gut.«
»Oh ja. Aber es war schwer Foxy und dich zeitgleich zu ersetzten.« Benny, Mozzie und Soyun waren von der originalen Besetzung geblieben. Dafür machte Sunny ihren Job richtig toll und trieb die Crew ordentlich voran. Ich hatte mir in der Mittagspause das erste neue Video angesehen und war schrecklich stolz auf Fizzy und Sunny.
Take on me von A-ha wurde im und am Londoner Eye gedreht. Benny zog sämtliche Register und die Qualität seiner Videos wurde besser und besser. Mittlerweile begleitete er auch nur noch drei Influencer und nicht mehr wie vorher sechs. Die Arbeit wuchs ihm sonst über den Kopf.
Was mir leider irgendwie schon passierte. Denn neben dem Job bei Apple, steckte mein Kopf in einem Projekt, das ich bislang noch niemanden zeigte. Der Entwurf eines Videospiels war grob und ich hatte selten die Ruhe, um am Protokoll zu arbeiten.
Außerdem hatte ich das Gefühl, dass Niall mir im Nacken saß.
Benny tätschelte mir besorgt den Kopf, als wäre ich ein Hund. Das war seine Art Führsorge zu zeigen: »Gibt's Probleme mit... was ist er, dein Lover?«
»Keine Ahnung, was er ist«, gab ich zu. »Ich... bequatsche das auch nicht mit ihm.«
»Beziehungsgedönse konntest du noch nie bequatschen«, rieb mir Benny grinsend unter die Nase. »Aber vielleicht solltest du da mit jemanden drüber reden, weil mit Details geizt du wie Dagobert Duck mit seinem Geld.« Er musterte mich wissend. »Foxy darf dich wegen diesem keine-Fragen-Deal nicht löchern und mit mir... willst du nicht reden.«
»Bist du wirklich scharf darauf, dass ich mit dir -«, ich machte eine eindeutige Gebärde, »- darüber rede? Du schweigst dich selbst über deine Sexgeschichten aus.«
Mein bester Freund presste die Lippen aufeinander, seufzte tief und raufte sich das nasse dunkle Haar. Zu meiner Überraschung lenkte er ein: »Du hast recht, das tue ich. Aber... dann müsste ich eine Menge Kram zugeben.«
»Vorlieben, die mich abschrecken?«, provozierte ich, aber Benny blieb gelassen: »Nein. Nur enormes Klatschpotenzial.«
So lief der Hase. »Ich weiß, dass du in Foxy verliebt bist.«
»Verliebt war«, korrigierte er mich und ich blinzelte. Doch Benny schob hinterher: »Sie will mich nicht. Jedenfalls nicht so, wie sie Harry Potter will.«
Ich war kein totaler Arsch und meinte: »Das tut mir leid.«
»Ist, wie es ist. Dafür bot sie mir Freundschaft und ich habe angenommen«, teilte er mir mit. Prompt musste ich lächeln: »Das wirst du nicht bereuen. Sie ist eine gute Freundin.«
»Und deshalb solltest du mit ihr reden, wenn du es schon mit mir nicht tust«, hielt Benny mir vor. »Irgendwas stimmt mit dir nicht und das hat nicht nur mit der vielen Arbeit zu tun, die du hast.«
Ich schwieg und begann meine Sporttasche zu packen. Denn Benny hatte recht. Es prasselte gerade ziemlich viel auf mich ein und ich musste Stück für Stück anfangen die Baustellen abzubauen. Nachdem ich angezogen war und mir die Mütze über die Ohren zog, da fragte ich: »Kommt morgen das neue Deaf Studio Video?«
»Ja, und dieses Mal haben wir uns richtig den Arsch aufgerissen. Wehe, die Klicks stimmen am Ende nicht«, Benny fuhr uns zurück nach London und ließ mich nach einer gefühlt ewigen Fahrt bei Nialls Adresse raus. Bevor ich das Auto jedoch verlassen konnte, hielt mein bester Freund mich noch einmal auf.
»Ich höre zu, wenn du bereit bist. Egal, um was es geht. Das weißt du, oder?«
Automatisch musste ich müde grinsen: »Keine Sorge, das ist mir klar.« Daraufhin schulterte ich meine Sporttasche und huschte ins Innere des Gebäudes. Es war immer noch merkwürdig nach Feierabend hier hin zu kommen.
Nicht, weil mir Nialls Loft nicht gefiel, es war große Klasse. Sondern, weil ich mich einfach zu sehr an die WG gewöhnt hatte. Leise schob ich die Tür auf, zumindest hoffte ich, dass ich leise war.
Drin brannte kein Licht, und Gott sei Dank kannte ich mittlerweile sämtliche Lichtschalter – und seit gestern auch den neuen technischen Schnickschnack.
Ich klatschte zweimal in die Hände und vereinzelte kleine Lampen gingen an. Liam hatte irgendwas bei dieser Alexa eingestellt. Wenn ich versuchte mit Alexa zu reden, dann klappte das nur bedingt, denn sie verstand mich akustisch nicht und ich war nie sicher, ob sie nun nicht reagierte, oder ich meinen Satz wiederholen sollte.
Niemand schien da zu sein und so räumte ich erst meine Schmutzwäsche weg und schlenderte in die Küche. Im Kühlschrank wartete Essen auf mich, das ich nur aufwärmen musste. Während ich den Teller in die Mikrowelle schob und wartete, checkte ich mein Handy.
Mit einem Knoten im Magen sah ich auf den Chat, der noch auf eine Antwort wartete. Meine Mutter hatte mir geschrieben. Sowohl auf WhatsApp, als auch per Brief. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
Nachdem ich mit der Schule fertig gewesen war, war der Kontakt so extrem lose geworden, dass ich nur Weihnachten nach Hause fuhr. Und auch dann fühlte ich mich in meinem Elternhaus immer wie ein... Eindringling.
Die plötzliche Kontaktaufnahme meiner Mutter machte mir zu schaffen. Auf der einen Seite war ich froh drum, aber auf der anderen Seite war ich vorsichtig. Denn ich hatte keine Ahnung, welche Erwartungen sie hatte.
Zu meiner Überraschung forderte sie nichts.
Alles, was sie tat, war mir kurze Nachrichten zu schreiben, in denen sie mir einen schönen Tag wünschte, mir lustige Bilder schickte oder fragte, ob es mir gut ginge.
Ich antwortete nicht immer, manchmal ließ ich mir ein paar Tage Zeit. Meine Bauchschmerzen, wenn ich ihren Namen las, verschwanden langsam. Und ich begann mich über die Memes zu freuen, die sie mir sendete. Hoffentlich würde ich das nicht bereuen. Denn die Ablehnung, die ich lange zu spüren bekommen hatte, saß immer noch tief.
Das galt auch für meine Bruder Alec.
Nächste Woche würde er in London ankommen und mein altes WG-Zimmer kriegen. Als meine Mum mich fragte, ob sie ihn nach London zu mir schicken könnte, da hatte ich mich nicht dazu überwinden können Nein zu sagen.
Jetzt wünschte ich irgendwie, ich hätte es getan.
Ach, es war schwierig.
Denn obwohl ich mit einem merkwürdigen Gefühl daran dachte, so hatte ich mir doch Mühe gegeben das Zimmer für Alec vorzubereiten.
Ich hatte ein Poster von Manchester United gekauft, seinen damals liebsten Fußballverein und einen Wecker in Gameboy-Form bestellt. Außerdem hatte ich die Lampe im Zimmer gegen eine Ausgetauscht, die aussah, wie der Todesstern aus Star Wars.
Am Ende war all die Mühe vielleicht vergebens, weil er Star Wars mittlerweile vielleicht dämlich fand. Was wusste ich schon?
Das Essen war fertig und ich nahm es aus der Mikrowelle. Doch kaum hielt ich es in der Hand, da regte ich mich nicht mehr. Benny hatte recht, alleine der Gedanke, dass Alec kam und meine Mutter mir schrieb, machte mich total nervös.
Ich sah mich in dem Loft um das nicht meins war. Tief atmete ich durch, griff zu meinem Handy und schrieb Isabell eine kurze Nachricht, dann ließ ich das Essen stehen und machte mich auf dem Weg zu ihr.
Bewusst nahm ich nicht Nialls Auto, sondern nutze die Tube. Kaum huschte ich in die Bahn, da antwortete mir meine beste Freundin. Bis zu Harry war es nicht allzu weit, aber als ich schließlich vor diesem weißen Haus stand, da zögerte ich. Denn Isabell musste sich von der OP erholen. Nicht, dass ich sie im Endeffekt zusätzlich stresste.
Meine Sorge war unbegründet, denn als die Tür aufgerissen wurde, da begrüßte Harry mich. Er schien auf dem Sprung, grinste breit und machte eine Bewegung, die wohl heißen sollte, dass Isabell im Wohnzimmer war.
Kurz blinzelte ich, denn er wünschte uns viel Spaß und ich blieb einen Augenblick regungslos im Flur stehen. Aber ich kam nicht darauf, was mich irritierte.
Hastig kickte ich mir schließlich die Schuhe von den Füßen, warf die Jacke an die Garderobe und schlenderte ins Wohnzimmer. Dabei bemerkte ich die zahlreichen Kisten auf der Kommode und musste grinsen.
Schien so, als hätte Harry ordentlich bei Humantechnik eingekauft. Der Hersteller war bekannt für seine Rauchmelder, Blitzlichtklingeln und Wecker für Hörgeschädigte. Die Bude war groß, als mussten viele Rauchmelder ausgetauscht werden. Im Schlafzimmer blitze der Wecker, wenn ein Rauchmelder reagierte.
Aber Isabell hielt sich schließlich auch in anderen Räumen auf. Es mussten also ein paar Blitzlichtlampen verteilt werden.
Meine beste Freundin sah so abgekämpft aus, wie ich mich fühlte. Doch als sie mich erkannte, da ging die Sonne über ihr Gesicht. Prompt fühlte ich mich besser und als sie sich erhob, da schwankte sie leicht. Ihr Gleichgewicht war noch immer für die Tonne und die Abdeckungen für Ohr und Kopf, wirkten wie kleine Häuptchen.
Isabell schloss mich in eine feste Umarmung. Als sie die Arme um mich schlang, ich tief ihren Geruch durchatmete, da war irgendwie alles wieder gut. Sie drückte mich fest und nachdem sie sich von mir löste, da knuffte sie mir leicht in die Seite.
»Wow, du hast mich echt vermisst«, stellte ich fest und sie rollte mit den Augen: »Rede dir das nur weiter ein. Ich habe übrigens den Osmanischen Tontopf von Witzmädchen in der Küche, wir müssen den Herd nur noch anmachen.«
Ich riss die Augen auf, denn auch wenn Amanda und ich regelmäßig Reiberein hatten, so konnte sie verdammt noch mal göttlich kochen. Den osmanischen Tontopf hatte ich seit dem Internat nicht mehr gegessen und mir lief prompt das Wasser im Mund zusammen. »Wann war sie hier?«
»Vor einer ganzen Weile, aber ich habe die Reste damals eingefroren.«
Wir gingen in die Küche, Isabell hantierte am Herd und ich öffnete den Kühlschrank für eine Cola. Schließlich setzten wir uns dort an den kleinen Tisch und ich fragte: »Was machen die Schmerzen, schläfst du besser?«
»Ja, hier ist es entspannter als im Krankenhaus. Es wird langsam.«
Von wegen, es würde noch mindestens vier Wochen dauern. Bald müssten die Fäden gezogen werden und dann ging es noch um die Heilung der Operationsnarben.
Leicht stütze Isabell den Kopf ab und musterte mich, doch sie gebärdete kein Wort und mir wurde klar, dass sie mir bereits an der Nasenspitze ansah, was Sache war.
»Dein Bruder kommt nächste Woche«, meinte sie schließlich schlicht. »Wie geht's dir damit?«
Knapp zuckte ich mit den Schultern: »Ich weiß es nicht.«
Meine beste Freundin holte tief Luft und ich schob mit schwitzigen Händen nach: »Ich habe echt an meinem Bruder gehangen, aber als er in die Pubertät kam, wurde er einfach scheiße.«
»Ja, ich erinnere mich.«
Alec war einer der Wenigen, der in meiner Familie gebärden konnte. Doch als die Pubertät einschlug, da war ich ihm plötzlich peinlich.
Früher hingen wir wie Pech und Schwefel zusammen, er war mein Partner in Crime. Ich brachte meinen kleinen Bruder zum Fußballtraining, machte mit ihm Torwartübungen, zeigte ihm neue Playstation-Spiele und stopfte ihn mit Cheeseburger voll, die ich von meinem Taschengeld bezahlte.
Aber dann tat er von heute auf morgen so, als würde er mich nicht kennen. Plötzlich schien es ihm unangenehm zu sein mit mir gesehen zu werden. Das wurde mir klar, als ich ihn vom Training abholen wollte, aber er mir auf der anderen Straßenseite mit seinen Freunden demonstrativ den Rücken zudrehte.
Er begann mich zu ignorieren und als ich ihn konfrontierte, da hieß es nur, ich solle mich um meinen Kram kümmern, er hätte keine Zeit für den Fingergefuchtelquatsch.
So gewöhnte ich mich daran, dass ich für ihn Luft wurde.
Und irgendwann fuhr ich am Wochenende nicht mehr vom Internat nach Hause. Denn wofür?
Mit meinen Eltern geriet ich damals sowieso ständig aneinander. Ich war eigentlich nur noch für Alec regelmäßig zurückgekommen. Selbst mein eigenes Zimmer wurde mir schließlich fremd.
»Meine Mum schreibt mir regelmäßig«, teilte ich Isabell mit und sie lächelte: »Was will sie so?«
»Gar nichts«, antwortete ich. »Außer hin und wieder wissen, ob es mir gut geht und wie mein Tag war.« Ich zögerte kurz. »Und sie hat sich entschuldigt.«
Isabell wusste, warum das Verhältnis zu meinen Eltern so schwierig war. Wenn es nach meinen Eltern gegangen wäre, wäre ich niemals auf das Internat für Hörgeschädigte gekommen. Sie hatten so sehr versucht mich anzupassen.
Anzupassen an die Hörende Welt.
Gott, wieviel Stunden hatten wir geübt Lippen zu lesen. Regelmäßig saßen sie mir in der Küche gegenüber und wollten, dass ich ganze Sätze von ihren Lippen verstand.
Abend für Abend war es das gleiche Spiel. Und wenn ich darum bat, dass sie langsamer sprachen oder ich die Wörter nicht mühsam entziffern konnte, dann wurden meine Eltern immer gereizter.
„Noch einmal", verlangten sie jedes Mal von mir. „Konzentriere dich! Gib dir bitte mehr Mühe!"
Ich hatte mich jahrelang mit Sprachtherapie gequält, aber es war gewesen wie ein blinder Tanz im Minenfeld. Immer und immer wieder musste ich auf die Lippen der Therapeutin starren und ihre Mundbewegungen nachmachen.
Ich musste den Kehlkopf fühlen für ein R. Den Lufthauch der Lippen fühlen für ein F und die Vibration der Wange für ein M.
Jeden verfluchten Tag nach dem Abendessen übte meine Mum mit mir.
Aber am Ende machte ich es doch nicht richtig, egal wie sehr ich mich auch bemühte.
Natürlich gab es Gehörlose, die halbwegs gut sprechen konnten, doch ich gehörte nicht dazu. Es war für mich eine einzige Qual. Denn die Töne, die aus meinem Mund kamen, waren nie das, was man von mir hören wollte.
Schlimmer, als es nicht zu können, war nur die grenzenlose Enttäuschung meiner Eltern. Besonders als klar wurde, dass ein CI wegen anatomischen Begebenheiten nicht in Frage kam.
»Wie hast du die Entschuldigung deiner Mum aufgenommen?«, fragte Isabell und ich roch, dass der Eintopf langsam anfing zu köcheln. Ich antwortete nicht sofort, sondern sah stumpf auf die Tischplatte. Erst als Isabell mit der Hand auf den Tisch klopfte, da ruckte mein Kopf erschrocken hoch.
Sie musterte mich besorgt und ich gebärdete schlicht: »Es ist meine Mum. Ich habe nur die eine.«
»Trotzdem hast du das Recht auch anders zu empfinden, als sie es will«, meinte Isabell. Ich wusste, auch sie hatte sich immer mal wieder mit ihrer Mutter in den Haaren, aber dort lagen die Dinge etwas anders. Mrs Weston war versöhnlicher mit Isabells Handicap, als meine es mit mir war.
Erschöpft zuckte ich mit den Schultern: »Der Brief meiner Mum ist lang. Ihre Entschuldigung ist in epischer Breite geschrieben, ich meine... sie hat mich damals nicht mit böser Absicht gequält. Sie wollte eigentlich nur mein Bestes und...«
Mein Blick traf den von Isabell und sie verstand sofort: »... sie wollte nur, dass du die gleichen Chancen hast, wie hörende Kinder.«
»Genau und das kann ich ihr nicht zum Vorwurf machen. Ich meine, es ist nicht so, als hätten meine Eltern vorher üben können, wie sie richtig mit einer Behinderung umgehen. Im Grunde waren sie wahrscheinlich komplett überfordert und wollten alles richtig machen. So steht es zumindest auch im Brief.«
Und im Endeffekt hatte dieser blinde Ehrgeiz dazu geführt, dass ich abgehauen war. Anders hatte ich mir nicht zu helfen gewusst. Jedoch war es Tatsache, dass meine Mum genau dies auch wusste. Sie bedauerte es, mich zu diesem Schritt gebracht zu haben.
»Was willst du nun tun?«, fragte Isabell.
»Keine Ahnung«, ich war überfragt und statt weiter zu bohren, tätschelte Isabell mir den Kopf und stand auf. Wenig später hatte ich einen Teller osmanischen Eintopf vor mir stehen.
Der Duft war sehr tröstlich und als ich schweigend aß, da spürte ich jeden müden Knochen im Körper. Und das, obwohl ich mich heute gar nicht so viel bewegt hatte, um so erledigt zu sein.
Mein Kopf war stumpf und leer.
Was für eine anstrengende Woche.
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Hallo ihr Lieben!
Ich wünsche euch einen gemütlichen Sonntag und hoffe, ihr drückt weiter für mich die Daumen! Noch ganze 2 1/2 Wochen bitte :3
Leider ist mein Internet in der Unterkunft der Berufsschule mega schlecht, deshalb bete ich, dass dieses Kapitel tatsächlich komplett freigeschaltet wird >///<
Es ist leider ein Aufbau-Kapitel, aber auch die müssen sein - und sind wir ehrlich, Noah hat lange nicht mehr Hallo gesagt xD
Danke für eure zahlreichen Votes <3
Und danke auch für alle, die sich die Zeit für einen Kommentar nehmen!
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